Rote Belladonna (eBook)
320 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99692-1 (ISBN)
Jürgen Seibold, geboren 1960 in Stuttgart, arbeitete als Redakteur und freier Journalist. 1989 veröffentlichte der SPIEGEL-Bestsellerautor seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher, Theaterstücke, Thriller, Komödien und Kriminalromane. Mit seiner Familie lebt Jürgen Seibold im Rems-Murr-Kreis.
Jürgen Seibold, 1960 in Stuttgart geboren, arbeitete als Redakteur und freier Journalist. 1989 veröffentlichte der SPIEGEL-Bestsellerautor seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher, Theaterstücke, Thriller und Kriminalromane.
1
Heribert Ursinus lehnte behaglich in seinem Liegestuhl und sah von der etwas erhöht angelegten Terrasse aus in den Garten, wo seine Frau Hildegard vor einem Kräuterbeet kniete, die Feuchtigkeit des Bodens mit den Fingerspitzen prüfte, immer wieder zärtlich über die Rosmarin- und Salbeiblätter strich und dabei so leise vor sich hin murmelte, dass er es auf seinem Platz nicht hören konnte. Neben ihm saß Maja, seine in München lebende Großnichte, die vor zwei Stunden in Neumarkt in der Oberpfalz angekommen war. Auch sie schaute stumm der Tante zu und nippte von Zeit zu Zeit am Kaffee, der inzwischen nur noch lauwarm war.
Maja war hübsch, eine schlanke, sportliche Frau von Anfang dreißig, aber für ihren größten Trumpf hielt Heribert ihre freundliche, offene Art. Zwar machte sie sich manchmal unnötig Sorgen oder hielt sich für die Schuldige in Auseinandersetzungen, die sie gar nicht verursacht hatte. Doch sie war ein verlässlicher Mensch, meistens unkompliziert, und wenn sie etwas auf dem Herzen hatte, waren er und seine Frau die Menschen, denen sie sich anvertraute – viel eher als ihren Eltern. Weder ihren Vater, der seine Tochter nach seinem Vorbild formen und ihr die Leitung der Familienapotheke in Füssen aufzwingen wollte, noch ihre Mutter, die dem Vater immer recht gab, hätte sie im Zweifelsfall um Rat oder Unterstützung gebeten. Seit einiger Zeit gab es außer Heribert und Hilde noch jemanden, der in Majas Leben eine wichtige Rolle spielte: Markus Brodtbeck, Kommissar der Münchener Kripo. Die beiden wohnten im selben Haus in München-Laim – Markus in seiner eigenen Wohnung und Maja direkt nebenan in ihrer WG.
Als sie bemerkte, dass ihr Onkel sie beobachtete, sah sie ihn fragend an. Heribert erwiderte ihren Blick ruhig, und fast gleichzeitig breitete sich auf den Gesichtern der beiden ein Grinsen aus.
»Jetzt frag schon, was du fragen willst«, sagte Maja.
»Warum bist du allein zu uns gekommen und nicht, wie ursprünglich angekündigt, mit deinem Freund Markus?«
»Der hat einen Rückzieher gemacht«, antwortete sie, ohne zu zögern. Offenbar hatte sie genau mit dieser Frage gerechnet.
Wie gut sie sich doch kannten.
»Wieso das denn?«, hakte er nach.
»Wir haben uns gestritten.«
»Worüber?«
»Ich habe schon vor Längerem für die nächsten beiden Wochen Urlaub eingereicht, und wir wollten zusammen verreisen. Aber er steckt noch in einem Fall fest, und als ich mich gerade damit abgefunden hatte, dass wir erst in meiner zweiten Urlaubswoche zusammen wegfahren können, hat er mir gebeichtet, dass er vielleicht nicht einmal dann Urlaub bekommt. Daraufhin habe ich ihm wohl etwas zu deutlich gesagt, wie blöd ich das finde. Na ja, und jetzt tut mir ein bisschen Abstand zu Markus vielleicht ganz gut.«
»Abstand? Wär’s nicht besser, ihr redet miteinander, und du entschuldigst dich bei ihm?«
Maja zuckte mit den Schultern.
»Man sollte nie im Streit auseinandergehen«, fuhr er fort. »Und was man klären kann, sollte man klären, und zwar möglichst bald.«
»Soso, Onkel Heribert. Habt ihr das auch jedes Mal so gehalten, du und Tante Hildegard?«
Er verzog das Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen, doch dann musste er lachen.
»Dir erzähl ich noch mal was über unsere Ehekrisen!«, versetzte er in gespielter Empörung. »Die Anekdoten von damals sollten dir nur als Beispiel dienen. Ich wollte dich wissen lassen, dass du nicht die Einzige bist, der mal das Herz schwer wird.«
Maja legte eine Hand auf seine.
»Das weiß ich doch, Onkel Heribert. War auch nicht böse gemeint. Außerdem dachte ich, ihr freut euch, wenn ich komme, auch ohne Markus.«
»Natürlich freuen wir uns!« Er legte seine andere Hand auf ihre und drückte sie leicht. »Sehr sogar. Hildegard weiß auch schon, was sie dir morgen kochen will. Ich darf’s dir nicht verraten, aber ich freu mich selbst schon sehr drauf.«
Er lehnte sich im Stuhl zurück und faltete die Hände über dem Bauch. Eine längere Pause entstand, in der sie wieder schweigend auf den Garten schauten. Schließlich stand Maja auf, um neuen Kaffee zu holen. Ihr Blick blieb an ihrem Onkel hängen, und sie forschte einen Moment lang in dem faltigen Gesicht, das ihr so vertraut und so lieb war.
»Du hast Sorgen, oder?«
Er zuckte nur mit den Schultern. Sie ging in die Küche und kehrte bald darauf mit zwei frisch gefüllten Kaffeetassen zurück, gab ihm die eine und drehte ihren Gartenstuhl so, dass sie genau vor ihrem Großonkel saß.
»Erzähl«, sagte sie. »Was bedrückt dich?«
»Erinnerst du dich an Elisabeth Wenderoth?«
Maja stutzte, dann fiel ihr wieder ein, in welchem Zusammenhang sie von dieser Frau gehört hatte.
»Die Kommilitonin, mit der du …« Sie unterbrach sich. »Ich wollte wirklich keine alte Geschichte aufrühren, Onkel Heribert, tut mir leid. Bitte entschuldige, dass ich vorhin davon angefangen habe. Ich …«
»Schon gut, das ist alles längst vorbei, und Hildegard hat mit dieser … nun ja … Episode und sogar mit Elisabeth selbst ihren Frieden gemacht. Wir schreiben uns gelegentlich, telefonieren alle paar Monate, und vergangenen Herbst waren Hildegard und ich für zwei Tage in Marburg, um sie zu besuchen und uns von ihr die Gegend zeigen zu lassen.«
»Das ist gut. Aber warum macht dir die Geschichte von damals trotzdem noch Sorgen?«
»Nicht die Geschichte, Maja, sondern Elisabeth.«
»Ist sie krank?«
»Nicht, dass ich wüsste. Aber sie hat berufliche Sorgen. Ich habe dir sicher mal erzählt, dass sie seit vielen Jahren eine Apotheke in Marburg führt.«
»Immer noch? Hat sie sich nicht zur Ruhe gesetzt wie du und Tante Hildegard?«
»Nein, leider nicht.«
»Leider? Ist was passiert?«
»Die Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten.«
»Ich habe Zeit«, sagte Maja, »und ich habe frischen Kaffee. Ich hör mir gern alles an, du kannst ruhig auch etwas ausholen.«
»Ohne das wird’s nicht gehen, fürchte ich.«
Und so erzählte Heribert Ursinus von der Freundschaft zu seiner früheren Kommilitonin, von der einen oder anderen Lebenskrise, durch die er ihr mit Briefen oder langen Telefongesprächen geholfen hatte, streifte kurz auch die Affäre mit ihr, über die er seiner Nichte gegenüber schon mal gesprochen hatte.
»Elisabeth hatte viel Erfolg mit ihrer Apotheke«, fuhr er fort. »Vor allem für ihre selbst hergestellten homöopathischen Mittel wurde sie regelrecht berühmt in Marburg und im weiteren Umkreis. Sie fand es immer besonders lustig, dass sie diesen Erfolg ausgerechnet in der Stadt hatte, wo der Marburger Bund gegründet wurde. Du weißt ja, dass der ärztliche Berufsverband nicht gerade als homöopathiefreundlich gilt, und die in der Stadt ansässigen Pharmafirmen halten von Globuli natürlich auch nicht viel. Aber Elisabeth war erfolgreich, sehr sogar, teils mit den Globuli, teils mit ihren hausgemachten Salben. Und ich fürchte, es ist ihr auch ein bisschen zu Kopf gestiegen. ›Elisabeth, die Kräuterhexe‹ – selbst in den Spottbezeichnungen ihrer Gegner schwang Bewunderung oder mindestens Respekt mit. Das ist auch der Grund, warum sie bisher ihre Apotheke nicht loslassen konnte.«
»Du hast gerade gesagt: ›Sie war erfolgreich.‹ Ist sie das denn nicht mehr?«
»Im Moment macht sie eine schwere Zeit durch. Eine ihrer Stammkundinnen ist vor drei Wochen verstorben.«
»Und was hat das mit ihr zu tun?«, fragte Maja.
»Diese Kundin, eine ältere Dame, hatte Mitte Februar Nachschub für ihre homöopathische Hausapotheke bestellt, und Elisabeth brachte ihr zwei Tage später die Globuli nach Hause. Die alte Dame war nicht mehr so gut zu Fuß und wohnte im zweiten Stock eines Hauses in der Innenstadt. Solchen Kunden liefert Elisabeth die Bestellungen ganz gern persönlich nach Hause, denn in den Gesprächen, die sie bei diesen Gelegenheiten führt, erfährt sie viel darüber, was ihren Kunden seelisch zu schaffen macht. Manchmal hilft ein solches Gespräch mehr als ein Medikament, eine Salbe oder Globuli.«
»Was ist dann passiert?«
»Einige Tage später ist einer jungen Frau im selben Haus aufgefallen, dass die ältere Dame ihr nicht, wie sonst jede Woche, einen Einkaufszettel unter der Wohnungstür durchgeschoben hatte. Normalerweise erledigte die junge Frau nämlich den Wocheneinkauf für sie. Besorgt klopfte sie an ihre Tür und wandte sich dann an das Ehepaar, das für den Hauseigentümer die Hausmeisterarbeit übernimmt. Als die beiden mit dem Nachschlüssel in die Wohnung gingen und die geschlossene Tür zum Wohnzimmer öffneten, raubte ihnen der Gestank fast den Atem. Die alte Frau saß tot in ihrem Sessel, mit weit geöffnetem Mund, verkrampften Fingern und hervorgetretenen Augäpfeln.«
»Und die Verbindung zur Apotheke deiner Studienfreundin waren die Globuli?«
»Ja und nein. Zwar stammten alle Globuli im Haushalt der Toten aus Elisabeths Apotheke, aber neben ihr auf dem Couchtisch lag ein leeres Glasröhrchen ohne Etikett. Der Arzt, der den Tod feststellte, wies die Polizei darauf hin, dass in solchen Röhrchen kleinere Mengen Globuli ausgegeben werden, als Pröbchen oder als Bestandteil einer kleinen homöopathischen Hausapotheke. Im Labor wurden darin allerdings nur Reste von Globuli entdeckt.«
»Konnte denn wenigstens festgestellt werden, welchen Wirkstoff die Globuli enthielten?«
»Die Grundsubstanz war Belladonna. Die Obduktion der alten Dame hat ergeben, dass sie an einer Atropinvergiftung gestorben ist.«
»Belladonna enthält zwar Atropin, aber wenn die Globuli zum Beispiel als D6-Potenz hergestellt wurden, kommt ein Tropfen Belladonna auf eine halbe Badewanne Flüssigkeit – das ist himmelweit von einer tödlichen Menge...
Erscheint lt. Verlag | 30.11.2020 |
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Reihe/Serie | Die Apothekerin ermittelt | Die Apothekerin ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Allgäu-Krimis • Andreas Föhr • Apotheke • Apothekerin • Bestseller • Bestsellerautor • Die Apothekerin ermittelt • Eisenberg • Ermittlung • Familiengeschichte • Gift • Giftmord • Globuli • Heil- und Giftpflanzen • Homöopathie • Kommissar • Kräuterhexe • Kriminalroman • Maja Ursinus • Marburg • München • Pharmazeutin • Pharmazie • Polizei • Roman • weibliche Ermittlerin |
ISBN-10 | 3-492-99692-2 / 3492996922 |
ISBN-13 | 978-3-492-99692-1 / 9783492996921 |
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