Die Oxford-Morde (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
221 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7325-8792-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Oxford-Morde -  Guillermo Martínez
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An einem lauen Sommerabend in Oxford findet ein argentinischer Mathematik-Doktorand die Leiche seiner Vermieterin. Kurz darauf geschehen weitere Morde, und kein Geringerer als Arthur Seldom, der berühmte Professor für Logik, erhält jedes Mal eine Nachricht mit einem rätselhaften Symbol. Schnell ist klar: Wenn sie den nächsten Mord verhindern wollen, müssen Seldom und der junge Doktorand die logische Reihung der Symbole entschlüsseln ...



Guillermo Martínez, geboren 1962 in Bahía Blanca, ist promovierter Mathematiker und verbrachte zwei Jahre seiner Doktorandenzeit an der Universität Oxford. Für Die Oxford-Morde erhielt er 2003 als erster argentinischer Autor den wichtigsten Preis für spanischsprachige Literatur, den Planeta. Guillermo Martínez lebt in Buenos Aires.

Guillermo Martínez, geboren 1962 in Bahía Blanca, ist promovierter Mathematiker und verbrachte zwei Jahre seiner Doktorandenzeit an der Universität Oxford. Für Die Oxford-Morde erhielt er 2003 als erster argentinischer Autor den wichtigsten Preis für spanischsprachige Literatur, den Planeta. Guillermo Martínez lebt in Buenos Aires.

1


Jetzt, da so viel Zeit vergangen und alles längst vergessen ist, jetzt, da mich in einer lakonischen Mail aus Schottland die Nachricht von Seldoms Tod ereilt hat, glaube ich das Versprechen, das er mir nie abverlangte, brechen und die Wahrheit über die Ereignisse erzählen zu können, die im Sommer 1993 die englische Presse mit makabren bis sensationslüsternen Titeln füllten, auf die Seldom und ich jedoch, vielleicht aufgrund der mathematischen Konnotation, immer nur als »die Reihe« oder »die Oxford-Reihe« Bezug nahmen. Die Todesfälle ereigneten sich in der Tat alle innerhalb der Grenzen von Oxfordshire, zu Beginn meines Aufenthaltes in England, und mir kam das zweifelhafte Privileg zuteil, den ersten aus allernächster Nähe zu sehen.

Ich war zweiundzwanzig, ein Alter, in dem so gut wie alles noch entschuldbar ist; ich hatte gerade mein Studium an der Universität von Buenos Aires mit einer Arbeit in Algebraischer Topologie abgeschlossen und begab mich nun zu einem einjährigen Aufenthaltsstipendium nach Oxford, mit dem heimlichen Vorsatz, mich der Logik zu widmen oder jedenfalls das berühmte Seminar von Angus Macintire zu besuchen. Meine künftige Tutorin, Emily Bronson, hatte mein Kommen mit skrupulöser Sorgfalt bis ins letzte Detail vorbereitet. Sie war Professorin und Fellow des St Anne’s, aber in den vor meiner Abreise gewechselten Mails hatte sie mir nahegelegt, von der Unterbringung in den eher ungemütlichen Zimmern des Colleges abzusehen und stattdessen, sollte mein Stipendiengeld es erlauben, lieber ein Zimmer mit eigenem Bad, einer kleinen Küche und separatem Eingang im Haus von Mrs Eagleton zu mieten, der, wie sie mir versicherte, überaus freundlichen und zurückhaltenden Witwe eines ehemaligen Professors von ihr. Ich überschlug mein Budget, wie immer äußerst optimistisch, und sendete einen Scheck mit der ersten Monatsmiete als Vorauszahlung, die einzige von der Vermieterin geforderte Formalität. Zwei Wochen später fand ich mich im Flugzeug über dem Atlantik wieder, in diesem Zustand der Ungläubigkeit, der mich seit jeher auf allen Reisen befallen hat. Wie bei einem Salto ohne Netz erscheint es mir stets eine wesentlich wahrscheinlichere, sogar schlüssigere Hypothese – Occams Rasiermesser, hätte Seldom dazu gesagt –, dass irgendein Unfall mich in letzter Minute in meine Ausgangsposition zurück- oder direkt auf den Meeresgrund befördert, als mir vorzustellen, ein ganzes Land könne sich vor mir auftun, und mit ihm die gigantische Maschinerie eines Neuanfangs. Und dennoch durchbrach das Flugzeug am nächsten Morgen pünktlich um neun Uhr ruhig die Nebelbank, und unzweifelhaft wirklich tauchten die grünen Hügel Englands unter einem plötzlich matteren, oder vielleicht sollte ich sagen schwächeren Licht auf; zumindest kam es mir vor, als würde das Licht, je tiefer wir gingen, an Substanz verlieren, wie gefiltert dünner und kraftloser werden.

Meine Tutorin hatte mir genaueste Angaben gemacht, welchen Bus ich in Heathrow nehmen musste, um direkt nach Oxford zu gelangen, und sich mehrmals entschuldigt, dass sie mich bei meiner Ankunft nicht persönlich würde empfangen können, da sie die Woche über in London an einem Algebra-Kongress teilnahm. Das störte mich nicht im Geringsten, sondern schien mir geradezu ideal: Ich würde ein paar Tage für mich haben, um mir selbst eine Vorstellung von der Umgebung zu machen und die Stadt zu erkunden, bevor meine Pflichten begannen. Ich hatte nicht viel Gepäck, und als der Bus schließlich angekommen war, überquerte ich von der Haltestelle aus mit meinen Taschen einfach den Platz, um mir ein Taxi zu nehmen. Es war Anfang April, aber angesichts des eisigen Windes, gegen den die ziemlich blasse Sonne nicht viel ausrichtete, war ich froh, meinen Mantel angelassen zu haben. Wobei fast alle Besucher des Jahrmarktes, der auf dem Platz aufgebaut worden war, kurzärmelig herumliefen, ebenso wie der pakistanische Taxifahrer, der mir die Tür aufhielt. Ich gab ihm Mrs Eagletons Adresse und fragte ihn beim Losfahren, ob ihm nicht kalt sei. »Überhaupt nicht! Es ist doch Frühling«, entgegnete er und zeigte als unwiderlegbaren Beweis freudig auf die fahle Sonne.

Das schwarze Taxi setzte sich feierlich in Bewegung und fuhr auf die Hauptstraße zu. Dort bog es links ab, und ich konnte zu beiden Seiten durch halboffene Holztore und Eisengitter die adretten Gärten und makellosen, glänzenden Rasen der Colleges sehen. Wir kamen an einem kleinen Friedhof mit moosbewachsenen Grabsteinen vorbei, der eine Kirche säumte. Das Taxi fuhr ein Stück die Banbury Road hoch und bog dann in den Cunliffe Close ein, die Adresse, die ich notiert hatte. Die Straße wand sich jetzt durch einen beeindruckenden Park; grünumrankt erhoben sich in ruhiger Eleganz große alte Villen, die unvermittelt an viktorianische Romane denken ließen, an Nachmittagstees, Kricketpartien und Spaziergänge durch den Garten. Wir verfolgten die Hausnummern entlang des Gehwegs, obwohl es mir angesichts des Betrags auf meinem Scheck unwahrscheinlich erschien, dass die Adresse zu einer dieser Villen gehörte. Am Ende der Straße entdeckten wir schließlich eine Reihe wesentlich bescheidenerer, aber immer noch hübscher Häuschen, die mit ihren länglichen Holzbalkonen etwas Sommerliches an sich hatten.

Das erste war Mrs Eagletons Haus. Ich lud meine Taschen aus, stieg die kleine Eingangstreppe hoch und klingelte. Aus den Publikationsdaten ihrer Doktorarbeit und ihren ersten Artikeln hatte ich geschlossen, dass Emily Bronson mindestens fünfundfünfzig Jahre alt sein musste, und ich fragte mich, wie alt dann wohl die Witwe eines ehemaligen Professors von ihr war. Als die Tür aufging, blickte ich in das kantige Gesicht und die dunkelblauen Augen eines großen, schlanken Mädchens, das nicht viel älter war als ich und das mir lächelnd die Hand gab. Wir sahen uns an, beide angenehm überrascht, obwohl es mir vorkam, als wiche sie vorsichtshalber ein wenig zurück, nachdem sie ihre Hand befreit hatte, die ich wohl einen Augenblick länger als schicklich festgehalten hatte. Sie nannte ihren Namen, Beth, und versuchte, mit nur mäßigem Erfolg, meinen nachzusprechen, während sie mich in ein freundliches Wohnzimmer mit einem rot-grauen Rautenteppich führte. Aus einem geblümten Sessel streckte Mrs Eagleton mir mit einem innigen Begrüßungslächeln die Arme entgegen. Sie war eine alte Dame mit blitzenden Augen und lebhaften Bewegungen, deren weißes, flaumiges Haar sorgfältig zu einer eleganten Welle frisiert war. Während wir das Wohnzimmer durchquerten, fiel mein Blick auf den zusammengeklappten Rollstuhl, der hinter dem Sessel lehnte, und auf die Wolldecke mit dem Schottenmuster, die ihre Beine bedeckte. Ich gab ihr die Hand und spürte die etwas zittrige Zerbrechlichkeit ihrer Finger. Sie hielt meine einen Moment lang herzlich umfasst und klopfte mit der Linken leicht auf meinen Handrücken, während sie mich nach meiner Reise fragte und ob ich das erste Mal in England sei. Erstaunt sagte sie:

»Wir hatten nicht erwartet, dass Sie so jung sein würden, nicht wahr, Beth?«

Beth, die an der Tür stehengeblieben war, lächelte stumm; sie hatte einen Schlüssel von der Wand genommen, und nachdem ich auf drei oder vier weitere Fragen geantwortet hatte, schlug sie ruhig vor:

»Großmutter, meinst du nicht, dass wir ihm jetzt sein Zimmer zeigen sollten? Er muss schrecklich müde sein.«

»Natürlich«, sagte Mrs Eagleton. »Beth wird Ihnen alles erklären. Und wenn Sie heute Abend noch nichts anderes vorhaben, würden wir uns freuen, Sie zum Essen einzuladen.«

Ich ging hinter Beth nach draußen. Die Eingangsstufen setzten sich in einer Spirale nach unten fort und führten auf eine kleine Tür zu. Beth duckte sich ein wenig beim Eintreten, und ich folgte ihr in einen großen, ordentlichen Raum, der trotz des Tiefparterres durch zwei hohe, fast unter der Decke gelegene Fenster ausreichend Licht bekam. Sie begann mir alle Details zu erklären, durchschritt dabei den Raum, öffnete Schubladen, zeigte mir Wandschränke, Geschirr und Handtücher, begleitet von monotonen Ausführungen, die sie offensichtlich bereits mehrfach abgespult hatte. Ich begnügte mich damit, das Bett und die Dusche auszuprobieren, und widmete mich in erster Linie Beths Betrachtung. Sie hatte straffe, wettergegerbte Haut, als wäre sie übermäßig viel an der frischen Luft, was ihr zwar ein gesundes Aussehen verlieh, gleichzeitig jedoch vorzeitige Falten befürchten ließ. Hatte ich sie zunächst auf dreiundzwanzig oder vierundzwanzig geschätzt, tendierte ich unter diesem Licht eher auf sieben- oder achtundzwanzig. Rätselhaft schienen vor allem ihre schönen tiefblauen Augen, die im Vergleich zu ihrem restlichen Gesicht seltsam starr wirkten, als spiegele sich aller Ausdruck und Glanz erst wie verzögert in ihnen. Das weite, ländliche Kleid mit dem runden Kragen, das sie trug, gestattete keine großen Rückschlüsse auf ihre Figur; offensichtlich war sie schlank, obwohl ein etwas aufmerksamerer Blick doch einen gewissen Spielraum einräumte und vermuten ließ, dass diese Schlankheit glücklicherweise nicht durchgängig war. Vor allem von hinten war sie durchaus eine Umarmung wert; sie hatte etwas von der Wehrlosigkeit großer Mädchen. Als sie sich umdrehte, sah sie mir in die Augen und fragte, ich glaube ohne versteckte Ironie, ob ich sonst noch etwas wissen wolle, worauf ich beschämt wegsah und schnell antwortete, alles sei perfekt. Bevor sie ging, stellte ich ihr noch die überaus umständlich formulierte Frage, ob ich mich ihrer Meinung nach wirklich zum Abendessen eingeladen betrachten könne, was sie lachend bejahte; um halb sieben würden sie mich erwarten.

Ich packte die wenigen Dinge aus, die ich mitgebracht hatte, stapelte ein paar Bücher und Kopien...

Erscheint lt. Verlag 29.5.2020
Übersetzer Angelica Ammar
Sprache deutsch
Original-Titel Crímenes Imperceptibles
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • elijah wood • England / Großbritannien • Ermittlerteam • John Hurt • Jorge Luis Borges • Kriminalroman • Krimis • Logik • Mathematik • Oxford • Pythagoras • Rätsel • Symbolik • Umberto Eco • Universität
ISBN-10 3-7325-8792-4 / 3732587924
ISBN-13 978-3-7325-8792-6 / 9783732587926
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