Die Stille der Toten (eBook)

Kriminalroman
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2020 | 1. Auflage
336 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2563-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Stille der Toten -  Maximilian Rosar
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Der Tote aus dem Fluss.

Frankfurt im Mai 1967. Im Main wird die Leiche eines ermordeten amerikanischen Reporters angespült, der über die Prozesse gegen die Täter von Auschwitz berichtete. Da der Tote selbst Jude war, gewinnt der Fall enorme politische Sprengkraft. Kommissar Preusser übernimmt die heiklen Ermittlungen und befindet sich bald darauf in einem Geflecht aus Schuld und Vertuschung der dunklen deutschen Vergangenheit. Sind die Mörder von damals die Täter von heute?

Ein packender Kriminalroman vor dem Hintergrund der sechziger Jahre in Deutschland.



Maximilian Rosar ist Professor für Betriebswirtschaft und lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Trier. Unter dem Pseudonym Paul Walz hat er bereits vier Kriminalromane und mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht.

Im Aufbau Taschenbuch ist bisher der erste Roman um Kommissar Preusser erschienen: 'Die Stille der Toten'.

Eins


Dienstag, 23. Mai 1967

In die Schlange kam Bewegung, und die Herren in ihren Abendanzügen zuckelten wie die Königspinguine geduldig dem Getränkestand entgegen.

Er würde eine ganze Weile brauchen, um an die Theke zu gelangen, doch das war Preusser völlig gleichgültig.

Er zog eine Schachtel Ernte 23 aus der Innentasche seiner Jacke und zündete sich eine Zigarette an. Seine Hände zitterten stärker als sonst, und er genoss, als er tief inhalierte, den befriedigenden Augenblick des ersten Zugs, bevor er mit geschlossenen Augen den Qualm in die blauen Schwaden blies, die sich im Foyer der Oper ausgebreitet hatten.

Der Abend hatte wundervoll begonnen. Puccinis Musik hatte ihn verzaubert, und er wusste Helga gutgelaunt an seiner Seite.

Es war dann die Arie des Rudolfos, die es auslöste. Während der Strophe, in der es hieß: Denn an ihrer Stelle ist nun süße Hoffnung, war nicht mehr die Stimme des Tenors, sondern waren Ottos Entsetzensschreie in seinen Ohren, gegen die kein Ohrstöpsel half. Die immerwährend gleichen Bilder zogen auf wie ein Gewitter, und vor ihm lag wieder die staubige Straße in die Kriegsgefangenschaft, irgendwo in der Ukraine, irgendwo im Nichts, zwischen abgeernteten Feldern und Büschen. Otto, sein engster Kamerad, der ihm das Leben gerettet hatte, kroch vor dem Panzer davon, die Augen ohne Hoffnung auf ihn, auf seinen Kameraden Joachim Preusser, gerichtet. Dann kamen wie gewohnt die Gesichter der Frauen, die nicht dort hingehörten. Ihre vorwurfsvollen Blicke.

Er hatte sich in seinem Sessel verkrampft und die Lehnen umklammert, hatte versucht, nicht aufzufallen, nicht zu stöhnen, doch erst als Helga seine Hand nahm und sie sanft drückte, hatte er sich beruhigt und verschwitzt den Rest des Akts von Liebe und Glück über sich ergehen lassen.

»Brauchen Sie eine Extraeinladung oder was?«

Preusser schrak zusammen und registrierte verwirrt den abschätzigen Blick des Kellners in seinem weißen Jackett hinter der Theke, dessen glasige Augen verrieten, dass er selbst einer seiner besten Kunden war.

Er nahm zwei Sekt und legte ein Fünfmarkstück auf den Tresen.

Gerade als er sich umwandte, sah er, wie ein hochgewachsener Mann im Smoking zu Helga an den Tisch trat und etwas zu ihr sagte. Sie stimmte das Lachen an, dem er nie hatte widerstehen können, und schüttelte den Kopf, woraufhin sich der Mann formvollendet verbeugte und abzog.

»Was wollte der Kerl denn?«

»Mir einen Sekt ausgeben.« Sie lächelte und strich sich eine dunkle Strähne aus der Stirn. Die neue Kurzhaarfrisur ließ sie jünger erscheinen als die fünfundvierzig Jahre, die sie alt war.

»Danke wegen eben.« Preusser reichte seiner Frau ein Glas und rang sich ein Lächeln ab.

Sie erwiderte es und trank, sah ihn dabei aber forschend an. »Wieder der Panzer?«

Auf dem Rand ihres Glases zeichnete sich ein Abdruck ihres Lippenstifts ab. Er nickte. »Komm, lassen wir das. Es ist ja jetzt vorbei.«

Sie zog die Augenbrauen nach oben. »Bis wann? Nächsten Montag, morgen? Kaum eine Nacht, in der du nicht hochfährst und so wie vorhin abdrehst. Sieh dir bloß an, wie deine Hände zittern.«

Preusser griff seine rechte Hand mit der linken. »Hör bitte auf. Ich weiß ja, deiner Meinung nach sollte ich zum Klapsdoktor.« Er sah sich um, ob jemand ihr Gespräch belauschte, doch die Umstehenden diskutierten über Kiesingers Wirtschaftspolitik und den Bau des ersten Hochhauses in Frankfurt.

Helga ignorierte seinen schroffen Ton. »Sei nicht gleich wieder so abfällig. Lass dir helfen.«

Er zischte. »Ich gehe zu keinem Seelenklempner. Dann kann ich die Leitung der Mordkommission sofort abgeben. Die Stelle ist nichts für einen Mann, der plemplem ist.« Er tippte sich gegen die Stirn. »Die sägen mich ab.«

Sie legte ihm genauso die Hand auf den Arm, wie sie es während der Vorstellung getan hatte. »Es wird nicht aufhören. Du musst dir Hilfe suchen, wenn du schon nicht mit mir redest.«

Er zog seinen Arm zurück. »Ich habe dir erzählt, was damals passiert ist.«

»Das ja, aber was dich dabei so mitnimmt, behältst du für dich.«

»Wie oft soll ich dir das noch erklären! Es geht nicht, ich kann nicht darüber sprechen.«

»Vielleicht klappt es bei einem Psychiater.«

»Nein. Kommt nicht in Frage. Ende der Diskussion.«

Preusser wandte sich ab.

»Natürlich. Du machst das mit dir aus. Wie immer.« Helga sprach leise, doch der Ärger in ihrer Stimme war unüberhörbar. »Hauptsache, nichts dringt nach außen, und niemand könnte denken, der Herr Hauptkommissar hätte eine Schwäche. Wie ich diesen verfluchten Stolz hasse!« Ihre Stimme nahm einen zynischen Tonfall an. »Es ist ja alles in bester Ordnung.«

Er erwiderte nichts und sah an ihr vorbei den gutgelaunten Menschen in ihrer Abendgarderobe zu. Es summte wie in einem Bienenstock. Seine Blicke wanderten zur blauen Decke, von der metallene Skulpturen herabhingen und Wolken stilisiert darstellten.

Lange zähe Sekunden vergingen, dann kam Helga um den Tisch herum und stellte sich neben ihn. Er sah weiter geradeaus, bis sie schließlich seufzte und sich bei ihm unterhakte. Preusser konnte die Überwindung spüren, die sie das kostete. »Komm, lass uns aufhören. Kannst du die zweite Halbzeit anhören?«

Er nickte und schluckte auch seinen Ärger herunter. »Tut mir leid.«

Sie ging auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft auf die Wange. Dann wischte sie den Lippenstift weg.

Preusser ergriff ihre Hand. »Wollen wir nachher beim dicken Klaus noch einen Gummiadler essen?« Der Wirt in ihrer Stammkneipe machte in einer winzigen Küche die besten Hähnchen Frankfurts.

Helga nahm das Friedensangebot an und lächelte. »Können wir in diesem Aufzug da hin?« Sie schaute auf seinen Anzug.

Er hob die Schultern. »Passt schon.«

»Warum sind Hilmar und Christa eigentlich nicht da?«

»Ich weiß es nicht, bei mir hat sich niemand abgemeldet.« Er zündete sich eine neue Zigarette an und hielt ihr die Schachtel hin, aber Helga schüttelte den Kopf. »Christa hätte wenigstens kommen können, auch wenn er verhindert ist.«

Helga lachte. »Ohne ihn geht die doch nicht vor die Tür.«

Es gongte zum ersten Mal, und sie tranken gerade ihre Gläser aus, als Helga aufstöhnte. »O nein. Ich hätte den Sekt nehmen sollen.«

Preusser blickte sich um und sah Hermann Wiedemann auf sie zukommen. Auch er stöhnte. »Verdammt.«

Sein Kollege aus der Mordkommission trug neumodische Jeans, eine Lederjacke, darunter ein offenes Hemd und hätte an keinem Ort der Welt unpassender wirken können als im Foyer der Städtischen Bühnen. Er hielt noch die Polizeimarke in der Hand, als er an ihren Tisch trat. »Guten Abend, Frau Preusser. Herr Kommissar …« Er nickte ihnen grinsend zu. »So kommt man billig in die Oper.«

Helga lächelte nicht.

Preusser registrierte die neugierigen Blicke der Umstehenden. »Lass die Sprüche! Was ist los? Ich hoffe, es ist wichtig.«

Wiedemann sah aus annähernd zwei Metern auf seine Umwelt hinab, doch der Ton seines Chefs ließ ihn die Schultern straffen. »Es wurde um zweiundzwanzig Uhr ein Toter im Main gemeldet. Die Streife hat den Leichnam herausgezogen.«

»Etwas für uns?«

Der Gong ertönte wieder.

»Sieht ganz danach aus. Der Tote ist unbekleidet und weist eine Stichverletzung auf.«

»Wer ist vor Ort?«

»Gesshoff, Bär, ich denke, die Technik und Dr. Thömmes.«

Preusser atmete schwer aus und sah zu Helga. »Tut mir leid. Ich muss los, du hörst es ja.«

Ihr Gesicht versteinerte förmlich.

»Einmal gehen wir in die Oper und dann das. Sind deine Männer nicht in der Lage, so etwas alleine zu regeln?«

»Ich bin der Vorgesetzte. Hier sind fünf Mark, nimm dir ein Taxi.«

»Wenn du mir endlich erlauben würdest, den Führerschein zu machen, könnte ich das Auto selbst nach Hause fahren.« Ihr Tonfall wurde trotzig.

Preusser sah kurz zu Wiedemann, der Helga zunickte und schnell verschwand. »Wie kannst du das vor dem Kollegen sagen? Was soll der denn jetzt denken?«

»Na was wohl? Du lässt mich nicht den Führerschein machen.«

»Du weißt, was ich meine.«

Sie winkte ab. »Klar, nie in der Öffentlichkeit. Eine Frau soll ihrem Mann nicht in den Rücken fallen, aber sein Zeug waschen und putzen, ach ja, kochen darf sie auch.«

»Helga, bitte.« Sie erwiderte nichts. »Es wird wahrscheinlich spät werden.«

Seine Frau sah Preusser resigniert an. »Es sollte ein schöner Opernabend werden.«

»Dienst ist Dienst.«

Sie lachte schnaubend, griff den Geldschein und wandte sich ohne Gruß von ihm ab.

Preusser sah ihr nach, wie sie zierlich und schlank in ihrem kurzen Etuikleid in Richtung der Türen des Auditoriums ging, während ihr die Blicke nicht weniger Männer folgten.

* * *

Wiedemann wartete unmittelbar vor dem Haupteingang des neuen Theaterbaus in einem zivilen Fahrzeug. Laute Beatmusik quoll aus dem Inneren nach draußen.

Preusser klappte den Kragen seines Mantels gegen den Regen hoch und lief die Treppe hinunter. Eilig riss er die Beifahrertür auf und ließ sich auf den Sitz fallen.

Die Musik im Innenraum war...

Erscheint lt. Verlag 22.9.2020
Reihe/Serie Kommissar Preusser
Kommissar Preusser
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 1967 • Adolf Eichmann • Auschwitzprozess • Frankfurt am Main • Fritz Bauer • Kriminalkommissar • Nationalsozialisten • Studentenunruhen • Untergrund
ISBN-10 3-8412-2563-2 / 3841225632
ISBN-13 978-3-8412-2563-4 / 9783841225634
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