Die Hafenschwester (2) (eBook)

Als wir wieder Hoffnung hatten - Roman
eBook Download: EPUB
2020
512 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-26618-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Hafenschwester (2) - Melanie Metzenthin
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Hamburg, 1913: Mit ihrer großen Liebe Paul hat Krankenschwester Martha drei gesunde Kinder, eine schöne Wohnung und sogar eine Einladung nach Amerika, um ihre Freundin Milli zu besuchen. Doch die Stadt steht kurz vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges und Marthas Träume von der Zukunft zerplatzen. Trotz seiner 41 Jahre wird Paul eingezogen und Martha muss sich in dieser schweren Zeit allein um das Überleben ihrer Familie kümmern. Als Paul nach einem Granatenangriff schwer entstellt zurückkehrt, wird ihre Ehe auf eine harte Probe gestellt. Martha tut alles für ihren Mann, Paul unterzieht sich aber nur unwillig den nötigen Operationen und scheint aufgegeben zu haben ...

Melanie Metzenthin wurde 1969 in Hamburg geboren, wo sie auch heute noch lebt und als Fachärztin für Psychiatrie arbeitet. Mit der Vergangenheit ihrer Heimatstadt fühlt sie sich ebenso verbunden wie mit der Geschichte der Medizin, was in vielen ihrer Romane zum Ausdruck kommt. »Die Hafenschwester. Als wir zu träumen wagten« ist ihr erster Roman im Diana Verlag und der Auftakt zu einer Serie.

1

Hamburg, April 1913

Martha liebte die Sonntage, auch wenn die Zeiten, da sie und ihr Ehemann Paul ausschlafen konnten, seit der Geburt ihrer Kinder längst vorbei waren. Normalerweise war es die kleine Ella, die sich als Erste meldete, aber an diesem Morgen stand der achtjährige Rudolf in der Tür des Schlafzimmers, seinen sechsjährigen Bruder Alfred im Schlepptau, und rief: »Papa, wollen wir jetzt losgehen?«

Martha fuhr noch vor Paul aus dem Schlaf hoch und warf im Halbdunkel mühsam einen Blick auf den Wecker.

»Es ist doch erst halb sechs«, murmelte sie. »Das ist viel zu früh, Erich hat gesagt, ihr sollt um zehn kommen.«

»Geht wieder ins Bett, Kinder«, sagte Paul. »Mama und Papa wollen noch schlafen.«

Anstatt zu gehorchen, drehte Rudolf den Lichtschalter an der Wand, der die Gaszufuhr zur Deckenlampe regulierte. Im nächsten Moment war das Zimmer hell erleuchtet.

Martha stöhnte auf. »Rudi, mach sofort das Licht wieder …« Sie stockte. Konnte es tatsächlich sein, dass die beiden bereits ihre Sonntagskleidung, die dunkelblauen Matrosenanzüge, trugen? Sogar die Gesichter hatten sie sich gewaschen und die Haare ordentlich gekämmt.

»Ihr seid ja schon fix und fertig.«

»Ja, Mama, wir wollen doch nicht zu spät kommen.« Rudi nickte eifrig. »Papa, können wir jetzt losgehen?«

Paul musterte Rudi streng. »Mama hat doch gerade gesagt, dass Erich erst um zehn da ist. Ich werde doch nicht vier Stunden vor der Werft mit euch rumstehen und warten. Zieht sofort die Jacken wieder aus und geht in euer Zimmer, marsch. Um acht gibt’s Frühstück.«

»Aber Papa …«, maulte Rudi.

»Jetzt reicht’s aber. Wenn ihr nicht auf der Stelle verschwindet und hier wieder das Licht ausmacht, gehen wir heute gar nicht mehr weg, ist das klar?«

Sofort drehte Rudi das Licht aus. »Komm, Fredi«, raunte er seinem Bruder zu, »dann spielen wir eben noch mit den Schiffsmodellen, die uns Onkel Heinrich geschenkt hat.«

Paul atmete auf. »Zum Glück ist Ella nicht aufgewacht.«

Martha nickte, allerdings war ihre Müdigkeit verflogen. Stattdessen schweiften ihre Gedanken sehnsuchtsvoll zurück zu jenen Tagen, als die Sonntage noch ihnen allein gehört hatten. Tage, an denen sie ausgeschlafen und sich anschließend leidenschaftlich geliebt hatten. Sie hauchte Paul, der sich gerade wieder zum Schlafen umdrehen wollte, einen sanften Kuss auf die Wange. Er blinzelte.

»War es nicht der Prinz, der Dornröschen wach geküsst hat?«, neckte er sie.

»Wenn wir ohnehin schon wach sind, können wir die Zeit auch anderweitig nutzen«, gab sie keck zurück. »Oder bist du etwa zu müde?«

»Dazu bin ich nie zu müde.« Er zog sie in seine Arme und fing an, sie zu küssen. Im nächsten Augenblick wurde die Tür zum Schlafzimmer erneut geöffnet.

»Mama, ich habe Durst«, rief Ella.

»Ich frage mich, wie die Möllers von nebenan es geschafft haben, sieben Kinder zu zeugen«, murmelte Paul, während er Martha losließ. »Spätestens nach dem dritten kommt man ja zu nichts mehr.«

Martha lachte. »Na, dann bleibt mir wohl doch nichts anderes übrig, als aufzustehen«, sagte sie. »Komm, Ella, ich gebe dir gleich einen Becher Milch in der Küche.«

Die Küche war Marthas ganzer Stolz, denn sie besaß nicht nur einen Eisschrank für die verderblichen Lebensmittel, sondern auch einen hochmodernen Gasherd. Während andere noch Kohlen, Holz oder Torf verfeuern mussten, brauchte sie nur den Gashahn aufzudrehen. Es hatte seine Vorteile, mit einem gut verdienenden Maschinenbau-Ingenieur verheiratet zu sein.

Nachdem Martha ihrer Tochter ein Glas Milch gegeben hatte, ging sie ins Badezimmer und heizte den Badeofen an. Nur wenige Wohnungen in dieser Gegend verfügten über ein eigenes Bad mit Warmwasser und einer Spültoilette. Viele Mieter waren schon froh, wenn es auf jeder Etage eine eigene Toilette gab. Ihr Vater hatte sie kurz nach ihrem Einzug gefragt, ob es nicht unhygienisch sei, die Toilette direkt in der Wohnung zu haben. Sie hatte darüber nur den Kopf geschüttelt und ihm erklärt, dass die Spülung wesentlich hygienischer als jeder Nachttopf sei. Aber mit diesem Vorurteil hatte sie sich eine ganze Weile herumschlagen müssen. Eine Toilette direkt in der Wohnung – so etwas kannte man am Hafen nicht, das war dekadenter, neumodischer Firlefanz.

Martha öffnete den Heißwasserhahn und überprüfte, ob der Badeofen bereits sein Werk getan hatte. Ja, das genügte. Während das warme Wasser in die Wanne lief, gab sie einige Tropfen Lavendelöl hinzu, ein Luxus, den sie sich jeden Sonntag gönnte. Einfach nur im warmen Wasser zu liegen und vor sich hinzuträumen. Diese Zeit war ihr heilig, das wusste die Familie, und nicht einmal Ella störte sie, wenn sich der Lavendelduft in der ganzen Wohnung ausbreitete und allen verriet, dass Mama in der Wanne lag.

Um acht Uhr saß die Familie am Frühstückstisch.

Die beiden Jungs waren angesichts des geplanten Ausflugs zur Vulcan-Werft kaum zu bremsen.

»Papa, Rudi hat gesagt, es heißt nicht die Imperator, sondern der Imperator. Aber Onkel Heinrich hat gesagt, Schiffe sind alle weiblich.«

»Bei diesem Schiff ist das eine Ausnahme, Fredi«, erklärte Paul. »Der Kaiser meinte, das größte Schiff der Welt, das noch dazu den Titel Imperator trägt, darf nicht zu einer Frau werden. Deshalb heißt es ausnahmsweise der Imperator

»Da siehst du mal, wie wenig die Frauen dem Kaiser wert sind«, bemerkte Martha, während sie ihr Ei löffelte. »Selbst Schiffen wird jetzt der weibliche Artikel genommen.«

»Ach, ich denke, das ist nur sein Größenwahn«, erwiderte Paul.

»So was sagt man nicht über den Kaiser«, schalt Martha ihn. Wenn die Kinder weitererzählten, dass ihr Vater als bekennender Sozialdemokrat den Kaiser größenwahnsinnig nannte, konnte das großen Ärger bringen.

»Na ja, wie würdest du das denn nennen?«, fuhr Paul ungerührt fort. »Erich hat mir erzählt, kurz vorm Stapellauf hätten sie erfahren, dass in England ein Schiff gebaut wird, das dreißig Zentimeter länger werden soll als der Imperator. Daraufhin ließ der Kaiser einen goldenen Adler, der auf einer Weltkugel sitzt, wie eine Galionsfigur anbringen, und so würde der Imperator das größte Schiff der Welt bleiben.«

»Was für ein alberner Aufwand wegen dreißig Zentimetern«, meinte Martha kopfschüttelnd.

»Den meisten Männern kommt es auf jeden Zentimeter an«, bemerkte Paul mit einem Augenzwinkern, und Martha konnte sich das Lachen kaum verkneifen.

»Und das Schiff gucken wir uns heute an, ja, Papa?«

»Ja, Rudi. Und Erich hat mir versprochen, dass er uns drei auch an Bord lässt, weil da am Sonntag keiner ist, der’s ihm verbieten könnte. Dann dürfen wir sogar die großen Luxuskabinen der ersten Klasse besichtigen, die sonst nie jemand außer den ganz Reichen und dem Schiffspersonal zu sehen kriegt.«

Da Ella mit ihren drei Jahren noch kein Interesse an der Besichtigung eines Schiffes zeigte, hatte Martha sich vorgenommen, mit ihr an die Alster zu gehen, um die Schwäne zu füttern und später im Alsterpavillon ein Eis zu essen.

Um Viertel nach neun konnte Paul die Jungs nicht länger vertrösten. Sie wollten gerade die Wohnung verlassen, da klopfte es heftig an der Tür.

Es war Katrin Schwenke, das älteste von neun Kindern der Witwe Schwenke, die schon seit Langem leidend war.

»Entschuldigen Sie bitte, dass ich am Sonntag störe«, sagte das Mädchen, »aber meiner Mutter geht es so schlecht. Die ist kaum noch ansprechbar, die fühlt sich ganz glühend an vor lauter Fieber, und ich hab so Angst, dass sie stirbt.« Der flehende Blick der Dreizehnjährigen, die erst vor vier Monaten ihren Vater bei einem schweren Unfall am Hafen verloren hatte, zerschnitt Martha das Herz. Sie warf Paul einen Blick zu.

»Bringst du Ella auf dem Weg zur Werft zu meinem Vater?«, fragte sie. »Ich hol sie dann ab, wenn ich fertig bin.«

Paul nickte und nahm Ella bei der Hand. »Wir gehen dann schon mal los«, sagte er. »Zum Mittag sind wir wieder da.«

Marthas Vater Karl Westphal lebte noch immer in seiner alten Wohnung im Bleichergang, wo Martha aufgewachsen war. Er war bei den Kindern in der ganzen Gegend bekannt und beliebt, denn seit einem schweren Unfall, der ihm ein steifes Bein beschert hatte, bestritt er seinen Lebensunterhalt als Leierkastenmann und besaß zwei Äffchen. Koko, der Ältere, hatte mittlerweile das biblische Alter von neunzehn Jahren erreicht und schon lange nicht mehr die Kraft, drollige Sprünge zu vollbringen. Seit vier Jahren nahm der forsche Kapuzineraffe Maximilian ihm nun die Arbeit ab und sammelte die Münzen ein, während Koko in einem gemütlichen Körbchen auf dem Leierkasten saß.

Marthas Kinder liebten die beiden Äffchen und waren gern bei ihrem Großvater. Ella freute sich auch schon sehr, doch als sie die Wohnung erreichten, war die Tür verschlossen.

»Der Karl ist heute Morgen schon früh los nach Blankenese«, hörten sie von einer Nachbarin. »Da verdient er bei die feinen Leute im Sonntagsstaat gutes Geld, wenn er leiert.«

»Sonst spielt er sonntags doch immer ab zehn aufm Jungfernstieg«, sagte Paul.

»Ja, aber da sind inzwischen schon so viele andere von außerhalb, die dann extra nach Hamburg kommen, hat er mir gesagt, und dann bringt’s nicht mehr so viel. Blankenese ist zwar weiter weg, aber er meint, das lohnt sich mehr, da sind sie...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2020
Reihe/Serie Die Hafenschwester-Serie
Die Hafenschwester-Serie
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Ärztin • DELIA-Literaturpreis-Trägerin • Die Stimmlosen • eBooks • Elbe • Große Gefühle • Hafen • Hamburg • Historische Romane • Krankenhaus • Krankenschwester • Liebe
ISBN-10 3-641-26618-1 / 3641266181
ISBN-13 978-3-641-26618-9 / 9783641266189
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