Winterland (eBook)
624 Seiten
Blanvalet Verlag
978-3-641-25792-7 (ISBN)
Ein schrecklicher Mord erschüttert die verschlafene dänische Provinzstadt Sandstedt: Ein Mann wird brutal erschlagen aufgefunden, seine Ehefrau ist verschwunden. Keiner hat etwas gesehen, es gibt keine Spuren, kein ersichtliches Motiv.
Martin Juncker, einer der besten Mordermittler Dänemarks, übernimmt den Fall. Wegen eines verhängnisvollen Fehlers aus Kopenhagen nach Sandsted versetzt, leitet er dort die kleine Polizeistation und kümmert sich darüber hinaus noch um seinen dementen Vater. Ein eher beschauliches Leben.
Bis zu dem spektakulären Mordfall. Junckers ehemalige Kollegin Signe Kristiansen arbeitet noch immer in Kopenhagen. Sie freut sich auf ein beschauliches Weihnachtsfest mit der Familie, als eine Bombe auf dem Weihnachtsmarkt in der Innenstadt explodiert.
Signe steht an der Spitze der Jagd auf die Täter, doch alle Spuren verlaufen im Sand - bis ein anonymer Tipp den Fall in eine Richtung lenkt, die ihre schlimmsten Befürchtungen übersteigt.
Janni Pedersen ist Moderatorin und Kriminalreporterin bei TV2, einem der meistgesehenen Fernsehsender Dänemarks. 2018 wurde sie als beste Nachrichtensprecherin des Jahres ausgezeichnet.
Kim Faber ist Architekt und Journalist bei »Politiken«, einer der größten dänischen Tageszeitungen.
Prolog
Der Sommerwind streicht ihr warm über das Gesicht. Leicht wie eine Feder geht sie auf bloßen Füßen über die Wiese. Das Gras ist feucht vom Morgentau, irgendwo im Garten zwitschert eine Amsel, und sie spürt eine Freude wie seit Ewigkeiten nicht mehr.
»Ich bin«, sagt sie zu sich selbst, ohne richtig zu wissen, warum. Dann wiederholt sie die Worte mit einem Lächeln, einfach, weil sie so schön klingen. »Ich bin.«
In der Ferne hört sie ein Geräusch, wie von einem Hammer, der mit Wucht auf eine Holzplatte geschlagen wird. Sie sieht sich um. Niemand ist hier. Aber da ist es wieder. Näher diesmal. Sie fühlt Angst in sich aufsteigen, spürt, wie das Geräusch sie packt und in die Höhe zieht. Sie versucht dagegen anzukämpfen, das Bild des Gartens verschwimmt, sie greift danach, doch kann es nicht fassen. In einer langsamen Aufwärtsspirale schwebt sie durch die Schichten zwischen Traum und Wirklichkeit und erwacht mit einem Ruck.
Sie reißt die Augen auf und starrt mit klopfendem Herzen in die Dunkelheit. Ist da jemand? Sie lauscht. Abgesehen vom sanften Rauschen des Windes, der durch die nackten Zweige der Bäume im Hof fährt, ist es totenstill.
Da hört sie es wieder. Drei wütende Schläge. Und plötzlich weiß sie, was es ist. Jemand klopft an der Tür.
Es ist ein fremder Laut. In den vier Jahren, die sie hier im Haus wohnen, hat sie den Türklopfer nur einige wenige Male gehört, normalerweise bekommen sie keinen Besuch (früher hatten sie Freunde, jetzt nicht mehr). Sie schaut zum Nachttisch. Die grünen Ziffern des Radioweckers zeigen 04.16 Uhr.
Wer sollte hier mitten in der Nacht auftauchen? Die Polizei? Eine Zeit lang haben sie ihn beobachtet, so viel weiß sie, aber in den letzten Jahren nicht mehr. Wer dann? Ein Einbrecher?
Aber würden Einbrecher anklopfen?
Sie streckt den Arm aus und rüttelt an ihrem Mann. Er liegt mit dem Rücken zu ihr und schläft tief, wie sie an seinen schnarchenden Atemzügen erkennen kann. Sie rüttelt erneut an ihm, fester diesmal.
»Was?«, murmelt er schlaftrunken.
»Da klopft jemand. Jetzt wach schon auf!«, sagt sie verärgert.
Er dreht sich umständlich um, stützt sich auf die Ellbogen und bringt seinen großen Körper in eine halb aufrechte Position. »Klopft? Was redest du da?«
Er ist noch nicht richtig wach, die Worte kommen undeutlich aus seinem Mund, dennoch schwingt Unruhe in seiner Stimme mit, vielleicht sogar Angst. Nervös schüttelt sie den Kopf. Was ist nur los?
»Jemand klopft an der Tür. Geh endlich und mach auf.« Ihre Stimme überschlägt sich.
Er seufzt, schwingt die Beine über die Bettkante und steht auf. Schwankt kurz, bevor er das Gleichgewicht wiederfindet und mit schweren Schritten in den Flur geht. Er schließt die Schlafzimmertür hinter sich.
Sie hört, wie er den Schlüssel im Eingangsschloss dreht und die Klinke herunterdrückt. Dann wird die Tür mit einem Ruck aufgestoßen. Undeutliches Stimmengewirr dringt zu ihr durch, jemand spricht, und ihr Mann ruft etwas.
Es klingt, als ob ihn jemand packt und zurück ins Haus drängt. Mit einem dumpfen Dröhnen poltert er gegen die Wand, und er stöhnt auf.
Einen Moment ist sie wie gelähmt. Dann krampft sich ihr Zwerchfell panisch zusammen. Ihr Haus liegt einsam am Waldrand. Die nächste Nachbarin, mit der sie noch nie ein Wort gesprochen hat, lebt mehrere Hundert Meter entfernt. Außerdem ist es eine alte Frau, was sollte sie schon ausrichten?
Die Hunde, schießt es ihr durch den Kopf. Die Hunde!
Sie reißt die Nachttischschublade auf und wühlt darin nach dem Pfefferspray. Dann schlägt sie die Decke zur Seite, springt auf und öffnet vorsichtig die andere Schlafzimmertür, die zum Wohnzimmer führt. Niemand zu sehen. So schnell und so leise, wie ihr einhundertdrei Kilogramm schwerer Körper es zulässt, bewegt sie sich durch den Raum zur Terrassentür.
Sie drückt den Griff nach unten, fast lautlos, öffnet die Tür und läuft hinaus, in Richtung Zwinger. Spürt kaum die beißende Kälte und die Kieselsteine, die in ihre nackten Fußsohlen schneiden.
Die beiden großen, muskulösen Hunde stürmen aus ihrer Hütte und schlagen bei ihrem Anblick an. Sie haben immer schon ihm gehört, nur ihm, und sie hat Angst vor ihnen. Aber jetzt muss sie sie loslassen. Jetzt müssen die Hunde sie beide retten. Das Schloss ist eisig vom Frost, das Metall fühlt sich in ihren warmen Händen wie ein scharfes Messer an, als sie mit zitternden Fingern versucht, es zu öffnen, ohne dabei das Pfefferspray fallen zu lassen. Die Hunde werfen sich erwartungsvoll gegen die Zwingertür, die Mäuler weit aufgerissen, Geifer hängt ihnen von den Lefzen. Sie zieht die Tür auf und tritt zur Seite, um den Tieren Platz zu machen. Spürt eine Welle der Erleichterung.
Noch bevor sie die Tür ganz öffnen kann, wird sie von hinten gepackt.
Sie schreit. Es fühlt sich an, als würden ihre Oberarme in zwei Schraubzwingen gespannt. Finger bohren sich in ihre Haut, und noch bevor sie den Schmerz richtig registrieren kann, wird sie gegen die Zwingertür gepresst. Der stählerne Draht schneidet ihr in Stirn und Wangen, die Hunde auf der anderen Seite des Gitters springen an ihr hoch, ein wildes Knurren dringt aus ihren Kehlen. Der Mundgeruch der Fleischfresser schlägt ihr in einer süßlichen Wolke entgegen, während sie sich auf den Hinterbeinen tanzend wie wahnsinnig gegen das Gatter werfen, mit ihren Krallen tiefe Schrammen in ihrem Gesicht hinterlassen und Löcher in den Stoff ihres Nachthemdes reißen.
Der Mann presst seinen Körper gegen ihren und drückt sie gegen die Zwingertür, um die Hunde zurückzuhalten. Er braucht sein ganzes Gewicht, denn die Hunde sind stark, und sie sind zu zweit. Ihre Lunge wird zusammengequetscht, sie schnappt nach Luft. Gesicht und Brust brennen, sie wimmert machtlos, als sie aus den Augenwinkeln sieht, wie er das Schloss mit der einen Hand einrasten lässt, während er sie mit der anderen festhält wie eine Stoffpuppe. Dann reißt er sie von der Tür weg und stößt sie brutal zu Boden. Sie knallt mit der Schläfe auf die eisigen Fliesen und verliert für ein paar Augenblicke das Bewusstsein.
Als sie wieder zu sich kommt, hat er sie auf den Bauch gedreht. Das Pfefferspray, denkt sie und tastet hektisch danach auf der Erde. Ihre Finger schließen sich um die glatte Spraydose, da stellt sich ein Fuß auf ihren Arm, und sie schreit auf, als er brutal zutritt. Dann wird sie an den Handgelenken gepackt und hochgerissen. Verzweifelt versucht sie, festen Stand zu finden, um nicht mit ihrem vollen Gewicht an den verdrehten Armen und Schultern zu hängen, dennoch breitet sich ein dumpfer Schmerz in sämtlichen Gliedern aus.
Sie ist noch immer benommen. Die Kratzwunden brennen im Gesicht. Der Mann schubst sie rückwärts zurück zur Terrassentür und ins Wohnzimmer. Ihr Mann sitzt auf einem Stuhl beim Esstisch, eine zweite Gestalt steht ein paar Meter entfernt und richtet eine Pistole auf ihn.
Was wollen sie? Sie versucht, sich zu beruhigen. Vielleicht sind es doch nur Einbrecher. Vielleicht wollen sie einfach nur Geld. Schmuck. Ihren Fernseher und die Computer.
Sie wird mit dem Bauch auf den Boden gezwungen. Der Mann, der sie überwältigt hat, geht zu einer Tasche, die bei der Tür zum Eingangsbereich steht. Mühsam dreht sie den Kopf und folgt ihm mit ihrem Blick. Jetzt sieht sie, was sie bereits geahnt hat: Er ist riesig.
Er holt etwas aus der Tasche und kommt mit einer Rolle Klebeband in der Hand zurück. Kniet sich neben sie, dreht ihr die Arme auf den Rücken und fesselt sie mit dem Klebeband. Anschließend macht er dasselbe mit den Knöcheln. Dann packt er ihre Füße und zieht sie wie einen Sack Kartoffeln über den Teppich in eine Ecke des Wohnzimmers.
Sie zittert am ganzen Körper vor Schock, Kälte, Angst und der Ungewissheit, was hier gerade vor sich geht. Tränen laufen ihr übers Gesicht, brennen in den Wunden, die die Krallen der Hunde hinterlassen haben. Der Mann nimmt die Klebebandrolle vom Boden, kommt zu ihr, beißt einen neuen Streifen ab und beugt sich über ihren Kopf. Allmählich dämmert ihr, was er vorhat. Ihr Herz hämmert.
»Nein«, fleht sie. »Meine Nase ist verstopft, ich bekomme keine Luft. Ich ersticke. Ich … Sie dürfen nicht …«
Er schaut sie ausdruckslos an. Dann klebt er ihr seelenruhig den Streifen über den Mund, reißt ein längeres Stück ab, legt es über das erste und wickelt es mehrfach um ihren Kopf.
Sie kämpft gegen die aufsteigende Panik. Wenn sie ihren Atem nicht unter Kontrolle bekommt, ist sie bestimmt in wenigen Augenblicken tot. Das eine Nasenloch ist vollkommen zu, durch das andere saugt sie so viel Luft in die Lunge wie nur möglich.
Langsam gewöhnen sich ihre Augen an die Dunkelheit. Der Mann mit der Pistole hat sich aufs Sofa gesetzt. Der Große ist dabei, ihren Mann am Stuhl festzubinden. Seine aufgerissenen Augen leuchten wie Reflektoren im Dunkeln.
»Was haben wir getan?«, wimmert er.
»Wir?« Die Stimme klingt tief und wohlmoduliert. »Wir haben gar nichts getan. Du hast etwas getan. Stimmt’s?«
»Werde ich … heißt das, ich werde …?« Ihr Mann schluchzt.
Sie spürt, wie die Panik erneut die Kontrolle übernimmt, das bislang offene Nasenloch beginnt zuzuschwellen, und sie saugt verzweifelt die Luft ein. Draußen bellen die Hunde, wenn auch weniger wild als zuvor.
»Ob du was wirst? Sterben?« Der Mann tritt ein paar Schritte zurück und betrachtet sein Werk. »Was glaubst du?«
Der andere ist vom Sofa aufgestanden und reicht ihm...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2021 |
---|---|
Reihe/Serie | Juncker & Kristiansen |
Übersetzer | Franziska Hüther |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Vinterland (Juncker & Kristiansen 1) |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Dänemark • Ermittlerkrimi • Ermittlerpaar • Kopenhagen • Krimireihe • neuerscheinung 2020 • Neuerscheinung 2021 • Nr. 1 Bestseller Dänemark • Skandinavische Krimis • skandinavische Spannung • Terroranschlag |
ISBN-10 | 3-641-25792-1 / 3641257921 |
ISBN-13 | 978-3-641-25792-7 / 9783641257927 |
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