Barbarotti und der schwermütige Busfahrer (eBook)

Roman
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2020 | 1. Auflage
416 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-26429-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Barbarotti und der schwermütige Busfahrer -  Håkan Nesser
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Inspektor Barbarotti ermittelt auf Gotland.
Gegen Inspektor Barbarottis Polizeikollegin - und neue Lebensgefährtin - Eva Backman wird in Stockholm intern ermittelt. Sie musste bei einem Einsatz zur Schusswaffe greifen, um Schlimmeres zu verhindern, was für einen der Beteiligten allerdings böse endete. Um Abstand zu gewinnen, beschließen Barbarotti und Backman, sich in die herbstliche Abgeschiedenheit Gotlands zurückzuziehen. Doch die Ruhe ist trügerisch. Barbarottis kriminalistische Instinkte werden geweckt, als er in einem Fahrradfahrer jenen rätselhaften Busfahrer zu erkennen glaubt, der vor sechs Jahren Opfer eines Verbrechens wurde, ohne dass man seine Leiche je gefunden hätte ...

Håkan Nesser, geboren 1950, ist einer der beliebtesten Schriftsteller Schwedens. Für seine Kriminalromane erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, sie sind in über zwanzig Sprachen übersetzt und mehrmals erfolgreich verfilmt worden. Håkan Nesser lebt in Stockholm und auf Gotland.

1


Kleckse und Späne, fünfundzwanzigster Oktober


Ich sollte nicht leben. Der Meinung sind viele, und ich kann sie verstehen.

Manchmal brennt mein Lebenslicht so schwach, dass ich das Gefühl habe, mich vor einen Spiegel stellen und es auspusten zu können. Es ist ein seltsamer Gedanke, aber seit dem Unfall sieht es in meinem Kopf so aus.

Eigentümliche Bilder. Verwirrte Überlegungen. Ideen und Gedankengänge, die darin niemals auftauchten, bevor es passierte.

Natürlich nicht ständig, aber von Zeit zu Zeit. Vor allem nachts, in diesem unangenehmen Zustand zwischen Schlafen und Wachen. Vielleicht auch in meinen Träumen, aber das weiß ich nicht; in den allermeisten Fällen kann ich mich inzwischen nicht mehr daran erinnern, was ich geträumt habe. Auch das war früher anders, aber ich habe eine Reihe von Therapeuten und Psychologen aufgesucht, und alle scheinen der Auffassung zu sein, dass nach einem schweren Trauma letztlich alles normal ist. Dass sich Denken und Wahrnehmung im Grunde in jede Richtung verändern können, wenn man etwas erlebt hat wie das, was ich durchmachen musste.

Dass man in gewisser Weise ein anderer wird als der Mensch, der man vorher war. Aber das ist meine eigene Schlussfolgerung.

Ich schreibe, damit zumindest eine Erklärung zurückbleibt. Falls etwas passieren sollte. Will sagen, meine Erklärung, meine Erzählung. Vielleicht wird sich keiner dafür interessieren, sie zu lesen, und wenn das so ist, akzeptiere ich es. Mir ist bewusst, dass es schwerfällt, meinen Worten zu glauben, wenn ich von dem zu erzählen versuche, was tatsächlich vor sich geht. Womit ich mich konfrontiert zu sehen glaube. Bisher habe ich nur mit Karin darüber gesprochen, merke aber, dass sie mir nur aus Mitleid zuhört und eigentlich denkt, ich würde mir etwas einbilden. Oder zumindest, dass ich übertreibe; die Existenz der Briefe kann sie natürlich nicht leugnen, das ist unmöglich, aber sie findet, dass ich ihnen zu viel Bedeutung beimesse.

Die Welt ist voller bedrohlicher Irrer, hat sie einmal gesagt. Würde man etwas auf sie geben, man würde verrückt.

Das war im August, als ich ihr die beiden Mitteilungen gezeigt habe, die ich zu diesem Zeitpunkt erhalten hatte. Seither sind zwei weitere eingetroffen, die ich ihr allerdings nicht mehr vorgelegt habe. Ich habe sie nicht einmal erwähnt. Ich will nicht, dass sie denkt, ich würde allmählich paranoid. Paranoid und wahnsinnig. Unsere Beziehung ist auch so schon zerbrechlich genug.

Aber ich sollte von vorn anfangen. Oder zumindest ein gutes Jahrzehnt zurückgehen. Ja, das tue ich, denn hier bestimme ich.

Damals, in den Jahren um die Jahrtausendwende, wohnte ich mit meiner ersten Frau Viveka in einem Reihenhaus am Stadtrand von Uppsala. Wir arbeiteten beide an der Universität, sie als Theologin, ich als Ideenhistoriker; wir hatten uns im Studium kennengelernt und waren während unserer gesamten Laufbahn zusammengeblieben. Über den Magisterabschluss, die Doktorandenstellen, die Arbeit an unseren Dissertationen und schließlich unsicheren Stellen an unseren jeweiligen Instituten hinweg. Meine waren unsicherer als ihre. Sie promovierte, ich wurde niemals fertig.

Wir bekamen keine Kinder. Mitte der neunziger Jahre war Viveka einmal schwanger, erlitt jedoch in der vierzehnten Woche eine Fehlgeburt. Danach kam es nie wieder dazu, obwohl wir es versuchten, und als wir Anfang dreißig waren, akzeptierten wir den Stand der Dinge. Eltern zu werden ist kein Menschenrecht, dessen waren wir uns beide bewusst.

Meine Karriere als Ideenhistoriker war erheblich ins Stocken geraten, und nach ein paar Jahren verloren ein Kollege und ich die Forschungsmittel, die uns über Wasser hielten, seit ich meine Stelle am Institut angetreten hatte. Wir beantragten neue Mittel bei allen nur erdenklichen Geldgebern, gaben am Ende jedoch auf. Die einzige Chance, die akademische Laufbahn fortzusetzen und meine Dissertation zu beenden, hätte darin bestanden, eine schlecht bezahlte und befristete Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität von Oslo anzunehmen. Viveka und ich sprachen tatsächlich darüber, unsere Siebensachen zu packen, aber ihre Aussichten, dort eine Arbeit zu finden, die ihrer Qualifikation entsprach, gingen mehr oder weniger gegen null. Schließlich beschlossen wir, dass ich mich nach einer Stelle außerhalb der Universität umsehen würde.

So wurde ich Busfahrer.

Ich sehe, dass es kurz vor eins ist, aber Karin schläft wie immer tief und fest in unserem Schlafzimmer, deshalb mache ich noch etwas weiter.

Ich wäre natürlich niemals auf die Idee gekommen, einen Bus zu fahren, wenn die Umstände es nicht verlangt hätten. Die Umstände und Tommy. Er war Vivekas älterer Bruder, ich schreibe war, da er vor ein paar Jahren gestorben ist. 2002 lebte er allerdings noch, und ihm gehörten zwei Drittel eines erfolgreichen Busunternehmens mittlerer Größe, das Reisen innerhalb Skandinaviens und manchmal auch ins europäische Ausland anbot.

Tommy hatte die akademische Welt und den Mann, den seine Schwester geheiratet hatte, also mich, seit jeher verachtet. Er machte häufig Witze über uns »Klugscheißer«; so nannte er mit Vorliebe Menschen, die in theoretischen Berufen arbeiteten. Als es offensichtlich wurde, dass ich meine Stelle an der Universität verloren hatte, war er jedoch wirklich für mich da, das kann ich nicht anders sagen. Er bot mir an, für seine Firma zu fahren, sogar die erforderliche Ausbildung zu finanzieren, um den Busführerschein sowie die Lizenz dafür zu erwerben, Fahrgäste kreuz und quer durch unser langgestrecktes Land und jenseits seiner Grenzen befördern zu dürfen.

Viveka und ich besprachen die Sache natürlich eingehend. Sie hatte nie viel von ihrem Bruder gehalten, und natürlich war es in gewisser Weise demütigend, seinen Vorschlag zu akzeptieren. Dennoch schlug ich ein. Ein halbes Jahr später war ich bei ihm angestellt und fuhr meine erste Tour als geprüfter Busfahrer: eine Gruppe kunstinteressierter Rentner aus der Region um Stockholm auf einer viertägigen Reise nach Skagen in Dänemark.

Ich merkte praktisch sofort, dass mir meine neue Arbeit gefiel, die der etwas faden Wirklichkeit der akademischen Welt so fern war. Ich durfte Orte sehen, die ich sonst niemals besucht hätte: Tromsö, den Skiort Riksgränsen, Lugano, Krakau, Madrid, Sankt Petersburg, um nur einige zu nennen. Es war erstaunlich, aber so war es einfach. Es gefiel mir außerordentlich gut, Busfahrer zu sein, ein Beruf, den ich nur ein Jahr zuvor als Erwerbsmöglichkeit niemals ernsthaft in Betracht gezogen hätte.

Nun gleitet mir allerdings der Stift aus der Hand, und die Gedanken gleiten aus dem Kopf. Ich warte mit der Fortsetzung bis zur nächsten schlaflosen Nacht.

Kleckse und Späne, siebenundzwanzigster Oktober


Viveka und ich führten einige Jahre ein schönes Leben. Zumindest sehe ich das in der Rückschau so. Sicher, wir hatten die eine oder andere kleine Krise, aber im Großen und Ganzen durchlebten wir keine schwerwiegenden Konflikte in unserer Ehe. Charakterlich passten wir gut zusammen, keiner von uns jagte großen Erlebnissen im Leben hinterher, wie viele andere es tun. Uns reichte ein einigermaßen ereignisloses Dasein, dessen Leitsterne Ruhe und Ordnung waren. Unser Bekanntenkreis war nicht besonders groß, aber wir trafen uns regelmäßig mit einigen anderen Paaren, die wir in unseren ersten Jahren in Uppsala kennengelernt hatten. Hasse und Ingela, beide Ärzte. Ingvar und Paula, Pfarrer beziehungsweise Gymnasiallehrerin. Oliver und Katarina, Katarina war Psychologin und eine alte Schulfreundin Vivekas, Oliver pendelte nach Stockholm und arbeitete im Außenministerium.

Im Sommer reisten wir ins Ausland, jedes Jahr zu einem anderen Reiseziel, und im Februar oder März fuhren wir eine Woche in die Berge. Hasse und Ingela besaßen ein Ferienhaus in Vemdalen, das sie uns überließen, manchmal waren wir auch gemeinsam mit ihnen dort.

Natürlich brachte meine Arbeit als Busfahrer mit sich, dass ich eine Anzahl von Nächten nicht daheim war, aber es waren selten mehr als sechs oder sieben im Monat, und es beeinträchtigte unsere Beziehung nicht. Im Gegenteil, ich weiß noch, wie schön es war, sich nach einigen Nächten Trennung wiederzusehen, und bin mir sicher, dass Viveka es genauso empfand. Wenn ich ein paar Tage fort gewesen war, hatten wir in der ersten gemeinsamen Nacht fast immer Sex.

Ja, wenn ich heute zurückblicke, bin ich mir sicher, dass ich diese Jahre vor dem Unfall nicht falsch einschätze. Es ging uns gut, unsere Beziehung war harmonisch, wir führten ein anspruchsloses und geborgenes Dasein und waren zufrieden mit unserem Leben. Bekäme ich die Chance, einen Abschnitt meiner Zeitspanne auf Erden noch einmal zu leben, würde ich mit Sicherheit diese Zeit wählen. Ungefähr die Jahre zwischen 2003 und 2006; natürlich würde ich rechtzeitig die Notbremse ziehen und vor dem März 2007 aus dem Zug springen, aber solchen Gedanken gebe ich mich im Grunde nicht hin. Es ist mir einfach nur als denkbare Illustration dafür in den Sinn gekommen, dass mein Leben einmal völlig anders aussah als heute.

Bevor ich zu dem Unfall komme, muss ich allerdings noch etwas Trauriges erwähnen, das sich im Dezember 2006 ereignete, am dreizehnten Dezember, dem Tag des Luciafestes. Meine Mutter wurde von einem Motorradfahrer angefahren und dabei so schwer verletzt, dass sie am nächsten Tag im Krankenhaus starb. Es passierte in Karlstad, wo meine Eltern seit den achtziger Jahren lebten und wo ich meine Jugendzeit verbracht hatte. Ihr plötzlicher Tod war ein schwerer Schlag...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2020
Reihe/Serie Gunnar Barbarotti
Übersetzer Paul Berf
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Den sorgsne busschauffören fran Alster
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Der Fall Kallmann • Der Fall Kallmann • Der Verein der Linkshänder • eBooks • Gotland • Gunnar Barbarotti • Hakan Nesser • Krimi • Kriminalroman • Kriminalromane • Krimis • Schweden • Schwedenkrimi • Schwedenkrimis Neuerscheinungen 2020 • Spannungsroman • Weihnachtsgeschenk
ISBN-10 3-641-26429-4 / 3641264294
ISBN-13 978-3-641-26429-1 / 9783641264291
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