Nach dem Feuer (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2020
464 Seiten
Diana Verlag
978-3-641-26617-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nach dem Feuer - Petra Hammesfahr
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Wer ist der Junge, der sich schwer verletzt aus einem brennenden Wohnmobil retten konnte? Warum verschweigt er seinen Namen? Welches schreckliche Geheimnis versucht er zu verbergen? Hauptkommissarin Rita Voss weiß bei den Befragungen bald nicht mehr, ob sie mit einem geistig zurückgebliebenen Jugendlichen oder mit einem hochintelligenten Schauspieler spricht. Sie sucht Rat bei ihrem früheren Vorgesetzten Arno Klinkhammer, der kurz darauf begreifen muss, wer der Junge ist: Der Sohn einer Frau, die ihren Mann vor acht Jahren beschuldigte, sich an der eigenen Tochter vergangen zu haben. Der Mann verschwand daraufhin. Nun wurde die Frau auf bestialische Weise umgebracht. Wer ist ihr Mörder? Der Mann oder der Sohn?

Petra Hammesfahr wurde mit ihrem Longseller »Der stille Herr Genardy« einem großen Lesepublikum bekannt. Seitdem erobern ihre Spannungsromane die Bestsellerlisten, sie wurden mit Preisen ausgezeichnet und verfilmt. So ist die erfolgreiche Netflix-Serie »The Sinner« mit Bill Pullman in der Hauptrolle auf der Grundlage von »Die Sünderin« entstanden.

Sonntag, 28. Juli

Gerochen hatte Sascha Krieger es schon am Donnerstag, als er von der Arbeit gekommen war. Ein Knochenjob im Straßenbau. Da war man froh, wenn man beim Heimkommen etwas anderes in die Nase bekam als Abgase und frisch gekochten Teer. Aber viel angenehmer war das nicht, was ihm im Hausflur entgegenschlug.

Unten stank es wieder mal nach Substanzen, die nicht gesund sein konnten. Links vom Eingang lebte seit zwei Jahren eine Familie, von der niemand wusste, woher sie kam. Die Frau sprach kaum ein Wort Deutsch, den Mann bekam man nur selten zu Gesicht. Es hieß, er sei krank. Die Söhne dealten mit bunten Pillen, die sie offenbar in Mutters Küche herstellten. Wiederholt hatten sie schulpflichtigen Kindern im Haus etwas angeboten. Zweimal war die Polizei informiert worden, nachgekommen war nichts. Angeblich waren die Burschen noch minderjährig. So sahen sie nicht aus, aber wer wollte etwas anderes beweisen?

Im ersten Stock roch es immer noch schwach wie in einer Giftküche und oben so wie draußen in dem abgeteilten Geviert neben dem Parkplatz, wo die Mülltonnen standen. Wenn im Sommer viel gegrillt wurde und die gelben Tonnen überquollen von Verpackungen mit Anhaftungen von Fleisch und Blut, schlossen die Deckel nicht mehr richtig. Dann streifte einen dieser süßliche Verwesungsgeruch sogar noch wie ein Windhauch, wenn man vorbeiging.

Am Donnerstag konnte man es noch nicht als Gestank bezeichnen. Sascha verhielt sich nicht anders als draußen, er beeilte sich, in seine Wohnung zu kommen, schloss die Tür hinter sich und riss sämtliche Fenster auf. Dann nahm er eine kühle Dusche, zog Shorts und ein frisches Shirt an, schob eine Tiefkühlpizza in den Ofen und machte es sich mit einem Bier auf dem Balkon gemütlich.

Er war achtundfünfzig, ausgelaugt von der Arbeit in glühender Sonne. In dem Zustand echauffierte sich niemand mehr freiwillig, und das hätte er tun müssen, wenn er bei seiner unmittelbaren Nachbarin an die Tür geklopft und sie aufgefordert hätte, dafür zu sorgen, dass der Müll runtergebracht wurde.

Freitags registrierte er im oberen Treppenhaus schon mehr als ein lindes Lüftchen. Was ihm auf den letzten Treppenstufen in die Nase stieg, erinnerte ihn unangenehm an den Gestank, den er früher oft im Erdgeschoss gerochen hatte, wenn er an der Wohnung der verstorbenen Gerda Küpper vorbeigegangen war, in der jetzt bunte Pillen hergestellt wurden.

Gerda Küpper hatte zu ihren Lebzeiten alles gesammelt, was ihr nützlich oder noch brauchbar erschien. Den Dreck hatte sie erst nach wiederholter Ermahnung rausgebracht. Ihr Tod hatte für mächtigen Ärger mit der Hausverwaltung gesorgt und vorwurfsvolle Fragen aufgeworfen. In einem Rundschreiben an alle Mieter hatte es geheißen, man sei von einer guten Hausgemeinschaft ausgegangen und sehr enttäuscht. Wenn man rechtzeitig Bescheid bekommen hätte, dass Frau Küpper länger nicht gesehen worden war, wären nicht so hohe Kosten für die Räumung, Säuberung und Desinfektion der Wohnung angefallen.

Aber am Freitagnachmittag hatte Sascha erst recht weder Zeit noch Lust, sich mit seiner Nachbarin anzulegen. Er wollte nur schnell duschen und packen. Nach seiner Scheidung und einigen flüchtigen Bekanntschaften hatte er seine Leidenschaft fürs Fotografieren entdeckt. Ausschließlich Natur. Diesmal wollte er durchs Hohe Venn wandern, zwei Übernachtungen mit Frühstück in preisgünstigen Pensionen waren gebucht.

Als er am Sonntagabend von seiner Wandertour zurückkam, stank es auf dem letzten Treppenabsatz, als wäre nebenan eine Deponie für Fleischabfälle aufgemacht worden. Sascha kam nicht mehr umhin, er musste handeln, klopfte, klingelte und verkündete lautstark: »Wenn der Müll in fünf Minuten nicht unten ist, melde ich es morgen der Hausverwaltung.«

Nichts rührte sich. Minutenlang hämmerte er mit einer Faust gegen das Türblatt, legte mal ein Ohr ans Holz und horchte. In der Wohnung blieb es still. Dann eben mit Musik, das hatte sich schon mehrfach als probates Mittel erwiesen.

Seine Wohnungstür ließ Sascha offen. Minuten später dröhnte ein Karnevalsschlager der Höhner in voller Lautstärke ins Treppenhaus. »Dicke Mädchen haben schöne Namen, heißen Tosca, Rosa oder Carmen.« Dreimal insgesamt lief es durch, ohne den gewünschten Effekt zu erzielen.

Dann rief Ilona Kersgen aus dem ersten Stock nach oben: »Hast du ’nen Knall, Sascha? Was soll der Krach? Mach die Musik aus. Meine Melanie muss was für die Schule tun und kann sich bei dem Lärm nicht konzentrieren.«

»Es sind Ferien, du Sklaventreiberin«, hielt Sascha dagegen.

»Aber nicht für Leute, die es im Leben zu was bringen wollen«, brüllte Ilona gegen den Lärm an und kam nach oben, um dafür zu sorgen, dass er die Musik abstellte und man die Unterhaltung in erträglicher Lautstärke fortsetzen konnte.

»Du bemühst dich vergebens!«, rief sie auf dem letzten Treppenabsatz. »Die sind nicht da.« Dann war sie oben, zog angewidert schnuppernd die Nase kraus und warf einen vorwurfsvollen Blick in Saschas Diele: »Was stinkt hier so?«

»Wo sind die denn?«, fragte Sascha seinerseits und ging rein, um für Ruhe zu sorgen.

»Die Königin von Saba gönnt sich ein verlängertes Wochenende mit einem Typ, den sie bei Tinder kennengelernt hat«, erklärte Ilona hinter ihm. »Sie wären sofort auf einer Wellenlänge gewesen, und etwas Erholung hätte sie bitter nötig, sagte sie. Seit Lea weg ist, muss es wohl ziemlich stressig sein mit dem Jungen. Er soll sie schon ein paarmal vermöbelt haben, hat die Adoleit erzählt.«

»Und das glaubst du?« Sascha kam wieder zurück ins Treppenhaus. Was den Jungen von gegenüber anging, waren sie normalerweise einer Meinung. Der machte seit Monaten den Haushalt, aber keinen Stress. Frau Adoleit, die wie Bärbel im ersten Stock wohnte, konnte ihn nicht ausstehen, weil er um ihre Fußmatte herumwischte, statt sie beiseitezulegen, wenn er die Treppe putzte.

Für die Abfallbeseitigung war auch der Junge zuständig. Wenn er aus der Schule kam, lief er für jeden Joghurtbecher, jede Wurstpelle und jeden Papierschnipsel einzeln runter zur Müllecke. Viel mehr Freiheit war ihm auch nicht vergönnt. Abends kippte er dann, sozusagen als krönenden Abschluss seines Tages, die Schüssel aus, in der sich tagsüber Bananenschalen, Apfelkitsche, Pfirsichkerne und dergleichen angesammelt hatten. Dann stand er meist noch eine Weile bei den Tonnen und schaute zur Straße, als wartete er darauf, dass ihn jemand abholte und in die Freiheit geleitete. Sascha hatte es oft genug gesehen. Und so wie es stank, konnte der Junge seit Tagen nicht mehr unten gewesen sein.

Ilona bezog seine Frage nicht auf den Sohn, sondern auf die neue Liebe der Mutter, und zuckte mit den Achseln. »Warum sollte ich ihr nicht glauben? Weil sie nicht dein Typ ist? Schau dir mal die Fotos an, die sie von sich ins Netz gestellt hat. Bei Facebook sieht sie fünfzehn Jahre jünger aus und zwanzig Kilo leichter.«

»Ich bin nicht bei Facebook«, erklärte Sascha. »Und die Typen bei Tinder kommen nur einmal, um zu vögeln.«

Ilona grinste. »Da spricht der Fachmann, und der Laie wundert sich. Sie machte sich jedenfalls große Hoffnungen, dass aus dem Wochenende mehr werden könnte. Hatte sich extra ein schickes Kleidchen gekauft und eine Korsage für drunter.«

»Und wo ist der Junge?« Sascha betrachtete nachdenklich die Tür gegenüber. »Hat sie ihn eingeschlossen?« Aber dann hätte er sich doch eben gerührt, wenigstens Antwort gegeben.

»Natürlich nicht.« Ilona klang so entrüstet, als wollte sie hinzufügen, so könne nur ein Mann denken, der keine Kinder habe. Ihr Blick ging immer noch an Sascha vorbei in seine Wohnung. Sie schien anzunehmen, der Gestank käme aus seiner Küche. »Sie hat ihren Vater bequatscht, dass die ihn mit in Urlaub nehmen. Haben sie früher ja auch getan. Mit dem Wohnmobil kostet es doch nicht extra, nur das bisschen, was der Junge isst.«

»Und das hast du geglaubt?«, fragte Sascha wieder. »Ihren Vater habe ich hier seit Jahren nicht mehr gesehen.«

»Wann denn auch?«, konterte Ilona. »Du bist den ganzen Tag auf der Arbeit und siehst nicht, wer hier wen besucht.«

»Aber du, was?«

Sie war im Netto-Markt beschäftigt und tagsüber auch nur selten da. Die Antwort blieb sie schuldig, erklärte stattdessen: »Ihr Vater ist Rentner, der kann jederzeit kommen. Er hat den Jungen letzte Woche Freitag abgeholt.«

Letzte Woche Freitag! Also vor mittlerweile zehn Tagen! Wenn sie den Freitag gemeint hätte, an dem er ins Hohe Venn aufgebrochen war, hätte Ilona letzten Freitag gesagt.

Wenn seit über einer Woche kein Müll mehr runtergebracht worden war … »Hast du gesehen, dass der Junge abgeholt wurde?«

»Nein, ihr Vater war vormittags da, damit sie in Ruhe packen konnte und der Junge keine Angst bekam, sie würde ihn auch noch im Stich lassen. Ich hatte Frühschicht. Sie hat’s mir erzählt, als ich ihr nachmittags zwei Päckchen Kakao und eine Dose Fisch aus dem Angebot raufgebracht hab. Als ich kam, war der Junge schon weg.«

Ilona war stets bereit, für die Nachbarschaft etwas mitzubringen, Sonderangebote, Tiefkühlpizza, Dosenbier. Sascha nahm ihre Hilfsbereitschaft auch gerne in Anspruch, ihm sparte es Zeit.

»Jetzt frag nicht wieder, ob ich das geglaubt habe«, sagte sie.

Sascha fragte nicht. Ihm wurde bewusst, dass er schon vor seinem Wochenendtrip abends nichts mehr aus der Nachbarwohnung gehört hatte. Keinen Fernsehton, keine Stimmen, kein Wasserrauschen. Die Bäder im Haus waren winzig, fensterlos und grenzten aneinander. Bei ihm stand...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte disfunktionale Familie • eBooks • gewalttätige Mutter • Kindesmissbrauch • Kommissar Klinkhammer • Psychothriller • Tatort Kölner Umland • Thriller
ISBN-10 3-641-26617-3 / 3641266173
ISBN-13 978-3-641-26617-2 / 9783641266172
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