Die Finsternis zwischen den Sternen (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021
1072 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-20209-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Finsternis zwischen den Sternen - Christopher Ruocchio
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Man nennt ihn den »Sonnenfresser« - Hadrian Marlowe, größter Held und schlimmster Verbrecher der Galaxis. Auf seiner unermüdlichen Suche nach dem Geheimnis der fremdartigen Zivilisation der Cielcin kommt Marlowe auf einen barbarischen Planeten, wo seine Rachepläne gegen die Adelskaste der Galaxis und sein Streben nach Gerechtigkeit auf eine harte Probe gestellt werden. Um zu überleben, muss er womöglich das Schlimmste tun, was er sich vorstellen kann: sich selbst und die, die er liebt, verraten ...

Christopher Ruocchio konnte lesen, bevor er zu sprechen begann. Als er feststellte, dass er kein Astronaut werden würde, beschloss er, Romanautor zu werden, und begann zu schreiben. Er ist Absolvent der North Carolina State University und arbeitet als Assistant Editor bei Baen Books. Mit »Das Imperium der Stille« veröffentlichte er seinen ersten Roman. Christopher Ruocchio lebt in Raleigh, North Carolina.

1

Die Rote Kompanie

DUNKELHEIT.

Grüne Augen blickten aus der Dunkelheit wie Statuen im Nebel. Ich spürte sie in mir wie Angelhaken, die mich nach oben zogen. Alles in mir kam mir verkehrt vor. Kalt. Ein Bild schien in der Luft zu schweben, Bordelons Gesicht in dem Hologramm, einen Augenblick, bevor ich es auslöschte. Es war nicht das einzige. Da war auch noch Gilliams, die Lippen so schräg verzogen, wie es seiner verwachsenen Natur entsprach, eine fleischgewordene Grimasse. Und Uvanari. Ein Durcheinander von Geräuschen füllte mein Universum: die Schreie sterbender Menschen, die Anfeuerungsrufe des Publikums beim Kolosso, das Rauschen des Bluts in meinen Ohren.

In diesem Moment wusste ich, dass ich tot gewesen war. Diese ganze sensorische Wucht war der Preis für die Rückkehr des Bewusstseins. Der Preis dafür, am Leben zu sein. Ich lebte. Jetzt wieder.

»Lord Kommandant?« Eine vertraute Stimme mit seltsamem Akzent, der auf eine Sprache verwies, an die ich mich nicht erinnerte – wenn ich sie überhaupt einmal gekannt hatte. »Lord Kommandant?«

Ich versteckte mich in einem Keller auf Pharos, so musste es sein. Es war eine Frau bei mir, eine Frau, die ich liebte und deren Haar dunkler war als die Schatten. Wir versteckten uns vor Bordelon und den Normesen, die uns an Admiral Whent verraten hatten. Nein. Nein, das war lange her, und Emesh lag noch länger zurück, aber mein verwirrtes Gehirn trank den Geruch von ihr und von brennendem Holz, erinnerte sich an ihre Wärme und an den Geschmack der Notrationsriegel, die wir uns in der Dunkelheit geteilt hatten.

»Lord Kommandant?«

Der Nebel lichtete sich, zog sich in die Tiefe der Geschichte und der noch ungezählten Jahre zurück. Noch immer hörte ich Rufe, Schluchzer, und ich wusste, dass ich selbst sie ausstieß, dass sie Zeit und Knochen durchdrangen, damit ich die Schrecken meiner Vergangenheit fühlte und vor mir sah, denn zu leben bedeutete, um diese Dinge zu wissen. Harte Finger rissen an meiner Kleidung in jener Nacht in Borosevo, und Cats Leichnam versank in den Kanälen … So eindringlich wie eine neue Erfahrung standen meine Erinnerungen wieder auf und stiegen wie Votivlichter in den Himmel. Ich versuchte sie zu greifen und stellte fest, dass meine Arme bleischwer waren und sich nicht bewegten. Wärme breitete sich in mir aus, verjagte die meerestiefe Kälte, floss aus beiden Armen in mich hinein.

Floss hinein.

Ich lag auf einem Bett. Oder zumindest auf etwas, das einem Bett sehr ähnlich war, und jemand beugte sich über mich. Ich erkannte den alten Tor Gibson, dessen graue Augen mir im Delirium grün erschienen, so grün wie sein Gewand, während sich seine Löwenmähne und der Schnurrbart im Wind sträubten, der von Meiduas Wassern hinüberwehte.

»Tot?«, krächzte ich und war mir nicht sicher, ob ich ihn oder mich damit meinte.

Der alte Scholastiker lächelte. »Noch nicht. Vielleicht können wir das noch vermeiden.«

»Lord Kommandant, bitte bleiben Sie still liegen.« Wieder diese seltsame Stimme. Vertraut. Sie kam aus Gibsons Mund, oder zumindest wollte es mir so scheinen. »Sie sind noch immer torporblind.«

»Nein«, sagte ich und sah den Scholastiker an. »Ich kann … kann Gibson sehen.«

»Es ist niemand hier außer uns!« Die Stimme kam jetzt von einer anderen Stelle, gegenüber von dort, wo Gibson stand, dabei hatte der Scholastiker sich nicht bewegt.

Als Gibson nun wieder sprach, bewegten sich seine Lippen nicht. Der Schauspieler weiß, dass er auf einer Bühne steht. Die Bühnenfigur weiß, dass es keine Bühne gibt. Es klang nach einem seiner scholastischen Aphorismen, wenngleich ich mich speziell an diesen nicht erinnerte.

Wahrscheinlich wurde ich verrückt. Wahrscheinlich war ich in einem Keller auf Pharos – oder war das schon Jahre her? Sie war dort bei mir gewesen, und Admiral Whents Schlägertrupp war uns auf den Fersen, aber wir hatten überlebt. Und Gibson war tot. Und ich war tot gewesen – oder zumindest fast. Eingefroren.

»Wissen Sie, wo Sie sind?«

Eine Frage, die sich an die erprobtesten Erforschungs- und Orientierungsschaltkreise in den urältesten Winkeln meines Hirns wandte. Wissen Sie, wo Sie sind?

Als ob jemand den Vorhang einer Bühne zurückzöge und das Hologramm der Kulisse enthüllte, verzog sich der Nebel, und die reale Welt nahm Formen an. Weiße Wände, weißer Boden, weiße Decke. Viel zu sauber. Ich lag in der geöffneten Schale einer mobilen Torporkrippe, die jemand hierher transportiert und zwecks meiner Wiederbelebung auf diesen Untersuchungstisch genietet hatte. Als ich mich umwandte, war Gibson verschwunden. Eine Halluzination? Eine Vision, zweifelsohne heraufbeschworen von der Tatsache, dass ein Teil von mir noch immer in Gibsons Stimme dachte.

Zwölf Jahre, seit ich auf Emesh gewesen war.

Jetzt fiel mir alles wieder ein. »Wir sind auf der Pharaoh.« Das Schiff hatten wir auf Pharos erobert, gleich nach der Geschichte mit den Normesen und Admiral Whent, nachdem uns Bordelon betrogen hatte. Wir waren angeheuert worden – ebenso wie Bordelons Kompanie –, um die Freiheitskämpfer, die den Sturz des Planetendiktators Marius Whent herbeiführen wollten, mit Waffen zu beliefern. Die Aktion war Teil unserer Bemühungen, uns als Söldnertruppe zu etablieren, während wir eigentlich nach Vorgossos suchten. Aber Bordelon hatte sich am Ende gegen uns gewandt und uns gezwungen, uns aus einer sehr misslichen Lage freizukämpfen. Marius Whent hatte kapitulieren müssen. Emil Bordelon war getötet worden: Seine eigenen Truppen hatten ihn verraten, nachdem ich ihnen ein Angebot gemacht hatte, das sie nicht hatten ablehnen können.

Die Frau, die an meinem Bett stand, eine Normesin mit tintenschwarzer Haut und Haaren wie rund gewalztes Blech, nickte wohlüberlegt. »Ja. Und wissen Sie, wer ich bin?« Sie trug einen burgunderfarbenen, figurbetonten Kampfanzug. Eine Uniform. Meine Uniform mit den Taschenaufschlägen und Röhrenärmeln, die ich komplett selbst entworfen hatte.

»Doktor Okoyo«, sagte ich, weniger, um ihre Frage zu beantworten, als vielmehr, um sie direkt anzusprechen. »Ich glaube nicht, dass es zu Kryobrand gekommen ist.« Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich vollkommen nackt war, und aus Reflex versuchte ich mich aufzurichten.

»Bleiben Sie liegen, Lord Marlowe.« Sie schob mich sanft, aber kraftvoll wieder zurück. »Noch habe ich nicht das ganze TX9 aus Ihnen heraus.«

Als ich mich umwandte, sah ich an dem Gestell neben mir die Blutbeutel hängen. AB Positiv. Auf der anderen Seite befand sich eine Auffangschale, in der sich das Frostschutzmittel aus meinen Adern sammelte. Es schimmerte himmelblau, im viel zu grellweißen Licht beinahe schwarz. Schließlich sagte ich: »Sie hätten mich einem Meditech überlassen können, Doktor.«

Okoyo schnaubte. »Commodore Lin würde mir die Haut abziehen, wenn ich das gewagt hätte, und ihr Imperialisten häutet Menschen ja tatsächlich.«

»Da haben Sie nicht unrecht«, räumte ich ein, »aber Sie haben ganz sicher nichts von uns zu befürchten.« Wir schwiegen eine Weile, und die Ärztin beschäftigte sich mit einem Diagnose-Terminal, während ich so tat, als sei ich entweder gar nicht nackt oder mir dieser Tatsache nicht bewusst. Ich versuchte, die Visionen einzuordnen, die ich gehabt hatte. Das Erwachen aus dem Torpor war nie leicht. Als ich damals auf Emesh ausgesetzt worden war, hatte man gerade genug Blut in mich hineingepumpt, um nicht des Mordes beschuldigt zu werden, und ich war während dieser Qual bewusstlos gewesen, aber bei allen anderen Malen hatte ich einen Dschungel aus Erinnerungen und Lärm durchquert, bis ich in die Stille der Welt zurückkehrte. Es hieß, dass das Gehirn, wenn das Bewusstsein zurückkehrte, hyperaktiv wurde. Es war, als stürbe man, dachte ich, denn im Torpor waren alle Lebensfunktionen ausgesetzt, und das war, als sei man tot. Ich war kaum etwas anderes als eine Leiche oder ein Stück Fleisch in einer Tiefkühltruhe.

Da irrte ich mich natürlich. Es ist ganz anders, wenn man stirbt. Völlig anders.

»Wie lautet das Standard-Datum?«

»Sechzehn zwo neunzehn Komma eins eins«, antwortete sie, ohne sich umzudrehen.

»November«, überlegte ich laut. Im Jahre unseres Imperiums 16219. Meine Zeit auf Emesh lag 48 Jahre zurück, von denen ich allerdings nur zwölf tatsächlich erlebt hatte. 48 Jahre, in denen wir so getan hatten, als seien wir Söldner. 48 Jahre, seit ich von Graf Mataro und seinen Plänen für mich und seine Tochter losgekommen war. 48 Jahre, in denen ich mich der Spezialtruppe der Sonnenlegionen verpflichtet hatte.

48 weitere Jahre Krieg, in einem erfolglosen, völkermordenden Kreuzzug gegen die Cielcin, jene Xenobiten, die sich eine menschliche Welt nach der anderen einverleibten und die über unser Volk herfielen wie Wölfe über eine Schafherde. 48 Jahre, in denen wir mit unseren Cielcin-Gefangenen an Bord in der vagen Hoffnung auf Verhandlungen nach Vorgossos gesucht hatten. In der vagen Hoffnung auf Frieden.

»Gibt es etwas Neues?«, fragte ich und setzte mich nun, da mich die Ärztin nicht mehr daran hindern konnte, wieder auf. Mir schwamm der Kopf, und ich stützte mich auf die harten Ränder meiner Torporkrippe. Nach kurzer Zeit stabilisierte sich mein Zustand, und ich zog ein zusammengefaltetes Gewand von dem Tisch neben dem Behälter. »Haben wir eine Spur dieses Waffenhändlers gefunden, von dem uns die Piraten auf Sanora berichteten?«...

Erscheint lt. Verlag 10.5.2021
Reihe/Serie Imperium-Reihe
Imperium-Reihe
Übersetzer Kirsten Borchardt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Howling Dark - Sun Eater Book 2
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte eBooks • Empire of Silence • Ferne Zukunft • Future History • Galaktische Imperien • Hadrian Marlowe • Science-fiction • Sonnenfresser • Space Opera • Sun Eater Saga
ISBN-10 3-641-20209-4 / 3641202094
ISBN-13 978-3-641-20209-5 / 9783641202095
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