Die Erben von Seydell - Die Heimkehr (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
496 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-24958-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Erben von Seydell - Die Heimkehr - Sophie Martaler
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1922: Der Krieg ist seit vier Jahren vorüber, doch für Alexander von Seydell gibt es keinen Frieden. Nachdem er unter Mordverdacht aus Navarra fliehen musste, wird er erneut eines Verbrechens beschuldigt. Auch auf Seydell drängen die Sorgen. Krankheit und Hyperinflation bedrohen die Existenz des Gestüts. Dann erhält Luise eine Nachricht, die alles ändert. Kurz entschlossen reist sie zu ihrem Sohn Robert, der inzwischen in England lebt, und trifft dort nach all den Jahren auf ihre große Liebe Alexander. Finden die beiden endlich zueinander? Wenig später nimmt Robert seine Nichte Elisabeth bei sich auf und beschließt, dass der Familienzwist mit ihr enden soll, nicht ahnend, was er ihr damit aufbürdet ...

Hinter Sophie Martaler verbirgt sich das erfolgreiche Autorenduo Sabine Klewe und Martin Conrath. Beide lieben Bücher, seit sie lesen können, und haben Ihre ersten Geschichten in Schulhefte gekritzelt. Ihre Krimis, Thriller und historischen Romane standen mehrfach auf der Bestsellerliste und wurden in verschiedene Sprachen übersetzt. Zusammen haben die beiden bisher mehr als eine Dreiviertelmillion Bücher verkauft.

Kapitel 1


Lüneburger Heide, August 1922


»Achtung! Feind im Anflug! Maschinengewehr bereit machen!«

Luise von Seydell schaute zu dem Jungen hinüber, der vollkommen in sein Spiel vertieft war. Er hatte die beiden Flugzeuge zum Geburtstag bekommen, sieben Jahre wurde er heute alt. Am liebsten hätte sie ihm das Spielzeug aus der Hand gerissen und seine Mutter und ihn zum Teufel gejagt, aber damit hätte sie womöglich eine Katastrophe heraufbeschworen.

»Da kommt Meisterflieger Leutnant Georges Guynemer angeschossen, doch gegen unseren Helden Ernst Udet kann der Franzose nichts ausrichten! Udet vollführt ein Immelmann-Manöver, greift Guynemer von oben an. Verflixt, was ist das? Ladehemmung! Ladehemmung! Udet muss schnell abdrehen, bevor der Feind merkt, was los ist. Aber er tut es nicht, er gibt nicht auf.«

»Kann bitte jemand dem Kind die Flugzeuge wegnehmen?« Gesche von Seydell sah ihren Mann auffordernd an. »Ich ertrage das nicht.«

»Er spielt doch bloß«, entgegnete Bruno.

»Das ist kein Spiel«, widersprach Gesche, so leise allerdings, dass es außer Bruno und Luise keiner hörte.

Der Junge ließ indes die Flugzeuge aufeinander zurasen. »Der tapfere Udet versucht es noch einmal«, rief er. »Doch seine MGs feuern nicht.«

Gesche stöhnte. Ihr Mann reichte ihr die Hand. »Komm, wir machen einen kleinen Spaziergang.« Er half ihr auf, nahm ihren Arm und führte sie von der Picknickdecke weg.

Luise atmete auf, als die beiden sich entfernten. Bruno schien einen seiner guten Tage zu haben, zum Glück.

Der Junge spielte ungerührt weiter. »Da! Der Franzose merkt, was los ist. Er hält auf Udet zu. Der kann nicht mehr entkommen, sein Schicksal ist besiegelt. Aber seht nur, seht nur, Guynemer grüßt und dreht ab.« Der Junge legte das französische Jagdflugzeug auf der Decke ab und führte die Hand in militärischem Gruß an die Stirn. »Udet grüßt zurück und fliegt davon.«

»Bravo, bravo!« Gerti König, die Mutter des Jungen, applaudierte.

Luise konnte den Anblick nicht länger ertragen. Sie wandte sich ab und ließ den Blick über die beiden zwischen dem Heidekraut ausgebreiteten Decken wandern, über die Picknickkörbe, das Obst, die Platte mit dem Kuchen, die halbvollen Weingläser und die Menschen, die zu diesem Ausflug zusammengekommen waren. Gerti, Harald, Martha, Georg und Paula. Gesche und Bruno waren hinter einer Gruppe Bäume verschwunden.

Es war ein schöner Tag. Der August hatte kühl und regnerisch angefangen, aber heute war es trocken, und der Wind riss Löcher in die Wolkendecke, sodass sogar ab und an die Sonne hervorkam. Dennoch fühlte sich Luise unbehaglich. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte dieses Picknick nie stattgefunden. Aber sie hatte keine Wahl gehabt. Schon Anfang der vergangenen Woche hatten ihre ehemalige Zofe Martha und sie es geplant, als kleine Überraschung für Marthas sechsjährige Tochter Paula. Die ging seit Ostern zur Schule und wurde vom Lehrer in den höchsten Tönen gelobt.

Da hatten sie noch nicht geahnt, dass Gerti und Harald aus heiterem Himmel auftauchen würden. Hin und wieder stattete das frühere Hausmädchen, das seit Kriegsende in Lüneburg wohnte, dem Gestüt einen Besuch ab, um in der Küche ein wenig mit ihren alten Kollegen zu plaudern. Das konnte Luise ihr schlecht verbieten, auch wenn sie es gern getan hätte. Sie war sicher, dass Gerti dabei Hintergedanken hegte. Offiziell war Haralds Vater Walter König im Krieg gefallen, in Wahrheit war Luises Sohn Bruno der Erzeuger des Jungen. Gerti hatte eine großzügige Abfindung bekommen, und die Seydells waren bereit, für Haralds Ausbildung zu zahlen, was seiner Mutter jedoch nicht das Recht gab, sich als Familienmitglied zu betrachten.

Das schien Gerti allerdings nicht zu scheren, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Bruno Anfang des Sommers geheiratet hatte. Luises Schwiegertochter Gesche war eine stille, ernste Frau. Vor dem Krieg mussten die Männer ihr reihenweise verfallen sein. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, eine Stupsnase und große strahlend blaue Augen. Der kecke Bubikopf, zu dem ihr blondes Haar geschnitten war, verlieh ihrem Aussehen zusätzlich etwas Mädchenhaftes. Doch Luise hatte Gesche noch nie glücklich strahlen sehen, nicht einmal an ihrem Hochzeitstag. Wenn sie lächelte, verzog sich bloß ihr Mund, die Trauer in ihren Augen verschwand nicht. Wie Luises Tochter Anna-Maria hatte Gesche ihren Verlobten im Krieg verloren, er war 1916 an der Somme gefallen. Anna-Maria hatte sich das Leben genommen, Gesche schien entschlossen durchzuhalten. Luise empfand große Sympathie für sie. Gesche war kein Ersatz für ihre Tochter, doch sie erinnerte Luise an Anna-Maria. Und die junge Ehefrau hatte Geduld mit Bruno. Was auch immer sie also dazu bewogen hatte, seinen Antrag anzunehmen, Luise war ihr dankbar.

Auch dafür, dass sie die Zukunft in sich trug. Gesche war schwanger, das Kind sollte im Frühjahr kommen. Und sie war die Einzige, die nicht wusste, dass Bruno bereits Vater war. Das machte den Besuch von Gerti und ihrem Sohn so heikel. Eine kleine Andeutung, eine unbedachte Bemerkung, ein allzu väterlicher Blick von Bruno, und alles würde auffliegen. Doch ausgerechnet heute war Haralds Geburtstag. Also war ihnen keine Wahl geblieben, als ihn und Gerti einzuladen, sie in die Heide zu begleiten.

Zum Glück hatte Luises Mann Ludwig ohnehin nicht vorgehabt, an dem Picknick teilzunehmen, sonst wäre die Situation bestimmt längst eskaliert.

»Warum sollte ich mich in den Dreck hocken, um zu essen, wenn ich einen Tisch habe?«, hatte er sich mokiert, als Luise ihn fragte.

Sie hatte nicht versucht, ihn zu überreden.

Am späten Vormittag waren sie aufgebrochen. Bruno, Gesche und Luise zu Pferd, Georg, Martha, Gerti und die Kinder mit der Kutsche. Zwar gab es längst ein Automobil auf Seydell, doch für Ausflüge oder Besorgungen im Dorf wurde noch immer lieber eines der von Pferden gezogenen Fahrzeuge genommen. Für das Picknick an diesem schönen Augusttag hatten sie die offene Victoriakutsche gewählt. Paula durfte, sehr zum Verdruss von Harald, neben ihrem Vater auf dem Bock sitzen und half stolz, das Gefährt zu lenken.

Früher wäre es niemandem von der Familie eingefallen, zusammen mit dem Gesinde einen Ausflug zu machen. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Die Kluft zwischen den Schichten war kleiner geworden, seit Deutschland eine Republik war. Es gab keinen Adel mehr, vor dem Gesetz waren die Seydells eine gewöhnliche bürgerliche Familie. Zudem waren die Grenzen schon vorher verwischt gewesen. Marthas Mann Georg war Luises illegitimer Halbbruder, die ehemalige Zofe somit ihre Schwägerin.

Marthas Stimme holte Luise zurück in die Gegenwart. »Jemand noch Kuchen?« Sie hob die Platte an.

»Ich, ich!« Harald ließ die Flugzeuge fallen und schnappte sich ein Stück.

»Harry«, ermahnte ihn seine Mutter. »Nicht einfach nehmen, erst fragen.«

»Aber Frau Horitza hat doch gesagt …«

»Schon gut.« Martha lächelte. »Wenn er Pilot werden will, muss er groß und stark werden.«

»Will er das?«, schaltete sich Georg ein.

»Ja, Herr Horitza. Ich werde Kampfpilot, ich will den Kaiser und das Reich gegen den Feind verteidigen.«

»Es gibt keinen Kaiser mehr«, rief Paula, die bisher ins Spiel mit ihrer Puppe versunken gewesen war. »Nur einen Reichspräsidenten. Und der heißt Friedrich Ebert.«

»Ist mir doch egal«, fuhr Harald sie an, sichtlich verärgert darüber, von dem Mädchen verbessert worden zu sein.

»Na, Kinder«, mahnte Georg. »Vertragt euch. Harald wird sicher ein großartiger Pilot.«

»Trotzdem gibt es keinen Kaiser mehr«, murmelte Paula und stand auf.

»Wohin gehst du?«, fragte Martha.

»Vögel füttern.« Paula streckte ihrer Mutter eine Hand voller Krümel entgegen.

»Das ist ja ein halbes Stück Kuchen, Kind!«

Georg lachte. »Unsere Tochter hat ein großes Herz, sie liebt alle Kreaturen.«

»Darf ich?« Paula sah ihren Vater bittend an.

»Aber lauf nicht zu weit weg, bleib in Sichtweite der Decke.«

Das Mädchen rannte los. Mit einem Stich in der Brust schaute Luise ihr hinterher. In dem Alter war Anna-Maria genauso gewesen. Lebendig, ungestüm, voller Leben. Ihr großer Bruder hatte sie Näschen genannt, weil sie ihre neugierige Nase in alles hineingesteckt hatte. Doch dann hatte etwas ihre Seele verdunkelt.

Rasch sah Luise zu dem Wäldchen hinüber, in dem Gesche und Bruno verschwunden waren. Das war ihre Zukunft, ihr Sohn, ihre Schwiegertochter und ihr Enkelkind. Und sie hatte auch noch Robert, ihren Erstgeborenen. Eines Tages würde sie ihn wiedersehen. Immerhin schrieben sie sich gelegentlich. Er war verlobt, würde ebenfalls heiraten und Kinder bekommen. Sie würde ihn so gern besuchen, aber sie schreckte davor zurück, aus Gründen, die sie sich nicht einmal selbst eingestehen wollte.

Ihre Gedanken flogen zu einem kleinen Zimmer, von dessen Fenster aus der Blick auf die Gipfel der Berge fiel. Und zu dem Mann, den sie in diesem Zimmer zum letzten Mal gesehen hatte. In seinem Blick lagen so viel Schmerz und Verachtung, dass es Luise auch jetzt noch, acht Jahre später an einem warmen Augusttag in der Heide, ins Herz schnitt.

Suffolk, am selben Nachmittag, August 1922


Ein lautes Hämmern ließ Alexander von Seydell aus dem Schlaf hochschrecken. Ruckartig setzte er sich auf und horchte. Wieder hämmerte es. Jemand schlug gegen die Haustür.

Alexander sprang aus dem Bett und tastete nach dem Lichtschalter, doch nichts geschah. Er riss die...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Reihe/Serie Die Gestüt-Saga
Die Gestüt-Saga
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 19.Jahrhundert • eBooks • Familiengeheimnis • Familiensaga • Frauenromane • Gestüt • Liebesromane • London • Lüneburger Heide • Nachkriegszeit • Navarra • Norfolk • Pferdezucht • Spanien • Zwanzigerjahre
ISBN-10 3-641-24958-9 / 3641249589
ISBN-13 978-3-641-24958-8 / 9783641249588
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