Alte Erde (eBook)

Roman
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2020 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2215-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Alte Erde -  Sven Heuchert
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Ein schonungsloser Roman über die deutsche Provinz Wouter Bisch ist ein in die Jahre gekommener Revierjäger. Er kennt die Wälder in der abgelegenen Gegend rund um Vierheilig und Altglück, hat dort zahlreiche Jagdgäste geführt. Nach dem Verlust seines Sohnes sind sie für ihn Rückzugsort geworden. Doch durch den Bau des Warenlagers eines Internetversandriesen wird sich die Region von Grund auf verändern. Auch Karl Frühreich ist von den Umwälzungen betroffen. Dann kehrt sein Bruder Thies nach 14 Jahren überraschend in das Elternhaus zurück, im Schlepptau eine junge Frau namens Monique und einen Koffer voller Geld. Karl verfällt Monique vom ersten Moment an. Totgeschwiegene Verletzungen und alte Rivalitäten brechen auf. Die Wege der drei Männer kreuzen sich, und es entsteht eine Dynamik, die keiner mehr Kraft oder Willen hat aufzuhalten.

Sven Heuchert wurde 1977 im Rheinland geboren und lebt heute bei Köln. Seine beiden Noir-Romane Dunkels Gesetz und Alte Erde wurden von der deutschen Presse begeistert aufgenommen. Das Gewicht des Ganzen ist sein literarisches Debüt.  

Sven Heuchert wurde 1977 im Rheinland geboren und lebt bei Köln. 2015 erschien sein Storyband Asche; er veröffentlichte außerdem in zahlreichen Literaturzeitschriften. Sein Debüt Dunkels Gesetz wurde von der deutschen Presse begeistert aufgenommen und mit dem Bellmer Debütpreis ausgezeichnet. Alte Erde ist sein zweiter Roman.

6


Die Luft roch nach nassem Stein und aufgewühlter Erde. Mit Planen abgedeckte und mit Autoreifen beschwerte Berge aus Zuckerrüben lagen auf den Feldern. Der Wald hinter der Kreuzung war gerodet worden. Eine lange Fläche voll nackter Stümpfe. Scharfer Wind trieb Wolken über das Land.

Thies bog von der asphaltierten Straße in den Schotterweg ab. »Dahinten«, sagte er und zeigte auf ein zweistöckiges Haus, das auf einem ebenen Landstrich zwischen zwei Maisfeldern lag. Auf den Dachziegeln schimmerte der Grünspan. Sie sank in den Sitz. »Sieht ja verlockend aus.«

Auf der Fettwiese vor dem Haus stand der Hahnenfuß gut einen Meter hoch. Werbeprospekte ragten aus dem Briefkastenschlitz. Er hielt an und stieg aus. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und drehte sich um.

Sie lehnte sich aus dem Seitenfenster. »Was ist los?«

»Nichts«, sagte er. »Gib mir nur ’n paar Minuten.«

Im ersten Stock stand ein Fenster offen. Der Stoff der Vorhänge bewegte sich träge im Wind. Holzscheite lagen im Schlick. Von den Treppenstufen fehlte die mittlere. Auf dem Klingelschild stand kein Name mehr. Er klopfte. Nichts. Er legte die Hand auf den Türknauf, der sich feucht und kühl anfühlte. Es war nicht abgeschlossen. In der langen Diele, die hinter der Tür folgte, ragten abgebrochene Nägel aus den Wänden. Auf der nikotingelben Tapete bildeten die Umrisse der Fotorahmen, die dort einmal gehangen hatten, ein wildes Muster. Im Vorbeigehen warf er einen Blick in die Küche. Der Herd und die Oberschränke waren mit einer Rußschicht überzogen.

»Wie lange warste nicht mehr hier?« Karl lehnte im Türrahmen am Ende der Diele, eine brennende Zigarette im Mundwinkel, das Flanellhemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft.

»Vierzehn Jahre.«

»Vierzehn Jahre keinen Mucks.«

»Hast dich nicht verändert.«

Neben dem Kamin lagen die Überreste eines Einbauschranks. Karl hob ein Stück Holz vom Boden auf und warf es in einen Weidekorb. »Hast die Arbeit an der Säge geschmissen?«

»Hab was Besseres.«

Die Brüder sahen schweigend aus dem Fenster.

»Wollen hier alles plattmachen«, sagte Karl dann. »Soll was Großes hinkommen – Zentrallager, so nennen die das. Rund um die Uhr malochen. Waren, Versand, alles zusammen, damit sie die armen Schweine besser kontrollieren können.« Er öffnete eine Kühlbox, die auf dem Kaminsims stand und nahm zwei Flaschen Sester heraus. »Und hier, genau hier soll die Zufahrt hinkommen, durch ’ne Unterführung auf ’n Parkplatz.« Er öffnete die Flaschen mit der Kante seines Feuerzeugs.

Thies nahm einen Schluck. »Haben sie dir ’n Angebot gemacht?«

»Sogar ’n verdammt gutes.« Karl hielt die Flasche gegen das Licht. »Wollten nich’ lange rummachen. Dem dicken Knott hattense noch mehr geboten, weil sie die Parzelle unten vor der Kreuzung brauchen. Und das Großmaul, der hat gleich den großen Reibach gewittert und sich überall verplappert«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Mirko hat’n gefunden, ist dem sein Jüngster. Saß tot vor der Flimmerkiste, mit’m Sauerstoffgerät noch überm Kopp. Musste dir mal vorstellen. Bleibt dem einfach die Pumpe stehen. War nix mehr mit Kohle abgreifen. Jetzt freut sich eben dem seine Brut.« Er schloss die Augen. »Schon alles platt da drüben.«

»Den Wald habense auch gerodet. An der Straße den.«

Karl zuckte mit der Schulter. »Vor drei Wochen kamen die. Mit Baggern, das musst du gesehen haben. Gab kurz Staub, da hatten die alles abgeräumt, als hätt hier nie was gestanden.«

Thies nahm noch einen Schluck, spürte, wie die Lippen taub wurden. Karl stand vor ihm, die Flasche auf Hüfthöhe, den Daumen der anderen Hand in den Hosenbund gehakt. Seine Augen blau und klar wie Wasser. »Aber scheiße, nein. Verkaufen hätte ich nicht gekonnt.«

»Was drauf geschissen.«

Karl stellte die Flasche auf das Fenstersims und nahm die Mütze vom Kopf. »In der Stadt geh ich doch vor die Hunde.«

»Dann schlachtest du immer noch Schweine.«

»’s Einzige, was ich kann.«

Thies blickte aus dem Fenster. Der Rasen im Hinterhof war versandet. Tüten voller Tonmehl standen auf einer vom Regen aufgeweichten Bierbank. Ein schiefer Verhau am Rand des Zauns, die Paneele dunkel wie nach einem Brand.

»Ja«, sagte Karl. »Hab mich nicht so ums Haus gekümmert, wie ich’s gesollt hätte. Hatte andere Dinge zu tun.« Er tippte mit dem Zeigefinger gegen den Flaschenhals. »Kann dir auch nur die Plörre hier anbieten. Hab fast nie was im Haus. Aber bei Katulski geht die erste Runde auf mich.«

»Gibt’s den Polaken noch?«

»Hundert Jahre alt, der Mann.«

Thies sah den kleinen, dürren Mann vor sich. Schlupflider, Hakennase und vom Fett glänzende, feingliedrige Hände. Das kohlschwarze Haar mit Brisk zu einer Tolle gekämmt. Serviert wurde auf großen, weißen Tellern, deren Spiegel blank und zerkratzt waren. Die Spezialität des Hauses waren gewässerte Schweinenieren, in Würfel geschnitten, dazu gedünstete Zwiebeln, Kartoffelpüree und braune Soße. Über allem hing der Geruch von Wacholder, Lorbeerblättern und Zinn 40.

Sie räusperte sich und schmiss ihre Lederjacke auf den einzigen Stuhl im Raum. »Hab gedacht, ihr beiden hattet genug Zeit füreinander. ’ne Dame lässt man nicht warten. Oder hat dein Bruder keine Manieren?«

»Manieren?« Karls Blick blieb an dem Stück nackter Haut hängen, das ihr Top frei ließ. »Manchmal vergess’ ich die.«

Sie stellte den Fuß auf das Fenstersims und nahm Thies die Flasche aus der Hand.

»Ja«, sagte Thies. »Monique.«

»Monique …« Karl setzte sich die Mütze wieder auf. »Siehst aus wie ’ne Körnerfresserin.«

»Nein, ich mag’s blutig.«

»Hier musst du nehmen, was kommt.«

Sie strich mit den Fingerspitzen über Thies’ Wange. »Man hat immer ’ne Wahl.«

Karl sah zu Thies. »Hattest du ’ne Wahl, als du dich hier verpisst hast?«

»Man hat immer ’ne Wahl«, wiederholte Monique.

»Bei Katulski geht die erste Runde auf dich.« Thies nahm ihr die Flasche aus der Hand und stellte sie auf den Kaminsims. »Gibt’s den Admiral noch?«

Der blaue Lack war stumpf geworden. Das Seitenfenster hinten rechts mit einer Plastiktüte zugeklebt. Karl beugte sich über den Sitz und zog den Knopf der Beifahrertür hoch. Die Scharniere knarrten beim Öffnen. Thies ließ Monique auf die Rückbank steigen.

»Riecht wie damals«, sagte er und stach mit dem Finger in den nikotingelben Himmel.

»Drei Schachteln Boston am Tag«, sagte Karl. »Mutter hat die Dinger gefressen. Am Ende musste ich ihr Feuer geben, ist ja auf beiden Augen blind geworden.«

Thies fuhr mit dem Daumen über das aufgeplatzte Leder des Sitzbezugs. Karl startete den Motor und schob eine Kassette in das Deck. Blues ertönte aus den Boxen.

Die Straße folgte dem westlichen Rand der Ville. Das Profil des Höhenzugs zeichnete sich schroff gegen den Himmel ab.

»Liegt alles im Lee«, sagte Karl und schaute aus dem offenen Seitenfenster. »In dem Boden wächst sogar Wein.« Er zeigte auf eine Bruchkante im Schiefergebirge. »Wenn die den Flughafen ausgebaut haben, kommt da die Umgehung hin. Zwanzig Minuten in die Stadt.«

»Gibt’s endlich Kabelfernsehen«, sagte Thies und nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel, die in der Mittelkonsole lag.

»Ich scheiß auf Kabelfernsehen.«

Fahrtwind ließ die Plastiktüte flattern. Im Wagen wurde es kühl. Karl hielt hinter einer Lichtung am Fahrbahnrand. Er stieg aus, legte eine Hand auf Thies’ Schulter und schmiss die Schachtel Zigaretten auf den leeren Fahrersitz. »Wir haben was zu erledigen.«

Monique nickte. »Hab schon verstanden.«

Sie gingen einen Feldweg entlang, bis sie zu einer flachen Anhöhe gelangten. Dort stand eine alte Linde, deren schwere, knorrige Äste knapp über den Boden reichten.

»’s gibt nicht wenige, die glauben, der Baum hier wäre älter als tausend Jahre.«

Thies legte den Kopf in den Nacken. Sonnenlicht schien durch die Äste.

»Männer, die Ahnung davon haben«, fuhr Karl fort.

»Und was glaubst du?«

»Nicht wichtig, was ich glaube.« Er ging in die Knie und legte seine Hände auf die Erde. »Mutter wollte, dass ich ihre Asche hier verteile.«

Im spannrückigen Stamm befand sich ein Schlitz, lang und breit wie eine Handkante. Thies konnte das Kernholz erkennen, das Innerste des Baumes, verborgen wie ein Herz. Dann schob sich eine Wolke vor die Sonne.

»Hat nach dir gefragt«, sagte Karl und machte eine lange Pause. »Als sie nicht mehr ganz bei Sinnen war, da hat sie viel wirres Zeug geredet, ich kann dir sagen, und da waren Sachen bei, die haben einem echt ’ne...

Erscheint lt. Verlag 3.8.2020
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abgeschiedenheit • Alkohol • Altglück • Asche • Atmosphäre • Belletristik • Bergsteigen • Böse • Brüder • Bücher für die Coronavirus Zeit • Bücher für die Coronazeit • Bücher für die Covid19 Zeit • Country • Country Noir • das Lesen geht weiter • Depression • Deutsch • Deutsche Gegenwartsliteratur • Drama • Dunkel • Dunkels Gesetz • düster • Ehe • Ehedrama • Familie • Fuchs • für Social Distancing • Gangster • gegen Langeweile • Gegenwart • Georgien • Gesellschaft • Gesellschaftsroman • Gesellschaftsschicht • Gewalt • Hard Boiled • Hund • Jagd • Jagdhund • Jäger • Kapitalismus • Kind • Köln • Ländlich • Lesen in der Coronakrise • Lesen in der Covid19-Krise • Lesen in Karantäne • Lesen in Quarantäne • Lesen während Shutdown • lieber Buch als Coronavirus • Lieber Buch als Covid19 • lieber Bücher als Corona • literarisch • Literarische Belletristik • literarischer Roman • Literarisches • Literatur • Milieu • Mit Buch in Karantäne • mit Buch in Quarantäne • Natur • Noir • NRW • Prostituierte • Provinz • Provinz Noir • Rau • Revierkampf • Rheinisch • Rheinisches Tal • Rheinland • Rivalen • Soziales • Streit • Strukturwandel • Suspense • Tal • Tod • Trauer • Unterschicht • Verlierer • verschollen • verschollenes Kind • Vierheilig • Wald • Wolf
ISBN-10 3-8437-2215-3 / 3843722153
ISBN-13 978-3-8437-2215-5 / 9783843722155
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