Die englische Gärtnerin - Weißer Jasmin (eBook)
432 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2146-2 (ISBN)
Martina Sahler lässt sich bei der Gestaltung ihres eigenen Gartens am liebsten von den englischen Botanikern inspirieren und verbringt im Frühjahr, Sommer und Herbst viel Zeit mit der Recherche in England, bevorzugt in Sissinghurst und Kew Gardens. Mit ihren bisherigen historischen Serien hat sie eine begeisterte Leserschaft gewonnen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Köln.
Martina Sahler lässt sich bei der Gestaltung ihres eigenen Gartens am liebsten von den englischen Botanikern inspirieren und verbringt im Frühjahr, Sommer und Herbst viel Zeit mit der Recherche in England, bevorzugt in Sissinghurst und Kew Gardens. Mit ihren bisherigen historischen Serien hat sie eine begeisterte Leserschaft gewonnen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Köln. martinasahler.de
Prolog
Juni 1926
»Wie kannst du so ruhig sein!« Debbie Windley öffnete die Türen von Charlottes Kleiderschrank und schob die Bügel über die Stange, während sie die Garderobe überprüfte. »Und dein mausgraues Kostüm ziehst du besser gleich wieder aus. Du musst dich präsentieren wie die schönste Blume in deinem Garten.« Sie zog ein lindgrünes Kleid in Wickeloptik hervor und hielt es am ausgestreckten Arm vor sich. »Das ist genau das Richtige!«
»Richtige!«, echote Charlottes Tochter Eliza Rose, die bald ihren zweiten Geburtstag feierte. Sie hatte vor einem halben Jahr laufen gelernt und war seitdem kaum noch zu bremsen.
Charlotte saß auf der Kante ihres Ehebetts, klatschte in die Hände und streckte ihrer Tochter die Arme entgegen. »Komm her, mein Herz.«
Sofort spurtete das Mädchen zu ihr und ließ sich hochheben. »Hör nicht auf Tante Debbie«, sagte Charlotte mit einem Grinsen und laut genug, dass Debbie es mitbekam. »Manchmal darf man sich nicht verrückt machen lassen.«
Wie hübsch Eliza Rose war. Die dunklen Locken wuchsen wild und ließen sich kaum bändigen. Wenn Charlotte ihr in die grünbraunen Augen mit den langen Wimpern sah, spürte sie jedes Mal ein Stechen in der Brust. Bislang wunderte sich niemand darüber, dass das Mädchen vom Aussehen weder nach Victor noch nach Charlotte schlug. Allgemein hieß es, sie müsse wohl die Erbanlagen von Victors deutscher Verwandtschaft haben. Eine Erklärung, der Charlotte nichts entgegensetzte, obwohl sie es besser wusste.
»Pah«, machte Debbie, als hätte Charlotte sie direkt angesprochen. »Wer ist denn hier die Gartenverrückte von uns beiden? Wer wartet sein Leben lang auf die Anerkennung als Botanikerin? Heute ist dein großer Tag, Charlotte, du solltest es nicht vermasseln.«
»Das hängt nicht von der Farbe meines Kleides ab«, gab Charlotte zurück. »Auch nicht davon, ob die kleinen Kuchen, die Mrs Duncan zum Tee reichen will, gelungen sind oder nicht. Es …«
Die Zimmertür schwang auf, und Charlottes Mann Victor steckte den Kopf herein. Seine Stirn war leicht gerötet, ein paar Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht. »Du wolltest doch dem Chauffeur Bescheid geben, dass er unsere Automobile in den Schuppen setzt! Sie stehen noch da. Wo sollen die Leute parken?« In seiner Stimme schwang ein deutlicher Anklang von Panik mit.
»Papa.« Eliza Rose strahlte Victor an.
Sofort war Victor bei ihr, sank auf die Knie und küsste ihre Hände.
Charlotte streichelte seine Wange. »Bitte treibt mich nicht in den Wahnsinn. Sag Owen einfach noch einmal Bescheid, dass er die Wagen wegfahren soll. Solche Kleinigkeiten werden nicht darüber entscheiden, ob mir die Linnean Society die Medaille verleiht oder nicht.«
Victor richtete sich auf und küsste sie auf den Mund. »Ich wünsche es dir, Charlotte. Niemand hätte die Medaille mehr verdient als du.«
»Hoffentlich sieht es der Vorstand der Society genauso«, erwiderte Charlotte. »Wusstest du übrigens, dass sich auch Sir Hill angekündigt hat?«
»Der Direktor von Kew Gardens?«
Charlotte nickte. »Ihn scheint mein Werdegang zu interessieren, seit ich Kew Gardens verlassen habe.« Sie spürte ein Frösteln im Nacken. Sobald sie an den berühmten Botanischen Garten am Rande Londons dachte, stiegen die Bilder von ihren alten Träumen in ihr hoch: von dieser Gemeinschaft international arbeitender Experten, von denen sie eine Zeit lang ein Teil hatte sein dürfen, von Expeditionen in die entlegensten Winkel der Welt. Sie hatte einen anderen Weg eingeschlagen, wie es ihr die Vernunft geboten hatte, Forschungsreisen auf eigene Faust unternommen und einen Garten erschaffen, der seinesgleichen in England suchte. Ob ihr Werk Sir Hill und die Gesandtschaft der Society beeindrucken würde? Sicher, eine Auszeichnung wäre fabelhaft, aber tief in ihrem Inneren konnte niemand Charlotte verunsichern. Selbst wenn sich die Mitglieder der Society gelangweilt abwenden würden, wüsste sie, dass sie etwas Einmaliges vollbracht hatte: In ihrem Garten blühten nicht nur einheimische Pflanzen, sondern Gewächse aus weit entfernten Teilen der Welt wie aus Südamerika und Persien. Ihr war es gelungen, die Exoten hier heimisch werden zu lassen. Sie waren neben den Rosen die Prunkstücke inmitten der anderen Schönheiten, die sie in England, Schottland und Irland gesammelt hatte. Sie sog die Luft ein. Nicht an Irland denken, nicht jetzt, sonst würden ihre Hände doch noch anfangen zu zittern.
»Kommt ein Fotograf?«, fragte Victor.
»Ein Fotograf kommt nur, wenn man mir die Medaille überreicht. So weit ist es noch lange nicht«, erwiderte Charlotte.
Debbie hatte in der Zwischenzeit weitere Kleider unter die Lupe genommen, entschied sich aber letztendlich für das lindgrüne. »Schau mal, Victor, das steht ihr am besten, oder?«
Victor schaute abwechselnd vom Kleid zu seiner Frau und zurück. »Ehrlich gesagt finde ich, dass Charlotte alles steht, aber ja, dieses grüne Kleid ist besonders vorteilhaft, Flapper.«
Debbie schoss einen Hexenblick auf ihren Schwager. »Nenn mich nicht Flapper! Es ist ungerecht, das weißt du!«
Victor lachte. »Seit wann hast du etwas gegen Tanz und Vergnügen?«
Flapper war die Bezeichnung für alle jungen Frauen, die das süße Leben liebten. Noch vor ein paar Jahren hatte dieser Spitzname perfekt zu Debbie gepasst. Inzwischen war sie erwachsen geworden, aber der Name war an ihr haften geblieben. Debbie verzog das Gesicht, verzichtete aber zum Glück auf eine weitere Diskussion. Victor nahm Eliza Rose von Charlottes Schoß und wandte sich an Debbie. »Kommst du mit nach unten?« Er sah zu Charlotte und nickte ihr zu. Sie lächelte ihn dankbar an, senkte aber rasch die Lider. Manchmal fiel es ihr schwer, den Blick ihres Mannes zu halten. Dann befürchtete sie, er könnte in ihren Augen von dem Geheimnis lesen, das sie mit sich trug.
Debbie biss sich auf die Lippe und schien abzuwägen, ob sie es wagen konnte, ihrer Schwester allein die Wahl des Kleides zu überlassen. Schließlich folgte sie Victor und zog die Tür hinter sich zu.
Charlotte ließ sich rücklings aufs Bett fallen, die Arme weit von sich gestreckt. Das Kostüm, das sie für den heutigen Anlass gewählt hatte, war absolut nicht mausgrau, sondern in einem edlen Silber-Anthrazit gehalten. An der Hüfte zierte eine Spange den Rock, der Jackenkragen klappte weit auf und ließ die Sicht auf ein geringeltes Hemd frei. Sportlich elegant, befand Charlotte, aber als sie sich aufrichtete, bemerkte sie einen roten Flecken an der Schulter. »O nein«, stieß sie hervor und versuchte, mit dem angefeuchteten Zeigefinger das Malheur zu entfernen, aber sie verschlimmerte es nur noch und verteilte das Rot bis zum Kragen.
Das musste beim Frühstück passiert sein, als sie Eliza Rose mit Stücken von einem Scone, bestrichen mit clotted cream und Kirschmarmelade, gefüttert hatte. Sie hatte es nicht gemerkt. Wie peinlich. Dabei hatte sie geglaubt, mit einunddreißig die Schusseligkeit ihrer jüngeren Jahre hinter sich gelassen zu haben. Als junge Frau war sie Meisterin darin gewesen, ihre Brille zu verlegen, Blusen falsch zu knöpfen oder in den unpassendsten Momenten zu stolpern.
Als von der Einfahrt her Motorenlärm zu ihr drang, sprang Charlotte auf und trat auf den seitlich zum Garten hinausgehenden Balkon. Ein letzter Blick über ihr botanisches Paradies, das jetzt im Sommer und am frühen Nachmittag in den schönsten Farben erstrahlte.
Was bislang ihr allein gehört hatte, was sie mit liebevollen Händen und der Hilfe der Gärtnerin Harriet Moore gehegt und gepflegt hatte, würde sich nun der kritischen Überprüfung durch Experten stellen müssen. Danach würde sie den Garten für die Öffentlichkeit freigeben. Für Charlotte fühlte es sich an, als würde sie der Welt ihr Herz zu Füßen legen.
Aber der Mann, mit dem sie diesen himmlischen Flecken Erde bepflanzt hatte, der ihre Liebe zu den Pflanzen teilte wie kein zweiter und nach dem sie sich Nacht für Nacht sehnte, dieser Mann würde auch heute fehlen. Quinn Mitchell würde erst in ihrem nächsten Brief erfahren, wie die Experten ihre Arbeit bewerteten. Charlotte vertrieb die Gedanken an den Geliebten. Heute war kein Tag für Melancholie.
Die Räume des Gartens waren in verschiedenen Tönen gehalten, nur die Rosen blühten in Weiß und Gelb, Rot und Rosa. Das wirkte aus der Vogelperspektive vom Balkon aus besonders reizvoll. Obwohl die Exoten wie die persischen Tulpen und Oleanderbüsche oder die Steingartenpflanzen von den Hebriden sicherlich die meisten Besucher anziehen würden, war der Rosengarten Charlottes besonderer Liebling. Ihre hoch bewertete Bachelor-Arbeit hatte sie über Rosenzucht geschrieben. Ob der Gesandtschaft der Society ihre eigenen Züchtungen gefallen würden? Sie arbeitete vor allem daran, die Blütezeit zu verlängern und die Stämme gegen Pilzkrankheiten zu stärken.
Stimmen drangen zu ihr, während sie sah, wie ihre Familie und ihre...
Erscheint lt. Verlag | 29.6.2020 |
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Reihe/Serie | Die Gärtnerin von Kew Gardens | Die Gärtnerin von Kew Gardens |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 1920er Jahre • Alnwick Castle • Anne Hathaway Garden • Arthur William Hill • Astern • Blumen • Botanik • Bücher für die Coronavirus Zeit • Bücher für die Coronazeit • Bücher für die Covid19 Zeit • Dahlien • das Lesen geht weiter • der andere Mann • England • Englische Gärten • Frauenroman • Frauenträume • Frauenunterhaltung • Frühling • für Social Distancing • Garten • Gartenträume • Gärtnerin • gegen Langeweile • Great Dixter • Helen Gwynne-Vaughan • Historischer Roman • Jasmin • Kew Gardens • Lesen in der Coronakrise • Lesen in der Covid19-Krise • Lesen in Karantäne • Lesen in Quarantäne • Lesen während Shutdown • lieber Buch als Coronavirus • Lieber Buch als Covid19 • lieber Bücher als Corona • Lost Gardens of Heligan • Löwenhof • Mehrbändig • Mit Buch in Karantäne • mit Buch in Quarantäne • Saga • Sandringham House • Sir Hill • Sissinghurst • Sizergh Castle • Sommer • Unterhaltung • Vita Sackville-West • Winston Churchill • Wisley Gardens |
ISBN-10 | 3-8437-2146-7 / 3843721467 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2146-2 / 9783843721462 |
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