Dunkles Lavandou (eBook)
512 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2242-1 (ISBN)
Remy Eyssen, geboren 1955 in Frankfurt am Main, arbeitete als Redakteur u.a. bei der Münchner Abendzeitung. Anfang der Neunzigerjahre entstanden seine ersten Drehbücher. Bis heute folgten zahlreiche TV-Serien und Filme für alle großen deutschen Fernsehsender im Genre Krimi und Thriller. Mit seiner Krimireihe um den Gerichtsmediziner Leon Ritter begeistert er seine Leserinnen und Leser immer wieder aufs Neue und landet regelmäßig auf der Bestsellerliste.
Remy Eyssen (Jahrgang 1955), geboren in Frankfurt am Main, arbeitete als Redakteur u.a. bei der Münchner Abendzeitung. Anfang der 90er Jahre entstanden die ersten Drehbücher. Bis heute folgen zahlreiche TV-Serien und Filme für alle großen deutschen Fernsehsender im Genre Krimi und Thriller. Mit seiner Krimireihe um den Gerichtsmediziner Leon Ritter begeistert er die Leserinnen und Leser und landet regelmäßig auf der Bestsellerliste.
1. Kapitel
Morgens um acht waren die meisten Händler noch mit dem Aufbau ihrer Stände beschäftigt. Manche reisten von weit an und folgten dem Wochenmarkt von Tag zu Tag in einen anderen Ort. Jetzt schien die frühe Junisonne flach über das Meer, und es ging noch gemütlich zu auf dem großen Parkplatz an der Avenue Vincent Auriol. Es war die Zeit, bevor sich die Touristen durch die schmalen Marktgassen drängten. Zwischen Ständen mit Olivenöl aus dem Massif des Maures, Wildschweinwurst aus dem Domaine de la Forêt, Doraden aus dem Meer und billigen Hawaiihemden aus China. Aber das würde sich schnell ändern. Wenn die Sonne höher stieg und den Markt aufheizte, würde es hier schon bald nur noch nach Schweiß und Sonnenöl riechen. Dann würden sich die Touristen gegenseitig zur Seite drängen und Einkaufen zum nervenaufreibenden Abenteuer machen. Aber noch war alles entspannt. Die Verkehrspolizei stellte die Umleitungsschilder auf, während die Gendarmerie nationale dafür sorgte, dass die vorgeschriebenen Abstände zwischen den Ständen und Auslagen eingehalten wurden.
Leon war an einem schlichten Stand stehen geblieben, der etwas ramponiert wirkte. Auf zwei Klapptischen wurden Oliven in Plastikschalen und Kräuter in kleinen Tontöpfchen präsentiert, an denen selbst gemalte Etiketten klebten. Darauf stand »Rosmarin«, »Herbes de Provence«, »Thymian« oder »Wacholder«. Ein einzelner Schirm sollte die Kunden vor der Hitze schützen. Aber auch der hatte Löcher, durch die schon jetzt die Mittelmeersonne brannte. Ein handgemaltes Schild über der Auslage pries »Délices Provençal«, und genau deswegen war Leon hierher, ganz ans Ende des Marktes, gekommen. Wegen der provenzalischen Köstlichkeiten, die Monsieur Clément Roman auf seinem Hof in den Hügeln herstellte und mit Unterstützung seiner Frau und seines Sohnes auf dem Markt verkaufte. Leon deutete auf eine Schale mit Tapenade, der köstlichen, schwarzbraunen Olivenpaste.
»Davon hätte ich gerne was«, sagte Leon und atmete den Duft von Rosmarin, Koriander und Majoran ein. Der Korb an seinem Arm war schwer von den Leckereien, die er bereits auf dem Markt eingesammelt hatte.
»Bien sûr, Docteur.« Monsieur Roman, der Besitzer des Standes, war Ende vierzig, groß und wirkte etwas schlaksig. Sein Gesicht war schmal, und die leicht schräg stehenden Augen gaben seinem Blick etwas Verlorenes. Dabei war Monsieur Roman immer freundlich und zuvorkommend. Im Hintergrund sah man seine Frau Amélie zusammen mit dem zwanzigjährigen Sohn Rodolphe Flaschen mit Olivenöl in Holzkisten von der Ladefläche des Transporters räumen. Die Frau musste früher eine Schönheit gewesen sein, dachte Leon. Ein Hauch von Karibik schien ihre Erscheinung zu umwehen. Monsieur Roman hatte einmal erwähnt, dass sie aus den französischen Überseegebieten nach Le Lavandou gekommen waren. Aus Guadeloupe, wenn Leon sich richtig erinnerte. Jetzt wirkte die Frau blass und müde, als würde sie sich von einer Krankheit erholen, dachte Leon. Amélie Roman schaute schnell zur Seite, als sich ihr Blick mit Leons traf.
»Amélie, gib mir mal eine von denen!« Roman zeigte auf die Flaschen mit dem selbst gepressten Olivenöl, und seine Frau reichte ihm eine, die er an Leon weitergab.
»Danke, aber davon habe ich noch«, meinte Leon.
»Ein Geschenk des Hauses«, sagte Roman mit einem Blick, der keinen Widerspruch zuließ. »Ist von der letzten Ernte.«
»Danke vielmals«, erwiderte Leon. »Dieses Jahr will ich aber dabei sein, wenn Sie das neue Öl pressen.«
»Das haben Sie letztes Jahr auch schon gesagt.«
»Die Arbeit.« Leon zuckte mit den Schultern.
In diesem Moment hörte man hinter dem Stand das Klirren von zerbrechendem Glas.
»Kannst du nicht aufpassen?«, raunzte Clément Roman seinen Sohn an.
Rodolphe erschien neben dem weißen Transporter. Er war ein ganzes Stück größer als sein Vater. Nur sein Kopf schien irgendwie zu klein geraten für den massigen Körper, der dem jungen Mann die Tapsigkeit eines Bären verlieh.
»Tut … tut mir leid«, entschuldigte sich Rodolphe mit piepsiger Stimme, die nicht zu seinem Aussehen zu passen schien. »Waren alle leer, kommt nicht wieder vor, Vater.«
»Schon gut«, meinte Roman milde. »Pass auf, dass du dich nicht schneidest, wenn du die Scherben forträumst.«
Leon lächelte verständnisvoll.
Lilou, die sich an dem Nebenstand Gürtel und Jeans angesehen hatte, kam zurück und sah in Leons Korb.
»Wer soll denn das alles essen?«, fragte sie.
»Oh, da kenne ich aber jemanden.« Leon sah die Sechzehnjährige mit einem Lächeln an. Sie trug zerfranste Jeans, die sie sich kurz über dem Knie abgeschnitten hatte, und als Oberteil ein übergroßes T-Shirt, von dem sie einen Zipfel hinter ihren Gürtel geklemmt hatte. Ihre wilden dunklen Haare waren zu einem Dutt gebändigt, den sie auf dem Hinterkopf verzwirbelt hatte und der von einem Klemmkamm in Form einer überdimensionalen Erdbeere gehalten wurde. An den Füßen trug sie Jesuslatschen. Es war ein wüstes Sammelsurium an Klamotten, aber an ihr sahen sie aus wie der extravagante Entwurf eines Modedesigners.
»Du hast gesagt, dass wir noch einen Kaffee bei René trinken«, drängelte sie.
»Da will ich Ihre Tochter natürlich nicht aufhalten.« Monsieur Roman schaute Leon nachsichtig an und reichte ihm die Plastiktüte mit dem Olivenöl und der Tapenade über den Tresen.
»Landet irgendwann sowieso alles im Meer«, sagte Lilou, und Monsieur Roman sah sie fragend an. »Die Plastiktüte. Irgendwann verschluckt sich ein Walbaby daran und stirbt.«
»Sie ist Umweltschützerin«, erklärte ihm Leon.
»Du brauchst dich nicht für mich zu entschuldigen.«
»Au revoir«, sagte Monsieur Roman, und es klang verdächtig nach: »Sie haben es aber wirklich auch nicht leicht …«
»Also, was wolltest du mir sagen?«, fragte Leon, als sie weitergingen.
»Wieso, was meinst du?«, tat Lilou überrascht.
»Wenn du so früh mit mir auf den Markt gehst«, Leon war vor dem Café Mobile stehen geblieben, »dann führst du doch irgendwas im Schilde.«
»Bonjour, Docteur.« Der Mann hinter der Theke des fahrbaren Cafés hieß Cyril. Er war Ende vierzig und übergewichtig. Ständig strich er sich mit den Fingern über seine Glatze, als gäbe es da noch irgendwelche Haare zu ordnen. Er wirkte immer etwas schmuddelig, doch heute hatte er eine weiße Schürze umgebunden, die erstaunlich sauber war. Das Café, mit dem Cyril von Markt zu Markt fuhr, war in einem uralten Citroën-Transporter Typ H untergebracht, der mindestens fünfzig Jahre auf den Achsen hatte. Die rechte Längsseite des Fahrzeugs ließ sich über die ganze Länge aufklappen und so in ein mobiles Bistro mit Vordach und Tresen verwandeln.
Auf den beiden Herdplatten hinter Cyril standen Pfannen, in denen Steak haché und Frites gebrutzelt wurden. Hier arbeitete Jaqueline. Die blonde Frau war mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger als Cyril. Sie war die neueste Geliebte des Chefs, der seine Gefährtinnen häufiger wechselte als die Reifen seines fahrbaren Bistros. Leon staunte jedes Mal, wie es dem Wirt des Café Mobile gelang, dermaßen attraktive junge Frauen für sich und das entbehrungsreiche Leben in seinem fahrenden Imbiss zu gewinnen.
»Café crème für den Docteur?«, fragte Cyril sofort. »Und Mademoiselle?«
»Ich nehme auch einen Café crème«, sagte Lilou, der der musternde Blick des Wirts unangenehm war.
»Also?« Leon beugte sich zu Lilou und rückte etwas von dem Gast neben ihm ab, der um diese Uhrzeit bereits ein Hacksteak mit Fritten verdrückte und dazu ein Glas Rosé schlürfte.
»Es ist wegen der Ferien«, druckste Lilou herum. »Also Ingrid und ich, wir …« Sie zögerte. »Ich habe dir doch von dem fantastischen Haus auf Korsika erzählt, das ihre Eltern haben.«
Lilou brach ab und wartete auf Leons Reaktion. Der ließ sie einen Moment schmoren.
»Verstehe. Du willst also mit Ingrid nach Korsika, und ich soll Isabelle überreden zuzustimmen.«
»Du weißt doch, wie Maman ist.« Lilou sah Leon an. »Sie tut so, als wäre ich immer noch zwölf.«
»Ach, bist du nicht?« Leon grinste das Mädchen an. Lilou war die Tochter seiner Lebensgefährtin Isabelle, aber Leon hatte sie inzwischen ins Herz geschlossen, als wäre sie sein eigenes Kind. Dabei hatte Isabelle gute Gründe, vorsichtig zu sein. Die Entführung ihrer Tochter lag kaum vier Jahre zurück. Lilou hatte das Erlebnis längst überwunden, aber Isabelle holte gelegentlich noch die Erinnerung an die schrecklichen drei Tage ein, in denen Lilou verschwunden war.
»Bitte sprich du mit ihr«, sagte Lilou. »Auf mich hört sie ja nicht.«
»Weil sie Angst um dich hat. Das weißt du doch.«
»Und wie...
Erscheint lt. Verlag | 2.6.2020 |
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Reihe/Serie | Ein-Leon-Ritter-Krimi | Ein-Leon-Ritter-Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Abgründe • Bücher für die Coronavirus Zeit • Bücher für die Coronazeit • Bücher für die Covid19 Zeit • capitaine • Cote d'Azur • das Lesen geht weiter • der sechste Fall für Leon Ritter • Detektiv-Krimis • Dorf • Dunkelheit • Ermittlerpaar • Ermittlungen • Exorzismus • Ferienkrimi • Feriensaison • Foret du Dome • Französisch • französisches Setting • für Social Distancing • gegen Langeweile • Gerichtsmediziiner als Ermittler • Gerichtsmediziner • Gerichtsmediziner als Ermittler • goldene Inseln • Hexenaustreibung • Ile d'or • Isabelle Morain • klassischer Ermittlerkrimi • Klassischer Kriminalroman • Krimi • Krimireihe • Krimiserie • Le Lavandou • Leon Ritter • Lesen in der Coronakrise • Lesen in der Covid19-Krise • Lesen in Karantäne • Lesen in Quarantäne • Lesen während Shutdown • lieber Buch als Coronavirus • Lieber Buch als Covid19 • lieber Bücher als Corona • Madame le Capitain • Madame le Commissaire • Médecin legiste • Mit Buch in Karantäne • mit Buch in Quarantäne • Monsiour • Mörderische Provence • Ostergeschenk • Poliizei-Krimis • Polizeiarbeit • Polizeiromane • provencalische Hügel • Provence • Provence-Krimi • Provenzalisch • provenzalische Hügel • provenzalisches Dorf • provenzalische Spannung • Ritualmord • Savoir-vivre • Spannende Ermittlung • Spannung • Südfrankreich • südfranzösisches Setting • sympathisch • sympathischer Ermittler • Thriller • Thriller und Spannung • tote Frauen • traditionelle Detektiv-Krimis • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-8437-2242-0 / 3843722420 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2242-1 / 9783843722421 |
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