Menschliche Dinge (eBook)

Roman

****

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
360 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2276-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Menschliche Dinge -  Karine Tuil
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»Ein Balzac unserer Zeit.« Le Parisien  Ausgezeichnet mit dem »Prix Goncourt des Lyceens« und dem »Prix Interallié«. Die Farels sind schön und reich, haben Einfluss und Macht: Jean Farel ist ein prominenter Fernsehjournalist, seine Frau Claire eine Intellektuelle, bekannt für ihr feministisches Engagement. Ihr Sohn Alexandre, gutaussehend, sportlich, eloquent, studiert an einer Elite-Uni. Eine Familie wie aus dem Bilderbuch, könnte man meinen. Doch eines Morgens steht die Polizei bei den Farels vor der Tür, eine junge Frau hat Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet. Die glanzvolle gesellschaftliche Fassade zeigt gefährliche Risse. Inspiriert vom 'Fall Stanford' und vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte, erzählt Karine Tuil in Menschliche Dinge von den Auswüchsen einer Gesellschaft, die auf Leistung und Selbstdarstellung getrimmt ist, in der sich jeder nimmt, was er haben will. »Ein Buch, das zum Nachdenken anregt, das für Unbehagen sorgt, das unserer Zeit den Puls nimmt.« France Inter »Ein meisterhafter Roman - Tuils bester -, der sich mit der allmählichen Zerstörung der Beziehung zwischen Männern und Frauen auseinandersetzt.« Le Nouvel Observateur »Mit Menschliche Dinge führt die Autorin ihre Reflexion über soziale Machtverhältnisse fort.« Libération »Wie ein Hochgebirgsführer, behutsam, aber mit sicherem Schritt, lotst Karine Tuil uns an die Abgründe unserer Zeit.« Le Canard enchaîné »Ein bemerkenswerter Roman, der aus dem Leben gegriffen ist.« L'Écho Républicain »Menschliche Dinge ist ein absolut brillanter, atemloser Text, das Porträt einer Familie, die in die qualvolle Mühle unserer Zeit gerät.« Page des libraires

Karine Tuil, geboren 1972, Juristin und Autorin mehrerer gefeierter Bücher, darunter der Roman 'Die Gierigen'. Zuletzt erschien ihr vielbeachteter Roman 'Die Zeit der Ruhelosen', der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Karine Tuil lebt mit ihrer Familie in Paris.

Karine Tuil, geboren 1972, Juristin und Autorin mehrerer gefeierter Bücher, darunter der Roman "Die Gierigen". Zuletzt erschien ihr vielbeachteter Roman "Die Zeit der Ruhelosen", der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Karine Tuil lebt mit ihrer Familie in Paris.

1


Sex war unbestreitbar der wirksamste Brandbeschleuniger, löste das ultimative Inferno aus – Schluss mit der Maskerade: Das hatte Claire Farel verstanden, als sie mit neun Jahren den Zerfall ihrer Familie miterlebte, weil ihre Mutter der magnetischen Anziehungskraft eines Medizinprofessors verfallen war, den sie auf einem Kongress kennengelernt hatte; sie hatte es verstanden, als sie, schon im Beruf, zusah, wie Personen des öffentlichen Lebens in kürzester Zeit alles verloren, was sie sich über Jahre hinweg aufgebaut hatten: Position, Ruf, Familie – gesellschaftliche Strukturen, die nur unter großen Mühen und mit Zugeständnissen-Lügen-Versprechungen, der Dreieinigkeit der haltbaren Ehe, stabil geblieben waren, sie hatte erlebt, wie sich die klügsten Vertreter der politischen Klasse für lange Zeit, manchmal sogar für immer, ins Aus beförderten, für nichts als ein flüchtiges Abenteuer, das Ausagieren einer Fantasie, den unbezwingbaren Drang des sexuellen Begehrens – alles, sofort. Sie selbst war ungewollt mitten in einen der größten Skandale der US-amerikanischen Geschichte geraten, als sie mit dreiundzwanzig ein Praktikum im Weißen Haus absolvierte, zur gleichen Zeit wie Monica Lewinsky, die Frau, die sich dadurch einen Namen machte, dass sie die Karriere von Präsident Bill Clinton ins Wanken brachte – und wenn nicht Claire den Platz der rundlichen Brünetten eingenommen hatte, die der Präsident liebevoll »mein Mädchen« nannte, dann nur, weil sie nicht dem damaligen Schönheitsideal des Oval Office entsprach: Sie trug ihr blondes Haar zu einem Zopf geflochten, war mittelgroß, eher schmächtig und erschien immer im maskulin geschnittenen Hosenanzug – nicht sein Typ.

Sie fragte sich häufig, was wohl geschehen wäre, wenn der Präsident sie auserwählt hätte, die kopfgesteuerte und impulsive Frankoamerikanerin, die das Leben am liebsten durch den Filter ihrer Lektüre erkundete, und nicht die pummelige, dunkelhaarige Monica mit ihrem Raubtierlächeln, die kleine jüdische Prinzessin, die in den begüterten Wohngegenden Brentwood und Beverly Hills aufgewachsen war. Ja, sie wäre dem Eros der Macht erlegen, hätte sich wie eine Dilettantin verliebt und wäre von Sonderstaatsanwalt Kenneth Starr befragt worden, dem sie endlos immer dieselbe Geschichte hätte erzählen müssen, die dann der ganzen Welt Gesprächsstoff lieferte und in die vierhundertfünfundsiebzig Seiten des Berichts einfloss, der die Schleimer in den oberen Machtetagen in Angst und Schrecken versetzte und alle Neurosen eines Volkes zum Vorschein brachte, das aus Entrüstung und Apathie nach noch mehr Sitte und Moral rief, und sie wäre sicherlich niemals die respektable Intellektuelle geworden, die viele Jahre später eben diesem Bill Clinton anlässlich der Veröffentlichung seiner Memoiren bei einem Essen begegnete und ihn unverblümt fragte: »Mister Clinton, warum haben Sie sich für dieses demütigende Sündenbekenntnis hergegeben und sich vor Ihre Frau und Ihre Tochter gestellt, ohne auch nur ein Wort des Mitgefühls für Monica Lewinsky zu verlieren, deren Privatleben durch den Dreck gezogen wurde?« Clinton hatte die Frage mit einer Handbewegung vom Tisch gewischt und mit geheuchelter Distanziertheit zurückgefragt: »Und wer bitte sind Sie?« Er erinnerte sich nicht an sie, was ganz normal war, denn ihr Kontakt lag zwanzig Jahre zurück, und wenn er ihr, die man an ihrem präraffaelisch anmutenden rotblonden Haar leicht wiedererkannte, damals in den Fluren des Weißen Hauses begegnet war, hatte er nie das Wort an sie gerichtet – ein Präsident hatte keinen Grund, mit einer Praktikantin zu reden, es sei denn, er hatte Lust, sie zu ficken.

Es war einundzwanzig Jahre her, 1995, dass sie zu dritt das Weiße Haus betreten hatten, dank vorzüglicher Schulzeugnisse und zahlreicher Empfehlungen. Die erste, Monica Lewinsky, funkelte mit fünfundzwanzig für kurze Zeit meteoritengleich am internationalen Medienhimmel, wobei ihre einzigen Großtaten in einer Fellatio und einem erotischen Spiel mit einer Zigarre bestanden. Die zweite und jüngste, Huma Abedin, eine junge Frau pakistanisch-indischer Abstammung, deren Vater das Institut für Angelegenheiten muslimischer Minderheiten gegründet hatte, war Hillary Clintons Büro zugewiesen worden und im Lauf von gut zehn Jahren deren engste Mitarbeiterin geworden. Die First Lady verriet ihre große Zuneigung sogar durch einen Satz, den sie bei der Hochzeit ihres Schützlings mit dem demokratischen Kongressabgeordneten Anthony Weiner äußerte: »Hätte ich eine zweite Tochter, wäre es Huma.« Sie hatte Huma unterstützt, als der frischgebackene Ehemann ein Jahr später irrtümlich auf Twitter Fotos von sich selbst in anzüglichen Posen veröffentlichte, mit nacktem Oberkörper und deutlich ausgebeulter Unterhose, die mehr zeigte als verbarg. Sie war da gewesen, als der flatterhafte Ehemann erotische Textnachrichten an eine Minderjährige schickte, während er sich gleichzeitig um eine Nominierung für die Demokraten bei der Wahl zum Bürgermeister der Stadt New York bewarb. Einer der aussichtsreichsten jungen Politiker! Trotz warnender Stimmen, die Huma Abedins Entlassung forderten, weil sie Gift für ihre politische Karriere sei, hatte Hillary Clinton, zu jener Zeit demokratische Präsidentschaftskandidatin, an ihr festgehalten. Willkommen im Club der betrogenen, aber stets würdevollen Gattinnen, der Hohepriesterinnen des amerikanischen Pokerface: Lächelt, ihr werdet gefilmt.

Als Einzige aus dem ehrgeizigen Praktikantinnen-Trio war Claire Davis-Farel noch jedem Skandal aus dem Weg gegangen, Tochter des Juristen und Harvard-Professors Dan Davis und der Englisch-Übersetzerin Marie Coulier, einer Französin. Die Familienlegende besagte, dass ihre Eltern sich vor der Sorbonne begegnet waren und nach einer mehrmonatigen Fernbeziehung in den USA geheiratet hatten, in einem Vorort von Washington, wo sie anschließend ein ruhiges, eintöniges Leben führten. Marie hatte auf all ihre Träume von einem emanzipierten Dasein verzichtet, um sich ganz ihrer Tochter zu widmen, und war das geworden, was sie nie hatte werden wollen, eine Hausfrau, deren einzige Sorge darin bestand, die Pille nicht zu vergessen; sie hatte die Mutterschaft als Entfremdung erlebt, für so etwas war sie nicht geschaffen, sie war nicht urplötzlich von mütterlichen Gefühlen überwältigt worden, die Geburt hatte sie sogar in eine tiefe Depression gestürzt, und hätte ihr Mann ihr nicht ein paar Übersetzungsaufträge verschafft, hätte sie ihr Leben im Nebel von Antidepressiva beschlossen, sie hätte ein künstliches Lächeln aufgesetzt und aller Welt beteuert, ihr Leben sei fantastisch, sie sei als Mutter und Ehefrau wunschlos glücklich, und eines Tages hätte sie sich im Keller ihres kleinen Bungalows in Friendship Heights erhängt. Stattdessen hatte sie nach und nach wieder angefangen zu arbeiten und sich neun Jahre nach der Geburt ihrer Tochter Hals über Kopf in einen englischen Mediziner verliebt, für den sie bei einem Kongress in Paris übersetzte. Sie hatte Mann und Tochter praktisch über Nacht in einer Art Liebeswahn verlassen und war zu diesem Unbekannten nach London gezogen, doch nach acht Monaten, in denen sie ihre Tochter nur zwei Mal gesehen hatte, setzte der Mann sie vor die Tür mit dem Argument, sie sei »unerträglich und hysterisch«. Ende der Geschichte. Die nächsten dreißig Jahre versuchte sie zu rechtfertigen, was sie ihre »geistige Verwirrung« nannte; sie sei, erklärte sie, einem »perversen Narzissten« zum Opfer gefallen. Die Realität war nüchterner und weniger romantisch: Sie hatte eine sexuelle Leidenschaft erlebt, die keinen Bestand gehabt hatte.

Claire lebte bei ihrem Vater in Cambridge, Massachusetts, bis dieser in sehr kurzer Zeit an einem aggressiven Krebsleiden starb – da war sie gerade dreizehn. Danach zog sie zu ihrer Mutter nach Frankreich, in ein kleines Bergdorf in der Nähe von Grenoble. Marie arbeitete halbtags für französische Verlage und widmete sich fortan, um »die verlorene Zeit nachzuholen und ihren Fehler wettzumachen« mit verdächtiger Hingabe der Erziehung ihrer Tochter. Sie brachte ihr mehrere Sprachen bei, lehrte sie Literatur und Philosophie, und ohne sie wäre Claire womöglich nicht die bekannte Essayistin und Autorin geworden, deren viertes von sechs Büchern, Die Macht der Frauen, das sie mit vierunddreißig verfasste, die Kritik in Begeisterung versetzte. Claire studierte erst an der Pariser ENS, anschließend in New York an der Philosophischen Fakultät der Columbia University. Dort knüpfte sie Kontakt zu alten Bekannten ihres Vaters, die ihr halfen, das Praktikum im Weißen Haus zu ergattern. In dieser Zeit lernte sie in Washington bei gemeinsamen Freunden den berühmten französischen Politikjournalisten Jean Farel kennen, der ihr Ehemann werden sollte. Der siebenundzwanzig Jahre ältere Star des öffentlich-rechtlichen Fernsehens war frisch geschieden und stand auf dem Höhepunkt seines Medienruhms. Neben einer großen Politshow, die er moderierte und produzierte, führte er täglich zwischen 8 und 8 Uhr 20 ein...

Erscheint lt. Verlag 3.8.2020
Übersetzer Maja Ueberle-Pfaff
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bücher für die Coronavirus Zeit • Bücher für die Coronazeit • Bücher für die Covid19 Zeit • das Lesen geht weiter • Die Gierigen • Diskriminierung • Einfluss • Feminismus • Frankreich • für Social Distancing • gegen Langeweile • gesellschaftlicher Aufstieg • Gesellschaftsroman • Goncourt • Houellebecq • Internationale Literatur • Leistung • Lesen in der Coronakrise • Lesen in der Covid19-Krise • Lesen in Karantäne • Lesen in Quarantäne • Lesen während Shutdown • lieber Buch als Coronavirus • Lieber Buch als Covid19 • lieber Bücher als Corona • Literatur • Macht • Medialisierung • #metoo • metoo • Metoo-Debatte • Mit Buch in Karantäne • mit Buch in Quarantäne • Paris • Prix Goncourt • Respektlosigkeit • Sexuelle Gewalt • Sexuelle Übergriffe • Slimani • stanford • Stanford Affäre • Vergewaltigung • Weinstein • Weinstein Affäre • Zeit der Ruhelosen • Zeitgeist
ISBN-10 3-8437-2276-5 / 3843722765
ISBN-13 978-3-8437-2276-6 / 9783843722766
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