10 Strand Krimis: Morde, die du nicht vergisst: (eBook)
800 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-3851-7 (ISBN)
Samstag, 23. Oktober
Kriminalreporter Prewitt hob die Brauen und fragte: »Was hat das FBI mit der Mordsache Dellaware zu tun? Gibt es etwas, was mir mein Spürnäschen noch nicht verraten hat, ich aber wissen sollte?«
Ich ließ alles offen, indem ich ihn damit abspeiste, dass nichts von dem, worin wir momentan stöberten, spruchreif war. Für die Öffentlichkeit schon gar nicht. Ich sagte es höflich, da ich Prewitt gut genug kannte, um ihn als verantwortungsbewussten Vertreter seiner Zunft einschätzen zu können. Wir kamen in der Regel gut miteinander aus. Nicht selten hatte er uns hilfreiche Tipps zugespielt, woran wir auch in diesem Fall interessiert waren.
Leland Reinard, der Leiter unserer Presseabteilung, hatte uns darauf aufmerksam gemacht, dass die informationsträchtigsten Zeitungsberichte im spektakulären Mordfall Faye Dellaware aus der Feder unseres alten Bekannten stammten.
Was lag näher, als sich an ihn zu wenden, noch ehe wir uns, wie üblich, mit der Mordkommission der City Police um Zuständigkeiten streiten mussten.
Wir hatten uns privat bei ihm zu Hause angemeldet, und es war ein Glücksfall, ihn überhaupt anzutreffen. Manche verglichen ihn mit einem Nomaden. Er wechselte seinen Wohnsitz innerhalb der Stadtgrenzen ungefähr so häufig wie andere ihre Kreditkarten. Die Umtriebigkeit, die ihn im Beruf auszeichnete, ließ ihn offenbar auch privat nicht ruhen.
»Womit kann ich dienen?«
Milo spielte mit der klapprigen alten Schreibmaschine, die Prewitts Schreibtisch wie ein dekoratives Museumsstück zierte. Das eingespannte Blatt Papier, bereits halb vollgeschrieben, bewies jedoch die volle Funktionstüchtigkeit. Im Zeitalter der Schreibcomputer, Laptops und Notebooks schien Prewitt einer der letzten Dinosaurier mit Hang zum Traditionellen zu sein. Ein konservativer Mann mit Prinzipien, Old Neville in unserem Archiv wesensverwandt, nur merklich jünger.
»Du warst in der Wohnung des Opfers«, sagte ich. »Du hast sie persönlich direkt nach der Tat gesehen. Damit bist du uns weit voraus. Wir können uns günstigenfalls noch in der Gerichtsmedizin einen vagen Eindruck verschaffen.«
»Das kann man nicht vergleichen.« Prewitt nickte und nippte an einer Tasse, in der sich nach eigenen Angaben Kaffee befinden sollte. Er hatte uns davon angeboten, aber über das Probieren waren wir nicht hinausgekommen. Das Zeug schmeckte einfach grässlich.
»Eben«, nickte ich. »Erzähle uns einfach, welche Eindrücke du hattest.«
»Und ihr wollt mir nicht mal andeuten, was euch die Sache angeht?« Milo und ich schüttelten einträchtig die Köpfe. Ein anderer hätte danach auf stur geschaltet. Prewitt kannte die Spielregeln und sprudelte los.
»Eine wirklich verrückte Geschichte: Das Opfer, Faye Dellaware, war nach Angaben der Mitbewohner des Hauses eine ruhige, unauffällige, kleine Bankangestellte, die bis vor Kurzem nie aus der Rolle fiel.«
Wir hatten Andeutungen darüber aus seinem Artikel entnommen und nickten auffordernd.
Prewitt warf einen Blick auf den kauzigen Kalender mit Karikaturen stadtbekannter Persönlichkeiten über seinem Schreibtisch. »Vor einer Woche«, fuhr er fort, »in der Nacht von Freitag auf Samstag, muss sie ein höchst schockierendes Erlebnis gehabt haben. Das ganze Haus wurde aus dem Schlaf gerissen. Der Hauslift mit ihr allein als Passagier blieb etwa um Mitternacht zwischen zwei Etagen stecken. Nachdem man ihre Schreie gehört und sie befreit hatte, verlangte sie nach der Polizei und behauptete felsenfest, während ihres Zwangsaufenthaltes im Aufzug von einer unbekannten Stimme bedroht worden zu sein. Zumindest empfand sie die Flüsterungen als Drohungen.«
»Davon stand nichts in den Berichten«, sagte Milo. »Worum ging es dabei?«
Prewitt lächelte. »Das brachte sie nicht mehr so genau auf die Reihe. Jemand behauptete wohl, nach ihr gesucht und sie nun endlich gefunden zu haben. In völliger Dunkelheit – es herrschte Stromausfall – und eingeschlossen in zwei Quadratmetern kann man schon mal der Panik verfallen und halluzinieren – sollte man meinen.«
»Sollte man meinen?« Ich sah ihn fragend an.
Er nickte. »Die herbeizitierten Cops sahen das Ganze offenbar auch so. Sie waren vom zweiundsiebzigsten Revier. Der Umgang mit ihrem Dienststellenleiter O’Conners scheint ihrer Phantasie nicht gerade zuträglich gewesen zu sein. Sie zogen nicht einmal in Betracht, dass es die Stimme tatsächlich gegeben haben könnte. Nun, hinterher ist man immer schlauer. Der tags drauf geschehene Mord wirft wohl ein anderes Licht darauf.«
Da wir Captain O’Conners gut kannten, stellten wir keine Zwischenfragen. Das 72. Revier war fest in irischer Hand und damit ein Völkchen für sich.
»Erklärend muss man sagen, dass Faye Dellaware in dieser Nacht nicht als Frau aus dem Aufzug stiefelte. Aber das müsstet ihr inzwischen wissen. Sie war als Mann verkleidet. Die Zeugenaussagen stimmen in diesem Punkt alle überein. Und auch als man sie ermordet auffand, war sie wieder als ganzer Kerl gestylt.«
»Sie war demnach ein Transvestit?«, fragte ich.
»So genau konnte das bislang nicht in Erfahrung gebracht werden. Zumindest nicht von mir. Es gibt da eine Freundin, die es wissen müsste, aber die hat jede Stellungnahme gegenüber der Presse verweigert.«
»Sah sie wirklich so übel zugerichtet aus, wie das Protokoll es behauptet?«, fragte Milo.
»Übler«, erwiderte Prewitt. Er zündete sich eine Zigarette an und bot uns auch welche an. Milo lehnte ab, ich nahm an.
Während der Rauch das Zimmer füllte, schilderte uns der Reporter, was er unter »übler« verstand. Demnach hatte Faye Dellawares Mörder ihr zunächst mit einem scharfen Gegenstand – vermutlich einem Rasiermesser – die Kehle durchschnitten, dann das Gesicht systematisch verstümmelt. Nur das Gesicht. Der sonstige Körper wies keinerlei Verletzungen auf.
»Ging sie heimlich auf den Strich?«, fragte Milo.
»Darüber scheiden sich die Geister. Stichhaltige Beweise liegen nicht vor. Aber ein geistesgestörter Freier wäre natürlich eine elegante Lösung. Glaubte ich bisher jedenfalls. Nun, da ihr euch dafür engagiert, sehe ich das etwas anders.«
»Geheimnisse lieber noch nicht zu viel hinein«, riet ich ihm. »Am Ende wärst du enttäuscht. Wir stehen selbst noch ganz am Anfang.«
»Und ihr wollt mich wirklich am ausgestreckten Arm verhungern lassen?« Prewitt entkräftete mit einem Lächeln selbst seine Mitleidstour. »Nicht mal ein klitzekleiner Tipp?«
Wir ließen uns weder blenden noch erweichen. Nachdem wir die Fakten aus dem Protokoll noch einmal mit ihm durchgegangen waren und wenig neue Erkenntnisse gewonnen hatten, verabschiedeten wir uns und wollten weiter zur Police Plaza 226 fahren, wo die City Police ihre Fäden zog.
Doch als Prewitt uns zur Tür brachte und aufmachte, fiel ein Schuss, der ihn tief in die Wohnung zurückstieß und mit einem dumpfen Laut gegen die Kommode krachen ließ. Mit ausgebreiteten Armen glitt er an der Wand zu Boden und hinterließ eine blutige Spur.
Das Blut ahnte ich mehr, als ich es sah, denn ich war bereits unterwegs. Als eingespieltes Team brauchten Milo und ich keine langen Absprachen. Ein kurzer Blickwechsel genügte. Milo blieb zurück, um sich um Prewitt zu kümmern und die Ambulanz zu verständigen.
Als er sich über den Kriminalreporter beugte, spuckte meine Waffe schon heißes Blei. Dort, wo durch ein Fenster einfallende Sonnenstrahlen auf stumpfem Metall reflektierten, wurde ein Lauf neu ausgerichtet. Diesmal war ich das erklärte Ziel. Aber ich kam dem Schützen zuvor. Meine Kugel klatschte in den Unterputz des Treppenaufgangs und riss einen Batzen heraus.
Der Schatten hatte dort in gebückter Haltung, die Waffe im Combatanschlag, gelauert. Er zuckte nun zurück und hechelte fluchend höher.
Das Echo meines Schusses hallte geisterhaft durch das Treppenhaus des Apartmentblocks. Irgendwo klang Babygeschrei auf. Eine Frauenstimme sprach beruhigend auf das Kind ein, hart an der Grenze eigener Panik.
Ich spurtete hinterher, ohne meine Vorsicht zu vernachlässigen.
Über mir hörte ich fliehende Schritte.
Richtung Dach!
Prewitt wohnte in einem dieser vielstöckigen Apartmenthäuser, wie auch Milo und ich. Spätestens oben auf dem Flachdach musste der Heckenschütze scheitern. Es sei denn, er wäre Spiderman oder konnte fliegen.
In der fünften oder sechsten Etage hörte das Schrittgeräusch plötzlich auf. Der Kerl war stehengeblieben. Ich hielt ebenfalls inne und bewegte mich danach nur noch zeitlupenhaft voran.
Ich war klar im Nachteil.
Wenn mein Gegner auch nur durchschnittlich mit der Waffe umgehen konnte – und er konnte mehr, sein Schuss auf Prewitt hatte es hinlänglich bewiesen –, würde er problemlos ein Tontaubenschießen auf mich veranstalten können. Er brauchte nur auf mich zu warten. Selbst wenn er keine Möglichkeit zum Nachladen hatte, verfügte er...
Erscheint lt. Verlag | 21.3.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7389-3851-6 / 3738938516 |
ISBN-13 | 978-3-7389-3851-7 / 9783738938517 |
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