Späte Entscheidungen (eBook)
CCLI Seiten
BookRix (Verlag)
978-3-7487-3221-1 (ISBN)
2018
Katja
Hey, was für eine Spelunke!
Zögerlich betrat Katja die Bar, die schon von außen keinen 1-a-Eindruck gemacht hatte. Zigarettenqualm und Stimmengewirr waberten ihr entgegen. Wegen der funzeligen Beleuchtung hatte sie Mühe, sich zurechtzufinden, im Besonderen, IHN zu finden. Im vorderen Bereich gab es etliche Stehtische, im hinteren Sitznischen, die aber alle schon besetzt waren. IHN konnte sie allerdings nirgends entdecken. Nur ein kleiner Tisch mit zwei gegenüberstehenden Stühlen war noch frei, auf dem ein Reserviert-Schild stand. Ob Chris vielleicht …?! Wie ist er nur auf diese Pinte gekommen?
Katja fühlte sich gemustert von neugierigen Männeraugen sowie einigen aufreizend gekleideten Geschlechtsgenossinnen, deren Blicke ihr auf dem Weg zum Tresen folgten. Offenbar wähnten sie ihren Status in Gefahr, doch Himmel, nein! Sie mussten sich keinerlei Gedanken machen, denn Katja scherte sich weder um die einen noch um die anderen. Von Geschichten und Miseren hatte sie im Augenblick genug, das stand ihr bis Oberkante Unterlippe.
Warum gerade hier?!, fragte sie sich neuerlich, während sie einen Thekenhocker mit verschlissenem Ledersitz erkletterte, erschöpft vom langen Tag, der ermüdenden Autofahrt und den Leuten, mit denen sie hatte sprechen müssen.
Von Mal zu Mal kostete es Katja mehr Kraft, sich nicht an all diesen menschlichen Schicksalen zu zerreiben. Sie fühlte sich total groggy und der Gedanke, dass es von hier aus nochmal gute zwanzig Kilometer bis nach Hause waren, ließ sie aufseufzen. Mann!
Ich hoffe, du hast ein gutes Argument, Chris, und nicht nur das in deiner Hose!, dachte Katja und musste unwillkürlich schmunzeln. Wobei ihr heute eigentlich gar nicht mehr danach war. Oder etwa doch? Weil das Kribbeln zwischen ihren Beinen, das unversehens da war, dies ganz anders sah?! Das letzte Mal, viel zu lange her! Womöglich war sie deshalb noch nicht gleich nach Hause gefahren, weil seine Nachricht … seine Bitte … sein Versprechen … sie hergelockt hatte. Und elektrisiert.
Da wohnt ein Sehnen tief in mir …
Katja bestellte einen Espresso und irgendjemand setzte die Musikbox in Gang. Jenes monophonische Teil dort hinten in der Ecke, beinahe schon antik, aber auch verdammt cool. Wenn man feste draufhaute, hörte sogar das Rauschen auf. Für ein paar Takte.
Ein Song erklang, den Katja gerne hörte, Simply falling. Iyeoka Okowawo. Und auf irgendeine Weise glückte es ihm, dem angestaubten Ambiente dieser Kneipe etwas Besonderes zu geben. An und für sich war’s hier ja gar nicht so übel, bloß, was zum Rauchen hätte man dabeihaben müssen.
I'm taking time to envision where your heart is
And justify why you're gone for the moment …(2)
Katja seufzte unwillkürlich, während sie dahockte und wartete. Ihre Augen brannten wegen des schwelenden Rauches, vielleicht lag’s auch ein bisschen an der Musik. Und sie hätte jetzt wirklich gerne eine Zigarette gehabt. Zu dem Espresso, den sie sich bestellte. Aber sie kaufte sich schon länger keine Kippen mehr, weil sie der Versuchung nicht immer widerstehen konnte. Stattdessen stellte der Barkeeper neben den kleinen Wachmacher mit haselnussbrauner Schaumschicht noch einen Caipirinha ab. „Von dem da!“ Er deutete auf einen jungen Mann, der an der Jukebox lehnte.
„Donnizetti, Winnetou!“, entfuhr es Katja und der Barmann grinste. „Wollen Sie den Drink annehmen?“
Sollte sie? Schließlich war sie mit Chris verabredet, doch der verspätete sich bereits um eine gute halbe Stunde. Nicht zum ersten Mal!
Katja prostete dem edlen Spender zu, was er ihr gleich nachmachte. Und dabei so unverschämt charmant lächelte, als er langsam auf sie zu schlenderte. Ein hübscher Kerl mit längeren dunklen Haaren, viel zu langen Haaren als das, worauf sie eigentlich stand. Schätzungsweise um die Dreißig, eher drunter, strenggenommen absolut nichts für Katja, die in einigen Monaten ein halbes Jahrhundert alt werden würde. Dennoch fühlte sie sich geschmeichelt. Logisch!
„Freut mich, dass du meinen Drink angenommen hast, schöne fremde Frau.“
Und Katja rollte innerlich mit den Augen. Er würde doch nicht auch nur so ein stupider Aufreißer sein?
„Ich sehe es an deiner Miene, irgendwas stört dich“, grinste er und interpretierte ihr Innehalten anscheinend ganz richtig. „Die schöne fremde Frau etwa?“
Doch er wusste sich zu rechtfertigen: „Glaubst du, uns Männern fällt das immer so leicht, jemanden anzusprechen, ganz besonders eine schöne fremde Frau?! Also komm, sei nicht kratzbürstig! Cheers!“
Na, der ist ja flockig!, huschte Katja durch den Kopf, duzt auch gleich drauflos.
Eigentlich mochte sie es nicht, derart angesprochen zu werden. Zumindest nicht mehr. Früher, ja, früher, da war vieles anders gewesen, selbst das Kokettieren. Heute empfand sie es manchmal nervig. Sinnfreies Bebalzen. Aber just in diesem Moment gefiel es ihr doch. Irgendwie. Dieser Kerl gefiel ihr und vor allem seine offene, entwaffnende Art. Gott ja, er war schon süß. Irgendwie.
„Na dann, Cheers!" Sie sah ihn an, hob ihr Glas und blickte auf seins. „Und du trinkst Kribbelwasser?“
Der nette Bursche mit dem Wasserglas in der Hand hob neuerlich in seiner so verflixt anziehenden Manier die Mundwinkel an. „Ich muss noch fahren.“
„Taxi?“
„So ähnlich, meine Schwester abholen, sobald sie anruft, falls sie anruft.“
„Ah!“
„Oh!“
„Was?!“
„Du sprichst nicht gern in ganzen Sätzen?“, fragte er mit einem Augenzwinkern und Katja schmunzelte: „Hhm!“
War es das schelmische Blitzen in seinen dunklen Augen oder der Zug um seinen Mund, der mehr Reife erkennen ließ, als man es bei einem so jungen Mann vermutete, was ihr so sympathisch war an ihm?
„Oh, Lady, sag mir, dass ich mich nicht getäuscht habe!“
„Worin?“
„In dir!“
„Kommt ganz drauf an, was du von mir willst?!“
„Halleluja! Sie redet!“ Er fuchtelte mit gefalteten Händen derart melodramatisch umher, dass Katja gar nicht anders konnte, als herzlich zu lachen. Dann klopfte sie auf den freien Barhocker neben sich und blickte ihn auffordernd an.
„Na endlich!“ Behände wie ein Äffchen kletterte er hoch. „So habe ich mir das gedacht.“
„Soso …“
„Kannst mir ruhig glauben! Nur ein bisschen neben dir sitzen und zugucken, wie du meinen Caipirinha schlürfst.“
„Das ist alles?“
„Abwarten und …“
„Wasser trinken!“, lachte sie.
„Haha, ja! Also nochmal, Cheers!“
„Prösterchen!“
„Was machst du hier so allein?“, wollte er wissen.
„Warten.“
„Warten?“
„Ja, warten!“
„Das Warten vertreibt die Zeit!“, zitierte er.(3)
„Dolle Weisheit! Von dir?“
„Ne, ein Zitat, ich weiß grad nicht von wem. Passt aber doch, oder?“
„Und du willst jetzt die Zeit mit mir zum Teufel jagen?“
„Lass uns lieber gen Himmel fliegen, Lady. Mit der Hölle hab ich schon mehr als genug zu tun.
„Was du nicht sagst!“
„Ich bin Sozialarbeiter.“
„Ah, okay.“
„Ein guter Job“, fuhr er ungefragt weiter, „der Beste!“ Und es klang ziemlich tiefgründig, als er noch hinzufügte: „Aber manchmal auch der Schlimmste.“
Katja ahnte, wovon er sprach. Denn genau das war ihr dieser Tage mehr als einmal bewusst geworden. Ihn dies wissenzulassen, dazu hatte sie jedoch wenig Lust. Er war ja nur ein Fremder, der ein Weilchen Zeit mit ihr verquatschte.
Wo bleibst du, Chris?
Sie nippte am Caipirinha, während sie den smarten Burschen musterte, der neben ihr saß, Hocker an Hocker, und dessen Augen so dunkel waren, dass man sich glatt darin verlieren könnte.
„Danke übrigens für den Drink!“
„Gern geschehen. Mir war so, als ob die hübsche, einsame Lady an der Bar so einen jetzt vertragen könnte.“
„Alleinsein hat nicht zwangsläufig mit Einsamkeit zu tun“, entgegnete sie trocken. „Aber okay, erzähl doch mal, warum hängst du hier ab? Ist ja nicht gerade Kulturschickeria.“
Weil seine kleine Schwester ihr Abi bestanden hatte und am Feiern war, wie er darlegte. Irgendwann würde sie anrufen, auf dass er sie abholen solle.
„Ich wohne gleich gegenüber. Deshalb bin ich öfter hier auf ῾nen Feierabenddrink. Ist doch ne῾ gemütliche Kneipe, oder nicht?! Man kann ein bisschen abhängen und trifft immer wen zum Quatschen.“
Auch zur Ablenkung, wenn’s nötig war, ja, auch das.
„Außerdem gefällt mir der alte Kasten“, lachte er und deutete auf die Jukebox. Ab und zu habe er halt so seine Momente, und dann war diese Bar genau...
Erscheint lt. Verlag | 19.3.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | 2020 • Belletristik • Beziehungen • Drama • Dramatische • dramatische Romane • Frauenromane • für Frauen • Konflikte • Liebe • Neuerscheinungen • Neuheiten • Romane • Vergangenheit |
ISBN-10 | 3-7487-3221-X / 374873221X |
ISBN-13 | 978-3-7487-3221-1 / 9783748732211 |
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