Einigkeit, Unrecht und Freiheit (eBook)

Band 3 Freiheit
eBook Download: EPUB
2020 | 2. Auflage
240 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7504-5933-5 (ISBN)

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Einigkeit, Unrecht und Freiheit -  Franz Fricker
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Im April 1945 erwacht Franz Fricker im französisch besetzten Ochsenhausen. Sein Haus wird bereits von fremden Soldaten bewohnt und es gibt standrechtliche Erschießungen. Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht übernehmen überall in den vier Besatzungszonen alliierte Militärregierungen die Regierungsgewalt. Es weht ein anderer Wind als nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, denn die Sieger wollen ernst machen: Nie wieder sollen die Deutschen einen Weltkrieg entfesseln. Diesen Plan bekommt Franz am eigenen Leib zu spüren, denn als NSDAP-Blockleiter ist er Teil von Hitlers Unrechtsstaat gewesen. Die Not der Nachkriegsjahre trifft auch das ländliche Oberschwaben, bis die neue Demokratie und die Wirtschaftswunderjahre Arbeit und Wohlstand bringen. Freiheit ist der bestimmende Gedanke jener Jahre und im Kalten Krieg gilt es diese Freiheit zu verteidigen. Als Franz' Familie im Streit zu zerbrechen droht, muss er handeln... Der dritte Band von "Einigkeit, Unrecht und Freiheit" erzählt Franz Frickers Lebensgeschichte zwischen 1945 und 1967.

Hinter dem Pseudonym Franz Fricker verbirgt sich der Geschichtslehrer Frank Heckelsmüller, der in seiner historisch-biografischen Romanreihe "Einigkeit, Unrecht und Freiheit" das Leben seines Großvaters aus dessen Perspektive nachzeichnet und mit den großen Linien deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert verknüpft. Frank Heckelsmüller bezeichnet sich im Vorwort zu Band 1 als "helfende Hand", die auf der Grundlage von Briefen, Dokumenten, Fotografien und Tagebuchaufzeichnungen "hier und da mithilfe erzählerischer Freiheit" die bewegte Lebensgeschichte von Franz Fricker aufgeschrieben habe. "Eine helfende Hand kann aber nicht in Anspruch nehmen, Autor dieser Geschichte zu sein. Der Autor dieser Geschichte ist derjenige, der dieses Leben gelebt hat: Franz Fricker."

Ochsenhausen im Frühjahr 1945


FREIHEIT ist, wenn die Luft dir die Lunge mit Atem füllt, wenn das betäubende Braun vor deinen Augen dem labenden Licht weicht, wenn die Ohren sich öffnen und das dumpfe Dröhnen den klaren Klängen aus menschlichem Munde Platz macht.

Es war Freitag, der 27. April 1945, und ich lag auf dem großen Tisch des Sitzungssaals im Ochsenhauser Rathaus, wo all die Jahre die Entscheidungen für unseren Marktflecken getroffen worden waren. Seit 1933 hatten sich hier fast ausschließlich NSDAP-Männer versammelt und die Geschicke der Gemeinde im Sinne des Führers geleitet – zunächst mit dem letzten gewählten Gemeindeoberhaupt, dem alten Zentrumsbürgermeister Eh, dann mit dem vom Stuttgarter Innenministerium eingesetzten Mohn und schließlich unter SA-Standartenführer Deininger.

Als ich die Augen öffnete, war keiner meiner Parteigenossen mehr zu sehen. Sie saßen – so war mir eben wieder eingefallen – unten in der engen Arrestzelle und harrten der Dinge, die auf sie zukommen würden. Mich hingegen hatte man hier heraufgetragen, nachdem ich am Abend zuvor in jenem stickigen Gefängnis atemlos und ohnmächtig zusammengesunken war. Nun war es wieder Tag. Ein Sanitäter in fremder Uniform stand am Tisch und tupfte mir, dem 55-jährigen Patienten, mit einem feuchten Tuch die Stirn, während ein angenehm kühler Wind durch die gerade geöffneten Fenster streifte. Ich lag auf dem Rücken, weshalb mir die schöne Stuckdecke auffiel, die sich über den Ratssaal spannte.

Die Tür ging auf, und ein Soldat mit braun gegerbtem Gesicht trat ein. Er wechselte ein paar französische Sätze mit dem Sanitäter und wandte sich schließlich zu mir:

Der Sitzungssaal des Ochsenhauser Rathauses im Einsatz für eine Kleidersammlung des NS-Winterhilfswerks. Rottum-Bote, 11. Dezember 1934.

„Du mitkommen, nach Hause zu Frau.“ Unterstützt vom Sanitäter setzte ich mich auf und verweilte noch ein paar Sekunden benommen auf dem Tisch, ehe ich festen Boden unter den Füßen hatte und mich auf dem Nachhauseweg wiederfand.

Als ich durch unsere Haustür in die Küche trat, staunte ich nicht schlecht, dass ich dort einen weiß beschürzten schwarzen Mann an Senzes Herd stehen und in einem Kochtopf rühren sah. Mit seinen großen dunklen Augen blickte er kurz auf, nickte mir trocken zu und widmete sich gleich wieder wie selbstverständlich seiner Arbeit. Es roch nach dicker Fleischbrühe.

Mein Begleiter schob mich wenig zimperlich in die Stube, wo Senze neben einem feinen, schnurrbärtigen Herrn in Uniform saß. Die beiden Franzosen salutierten kurz. Senze stand von ihrem Stuhl auf und drückte mich ein paar Sekunden lang fest an sich. Wir sahen uns tief in die Augen und man ließ uns gewähren, bis uns ein Stöhnen aus unserer Zweisamkeit herausriss. Es war aus Richtung des Sofas gekommen, das um die Ecke beim Geschäftsschreibtisch stand, und meine Füße trugen mich wie von selbst dorthin, denn irgendwie spürte ich, dass es unsere 14-jährige Tochter Hildegard war, die dort lag. Sie hatte schon vor einigen Tagen, als ich noch dagewesen war, ein paar rötliche Stellen im Gesicht gehabt, doch jetzt war ihre linke Gesichtshälfte fast vollständig mit einem krebsroten Ausschlag bedeckt und sie sah mitgenommen aus. Ich setzte mich zu ihr und hielt ihre Hand. „Vater, ich hab eine Gesichtsrose“, sagte sie, während ihr eine Träne aus dem halb geschlossenen Auge glitt. Ich tröstete sie einen Moment lang. Als wir uns wieder losließen, zeigte sie mir eine Tafel Schokolade, die sie von unseren „Gästen“ bekommen und von der sie erst ein kleines Stück abgebrochen hatte. Sie fand Kraft für ein Lächeln und ich strich meinem tapferen Mädchen über die rechte Wange.

„Gottseidank bist du wieder da!“, flüsterte mir Senze ins Ohr, als sie sich hinter mir stehend über meine Schulter beugte. Für einen winzigen Moment hatten ihre Lippen dabei mein Ohrläppchen berührt und mir eine Gänsehaut beschert. Ein kurzer Blick in ihre Augen genügte, um zu sehen, wie unangenehm ihr die ganze Situation mit den Franzosen im Haus war.

Man bot mir einen Sitzplatz an. Der feine Herr, offensichtlich ein Offizier, schätzungsweise um die 40 Jahre, sagte etwas auf Französisch, gab mir die Hand und bedeutete Senze, sie solle mir erklären, was Sache war. Sie erzählte, dass der Offizier, sein tunesischer Bursche und der schwarzafrikanische Koch jetzt bei uns wohnten. Der Offizier habe sich deshalb für meine Freilassung eingesetzt. Ich nickte dankend zu ihm hinüber und bereute, dass ich ihn zuerst kaum beachtet hatte. Der Tunesier goss mir frisch aufgebrühten Bohnenkaffee in meine Tasse. Den konnte ich jetzt wahrlich brauchen. Er war tiefschwarz und ungewohnt stark – keine dünne Waschbrühe aus Ersatzstoffen, die man erst mit Zichorie, die wir auf Schwäbisch „Mode“ nannten, einfärben musste, um wenigstens dem Auge einen lächerlichen Abklatsch echten Kaffees vorzugaukeln. Auch ein paar trockene Kekse wurden zu mir herübergeschoben. Ich tunkte sie in den Kaffee und ließ sie mir anschließend auf der Zunge zergehen. Es schmeckte köstlich.

Später waren Senze und ich ein paar Minuten allein und ich fragte sie, wo unsere anderen Töchter waren. Weder Mathilde, noch Hedwig, Gretl oder Maria hatte ich, seit ich zurück war, zu Gesicht bekommen. Wie ich erfuhr, war Mathilde auf ihrem Hof in der alten Biberacher Straße. Ludwig, ihr polnischer Fremdarbeiter, hatte in ihrer Hofeinfahrt ein bereits vom Volkssturm zur Verteidigung ausgehobenes Loch kurz vor Ankunft der Franzosen mit Gülle gefüllt. Dadurch hatte er verhindert, dass es dort zu Kämpfen kommen konnte, wie es später beim Beschuss des Gasthofs „Hirsch“ tatsächlich geschah. Zum Glück hatte Ludwig sein Leben riskiert, um meine älteste Tochter und ihren Hof zu retten. Der Volkssturm-Trupp, der sich dort auf die Lauer legen sollte, war in Anbetracht der geschaffenen Tatsachen zum nahegelegenen Säuweiher marschiert, hatte Gewehre und Munition darin versenkt und war dann von seinem Kommandanten nach Hause geschickt worden. Danken konnten wir Ludwig für seine Rettungstat leider nicht, denn er war wie viele andere Fremdarbeiter aus dem Osten mittlerweile verschwunden. Wie man sich später erzählte, hatten einige von ihnen sich in den umliegenden Wäldern Waffen besorgt, die Wehrmacht und Volkssturm weggeworfen hatten, zogen durch die Gegend und holten sich auf den Höfen, was sie brauchten.

Senze verriet mir nun, dass sie unsere anderen Mädchen auf dem Dachboden versteckt hielt – man hätte ja anfangs nicht wissen können, was die Besatzungssoldaten alles mit ihnen anstellen würden. Nun, da die Franzosen jedoch bei uns im Haus wohnten, war das Geheimnis nicht länger zu bewahren, sollten die drei nicht dort oben verhungern. Also gab ich mein Bestes, dem Offizier mit Händen, Füßen und ein paar winzigen Brocken Französisch aus meiner Soldatenzeit die Situation zu erklären. Senze begleitete anschließend die drei ängstlich dreinschauenden 22, 19 und 17 Jahre jungen Frauen die Treppe herunter in die Küche, wo dem Burschen und dem Koch sichtbar die Kinnladen herunterklappten. Nachdem der Offizier jedoch auch jeder von ihnen eine Tafel Schokolade überreicht und sie sich mit höflichen Knicksen bedankt hatten, war das Eis gebrochen.

Der Offizier bekam Franz’ Kammer und seinen Untergebenen richteten wir ein Nachtlager unter dem Dach ein. Das Zimmer der Mädchen schlossen wir jeden Abend ab. Immer mehr erschien es uns trotz der Enge im Haus wie ein Glücksfall, dass wir die Einquartierung bekommen hatten, denn so teilten die Soldaten ihr Essen mit uns. Unsere restlichen Vorräte waren ohnehin schnell aufgebraucht, die Ladenregale leer und so gab es auch für uns französische Militärkost, die der afrikanische Koch zubereitete. Auch wenn das Essen gewöhnungsbedürftig war, schmeckte es uns mit der Zeit ganz ordentlich. In unserer engen Stube aßen wir oft alle gemeinsam – Deutsche und Franzosen – an einem Tisch.

Am Tag meiner Rückkehr hatten wir nachmittags eine nervöse Unruhe im Haus gehabt. Dem Offizier und dem Tunesier war eine Nachricht zugegangen, die sie sichtlich in Alarmstimmung versetzte. Offenbar hatte man im Rathaus ein geheimes Waffenlager gefunden. Nun wollte man über Bürgermeister Deininger und den Polen Anton Miodunka Standgericht halten – über ersteren, weil er das Lager nicht gemeldet, und über letzteren, weil er Wehrmacht und Waffen-SS nach dem ersten Durchzug der Franzosen auf Deiningers Anweisung hin nochmals nach Ochsenhausen geholt hatte.

Abends um halb sechs hörten wir Gewehrschüsse vom Bahnhof. Wie man später erfuhr, hatte Deininger zuvor zwei Stunden lang mit dem Gesicht zur Rathauswand stehen müssen, ehe man ihn zum Bahnhof trieb und dort standrechtlich erschoss. Ich musste schwer schlucken. Noch tags zuvor hatte Deininger mich mit ins Rathaus genommen. Jetzt war es aus mit ihm: kurzer...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2020
Reihe/Serie Einigkeit, Unrecht und Freiheit
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Biografie • Entnazifizierung • Kalter Krieg • Nachkriegszeit • Wiederaufbau
ISBN-10 3-7504-5933-9 / 3750459339
ISBN-13 978-3-7504-5933-5 / 9783750459335
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