His Dark Materials 4: Ans andere Ende der Welt (eBook)
752 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-92830-3 (ISBN)
Philip Pullman wurde 1946 in Norwich, England, geboren. Er wuchs in Zimbabwe und Wales auf. Viele Jahre arbeitete er als Lehrer, bevor er sich ganz auf das Schreiben konzentrierte. Mit der »His Dark Materials«-Trilogie wurde er weltweit bekannt. Sie wurde in über 40 Sprachen übersetzt und Pullman erhielt zahlreiche Preise, darunter den Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis für sein Gesamtwerk. Er lebt in Oxford.
Philip Pullman wurde 1946 in Norwich, England, geboren. Er wuchs in Zimbabwe und Wales auf. Viele Jahre arbeitete er als Lehrer, bevor er sich ganz auf das Schreiben konzentrierte. Mit der »His Dark Materials«-Trilogie wurde er weltweit bekannt. Sie wurde in über 40 Sprachen übersetzt und Pullman erhielt zahlreiche Preise, darunter den Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preis für sein Gesamtwerk. Er lebt in Oxford. Antoinette Gittinger studierte Philosophie, Romanistik, Anglistik und Germanistik in Tübingen und München. Sie übersetzt aus dem Französischen, Spanischen und Englischen. Zu den von ihr übersetzten Autoren gehören u.a. der Dalai Lama, Eric Orsenna, Henry Miller, Agatha Christie, Steve Jobs, Guillaume Musso und Nicolas Vanier.
1
MONDSCHEIN UND BLUTVERGIESSEN
Pantalaimon, der Dæmon von Lyra Belacqua, die jetzt Lyra Listenreich hieß, lag ausgestreckt auf dem Fenstersims von Lyras kleinem Arbeits- und Schlafzimmer im St. Sophia College und versuchte, gewisse Gedanken so gut wie möglich zu verdrängen. Er nahm den kühlen Luftzug durch das schlecht schließende Schiebefenster wahr, das warme Naphthalicht auf dem Schreibtisch unter dem Fenster, das Kratzen von Lyras Stift und die Finsternis draußen. Im Augenblick waren ihm vor allem die Kälte und die Dunkelheit willkommen. Während er so dalag und sich immer wieder umdrehte, um die Kühle mal auf dem Rücken, mal auf der Stirn zu spüren, wurde sein Verlangen, in die Nacht draußen einzutauchen, noch stärker als seine Abneigung, mit Lyra zu sprechen.
»Öffne das Fenster«, sagte er schließlich. »Ich möchte hinaus.«
Lyra hörte auf zu schreiben, schob den Stuhl zurück und stand auf. Pantalaimon sah ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe vor dem nächtlichen Oxford. Er konnte sogar ihren Ausdruck rebellischer Unzufriedenheit erkennen.
»Ich weiß, was du gleich sagen wirst«, sagte er. »Natürlich werde ich vorsichtig sein, ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen.«
»In mancher Hinsicht schon«, erwiderte sie.
Sie griff über ihn an das Fenster, schob es nach oben und stellte ein Buch darunter, damit das Fenster geöffnet blieb.
»Und ...«, stammelte er.
»... schließ das Fenster nicht. Ja, Pan, ich weiß – ich soll einfach dasitzen und frieren, bis du beschlossen hast, wieder heimzukommen. Ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen. Los, verzieh dich!«
Geschmeidig glitt er hinaus in die Efeuranken, die sich über die Mauern des College zogen. Einen Moment lang vernahm Lyra ein leises Rascheln. Pan mochte es nicht, wie sie miteinander sprachen oder vielmehr nicht sprachen, denn tatsächlich waren das die ersten Worte, die sie heute gewechselt hatten. Aber er wusste nicht, wie er das ändern konnte, und sie auch nicht.
Als er bis zur Mitte der Mauer gelangt war, fing er mit seinen nadelspitzen Zähnen eine Maus und erwog, sie aufzufressen, ließ sie dann aber überraschend los. Er kauerte sich in das dichte Efeu, atmete alle Düfte ein und genoss die unberechenbaren Windböen und die stockfinstere Nacht um sich herum.
Aber er würde vorsichtig sein, in zweierlei Hinsicht. Zum einen wegen des hellen cremefarbenen Fellflecks an seiner Kehle, der sich deutlich von seinem edlen rotbraunen Marderfell abhob. Dabei war es kein Problem für ihn, den Kopf gesenkt zu halten oder schnell zu laufen. Der andere Grund, vorsichtig zu sein, war weitaus gravierender. Auf den ersten Blick würde ihn niemand für einen Baummarder halten, obwohl er haargenau wie ein solcher aussah, denn er war ein Dæmon. Es war schwer zu sagen, worin der Unterschied lag, aber jedes menschliche Wesen in Lyras Umfeld würde es sofort erkennen, so sicher, wie es den Duft von Kaffee oder die Farbe Rot kannte.
Und ein Mensch ohne seinen Dæmon oder ein Dæmon ohne seinen Menschen in Sichtweite war etwas Verblüffendes, Unheimliches, ja Unmögliches. Kein normaler Mensch konnte sich so von seinem Dæmon trennen, nur Hexen konnten es angeblich. Diese Eigenschaft, die Lyra und Pan besaßen, war ihre ureigene und sie hatten sie vor acht Jahren im Reich der Toten um einen hohen Preis erworben. Als sie nach diesem höchst seltsamen Abenteuer nach Oxford zurückgekehrt waren, hatten sie mit niemandem darüber gesprochen und mit größter Sorgfalt darauf geachtet, es geheim zu halten. Aber manchmal, und in letzter Zeit häufiger, verspürten sie einfach das Bedürfnis, ohne den anderen zu sein.
Pan achtete darauf, im Schatten zu bleiben. Während er durch die Büsche und das lange Gras schlich, das die weitläufige, gepflegte Parklandschaft der University Parks säumte, nahm er die Nacht mit allen Sinnen in sich auf. Er bewegte sich lautlos und hielt den Kopf gesenkt. Vor ein paar Stunden hatte es geregnet und die Erde unter seinen Füßen war weich und feucht. Als er zu einer schlammigen Stelle gelangte, kauerte er sich nieder und drückte die Kehle und die Brust in den Morast, um den verdächtigen hellen cremefarbenen Fellfleck zu kaschieren.
Nachdem er den Park verlassen hatte, huschte er in einem Moment, in dem keine Fußgänger auf dem Bürgersteig waren und nur ein Auto in der Ferne zu sehen war, über die Banbury Road. Dann schlüpfte er in den Garten eines der großen Häuser auf der anderen raßenseite und setzte seinen Weg durch Hecken, über Mauern, unter Zäunen hindurch und über Rasenflächen fort. Sein Ziel waren Jericho und der Kanal, nur wenige Straßen entfernt.
Als er bei dem morastigen Treidelpfad angelangt war, fühlte er sich sicherer. Hier gab es Büsche und hohes Gras, in denen er sich verstecken, und Bäume, auf die er blitzschnell klettern konnte. Diese teilweise noch urwüchsige Gegend mochte er am liebsten. Er war in jedem der vielen Gewässer, die Oxford durchzogen, geschwommen – nicht nur im Kanal, sondern auch in der breiten Themse und ihrem Nebenfluss, dem Cherwell. Außerdem kannte er die zahllosen kleinen Bäche, die von den größeren Flüssen abgeleitet wurden, um eine Mühle oder einen Zierteich mit Wasser zu versorgen. Einige davon verliefen unterirdisch, dem Auge verborgen, bis sie unter der College-Mauer, hinter dem Friedhof oder der Brauerei wieder auftauchten.
An der Stelle, wo einer dieser Bäche parallel zum Kanal verlief, nur durch den Treidelpfad getrennt, überquerte Pan eine kleine Stahlbrücke und folgte dem Bach, bis er zu dem weitläufigen Gelände der Schrebergärten gelangte; nördlich davon lag der Oxpens-Viehmarkt und im Westen das Royal-Mail-Depot neben der Bahnstation.
Über ihm stand der Vollmond am Himmel und zwischen den dahinsausenden Wolkenfetzen funkelten ein paar Sterne. Der helle Mondschein bedeutete Gefahr für ihn, aber Pan liebte das kühle silberne Licht, während er durch die Gärten streifte, durch Rosenkohl- und Blumenkohlstauden oder Blätter von Zwiebeln und Spinat schlüpfte. Dabei war er so lautlos wie ein Schatten. Schließlich gelangte er zu einem Geräteschuppen, landete mit einem Sprung auf dem harten Dach aus Teerpappe und ließ den Blick über die weite Grasfläche bis zum Briefdepot schweifen.
Dies schien der einzige Platz in der Stadt zu sein, wo sich etwas rührte. Pan und Lyra waren schon des Öfteren gemeinsam hier gewesen und hatten dabei zugesehen, wie die Züge von Norden und von Süden her einfuhren und dampfend neben dem Bahnsteig zum Halt kamen, während Bahnangestellte Säcke mit Briefen und Paketen in große Rollkörbe verluden und zu dem Metallschuppen fuhren, wo die Post nach London und für den Kontinent rechtzeitig für den Morgenzeppelin sortiert wurde. Das Luftschiff war ganz in der Nähe am Bug und am Heck festgebunden und schaukelte im Wind, während seine Halteleinen gegen den Mast schepperten. Auf dem Bahnsteig, am Ankerturm und über den Türen des Royal-Mail-Gebäudes brannten Lichter, Güterwagen ratterten auf einem Nebengleis und irgendwo wurde krachend eine Metalltür zugeschlagen.
Plötzlich bemerkte Pan zwischen den Gärten zu seiner Rechten eine Bewegung. Ganz vorsichtig wandte er den Kopf, um nachzuschauen. Eine Katze kroch an einem Beet mit Kopfsalat oder Brokkoli entlang, einer Maus hinterher. Doch bevor die Katze sich auf die Maus stürzen konnte, stieß ein lautloser weißer Schatten, größer als Pan selbst, vom Himmel herab und packte die Maus. Dann erhob er sich wieder in die Lüfte, außer Reichweite der Katzenkrallen. Der Flügelschlag der Eule war völlig lautlos, als sie auf einen der Bäume hinter dem Paradise Square zurückflog. Die Katze legte sich auf alle viere, schien über die Angelegenheit nachzudenken und setzte dann ihre Jagd durch die Gemüsebeete fort.
Der Mond stand jetzt hoch an einem fast wolkenlosen Himmel und Pan konnte von seinem Aussichtspunkt auf dem Schuppen jede Einzelheit in den Gärten und auf dem Viehmarkt erkennen. Gewächshäuser, Vogelscheuchen, Viehgehege, Regentonnen, verrottete morsche Gatter und gerade stehende, hübsch gestrichene Zäune, daneben Erbsenstangen, die wie Tipis zusammengesteckt waren. All das breitete sich still im Mondlicht aus und erinnerte an das Bühnenbild für ein Geisterspiel.
»Lyra, was ist mit uns geschehen?«, flüsterte Pan.
Keine Antwort.
Der Postzug war entladen worden und setzte sich nach einem kurzen Pfiff in Bewegung. Er fuhr nicht auf der Bahnstrecke, die im Süden, direkt hinter den Gärten, über den Fluss führte, sondern langsam ein Stück vorwärts und dann auf ein Nebengleis zurück, wobei die Waggons laut schepperten. Rauchwolken stiegen von der Lokomotive in den Himmel und wurden vom kalten Wind davongeweht.
Auf der anderen Flussseite, hinter den Bäumen, fuhr ein weiterer Zug ein. Es war kein Postzug, er hielt nicht am Depot, sondern fuhr etwa dreihundert Meter weiter direkt zum Bahnhof. Das war der langsame Nahverkehrszug aus Reading, vermutete Pan. Er hörte, wie der Zug sich mit zischendem Dampf und leichtem Räderknirschen dem Bahnsteig näherte.
Noch etwas anderes bewegte sich.
Auf Pans linker Seite, dort, wo eine Stahlbrücke sich über den Fluss spannte, ging ein Mann – oder genauer gesagt, er eilte, wobei er den Eindruck heimlicher Hast erweckte – am Flussufer entlang, wo das Schilfgras sehr dicht war.
Pan ließ sich vom Schuppendach gleiten und bewegte sich lautlos durch Zwiebelbeete und Kopfsalatreihen auf ihn zu. Er zwängte sich unter Zäunen und einem rostigen Wasserbehälter hindurch, bis er das Ende der Schrebergärten erreicht hatte. Durch ein zerbrochenes...
Erscheint lt. Verlag | 5.3.2020 |
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Reihe/Serie | His Dark Materials | His Dark Materials |
Übersetzer | Antoinette Gittinger |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre | |
Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre | |
Schlagworte | Abenteuer • Action & Abenteuer für junge Erwachsene • Belletristik für junge Erwachsene • Buchverfilmung • Carlsen • Carnegie Medal • daemon • Das Bernstein-Teleskop • Das magische Messer • Das verlorene Paradies • Eisbären • England • Fantasy • Fantasy-Abenteuer für junge Erwachsene • Fantasy Action & Abenteuer • Fantasy-Romane • Fernsehserie • Film • Freundschaft • Game of Thrones • Golden Compass • Harry Potter • HBO • Helden • Hexen • J.K. Rowling • John Milton • Magie • Magischer Realismus • northern lights • Oxford • Parallele Universen • Parallelwelten • Reise • Science Fiction & Fantasy für junge Erwachsene • Sky • Staub • Steampunk • Tiere • Über den wilden Fluss • Verfilmung |
ISBN-10 | 3-646-92830-1 / 3646928301 |
ISBN-13 | 978-3-646-92830-3 / 9783646928303 |
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