Eine Katze im Ghetto (eBook)

und andere Erzählungen
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2020 | 1. Auflage
208 Seiten
Czernin Verlag
978-3-7076-0692-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine Katze im Ghetto -  Rachmil Bryks
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Wie haben die Menschen im Lodzer Ghetto gelebt? Woru?ber haben sie gesprochen, was gedacht, wovon geträumt? Der ju?dische Autor Rachmil Bryks erzählt vom Leben und Überleben im Lodzer Ghetto und in Auschwitz. Er trotzt dabei dem Grauen immer wieder mit feinem Witz. Bryks schildert, wie trotz allgegenwärtiger Angst, beißender Kälte und nagendem Hunger geistiger Widerstand geleistet und Menschlichkeit bewahrt werden konnte. 'Eine Katze im Ghetto' erzählt von dem verzweifelten Versuch der Juden, der Hungersnot im Lodzer Ghetto zu entkommen. Aus Kraut- und Rettichblättern werden 'Fleisch' und 'Fisch' hergestellt und die unterschiedlichsten Speisen zubereitet. Um der Kälte zu entfliehen, werden Möbel, Böden und Dächer verheizt. Der Alltag im Ghetto ist geprägt durch Ausweglosigkeit, Arbeit und Angst. Rachmil Bryks erzählt beru?hrend ehrlich und u?berwältigend in fu?nf Erzählungen von menschlichem Leid und dem Überleben im Lodzer Ghetto und des Konzentrationslagers Auschwitz. Aus dem Jiddischen übersetzt von Andrea Fiedermutz und mit einem Nachwort von Bella Bryks-Klein.

Rachmil Bryks, geboren 1912 in Polen, ju?disch-orthodoxer Schriftsteller. Von 1940 bis 1944 ins Lodzer Ghetto gesperrt, nach dessen Liquidierung nach Auschwitz transportiert, später in ein Arbeitslager in Deutschland u?berstellt. Befreiung durch die Amerikaner 1945, während des anschließenden medizinischen Aufenthalts in Stockholm, wo er begann, seine Erlebnisse schriftlich zu verarbeiten, entstanden u. a. 'Eine Katze im Ghetto', 'Kiddusch ha-Schem' und 'Der Kaiser des Ghettos'. Emigration nach Amerika 1949, wo er 1974 verstarb.

Rachmil Bryks, geboren 1912 in Polen, jüdisch-orthodoxer Schriftsteller. Von 1940 bis 1944 ins Lodzer Ghetto gesperrt, nach dessen Liquidierung nach Auschwitz transportiert, später in ein Arbeitslager in Deutschland überstellt. Befreiung durch die Amerikaner 1945, während des anschließenden medizinischen Aufenthalts in Stockholm, wo er begann, seine Erlebnisse schriftlich zu verarbeiten, entstanden u. a. "Eine Katze im Ghetto", "Kiddusch ha-Schem" und "Der Kaiser des Ghettos". Emigration nach Amerika 1949, wo er 1974 verstarb.

Eine Katze im Ghetto


In den Lagerhäusern des Lodzer Ghettos wimmelte es von Mäusen, welche die dort gelagerten Lebensmittel unbrauchbar machten. Gift durfte man nicht auslegen, denn die Mäuse hätten es verschleppen können, also brauchte man dringend Katzen. Nur – im Ghetto gab es schon lange keine Katzen mehr! Die Deutschen hatten doch bei Androhung der Todesstrafe verfügt, dass Juden keinerlei Tiere halten durften. Sobald das Ghetto abgeriegelt wurde, mussten die Juden bei der Kripo alle Haustiere abliefern, selbst Hunde und Katzen. Und aufgrund der großen Hungersnot waren viele Katzen von selber aus dem Ghetto entflohen. Außerdem aßen die Leute auch die Katzen auf … Eines Tages verbreitete sich im Ghetto ein Gerücht: »Wer eine Katze heranschafft – der erhält ein Brot von zwei Kilo!«

Als die Juden von dieser Neuigkeit hörten, wurde es für jedermann zum Wunschtraum, eine Katze zu fangen.

Ein ganzes Brot war schließlich keine Kleinigkeit!

Es geschah an einem lauen Sommerabend. Einige Juden machten in der Färberei noch Überstunden. In seinem Wächterhaus saß der 24-jährige Schloime Sabludowitsch vertieft in ein Buch. Er war Wächter in der Färberei. Wenn Sabludowitsch beim Lesen war, konnte man neben ihm selbst aus Kanonen schießen – er hörte nichts.

Plötzlich kam Frau Herschkowitz freudestrahlend hereingestürzt: »Panie Sabludowitsch, ich hab eine Katze gefangen! Ich mache Sie zu meinem Partner. Ich halte mich an unser Abkommen: ein halbes Brot für mich, ein halbes Brot für Sie!«

Schloime Sabludowitsch vergaß augenblicklich sein Buch. Ein halbes Brot war schließlich keine Kleinigkeit!

»Ja!«, rief er mit einer solchen Begeisterung, als hätte er gerade gehört, dass der Krieg zu Ende sei.

Frau Herschkowitz brachte sogleich die Katze mit den Worten: »Da sehen Sie: Wenn Gott will, hilft er auch!«

Sabludowitschs Herz schwoll an vor Freude. Er wagte kaum, die Katze zu berühren. Sein ganzes Leben hatte er noch keine Katze in den Händen gehalten.

Die Katze loslassen? Dann könnte sie doch, Gott behüte, weglaufen! Also sagte er in einem Ton, als hätte er in der Not einen rettenden Einfall:

»Wissen Sie was, Frau Herschkowitz? Bringen Sie einen Sack und wir werden die Katze dort hineinstecken!« Die Frau kam sogleich mit einem Drillichsack von einem Überbett zurück (in solche Säcke warfen die Deutschen die blutige Kleidung der getöteten Juden zum Färben und die Juden mussten später für die Deutschen Teppiche aus diesen Stoffen anfertigen).

Es kam Sabludowitsch nicht gerade leicht an, die Katze in den Sack hineinzulocken. Zusammen banden sie ihn schließlich zu, rollten ihn ein und legten ihn auf die Bank. Da es sich um einen Sack von der Länge eines Bettes handelte, schaffte es die Katze, bis zum Boden hinunterzugelangen. Sie kroch über die gesamte Länge und Breite des Sacks und klagte jämmerlich »Miau! Miau!«, während sie einen Ausweg suchte.

Frau Herschkowitz war eine gebrochene Person, eine arme Witwe. Ihre Halbwaisen zu Hause schrien und weinten vor Hunger. Sie musste in der Schlange vor der Suppenküche und den Kooperativen anstehen, um ihre Ration abzuholen, und hatte keine Minute Zeit. Auch jetzt war sie in Eile, um heimzukommen. Sie sagte:

»Panie Sabludowitsch, Sie haben doch Zeit! Ich weiß, dass Sie mich nicht betrügen werden! Deshalb lasse ich die Katze bis morgen bei Ihnen. Morgen, gleich in der Früh, bringen Sie sie in die Approvisations-Abteilung1, nehmen das Brot in Empfang und wir werden es teilen.« Sabludowitsch sagte ihr zu, sie könne sich auf ihn verlassen. Sie wünschte ihm eine Gute Nacht und machte sich auf den Heimweg.

Nicht einmal mit der eigenen Mutter teilte man in dieser Zeit noch ein Stück Brot – das war das Ghetto … Warum hatte sie ihn dann zum Partner gemacht? Weil sie beide verantwortungsvolle Tätigkeiten ausübten: Er durchsuchte als Wachmann die Männer, sie die Frauen, um sicherzugehen, dass niemand etwas auf dem Weg hinaus aus der Fabrik stahl. Beide brachten es fertig, von Zeit zu Zeit wegzusehen, um die Leben der Arbeiter nicht zu gefährden. Durch diese Geheimnisse miteinander verbunden, waren sie jederzeit bereit, einander zu helfen, und einmal hatten sie sich während eines Gesprächs gegenseitig feierlich versprochen, dass, wenn einer von ihnen eine Katze erwischen sollte, er mit dem anderen den Gewinn gerecht teilen wollte.

Aus dem Hof kam eine Wäscherin, die zwei leere Wasserkübel trug. Sabludowitsch ließ sie immer heißes Wasser von der Färberei nehmen. »Lieber Herr Sabludowitsch«, fragte sie lauernd, als sie die Katze miauen hörte, »haben Sie da etwa eine Katze?« Sie klang, als ob sie ihn fragte, ob er eine Million gewonnen hätte. »Ich meine, da muss man Ihnen ja gratulieren, Mazl tov! – Sie werden ein ganzes Brot bekommen! Ja … und noch hundert Mark dazu! Wissen Sie denn, wie hoch der Preis für einen Laib Brot in diesen Tagen ist? Fragen Sie mich – ich weiß es! Ein Laib Brot ist schon 1800 Mark wert! So ist es, lieber Herr! Rumkowskis Königreich2 hat es weit gebracht! Auf der Lebensmittelkarte kostet ein Laib achtzig Pfennige, auf der Straße – 1800 Mark! Überlassen Sie mir die Katze – ich habe Beziehungen in der Verwaltung. Es gibt nur eine Bedingung – ich will die Hälfte des Brotes!«

Sabludowitsch erwiderte, dass er über die Katze nicht alleine verfügen könne, da er einer Geschäftspartnerin verpflichtet sei.

»In diesem Fall, Herr Sabludowitsch«, antwortete sie sogleich, »können Sie mir jeder ein Viertel Laib Brot geben. Besser noch, ich gebe Ihnen gleich auf der Stelle ein Viertel des Laibes, den ich heute gerade bekommen habe, wenn Sie mir die Katze geben. Jetzt ist es zu spät, die Approvisations-Abteilung hat schon geschlossen, aber morgen laufe ich gleich als Erstes hin und bringe Ihnen ein ganzes Brot und hundert Mark obendrein, vielleicht sogar mehr! Ich kann die richtigen Beziehungen spielen lassen – ich mache doch die Wäsche für unseren Ghettochef – Sie können also sicher sein, dass Sie den Rest bekommen, aber dafür will ich eine Hälfte des Brotes sofort.«

Sabludowitsch dachte sorgfältig über das Angebot nach: Eine derartige Gelegenheit durfte nicht leichtfertig jemand anderem überlassen werden. Freilich hatte er selber keine Kontakte, aber wenn er in das Gebäude der Approvisation hineinging, wäre die Katze seine beste »Beziehung«, seine Machtquelle. »Ich kann die Katze niemandem anvertrauen – was, wenn die Frau das Brot nimmt und ich mit nichts zurückbleibe! Kann ich mich dann etwa beim Judenrat3 beschweren?!«

»Nein!«, sagte er resolut.

Die Frau wollte keinesfalls klein beigeben. Mit nichts weniger als dem Stück Brot würde sie sich begnügen, und so wurde sie immer drängender und einschmeichelnder und redete unaufhörlich auf ihn ein. Am Ende hatte sie gar vergessen, was sie hergebracht hatte, und sie versuchte alles, um ihn zum Annehmen des halben Kilo Brotes zu überreden.

Sabludowitsch war schrecklich hungrig. Seit er ins Ghetto gekommen war, war dieser nagende Hunger nie verstummt. Und so sagte er: »Na gut, bringen Sie Ihr Viertel Brot, aber wiegen Sie es ehrlich ab! Dann können Sie die Katze mitnehmen und morgen bringen Sie den Rest. Auf diese Weise kriegen Sie ein halbes Brot allein und meine Partnerin und ich werden auch nur ein halbes Brot kriegen.«

»Fein«, antwortete die Frau und war endlich zufrieden, »ich bringe es auf der Stelle!«, und sie ging weg. Zurück in ihrem Heim, überlegte sie: »Brotrationen sind kostbar, teurer als Diamanten! Soll ich wirklich meine Ration im Vorhinein aushändigen, wo doch das Brot, das ich gerade erhalten habe, für acht Tage reichen muss? Und wo ich nichts zu kochen habe? Nein, ich werde es ihm nicht geben.«

Sabludowitsch wurde von immer grimmigeren Hungerqualen geplagt. Er war sich sicher, dass die Wäscherin nun jeden Augenblick mit dem Brot zurückkommen würde. Doch er wartete umsonst, sie erschien nicht.

Die ganze Zeit über hatte die Katze ihr jämmerliches Miauen nicht unterbrochen. Sie scharrte und wälzte sich entlang der Länge und Breite des Sacks und suchte tastend nach einem Weg in die Freiheit.

Der alte Lande war der Kesselheizer hier. Rußverschmiert wie ein Rauchfangkehrer, klein, dünn, abgezehrt, war er ausgedörrt wie ein getrockneter Pilz. Einst war er ein Gastronom gewesen und hatte sein Geschäft in einer der schönsten Gegenden von Lodz besessen, der Petrikovska-Straße.

Er war bekannt als Schlemmer. Nicht, weil er so viel aß, sondern weil er so viel über Essen sprach: Was er alles essen würde und was er vor dem Krieg alles gegessen hatte, legte er genau von Sonntag bis...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2020
Nachwort Bella Bryks-Klein
Übersetzer Andrea Fiedermutz
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 2. Weltkrieg • Angst • Auschwitz • Erzählungen • Ghetto • Holocaust • Kälte • Katze • Konzentrationslager • Krieg • Leben • Lodz • Menschlichkeit • Mord • Nationalsozialisten • Nazis • Polen • Überleben • Verfolgung • Weltkrieg • Widerstand
ISBN-10 3-7076-0692-9 / 3707606929
ISBN-13 978-3-7076-0692-8 / 9783707606928
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