Karl V. (eBook)

Der Kaiser, dem die Welt zerbrach

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
457 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-74900-1 (ISBN)
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MACHT UND OHNMACHT EINES KAISERS - HEINZ SCHILLINGS MEISTERHAFTE BIOGRAPHIE
Karl V. ist der mächtigste Herrscher seiner Zeit - und der ohnmächtigste zugleich. In seinem Reich geht die Sonne nicht unter, doch nach seinem Willen formen kann er es nicht. Ebenso wenig gelingt es ihm, die große Kirchenspaltung aufzuhalten, mit der die Einheit der Christenwelt zerbricht. Heinz Schilling schildert in dieser Biographie, wie der Kaiser zwischen den Epochen alles in seiner Macht stehende tut, um dem Lauf der Zeit Einhalt zu gebieten - und sich am Ende gescheitert und gedemütigt aus der Welt zurückzieht in die Einsamkeit der spanischen Estremadura.
Heinz Schillings Biographie befreit Karl V. aus dem Habsburgermythos des 19. Jahrhunderts und führt ihn wieder zurück in seine historische Welt - das kulturell reiche Burgund seiner Jugend und Spanien mit dem atlantisch-überseeischen Raum. Auch dem verschlossenen Menschen Karl spürt dieses Buch nach, seiner Erotik, seinen kurzen Liebesbeziehungen, seiner unterschätzten musischen Seite. Es räumt Karl einen fairen Platz in den Religionskämpfen der Zeit ein und porträtiert ihn als zutiefst religiösen Menschen - hierin Luther ebenbürtig. Vor allem aber zeigt Schilling die Tragik der Macht: Im Herzen ein Friedenspolitiker, kommt der Kaiser während seiner Herrschaft nur selten aus dem Militärlager, weil er sich dynastischen und religiösen Zielen verpflichtet fühlt, die er in einer Welt, die immer komplexer wird, nicht mehr verwirklichen kann.
  • Karl V. ohne Habsburgermythos
  • Der Kaiser, in dessen Reich die Sonne nicht unterging
  • Heinz Schilling vollendet sein Tryptichon der Frühen Neuzeit


Heinz Schilling ist em. Professor für Europäische Geschichte der frühen Neuzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin. Mit seiner viel gerühmten Biographie "Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs" und dem Bestseller "1517. Weltgeschichte eines Jahres" bildet die neue Karls-Biographie ein Triptychon der Frühen Neuzeit.

PROLOG

Karl V. hat alles erreicht, was ein Mensch seiner Zeit erreichen konnte.  Drei Jahrzehnte an Rang und Ansehen der Erste in der Christenheit, herrschte Kaiser Karl V. über ein Reich, «in dem die Sonne nicht unterging» – eine bewundernde Charakterisierung, die ihm bis heute anhaftet wie dem Stauferkaiser Friedrich II. der «stupor mundi», das Staunen der Welt. Karl war Haupt der ehrwürdigsten und mächtigsten Dynastien Europas: Erbe der glanzvollen Herzöge von Burgund aus dem französischen Hause Valois; der Katholischen Könige aus der Trastámara-Dynastie, die das neuzeitliche Spanien geformt und das Tor zur Neuen Welt aufgestoßen hatten; nicht zuletzt des deutschen Hauses Österreich, das nach ihm die Römische Kaiserwürde erhielt und behalten sollte, bis der Höllensturz des Ersten Weltkriegs der Fürstengesellschaft Alteuropas definitiv ein Ende setzte. Keines der europäischen Königs- und Fürstenhäuser konnte sich mit diesem «edlen Blut» messen, als das man Karl bei seiner Wahl zum Deutschen König gefeiert hatte.

Das burgundisch-spanische Hofzeremoniell wurde an den europäischen Höfen bewundert und nachgeahmt. Die spanischen Tercios, mit Lanzen bewehrte Infanterie-Blöcke, die einem Uhrwerk gleich die Gegner überrannten, beherrschten die Schlachtfelder Europas. Die dynamischste Wirtschaftsregion der Zeit war Teil seiner Herrschaften – die Niederen Landen an den Mündungsgebieten der großen Ströme Schelde und Rhein mit dem rasch expandierenden Handelsplatz Antwerpen im Zentrum. Seit Beginn des zweiten Jahrhundertdrittels landeten in Sevilla, dem bedeutendsten Überseehafen der Welt, alljährlich reichbeladene Silberflotten aus Südamerika, mit sprunghaft ansteigenden Frachtraten.[1]

Bereits mit 19 Jahren zum Römischen Kaiser erwählt, stand er zusammen mit dem Papst an der Spitze der Christenheit oder Europas, was damals noch dasselbe war. Als Kaiser war er verantwortlich für die Reform von Kirche und Glauben ebenso wie für die Sicherung Europas nach außen. Als Miles christianus, christlicher Glaubenskrieger, wies er in Tunis die islamische Vormacht der Osmanen in die Schranken und triumphierte in Mühlberg an der mittleren Elbe über die Häresie der Luther-Anhänger. Unübertroffen auch sein symbolisches Kapital – als Großmeister des burgundischen Goldenen Vlies Ordens wie des spanischen Ordens de Calatrava, der beiden vornehmsten Ritterorden der Christenheit, dazu Auftraggeber für die ersten Künstler seiner Zeit. Noch heute künden Tizians Gemälde «Karl V. nach der Schlacht von Mühlberg» und «La Gloria»/«Der Triumph der Dreifaltigkeit» von seinem Ruhm und seiner von Gott gegebenen Majestät. Beide zählen heute zu den Staatsikonen in der spanischen Ruhmeshalle des Prado. Die gewaltigen von Jan Vermeyen entworfenen Wandteppiche aus der Brüsseler Manufaktur Willem de Pannemakers, deren Kartons das Kunsthistorische Museum Wien bewahrt, berichten von seinen Taten in Nordafrika – Inszenierung seines ritterlichen Kampfes gegen den islamischen Glaubensfeind wie Demonstration des hohen Stands der Künste und des Luxusgewerbes in seiner burgundischen Heimat. Und das sind nur zwei Beispiele eines über ganz Europa verstreuten Kunstschatzes, der den Zeitgenossen wie der Nachwelt ständische Erhabenheit, Prestige und Tatenruhm dieses Kaisers verkündet.

Karl V. ist das Wichtige fehlgeschlagen.  Hinter der heroischen Majestät, die er wie kein zweiter Herrscher repräsentierte und die er hundertfach in Marmor, Bronze, auf Leinwand und Tapisserien darstellen ließ, verbarg sich ein Mensch, der mehr Leid, Elend und Krankheit zu ertragen hatte als viele seiner Untertanen – die angeborene Missbildung seines Kiefers; die dadurch bedingte Behinderung seiner Sprache; schwere Gichtanfälle, die ihn schließlich zwangen, zur Fortbewegung statt des herrschaftlichen Pferdes eine Sänfte zu benutzen; frühe Zahnlosigkeit, die ihn seine Mahlzeiten alleine einnehmen ließ. Als Ergebnis von alldem eine menschliche Einsamkeit, die mit fortschreitendem Alter die gewollte und inszenierte Distanz zu den Menschen ins Pathologische steigerte.

Tragisch der Gegensatz zwischen prätendierter Majestät und erbrachter Herrscherleistung. Der Kaiser hatte am Ende die Ziele, die er sein Leben lang als von Gott erhaltenen Auftrag verfolgte, verfehlt: Statt der neuen Friedensordnung für das Heilige Römische Reich und Europa war Deutschland im Innern zerrissen, und die europäischen Mächte standen sich unversöhnlicher denn je gegenüber. Statt der ersehnten Einheit und Unversehrtheit der Kirche war die Christenheit in die Fundamentalfeindschaft der Konfessionen zerfallen. Die für ihn und sein Haus allein heilige, katholische und apostolische Kirche war zu einer Partikularkirche geworden. Statt in einer mächtigen Kreuzzugsbewegung den Islam aus den christlichen Kernzonen Byzanz und Kleinasien wieder zurückzudrängen, musste er sich mit einer labilen Waffenruhe zufriedengeben: Der Balkan war verloren, Ungarn, das Reich des Heiligen Stephan, zweigeteilt, in einen östlichen, osmanischen Teil mit den Königsstädten Buda und Pest und einen kleineren westlichen Teil, in dem sein Bruder Ferdinand als ungarischer König herrschte. Im Mittelmeer und an den Küsten Nordafrikas waren die Träume christlicher Dominanz zerbrochen, denen seine spanischen Vorgänger im ersten Hochgefühl der Reconquista angehangen hatten und denen auch er auf dem Höhepunkt seiner Macht noch nachgejagt war.

Der erste Kaiser eines Weltreiches musste vor den Fliehkräften der neuen Zeit kapitulieren und sich eingestehen, dass ihm seine Welt zerbrochen war. Wo er Eintracht, Recht und Ordnung stiften wollte, wurde er Partei, im Streit um die mächtepolitische Ordnung Europas ebenso wie im Ringen um die Reform der Kirche. Statt der einheitlichen Lobpreisung der Christenheit, die er sich in seinen frühen Herrscherjahren hochgemut zu verdienen gehofft hatte, war er im Alter Hass und Verleumdung des einen Teils der gespaltenen Christenheit ausgesetzt, in ihren Pamphleten öffentlich angegriffen als «Metzger aus Flandern»; als sündhaft Verantwortlicher für die grauenvolle Explosionskatastrophe in seiner Heimatstadt Mechelen, mit der ihn Gott gestraft und gezeichnet habe; ja als Blutschänder mit Schwester oder Tochter, ein Anwurf, der wie kein zweiter die ständische wie die ganz persönliche Ehre beschmutzte.

Als Einziger in der langen Reihe Römischer Kaiser legte Karl V. sein Amt nieder – für Zeitgenossen wie Nachwelt ein unerhörtes Geschehen, entfernt vergleichbar dem rätselhaften Rücktritt Papst Benedikts XVI. in unseren Tagen. In nur fünf Jahren hatte ihn das Rad der Fortuna von der Höhe des siegreichen Imperators, der 1547/48 auf dem «geharnischten Reichstag» von Augsburg den Besiegten seine Bedingungen diktierte, herabgerissen ins Elend eines Flüchtlings. Ein sächsischer Herzog, eben durch ihn zum Kurfürsten erhoben, hatte ihn in die Enge der Alpentäler getrieben, fast aus der Welt hinaus. Dessen Verbündeter, der König von Frankreich, den er endgültig in die zweite Reihe gewiesen wähnte, hatte vor Metz über seine als unschlagbar geltenden spanischen Truppen triumphiert. Mit den Protestanten wurde über einen dauerhaften Religionsfrieden verhandelt. Seine Seele wollte er damit nicht belasten und überließ es der säkular-politischen Klugheit seines Bruders Ferdinand.

Misslungen auch die einheitliche Vererbung seiner Reiche. Die mit bewundernswerter Energie und Klarsicht zustande gebrachte Bewahrung des Erbes durch die Aufspaltung in zwei Linien, der spanische und der deutsche Zweig des Hauses Österreich beziehungsweise der Casa de Austria, war ihm nur Notlösung. Quälend offen schließlich auch die humane Gestaltung und die Rettung der Indioseelen in den neuen Welten, derer sich der Kaiser persönlich angenommen, die er aber immer wieder hintangestellt hatte, um die machtpolitischen Notwendigkeiten in Europa nicht zu gefährden.

Verbunden mit der psychischen Last des Versagens waren Angst und Sündenbewusstsein, dem Bösen nicht entschieden genug entgegengetreten und der von Gott verliehenen kaiserlichen auctoritas nicht gerecht geworden zu sein. Anders als die Herrschaftsämter ließ sich diese Qual nicht ablegen. Sie verfolgte ihn in Yuste, seinem spanischen Alterssitz, bis in die letzten Lebenstage hinein.

Gescheitert war auch – eine berührende Parallelität in der Biographie dieser weltgeschichtlichen Gegenspieler – Martin Luther.[2] Anders als der Reformator hinterließ der Kaiser aber keine ihm emphatisch verbundene Gemeinde, die im Scheitern ihres Helden den kommenden Triumph der Wahrheit über das Verlogene, des Guten über das Böse erblickte. Dieser Unterschied...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Biografie • Europa • Geschichte • Habsburger • Herrscher • Kaiser • Kirchenspaltung • Militär
ISBN-10 3-406-74900-3 / 3406749003
ISBN-13 978-3-406-74900-1 / 9783406749001
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