Der Korndämon (eBook)
300 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98656-4 (ISBN)
R.P. Hahn stammt aus Niedersachsen und lebt heute mit seiner Familie in Fulda. Die meiste Zeit seines Lebens arbeitet er als Autor für Drehbücher bei Film und Fernsehen. Seine bekannteste Arbeit ist das Drehbuch für den Film »Das Wunder von Bern«.
R.P.Hahn stammt aus Niedersachsen und lebt heute mit seiner Familie in Fulda. Seine ersten Autorenarbeiten waren für das Fernsehen, wo er für Krimireihen wie "Tatort", "Der Fuchs" oder "Hubert und Staller" zahlreiche Drehbücher schrieb. Auch der Pro Sieben-Thriller "Götterdämmerung" stammt aus seiner Feder. Für sein Skript "Das letzte Streichholz" bekam er 2007 den hessischen Drehbuchpreis. Inzwischen hat R.P.Hahn sich vom Filmgeschäft weitestgehend zurückgezogen. Sein Schwerpunkt liegt heute auf dem Recherchieren und Schreiben von Romanen.
1. Kapitel:
Ein azurblaues Auto
Eigentlich hätte dieser Samstag genauso ereignislos werden sollen wie all die anderen Samstage in Richard Dreifürsts Ruhestand, aber die Vorsehung hatte es anders entschieden.
Richard verließ sein kleines Häuschen in der Garzer Poggenburgstraße gleich früh am Morgen und marschierte zum nahen Edeka hinüber, um die Einkäufe für das Wochenende zu erledigen. Obwohl Garz die älteste Ortschaft auf Rügen war, verfügte es nur über wenige Geschäfte, darunter ein gut sortierter Lebensmittelladen, eine Apotheke und ein Döner-Imbiss, das Raja. Die kleine Fast-Food-Bude stellte einen wichtigen Knotenpunkt des Lebens auf dem Südteil der Insel dar, denn die Leute hier in der Gegend hatten nicht viel Auswahl, wenn es darum ging, sich schnell mit warmem Essen zu versorgen.
Richard betrat den Laden, ging am Lila-Brötchenstand vorbei und steuerte die Regale mit den Spirituosen an. Er holte sich eine Flasche Kräuterlikör sowie einige Dosen Becks, die im Angebot waren. Dann kaufte er das Notwendigste fürs Frühstück ein und nahm eine Ostsee-Zeitung vom Stapel. Der Edeka deckte durch sein Angebot die gängigsten Ansprüche ab, die Einheimische und Touristen an ein Lebensmittelgeschäft stellten. Dennoch hätte Richard gerne einen Discounter in der Nähe gehabt. Das wäre für sein Budget weniger belastend gewesen.
Richard Dreifürst war vor einigen Wochen zweiundsechzig geworden. Er fühlte sich geistig nicht anders als mit fünfzig. Der gravierende Unterschied war, dass sein Körper mit den Jahren erschreckend viel von seiner Leistungsfähigkeit eingebüßt hatte.
Er hatte seinen Geburtstag nicht gefeiert. Es gab nichts zu feiern. Auf ein großes Leben konnte er nicht zurückblicken, und es gab nirgendwo Menschen, die sich Gedanken darüber machten, wie sie seinen Ehrentag wohl begehen könnten.
Richard war Lehrer für Deutsch und Geschichte gewesen. Er hatte das Lehramt mit Begeisterung angetreten, seine Ideale aber bald welken und sterben sehen. Marion, seine Ex-Frau und Mutter seines einzigen Kindes, war von Anfang an keine Wunschpartnerin gewesen, sondern eher die Fliege, die der Teufel in der Not fraß. Im Stralsunder Hansa-Gymnasium, in dem Richard unterrichtet hatte, war sie Lehrerin für Mathematik und Physik gewesen. Er wäre von sich aus nicht auf die Idee gekommen, sie anzusprechen. Sie war auf ihn zugekommen.
Im Grunde war Marion nicht Richards Typ, aber eine lange Periode der Einsamkeit hatte ihn mürbe gemacht. Zudem war sie trotz ihrer schlanken Erscheinung mit einem üppigen Busen gesegnet, dessen wogendem Magnetismus er nicht hatte widerstehen können. Sie waren ein Paar geworden, wobei Marion die Beziehung von Anfang an dominiert hatte.
Richard war kein gut aussehender Mann, aber er galt als fleißig, integer und als jemand, der etwas im Kopf hatte. Das war für Marion wohl ausreichend gewesen, und sie hatte irgendwann, als sie gut ein Jahr zusammen waren, die Pille abgesetzt. Ohne ihn davon in Kenntnis zu setzen. Da sie Frauen als überlegene Spezies und geheime menschliche Alphatiere ansah, schien Richards Ansicht zum Thema Familienplanung für sie keine Rolle zu spielen. Sie wurde schwanger. Damit schuf sie Tatsachen, die er nur sprachlos hinnehmen konnte. Kurz vor der Niederkunft war noch eine von Marion inszenierte standesamtliche Trauung über die Bühne gegangen. Auch hier war Richard nur über den Termin informiert worden, sein Einverständnis hatte die Hochschwangere einfach vorausgesetzt. Etwas später kam Annika auf die Welt.
Das Baby wurde die neue Sonne in Marions Planetensystem, und da die Familienplanung für sie damit abgeschlossen war, verweigerte sie Richard von da an jeglichen Sex. Erst jetzt erkannte der frischgebackene Familienvater, dass sie nie eine richtige Partnerschaft führen würden. Marion interessierte sich allein für die Durchführung ihres ganz persönlichen Masterplans. Was Richard betraf, hatte sie ihn als logistische Notwendigkeit in ihrem Leben installiert, wobei seine DNS und der Fleiß, mit dem er sich beim Haushalt einbrachte, von vorrangiger Bedeutung waren.
Marions Desinteresse, ihre herablassende Haltung und das Einstellen jeglicher körperlicher Zuwendung hatte Richard als tiefe Kränkung empfunden. Er, der sich vorher kaum für Alkohol interessiert hatte, fand nun Trost in trockenen Martinis.
Fast zur selben Zeit hatte der Schulleiter am Hansa-Gymnasium gewechselt, und mit dem Amtsantritt von Dr. Blaschka begann für Richard beruflich ein Spießrutenlauf. Der neue Schulleiter schaffte es, den bei seinen Schülern durchaus beliebten Deutschlehrer binnen kürzester Zeit durch ständige Kritik zu verunsichern, er mobbte ihn und machte ihn zum Nervenbündel.
Als Richard nach einer weiteren Demütigung im Lehrerzimmer daheim das erste Mal in Tränen ausgebrochen war, hatte Marion genervt reagiert. Sie wollte keinen Waschlappen an ihrer Seite und drückte das klar aus. Richard wusste nicht, ob seine Frau aus grausamem Kalkül handelte oder aus Gedankenlosigkeit, aber mit dieser harschen Reaktion verspielte sie auf einen Schlag alles, was noch zwischen ihnen übrig geblieben war.
So waren die Weichen schon recht früh nach Annikas Geburt gestellt gewesen. Es sollte dann aber noch drei weitere Jahre dauern, bis Richard sich schlussendlich von Marion trennte.
In der Folge war er von Stralsund nach Sassnitz gezogen, wo er eine neue Stelle gefunden hatte. In dieser Zeit besuchte er sein Töchterchen noch regelmäßig.
Doch je älter Annika wurde, desto distanzierter erlebte er sie. Für ihn hatte es den Anschein, als würde Marion einen Keil zwischen sie treiben. Das Kind sah ihn stets mit auffälligem Argwohn an, wenn er auf der Schwelle stand, so als könnten ihrem Papa jederzeit Hörner wachsen. Irgendwann war das Maß voll. Die eingeimpfte Skepsis seiner Kleinen hätte Richard vielleicht noch ausgehalten, aber nicht die Übelkeit, die in ihm aufstieg, wenn er den Vorwurf in Marions Gesicht sah, den sie ihm gegenüber ständig zur Schau trug. Dass er sich dem gemeinsamen, von ihr so trefflich geregelten Familienleben entzogen hatte, verstand sie nicht und strafte es mit kalter Verachtung ab. Vergebung und Schlussstriche lagen nicht in ihrer Natur. Dafür aber forderte sie, die als stellvertretende Direktorin inzwischen mehr als ordentlich verdiente, energisch Unterhalt von ihm ein, und wehe, er war mit einer Rate säumig, dann erhielt er umgehend einen blauen Brief von ihrem Anwalt.
Richard stellte die Besuche bei seiner Familie irgendwann resigniert ein. Aber das Trinken ließ sich nicht mehr so leicht einstellen. Die Droge Alkohol war nebenbei in seinen Alltag eingesickert und hatte sich dort festgesetzt wie ein böser Pilz. Er war nicht sofort ein extremer Säufer geworden und hatte es phasenweise geschafft, die Dämonen in Schach zu halten. Manchmal trank er über Wochen nichts und redete sich ein, dass der Alkohol keine Macht mehr über ihn hatte. Aber wehe, wenn es schöne Momente gab. Der Fußball-Weltmeistertitel der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien hatte eine halbjährige Phase der Abstinenz bei ihm beendet. Mit einigen spontanen Freudenbierchen in einer Kneipe begann es, mit Schnäpsen ging es weiter und endete mit einem Absturz. Richard geriet betrunken in einen Streit und schlug einen Mitzecher mit einer Bierflasche. An nichts davon konnte er sich später noch erinnern.
Der Aussetzer aber hatte die Polizei auf den Plan gerufen und Wellen geschlagen. Auch seine neue Schule, das Ostsee-Gymnasium, erfuhr davon und mahnte ihn ab. Erst einmal war dann Ruhe. Als Richard aber einige Monate darauf bei einer Klassenfahrt erneut die Kontrolle verlor und sich in seinem Zimmer eine Flasche Gin genehmigte, nahm das Drama seinen Lauf. Einem seiner Schutzbefohlenen wurde in dieser Nacht schlecht, sodass ein Arzt gerufen werden musste. Das aber bekam der sturzbetrunkene Richard nicht mehr hin, eine Schülerin alarmierte dann den Notarzt.
Diese erneute Verfehlung hatte ernste Folgen. Er wurde sofort vom Dienst suspendiert, musste sich in der Folge einem Disziplinarausschuss stellen, der ihn in die Frühpension schickte und dazu seine Beamtenpension empfindlich kürzte. Das einzig Positive daran war, dass sich damit die Unterhaltszahlungen für Annika so gut wie erledigt hatten, da Marion jetzt fast dreimal so viel verdiente wie ihr Ex-Mann.
Angesichts seines dramatischen Gesichtsverlustes überlegte Richard zu dieser Zeit, Rügen den Rücken zu kehren und wieder nach Berlin zu gehen. Doch da bot ihm Herr Juskowiak, ein alter Freund seines Vaters, die Hälfte seines Hauses in der Garzer Poggenburgstraße für eine symbolische Miete an. Der alte Juskowiak war weniger an Geld interessiert, als daran, einen verlässlichen Nachbarn für seine Tochter Almut zu bekommen. Die ledige Sekretärin lebte allein in dem Doppelhaus, neigte zur Ängstlichkeit und brauchte manchmal Zuspruch. Richard konnte mit dieser Auflage leben. Finanziell war das Arrangement alternativlos, und so nahm er das Angebot an.
Nach seinem Einzug bemühte er sich ernsthaft darum, seinen Durst zu zügeln, aber er bekam sein Alkoholproblem nicht wirklich in den Griff. Er war jetzt noch die große Lachnummer auf der Insel. Hier, wo mancher Rüganer sich rühmte, seit Jahrzehnten angetrunken zu fahren, ohne je kontrolliert worden zu sein, hatte der gefallene Lehrer es geschafft, mit zwei Promille am Steuer erwischt zu werden.
Als er den Führerschein nach längerer Zeit zurückbekam, hatte Richard bereits kein Auto mehr. Es war eine vorsorgliche Maßnahme, weil er nicht riskieren wollte, noch einmal betrunken zu fahren. Trotzdem hätte er ein Gefährt gut gebrauchen können. Bereits Mitte fünfzig hatte er körperlich rapide abgebaut, und die Arthrose in seinen Knien...
Erscheint lt. Verlag | 3.2.2020 |
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Reihe/Serie | Rügen-Krimis |
Rügen-Krimis | Rügen-Krimis |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Alkoholiker • Alkoholsucht • Bücher für den Urlaub • Cosy Crime • Das Wunder von Bern • inselkomissarin • Kindesentführung • Kommissar • Küstenkrimi • Laienermittler • neuerscheinung 2020 • Ostsee • Ostseekrimi • Ostsee-Krimi • Regionale Krimis • Rügen Krimi • Rügen-Krimi • Rügen Roman • spannende Bücher • unglaubwürdiger Erzähler • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-492-98656-0 / 3492986560 |
ISBN-13 | 978-3-492-98656-4 / 9783492986564 |
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