Die Briefe. Band 4 (eBook)

Kritische Ausgabe in vier Bänden
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2020 | 1. Auflage
3000 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76449-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Briefe. Band 4 -  Ernst Barlach
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Ernst Barlach nimmt unter den Künstlern der Moderne einen besonderen Platz ein. Über Barlachs Der tote Tag befand Thomas Mann, es sei das »Stärkste und Eigentümlichste ..., was das jüngste Drama in Deutschland hervorgebracht hat«. Über seine Plastiken hielt Bertolt Brecht fest: »Sie haben viel Wesentliches und nichts Überflüssiges.« Als Neil MacGregor 2014 für seine Londoner Ausstellung »Deutschland - Erinnerungen einer Nation« nach einem ikonischen Exponat suchte, entschied er sich für Barlachs »Schwebenden« aus dem Güstrower Dom.
Anlässlich des 150. Geburtstages von Ernst Barlach erscheinen seine Briefe in einer vierbändigen Ausgabe. Sie enthält neu aus den Originalen transkribierte Texte mit einem kontextbezogenen Kommentar. Ein Viertel der gut 2200 Briefe wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.
Mit den Briefen schrieb Barlach den Roman seines Lebens. Der Bogen reicht von Sinnsuche und Selbstaussprache über Künstlerwerdung und Meisterschaft bis hin zu Verzweiflung und Vereinsamung. Der alleinerziehende Vater gibt Nachricht, der selbstbewusste Künstler verhandelt, der Einzelgänger zieht sich zurück, der politisch interessierte Beobachter kommentiert. Der hier schreibt, ist belesen in vielen Literaturen, bewandert in der Kunst und begabt, von sich zu sagen. Er ist feinfühlig und unbescheiden, neugierig und starrsinnig, er bittet und ignoriert. In seinen Briefen wird Barlach kenntlich als Mensch.

<p>Ernst Barlach wurde am 2. Januar 1870 in Wedel/Holstein geboren und war Bildhauer, Zeichner und Schriftsteller. Er starb am 24. Oktober 1938 in Rostock.</p>

1936


1860 an Walther Katzenstein, Güstrow, 3. ‌Januar 1936

Güstrow Heidberg

3. ‌1. ‌36

Lieber Herr Katzenstein,

so um diese Zeit habe ich immer das Gefühl, daß etwas langsam ausgeht und langsam beginnt. Leise Bewußtlosigkeit bei beiden Vorgängen. Das Leben regt sich mit kaum spürbaren Pulsschlägen, Winterschlaf überall, und ich selbst bin mit der Zeit schläfrig. Wir feierten so so. Zum Teil dachten wir: wärs erst vorüber, zum Teil ließen wirs vorangehen wie es kam. Klaus mimte »drüben« Weihnachtsmann, Marga und ich stießen erleichtert an, denn der Rummel von vielerlei Besorgungen war vorbei. Zu Neujahr nicht anders, drüben rauschte das Fest, wir tranken, weil es uns danach war, Kaffe und aßen Berliner Pfannkuchen. Später, als 12 Uhr vorbei, kriegten wir Durst und tranken noch eins. Gestern war ich 66 Jahre, Maler Wohlers1 gratulierte zum 70sten. Wir, während Klaus sich miesepetrich u. verkatert im Bett behagte, fuhren nach Rostock und Warnemünde. Als wir heimkamen, war auch dieser Tag, Krisentag I. Ordnung wegen möglichen Besuchs, überstanden, Klaus war wieder frisch und machte es einigermaßen wieder gut, was er mit Mißlaune verbrochen. |

Da Sie den Findling kennen, brauche ich zu den Abzügen die Klaus auf Butterbrotpapier gemacht, nichts hinzuzufügen. Alte Stöcke von 1922 hatten sich wieder angefunden.2 Höchstens entschuldigende Wendungen waren am Platz. Ihre Karte3 wird aufs höchste bewundert, ich kann nur danken und versichere, daß sie bestens bewahrt wird bei den übrigen der Sammlung, auf die wir stolz sind.

Soll ich wiederholen, wie oft unsere Gedanken bei Ihnen weilen und wie wir Ihre Angelegenheiten4 treulich verfolgen? Was nutzt es Ihnen! Immerhin, unsere Wünsche zum neuen Jahre berühren Dinge von besonderer Wichtigkeit für Sie, also mögen sie gesagt und als herzlich aufrichtig beteuert werden.

Für die schöne Platte5 sei noch besonders gedankt!

Herzlich grüßt Sie

Ihr EBarlach

Brief, 1 Bl. mit 2 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 28,0 ‌× ‌22,0 cm; Stadtarchiv Wedel (S 8 Barlach 6/10); unveröffentlicht

1Julius Wohlers.

2Die Druckstöcke für die Holzschnitte zum Drama Der Findling (↘ ‌1858, Anm. 2).

3Katzenstein versandte regelmäßig gezeichnete Karten, kleinformatige Zeichnungen und Druckgrafiken (↘ ‌1245, Anm. 2).

4Nachdem Katzenstein bereits 1934 nach Palästina emigriert (↘ ‌1593, Anm. 3) und Ende desselben Jahres nach Deutschland zurückgekehrt war (↘ ‌1724), plante er vermutlich neuerlich ins Exil zu gehen.

5Nicht ermittelt.

1861 an Walter Rinecker, Güstrow, 4. ‌Januar 1936

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

4. ‌1. ‌36

Lieber Herr Rinecker,

einen schönen und herzlichen Dank für das kostbare Werk1 über »Urformen aus Ihrer Hand« werden Sie im Laufe der kommenden Monate bei Gelegenheit wohl noch manchmal hören. Heute, als erstes Mal, bei dem gegebensten Anlaß, sei er mit besonderer Ausdrücklichkeit abgestattet. Wirklich bin ich Besitzer einer wahren Schatzkammer geworden, aus deren | Überfluß immer wieder geschöpft werden kann, denn da ist für alles »Ur«tümliche gesorgt, Strenge, Überschwang, Heiterkeit, Erbauung, Mahnung – und wie die tausend Bedürfnisse des Gemüts weiter heißen, für Alles ist gesorgt, alle Fragen finden Antwort – und die Strenge wie der Ernst sind wohl die vornehmsten Ansprüche die da befriedigt werden, da ich wohl dazu neige, in ihnen die edelste menschliche Wesentlichkeit zu sehen.

Ihre Mitteilung über die Unterredung mit Hittenkofer hat mich erfreulich berührt. Daß Sie sich die Umstände gemacht, so bald ihn aufgesucht, daß der Termin seiner Urlaubsreise | die Besprechung nicht aufs Unbestimmte hinausschob, muß ich als Glücksfall ansehen, der meinen Dank vertieft. Was so gut ablief, so sind Menschen nun mal, wird doppelt freudig empfunden! Klaus ist seit gestern wieder in Strelitz und ich habe ihm gleich nach Eingang Ihres Briefes geschrieben, so daß er die Nachricht morgen erhält.

Zum Fest wird für uns besonders ein passendes Bäumchen, klein genug für mein Zimmer, besorgt. Der Besorger ist »Karl«,2 der es nicht mit ansehen zu können vorgiebt, daß wir keinen Tannenbaum mit Kerzenlicht haben. Ohne Karl feierten wir ohne – oder doch »gewissermaßen«, in bequemen Grenzen, pars pro toto.3 Drüben im Hause geht es herrlicher her, herrschaft- ‌| ‌lich, die Feste folgen einander, aber immer rauschend, was uns hüben nicht erwünscht ist. So machen wirs wie es grade beliebt, mit oder ohne Strapazierung der Mägen, mit oder ohne Pfropfengeknall. Am 2ten waren Frau Böhmer und ich in Warnemünde, Klaus mit einem Anflug von Grippe oder leicht verkatert, hütete das Bett. Auch ein Ausflug nach W. giebt keine Gewähr für Alleinbleiben, auch dort grüßten hinter Kaffeehausscheiben Güstrower und machten sich Fremde an den Tisch, wenn auch Gottseidank mit nur zaghaftem Annäherungsversuch.

Ihrer Frau sagen Sie bitte einen herzlichen Dank für ihre Karte. Dank ist ein Ding, das es gut hat, immer voll Zuversicht, daß er willkommen sei, braucht sich nicht zu zieren und studiert zu tun. Vielleicht ist ein Händedruck beredter als ein Wort, ich wünschte also Ihre u. Ihrer Frau Hand geschüttelt zu haben!

Mit viel herzl. Grüßen

Ihr EBarlach4

Brief mit Umschlag, 1 DBl. mit 4 beschriebenen Seiten, schwarze Tinte, 18,8 ‌× ‌17,3 cm; Privatbesitz; unveröffentlicht

1Nicht ermittelt.

2Vermutlich Karl Barlach.

3(Lat.) Teil vom Ganzen.

4Am linken Rand von Bl. 2v, quer zum Text: »schüttelt zu haben! […] Grüßen / Ihr EBarlach«.

1862 an Karl Muggly, Güstrow, 5. ‌Januar 1936

Güstrow i. ‌M.

Heidberg

5. ‌1. ‌1936

Lieber Herr Muggly,

die Feste am Inselsee sind verrauscht, dergleichen hinter sich zu wissen giebt eine hübsche Genugtuung, obgleich wirs hier nicht arg treiben, eigentlich mit einer ausgemachten Tendenz zu Unfestlichkeit, worunter man »das Gute in richtiger Temperiertheit wahrnehmend« ansehen kann. Grüße und Wünsche von Ihnen und Ihrer Frau sind dankend willkommen geheißen. Sie waren | vollauf freundliche Gaben für sich und in Wahrheit, lieber Herr Muggly, helfen Sie so unserer Art der Begehung von Festen, worin ich mit Frau Böhmer vollauf einig bin. Ich fürchte ein bißchen, daß die angekündigte bescheidene Gabe mir das Gefühl, allgemach mehr als billig in einer größern Dankesschuld gegen Sie zu geraten, vermehren wird und schon hatte ich ahnend, Frau Marga gebeten, bedacht und leise anzuregen, es gewiß bei einem herzlich erwünschten Gruß bewenden zu lassen. Sehen Sie, wir können in unserm Raume mit bescheidenen Lichtverhältnissen nur einen kleinen Teil von Allem würdig hängen oder sonst anbringen, | was uns (wie der Mecklenburger sagt:) von »vielerwo« gesandt ist. Es tut mir aufrichtig weh, so Manches einstweilen gerollt bewahren zu müssen, was des besten Lichts in Weiträumigkeit bedürfte. Darum, es ist garnicht die grimme Frau Grete,1 die ihre Feder rührte, sondern eigentlich die von mir herrührende Scheu, die sie auf mein Zutun mit mehr meiner als ihrer Feder berührte, eine Scheu, die worin ihre Wurzeln hat? In einer angeborenen Art von Angst vor...

Erscheint lt. Verlag 20.1.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alfred Kubin • Archiv • Bildende Kunst • Bildender Künstler • Bildhauer • Briefedition • Briefsammlung • Bronze • Bruder • Cassirer • Cousins • Der Schwebende • Der tote Tag • Deutschland • Drama • Dramatiker • Ehe • Ehrenmal • Emil Nolde • Entartete Kunst • Familie • Figuren • Güstrow • Güstrower Dom • Hans Barlach • Jubiläum • Käthe Kollwitz • Kollwitz • Kommentar • Kubin • Kunst • Künstler • Künstlerleben • Mecklenburg • Moderne • Nachlass • Nolde • Paul Cassirer • Piper • Plastik • Reinhard Piper • Rostock • Schriftsteller • Skulptur • Theater • Transkripte • Universität Rostock • Wedel • Zeichner
ISBN-10 3-518-76449-7 / 3518764497
ISBN-13 978-3-518-76449-7 / 9783518764497
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