Das kleine Café im Herzen der Stadt - Katie Ganshert

Das kleine Café im Herzen der Stadt

(Autor)

Buch | Softcover
336 Seiten
2020 | 1. Auflage
Francke-Buch (Verlag)
978-3-96362-128-4 (ISBN)
14,95 inkl. MwSt
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Das Einzige, was Robin Price von ihrem verstorbenen Mann geblieben ist, sind ein dreijähriger Sohn, ein Café, das besser laufen könnte, und Erinnerungen, die langsam verblassen. Trotzdem ist sie nicht bereit, das Willow Tree Café aufzugeben. Es ist die Erfüllung eines Traums, der während ihrer Hochzeitsreise in Italien geboren wurde, inmitten herrlichster Röstaromen und Gebäckduft. Und eine Oase nicht nur für sie, sondern auch für unzählige andere.
Als der Investor Ian McKay in die Stadt kommt und Robins Café einer seelenlosen Wohnanlage weichen soll, schlagen die Wellen daher hoch. Einerseits will niemand auf das kleine Café verzichten. Andererseits könnte das Projekt der Stadt - und Robin? - einen Neuanfang bescheren. Und der wäre dringend nötig ...

Katie Ganshert war Lehrerin, bis ihr der Durchbruch als Romanautorin gelang. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Für »Das Motel der vergessenen Träume« bekam sie in den USA einen Preis für den besten zeitgenössischen christlichen Roman des Jahres verliehen.

Kapitel 1 Umgeben von einem Haufen von Oberteilen, die alle nicht infrage kamen, stand Robin Price vor dem Wandschrank, den sie sich einst mit ihrem Mann geteilt hatte. Sie schwankte zwischen hochhackigen Pumps und Ballerinas. Aber in Gedanken war sie bei ihrem Haus, einem Minenfeld aus Plastikdinosauriern, Spielkarten und Bob-der-Baumeister-Figuren, die auf dem Weg von Calebs Zimmer zu ihrem eigenen verstreut lagen. Robins Schwägerin schien das Chaos nichts auszumachen, oder vielleicht war sie auch nur daran gewöhnt. Jetzt hielt sie sich lange Ohrhänger an ein Ohr und goldene Creolen an das andere. Mit jedem Tag schien sie mehr zu ihrer alten Form zurückzufinden. »Diese hier würden zu deinem schwarzen Top super aussehen«, sagte Amanda und wackelte mit den Creolen an ihrem linken Ohr. »Aber diese hier passen genau zu dem blauen.« Sie hielt sich die Ohrhänger ans rechte Ohr. Hinter ihr stapfte Caleb in braunen Stiefeln mit hohen Absätzen ins Zimmer, seinen geliebten Mähdrescher in der Hand. Mit seiner Haartolle und den großen braunen Augen sah er Micah so ähnlich, dass Robin kurz der Atem stockte. »Guck mal, Mommy«, sagte er. »Ich bin ein Cowboy! Und ich verjage die bösen Männer mit meinem Schießgewehr.« Er rannte, so schnell es ihm die viel zu großen Stiefel erlaubten, den Flur entlang. Amanda hielt die Ohrringe höher. »Was meinst du?« »Ich finde, wir machen uns zu viele Gedanken.« Robin ließ sich aufs Bett fallen und wischte sich ein paar Haarsträhnen aus den Augen. »Dein erstes Date seit mehr als vier Jahren? Da kann man sich gar nicht genug Gedanken machen.« »Hör auf damit. Es ist kein Date.« Robin hatte so schon ganz schwitzige Hände. Ganz zu schweigen von dem mulmigen Gefühl in der Magengegend und ihren Nerven, die blank lagen. Dagegen war der chaotische Zustand ihres Hauses ein Klacks. »Ein alleinstehender Mann lädt dich zum Abendessen ein. Ich raube dir ja nur ungern deine Illusionen, aber das ist ein Date.« Mit einem Stöhnen ließ Robin sich auf die Matratze fallen. »Ich bin ein schrecklicher Mensch. Jemand sollte mich einschließen und den Schlüssel wegwerfen.« »Die Tatsache, dass du dich wieder unter die Leute traust, macht dich doch nicht zu einem schrecklichen Menschen.« »Aber das meine ich doch. Ich will ja gar nicht da raus!« Genau genommen lief das einzige männliche Wesen, mit dem Robin Zeit verbringen wollte, gerade in ihren hochhackigen braunen Stiefeln herum – und für die Dates mit diesem jungen Mann brauchte sie in der Regel nur ihren Schlafanzug, Popcorn und die DVD Elliott, der Drache, die sie sich schon x-mal angesehen hatten. Sie schlug den Arm über die Augen und schüttelte den Kopf. »Die ganze Sache war ein riesiges Missverständnis.« »Wovon redest du?« »Kyle hat meinen Vorschlag falsch verstanden. Wahrscheinlich denkt er, ich hätte auf ein Date spekuliert, aber ich wollte tatsächlich nur über die Veranstaltung am Sonntag reden.« Kyle war der neue Leiter von One Life, einer Hilfsorganisation, die von Sybils Antiquitätengeschäft aus arbeitete. Sie boten alles an: von kostenlosen Mahlzeiten über Kurse für Arbeitslose und Nachmittagsprogramme für Schulkinder. Und außerdem traf sich dort auch eine Selbsthilfegruppe für Drogenabhängige. Der Laden war direkt neben Robins Café und das bedeutete, dass sie nach Herzenslust backen konnte, denn alles, was tagsüber nicht verkauft wurde, gab sie nach nebenan, wo nie etwas Essbares umkam. Gestern, als sie ein paar Apfeltaschen rübergebracht und gefragt hatte, wann sie über den geplanten offenen Treff reden sollten, hatte er geantwortet: »Wie wäre es mit morgen Abend beim Essen?«, und sie war so schockiert gewesen, dass sie Ja gesagt hatte. Sie hatte Ja gesagt! »Ach du liebe Güte, ich mache ihm falsche Hoffnungen.« »Machst du nicht«, erwiderte Amanda, die in einer Schmuckschatulle auf der Kommode wühlte. »Vielleicht funkt es ja zwischen euch beiden.« Robin blickte an die Decke und sah die Staubschicht auf den hölzernen Ventilatorblättern. Zwei der drei Glühbirnen in der Lampe waren ausgebrannt. Sie würde warten, bis es ganz dunkel im Zimmer war, bevor sie sich die Zeit nahm, die Birnen zu wechseln. Micah hatte sich immer darüber lustig gemacht. Robin sah ihn noch vor sich, wie er in ausgeblichenen Jeans auf ihrem Bett stand und eine neue Glühlampe in die Fassung schraubte. »Was würdest du nur ohne mich machen?«, fragte er dann immer. »Blind werden, weil ich so viel blinzeln muss«, hatte sie geantwortet. Wie sich herausgestellt hatte, war sie nicht erblindet, aber es war dämmriger im Haus. Sie runzelte die Stirn und setzte sich auf. Amanda zog etwas Schwarzes aus dem Kleiderstapel im Schrank. »Caleb hat gerade eine Erkältung hinter sich.« »Dein Sohn kommt schon klar. Es hat eben Vorteile, dass du mich als Mitbewohnerin hast.« Amanda legte die goldenen Creolen auf Robins Knie. »Schwarzes Oberteil. Goldene Ringe. Du kannst jetzt nicht mehr absagen.« Wie auf Befehl läutete es an der Tür. Das Geräusch ließ Robin vom Bett aufspringen. Sie war ein einziges Nervenbündel – und es war kein angenehmes Kribbeln wie bei ihrer ersten Verabredung mit Micah, sondern ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Sie zog das schwarze Top über ihr Unterhemd, hakte die Creolen in ihre Ohrläppchen und schlüpfte in ein Paar schwarze Ballerinas. Dann eilte sie die Treppe hi-nunter, während Caleb mit einer leeren Wasserpistole hinter ihr herlief. Sie legte die Hand auf den Türknauf und holte tief Luft. Einatmen – es ist kein Date. Ausatmen – es ist kein Date. Amanda machte mehr daraus, als es war. Sie setzte ein Lächeln auf und öffnete die Tür. Kyle stand davor mit kurz geschnittenen Haaren, einem dunkelblauen Polohemd und einer einzelnen roten Rose. Das war so was von einem Date. »Wow«, sagte er und streckte ihr die Blume entgegen. »Du siehst toll aus.« Ihr Magen zog sich nicht zusammen und ihr Herzschlag beschleunigte sich auch nicht. Aber sie dankte ihm und nahm die Gabe an. »Komm rein.« Kaum war er eingetreten, ging er in die Hocke, sodass er Kleinkindhöhe hatte, und streckte die Hand aus. »Du bist bestimmt Mr Caleb, der Mann im Haus. Ich heiße Kyle.« Caleb presste das Gesicht an Robins Hüfte und machte ein Geräusch, das halb Jammern, halb Schnauben war. Ein wortloses »Ich will nicht«. Ihr Junge war nicht schüchtern und schon gar kein ungezogenes Blag. Warum also verhielt er sich so? »Wenn jemand Hallo sagt, dann ist es höflich, auch Hallo zu sagen, Caleb.« Wieder machte er das Geräusch und schlang beide Arme um ihre Beine. Ach, du liebe Güte. Sie würde im Beisein dieses Mannes und vor ihrem ersten versehentlichen Date nach viereinhalb Jahren doch mit ihrem Kind keinen Machtkampf ausfechten. Kyle richtete sich zu seiner vollen Größe auf und machte eine Handbewegung, die deutlich machte, dass sie sich keine Sorgen machen sollte, weil er es nicht persönlich nahm. Robin wollte ihre Handtasche holen, aber Caleb ließ ihr Bein nicht los. Sie sah Amanda an. »Vergiss nicht, ihm seine Medizin zu geben. Sie ist in der rosafarbenen Flasche im Kühlschrank. Dr. Dotts hat betont, wie wichtig es ist, dass er sie zehn Tage lang nimmt, auch wenn er keine Symptome mehr hat.« »Ich weiß. Ich weiß. Hör auf, dir Sorgen zu machen und hab einen schönen Abend.« »Ich will mitkommen«, sagte Caleb. Robin gab die Rose an ihre Schwägerin weiter und löste Calebs Arme von ihrem Bein. »Du bleibst hier und spielst mit Tante Mandy, Liebling.« »Aber ich will mit.« Er schob die Unterlippe vor und umklammerte wieder ihr Bein, aber Amanda packte ihn bei den Schultern und zog ihn fort. Das wollte Caleb sich nicht gefallen lassen und fing laut an zu weinen. »Wir können den Drachenfilm gucken«, schlug Amanda vor. »Ich will mit!« Sein Weinen verwandelte sich in ein ausgewachsenes Heulen. Robin merkte, wie ihre Ohren rot wurden. Caleb – ihr wundervoller, gütiger, sorgloser, beinahe vier Jahre alter Junge – bekam einen Wutanfall, der es locker mit den Trotzattacken der schlimmsten Zweijährigen hätte aufnehmen können. Sie starrte ihn an und wäre am liebsten im Erdboden versunken, bis Amanda die Arme um den traumatisierten Jungen legte und mit den Lippen lautlos das Wort Geh! formte. Und Robin ging. Während Caleb hinter ihr herbrüllte, ging sie aus dem Haus, schloss die Tür hinter sich und lächelte Kyle an, während sie sich so einsam fühlte wie schon seit Langem nicht mehr. Ihr Lieblingsbild hing ein wenig schief, leicht nach links geneigt, als wollte es dem Chaos im Café entfliehen. Trotz des kaputten Ofens und des Angestellten, der sich krankgemeldet hatte, atmete Robin den Dampf ein, der von ihrem Kaffee aufstieg, und lächelte, denn es war ihr Chaos. Und nichts konnte ihr den Samstagmorgen verderben. Nicht einmal der leere Tisch neben der Bar, an dem normalerweise Bürgermeister Ford Zeitung las, während er einen Milchkaffee mit Karamell und weißer Schokolade trank und dazu eine ihrer selbst gebackenen Zimtschnecken aß. Ein lautes Geräusch drang von der Küche herüber, als schlüge jemand mit dem Hammer auf ein Rohr. Die Unterhaltung ihrer drei Tischgenossinnen stockte und ging dann weiter. Robin musste mit einem Gebet beginnen und das Gespräch in der Trauergruppe in konstruktivere Bahnen lenken, zum Beispiel darauf, wer in diesem Monat Jed Johnson besuchen und ihm das Essen bringen sollte. Doch stattdessen drehte sie ihren Ehering, den sie all die Jahre nach Micahs Tod immer noch trug, und genoss das Lächeln der anderen Frauen – vor allem das von Linda. Vor anderthalb Jahren hatte die Frau nicht mehr leben, geschweige denn unter Leute gehen wollen. Und jetzt saß sie hier, hatte wieder Appetit und war bereit, diejenigen zu unterstützen, deren Trauer noch etwas frischer war. Robin trank einen Schluck von ihrem Kaffee, während sich Zufriedenheit in ihr breitmachte. Sie war ganz stolz auf die Fortschritte, die sie alle gemacht hatten. »Also …« Cecile Artons Gesicht strahlte plötzlich wie ein Weihnachtsbaum. Sie trug einen lässig sitzenden pinkfarbenen Trainingsanzug mit Strasssteinchen und ihr grauer Haaransatz ging in toupierte, blond gefärbte Haare über. »Wie war dein Date gestern Abend?« Mit einem Ruck wurde Robin aus ihren Gedanken gerissen. »Mein Date? Woher weißt du denn davon?« »Richard hat dich mit jemandem in Shorney’s Terrace gesehen.« »Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, aber dieser jemand ist nur ein Bekannter.« Cecile faltete die Hände und stützte das Kinn darauf. »Das ist nicht gerade ein Restaurant, in das man mit Bekannten geht.« Robin war sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst, schließlich waren sie während des kompletten Essens von verliebten Highschool-Pärchen in Ballkleidung umgeben gewesen. Trotzdem hatte sie ihr Unbehagen beiseitegeschoben und die Gelegenheit genutzt, den neuen Leiter von One Life kennenzulernen. Robin gefiel seine Leidenschaft für diese Arbeit, aber selbst in unvorsichtigen Momenten, in denen sie die Möglichkeit, dass mehr daraus werden könnte, in Erwägung zog, vermisste sie nur Micah. »Wir haben über den offenen Treff am Sonntag gesprochen, das ist alles.« Die Küchentür schwang auf und heraus kam Lenny, der sich im Café immer um die handwerklichen Dinge kümmerte, einen Werkzeuggürtel um die Hüfte geschnallt. Caleb folgte ihm auf Zehenspitzen dicht auf den Fersen, die Arme wie ein Tyrannosaurus Rex vor dem Oberkörper verschränkt. Als sie ihn an diesem Morgen geweckt hatte, war das Fiasko vom Abend zuvor schon ganz in Vergessenheit geraten. »Ich muss nur was aus dem Wagen holen«, sagte Lenny und nickte Robin und den anderen Frauen zu. Caleb ahmte seinen Gruß nach. »Hi, wilder Mann, was hältst du davon, wenn du herkommst und ein bisschen malst, während Lenny den Ofen repariert?«, sagte Robin. Er stieß seinen besten Dinosaurierprotest aus – etwas zwischen Knurren und Brüllen. Linda lachte und trank einen Schluck von ihrem Kräutertee. Sie kannte Caleb schon, seit er Krabbeln gelernt hatte, und wusste, dass der Junge keinerlei Interesse am Ausmalen hatte. Oder an irgendwas anderem, wobei man still sitzen musste. Nicht wenn es Drachen zu töten und Bösewichter zu fangen gab. »Ist schon okay, Robin. Er kann mir helfen.« Lenny fuhr Caleb durchs Haar und öffnete die Eingangstür. Die Morgensonne fiel auf den marmorierten Fußbodenbelag. »Dürfte nicht lange dauern, bis dein Ofen wieder läuft.« Sobald die beiden draußen waren, trank Cecile einen Schluck von ihrem Mocha, und ihr Lippenstift hinterließ einen Abdruck auf dem Becherrand. »Dieser Lenny ist ein attraktiver Typ.« »Mir ist egal, ob er süß oder voller Warzen ist«, entgegnete Bernie, »solange er diesen Ofen repariert und ich meine Zimtschnecke bekomme.« Sie stocherte an dem Rhabarbermuffin von gestern herum. Genau der gleiche Muffin, den Cecile und Linda gegessen hatten, ohne zu klagen. »Das ist das Einzige, was ich noch gerne esse.« »Er ist wirklich supernett. Kräftige Schultern. Und volles Haar.« Cecile trank noch einen Schluck und sah Robin über die Schlagsahne mit Schokostreuseln hinweg vielsagend an. »Was hältst du von Lenny?« »Ich finde, er ist ein hervorragender Handwerker. Und ich finde, wir sollten anfangen.« »Du weichst aus«, sagte Cecile. »Wem weiche ich aus?« »Der Frage.« Sie wischte sich mit der Serviette die Mundwinkel ab. »Nur weil gestern Abend der Funke mit Kyle nicht übergesprungen ist, heißt das doch nicht, dass es bei Lenny nicht anders sein kann. Du musst es weiter versuchen, bis du den Richtigen findest.« Robin hatte den Richtigen gefunden. Dass sie ihn verloren hatte, bedeutete nicht, dass sie sich einen Ersatz suchen musste. »Caleb mag ihn jedenfalls, wie es scheint.« »Caleb mag jeden, der ihm erlaubt, mit einem Hammer auf irgendwas rumzuhauen.« »Ich sage ja nur, dass du es sehr viel schlechter treffen könntest als bei Lenny«, schob Cecile nach. Bernie murmelte etwas von viel besser treffen und massierte sich das Knie. Robin lachte. »Was hältst du davon: Sollte ich jemals jemanden brauchen, der mich verkuppelt, bist du die Erste, die ich anrufe, in Ordnung?« »Wo wir gerade vom Verkuppeln sprechen« – Cecile wandte sich Linda zu – »wie war denn dein Date gestern Abend? War er so charmant, wie ich es dir versprochen habe? Hat er dich zu Val’s Diner eingeladen? Ich habe ihm gesagt, er soll etwas mehr springen lassen als nur Val’s.« Lindas Wangen röteten sich ein wenig. Robin sah Cecile an. »Du hast eine Verabredung für sie organisiert?« »Mit dem süßen Typen, dem der Waschsalon gehört.« Jetzt wurde Linda richtig rot. »Ist schon gut, Robin. Es war sehr nett.« Ceciles Augen leuchteten. »Hab ich doch gesagt.« »Nächste Woche gehen wir zusammen tanzen.« Robin atmete hörbar aus. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und musterte Linda, während sie versuchte, das merkwürdige Gefühl zu ignorieren, übergangen worden zu sein. »Kann ich den haben?« Cecile zeigte auf Bernies ungegessenen Muffin. Die alte Frau schob ihren Teller rüber und rümpfte die Nase, als hätte Robin ihnen verdorbenen Fisch serviert. »Ich bin wirklich froh, dass du die Vergangenheit losgelassen hast, Linda. Und nach vorne blickst. Dich wieder aufs Leben einlässt.« Robin spürte, wie sich ihr Brustkorb zusammenzog. Dann verkrampften ihre Arme und Beine. Die Vergangenheit loslassen. Nach vorne blicken. Warum sollte ein Date als Beweis dafür dienen, dass man das tat? Und wie konnte Cecile das sagen, als wäre es so einfach, wenn sie doch keine Ahnung hatte? Cecile hatte eine Schwester verloren und Robin einen Ehemann. Und auch wenn beides ein schwerer Schlag war, war es doch nicht dasselbe. Die Eingangstür ging auf. Lenny und Caleb kamen hereinspaziert, nickten ihnen wieder zu und verschwanden dann in der Küche. Der Anblick ihres Sohnes bewirkte, dass sich die Anspannung bei Robin löste. Wenn Linda für eine Beziehung bereit war, dann war das in Ordnung. Es gab keinen Grund, warum Robin sich abgehängt fühlen sollte, wo es doch ein Wettbewerb war, an dem sie gar nicht teilnehmen wollte. Ihre Aufmerksamkeit wanderte zu ihren einzigen Kunden – einem Paar mittleren Alters, das mit seinem Kaffee fertig zu sein schien. Die Frau stand auf und nahm ihre Handtasche, während der Mann die beiden Tassen zum Tresen brachte. »Ich bin gleich wieder da, Mädels«, sagte Robin. Sie kassierte bei den beiden und sah ihnen nach, als sie zur Tür gingen. Wie sie sich an den Händen hielten und im gleichen Rhythmus bewegten, nagte an ihr – es war das gleiche Gefühl, das sie hatte, wenn sie sah, wie ein Pärchen sich küsste oder lachte. Jetzt schob sie dieses Gefühl beiseite und warf einen Blick auf den leeren Platz, wo normalerweise der Bürgermeister saß. »Weiß eine von euch, wo Bürgermeister Ford ist?«, fragte sie, während sie hinter dem Tresen hervorkam. »Der kommt heute nicht.« Cecile schluckte einen Bissen von ihrem Muffin hinunter und zögerte so lange, bis Linda sich auf ihrem Stuhl ein wenig nach vorn lehnte. »Richard sagt, der Bürgermeister arbeitet. Wir wissen alle, dass der Mann nicht mal die Comics lesen kann, wenn er im Arbeitsmodus ist.« »Er arbeitet am Samstag?« »Ich vermute, er bereitet sich auf ein Arbeitsessen mit einem Bauunternehmer vor. Irgendwas mit Eigentumswohnungen in Peaks.« Bernie lachte. »Warum braucht eine Stadt von dieser Größe denn Eigentumswohnungen?« »Hast du das denn nicht mitbekommen? Dieses Software-Unternehmen – Fixtel? Sie haben letzte Woche bestätigt, dass sie am Stadtrand bauen wollen. Bürgermeister Ford ist ganz aus dem Häuschen. Er hofft auf einen Bevölkerungsboom.« »Bevölkerungsboom?« Robin setzte sich ein bisschen zu abrupt. »In Peaks?« Ceciles auf und ab wippender Kopf ließ ihre Ohrringe klingeln. »Richard geht in letzter Zeit in Arbeit unter. Der Stadtrat arbeitet an einem Stadtentwicklungsplan. Sie wollen einen Teil des Gewerbegebietes modernisieren. Die Gegend könnte weiß Gott ein Facelifting gebrauchen.« Robin runzelte die Stirn. »Das soll bei der nächsten Stadtversammlung Thema sein. Eigentumswohnungen sind gut fürs Geschäft. Jedenfalls für die Geschäfte, die es noch gibt.« Etwas an Ceciles unheilvollem Tonfall ließ Robin aufhorchen. »Dein Schmuckgeschäft hat doch keine Probleme, oder?« »Wenn man es nicht als Problem betrachtet, wenn wir jeden Tag rote Zahlen schreiben, dann nicht. Uns geht es prima.« Die Frau stützte das Kinn auf eine Hand und seufzte. »Richard hat heute Morgen ein Zu verkaufen-Schild in den Laden gehängt.« »Was?« Das Juweliergeschäft der Artons war eines der ältesten Geschäfte in Peaks. Wenn sie die Türen schlossen, befand sich das Willow Tree Café zwischen einem leer stehenden Juwelier und einem heruntergekommen Antiquitätenladen. Nicht gerade gut fürs Geschäft. »Warum hast du nichts gesagt?« »Wir wollen uns zur Ruhe setzen, vor allem jetzt, wo Richard so viel Arbeit im Stadtrat hat. Und da keines unserer Kinder Anstalten macht, den Laden zu übernehmen, dachten wir, dass es vielleicht an der Zeit ist. Die Entscheidung haben wir gestern Abend getroffen.« »Ich weiß, dass es im Moment zäh ist.« Robin sah sich in ihrem leeren Café um. Nicht nur der Juwelier hatte Probleme. »Aber seid ihr sicher, dass ihr nicht voreilig handelt?« »Du bist unsere einzige Stammkundin, Liebes. Und du kommst nur, weil du deinen Ring poliert haben willst.« Cecile sah Robin unter ihren zu stark gezupften Augenbrauen hervor an. Robin blickte auf ihre Armbanduhr. Der große Zeiger war schon an der Acht vorbei und sie hatten noch nichts von dem getan, was sie normalerweise während ihrer Treffen schafften. »Wir sollten über Jed Johnson reden, bevor ich gehe.« Bernie sah Robin mit ihren stahlgrauen Augen an. »Was ist mit ihm?« »Es geht ihm nicht gut. Ich war gestern bei ihm und er sah sehr dünn aus. Ich dachte, wir könnten diesen Monat noch ein paar zusätzliche Mahlzeiten für ihn organisieren. Es wäre toll, wenn jemand morgen nach ihm sehen könnte.« Wieder drangen metallische Geräusche aus der Küche herüber, gefolgt von Calebs Kichern. Wenn Robin dieses Geräusch in Flaschen füllen und auf eBay verkaufen könnte, wäre das die Lösung für alle finanziellen Sorgen der Stadt. »Ich würde es ja selbst machen, aber ich habe versprochen, bei den Vorbereitungen für den Geburtstag meines Schwagers zu helfen. Caleb ist schon scharf darauf, zur Farm rauszufahren.« »Jeds Frau ist vor vier Monaten gestorben«, sagte Bernie. »Jaaa.« Robin zog das Wort in die Länge. Worauf wollte Bernie hinaus? »Woher wissen wir, dass er es nicht absichtlich in die Länge zieht, um kostenlose Mahlzeiten zu bekommen?« Robin blinzelte und starrte die alte Frau an. »In die Länge? Es gibt keinen festen Zeitplan für Trauer, Bernie. Das müssten doch gerade wir verstehen.« Vier Monate nach Micahs Tod war Robin völlig am Ende gewesen. Hätte ihre Freundin Bethany sie nicht dazu gedrängt, immer mal wieder etwas zu essen, wer weiß, was dann geschehen wäre. Vor allem mit Caleb, mit dem sie damals schwanger gewesen war und den sie miternähren musste. Linda tätschelte Robins Hand. »Ich gehe gerne heute bei ihm vorbei.« Die Küchentür schwang auf und Lenny kam mit Caleb heraus. »Der Ofen ist repariert.« Robin seufzte erleichtert. »Du hast mir das Leben gerettet.« »Bevor du mir zu überschwänglich dankst, muss ich dir sagen, dass die Prognose nicht gut ist. Du brauchst einen neuen Ofen. Entweder das oder eine neue Elektrik. Am besten vielleicht beides. Denn in der Kombination wird es immer wieder Kurzschlüsse geben, und wenn du nicht bald was unternimmst, garantiere ich dir, dass dieses Café irgendwann in Flammen aufgeht.« »Hauptsache, das passiert nicht morgen.« Die Glocke über der Tür läutete. Amanda kam hereingerauscht, die Haare zum üblichen frechen Pferdeschwanz hochgebunden. Robin ging ihr entgegen und umarmte sie. »Du bist ein Lenny. Oder eine Linda. Beides funktioniert.« »Wie bitte?« »Du bist eine Lebensretterin.« »Und du kannst von Glück sagen, dass ich dich so lieb habe.« »Tut mir echt leid, dass ich dich fragen musste. Joe hat heute Morgen angerufen, dass er krank ist, und du weißt, dass Caleb unerträglich sein wird, wenn ich hierbleibe und weiterarbeite.« Sie sah zu ihrem Sohn hinüber, der lebhaft auf den geduldigen Lenny einredete. »Molly müsste um elf hier sein, um dich abzulösen. Ich muss zur Farm raus und verhindern, dass Bethany beim Kuchenbacken irgendetwas völlig Ungenießbares produziert.« »Dann beeil dich bitte.« Robin nahm die leeren Teller vom Tisch. »Tut mir leid, dass ich heute früher Schluss machen muss, Mädels. Ich schiebe die Zimtschnecken jetzt gleich in den Ofen. Bernie, nimm zwei davon mit, wenn du gehst.« Sie ging zur Küche und blieb auf dem Weg dorthin zweimal stehen. Einmal, um das schiefe Bild zurechtzurücken – ein Foto, das Micah vor elf Jahren vor dem Café de Petit gemacht hatte. Und noch einmal, um die Zeitung, die sie auf Bürgermeister Fords Tisch bereitgelegt hatte, wegzuräumen. Der Gedanke, dass ihre Stadt etwas von ihrem Kleinstadtcharme verlieren sollte, gefiel ihr nicht, aber vielleicht würden die neuen Bewohner auch neue Kundschaft in ihr Café bringen. Den Ort, den sie liebte, mit mehr Menschen zu teilen, konnte doch nur gut sein. Robin rieb sich die Hände und stieß die Tür zur Küche auf. Eigentumswohnungen in Peaks. Sie fragte sich, wo die wohl gebaut werden sollten.

Erscheinungsdatum
Übersetzer Dorothee Dziewas
Sprache deutsch
Original-Titel Wishing on Willows
Maße 135 x 205 mm
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Café • Heilung • Kleinstadt • Lebensträume • Liebe • Neuanfang • Trauer • Verlust • Witwe
ISBN-10 3-96362-128-1 / 3963621281
ISBN-13 978-3-96362-128-4 / 9783963621284
Zustand Neuware
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