Maigret und der geheimnisvolle Kapitän -  Georges Simenon

Maigret und der geheimnisvolle Kapitän (eBook)

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2020 | 1. Auflage
240 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70131-6 (ISBN)
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Ein nebliges Hafenstädtchen in der Normandie. Nächtelang heult das Nebelhorn, jede Flut bringt neue Schiffe zur Schleuse.Maigret ist in Begleitung von Kapitän Yves Joris und dessen Haushälterin Julie vor Ort. Er soll herausfinden, wer auf den Kapitän geschossen und ihm dann die Kugel so fachmännisch aus dem Kopf operiert hat, dass er zwar sein Gedächtnis verloren, aber sein Leben behalten hat. Doch dann geschieht im dichten Nebel ein Mord - und Maigret steht vor einer Mauer des Schweigens und bekommt es mit Dünkel und düsteren Leidenschaften zu tun.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

Georges Simenon, geboren am 13. Februar 1903 im belgischen Liège, ist der »meistgelesene, meistübersetzte, meistverfilmte, mit einem Wort: der erfolgreichste Schriftsteller des 20. Jahrhunderts« (Die Zeit). Seine erstaunliche literarische Produktivität (75 Maigret-Romane, 117 weitere Romane und über 150 Erzählungen), seine Rastlosigkeit und seine Umtriebigkeit bestimmten sein Leben: Um einen Roman zu schreiben, brauchte er selten länger als zehn Tage, er bereiste die halbe Welt, war zweimal verheiratet und unterhielt Verhältnisse mit unzähligen Frauen. 1929 schuf er seine bekannteste Figur, die ihn reich und weltberühmt machte: Kommissar Maigret. Aber Simenon war nicht zufrieden, er sehnte sich nach dem »großen« Roman ohne jedes Verbrechen, der die Leser nur durch psychologische Spannung in seinen Bann ziehen sollte. Seine Romane ohne Maigret erschienen ab 1931. Sie waren zwar weniger erfolgreich als die Krimis mit dem Pfeife rauchenden Kommissar, vergrößerten aber sein literarisches Ansehen. Simenon wurde von Kritiker*innen und Schriftstellerkolleg*innen bewundert und war immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch. 1972 brach er bei seinem 193. Roman die Arbeit ab und ließ die Berufsbezeichnung »Schriftsteller« aus seinem Pass streichen. Von Simenons Romanen wurden über 500 Millionen Exemplare verkauft, und sie werden bis heute weltweit gelesen. In seinem Leben wie in seinen Büchern war Simenon immer auf der Suche nach dem, »was bei allen Menschen gleich ist«, was sie in ihrem Innersten ausmacht, und was sich nie ändert. Das macht seine Bücher bis heute so zeitlos.

1 Die Katze im Haus


Als man Paris gegen drei Uhr verließ, schien eine kühle Herbstsonne, und auf den Straßen herrschte reges Leben. Kurz vor Mantes gingen dann die Lampen im Abteil an. Ab Évreux war draußen alles dunkel. Und jetzt sah man durch die beschlagenen, tropfnassen Scheiben dichten Nebel, der den Schein der vorübergleitenden Lichter dämpfte.

Maigret saß behaglich in seiner Ecke, den Kopf angelehnt, und beobachtete mit halb geschlossenen Augen unablässig die beiden ungleichen Menschen, die ihm gegenübersaßen.

Kapitän Joris schlief. Die Perücke auf seinem berühmten Schädel war verrutscht, sein Anzug zerknittert, während Julie, beide Hände auf der Tasche aus falschem Krokodilleder, ins Leere starrte und trotz ihrer Müdigkeit ein nachdenkliches Gesicht zu machen versuchte.

Joris! Julie!

Kommissar Maigret von der Kriminalpolizei war es gewohnt, Leute plötzlich in sein Leben eindringen zu sehen, tage-, wochen- oder gar monatelang von ihnen in Beschlag genommen zu werden, ehe sie dann erneut in der anonymen Masse abtauchten.

Das Rattern der Räder skandierte seine Gedanken, die gleichen wie zu Beginn jeder Untersuchung. Würde diese hier aufregend, banal, widerlich oder tragisch sein?

Maigret betrachtete Joris, und ein vages Lächeln huschte über seine Lippen. Ein merkwürdiger Mann! Fünf Tage lang hatte man ihn am Quai des Orfèvres »den Mann« genannt, da man seinen Namen nicht kannte.

Man hatte ihn auf den Boulevards aufgegriffen, weil er wie ein Irrer zwischen den Bussen und Autos herumgelaufen war. Man verhört ihn auf Französisch. Keine Antwort. Man versucht es mit sieben oder acht anderen Sprachen. Nichts. Auch auf die Taubstummensprache reagiert er nicht.

Ein Verrückter? Er wird in Maigrets Büro untersucht. Anzug neu, Wäsche neu, Schuhe neu. Alle Etiketten herausgetrennt. Keine Papiere. Keine Brieftasche. Fünf Tausendfrancscheine in einer seiner Taschen.

Recherchen im Strafregister, in den Meldekarteien. Telegramme innerhalb Frankreichs und ins Ausland. Und »der Mann« lächelt liebenswürdig von morgens bis abends, trotz der anstrengenden Verhöre!

Ein Mann um die fünfzig, untersetzt, breite Schultern. Setzt sich nicht zur Wehr, regt sich nicht auf. Manchmal scheint er sein Gedächtnis zu bemühen, gibt es aber rasch wieder auf.

Amnesie? Eine Perücke rutschte ihm vom Kopf, und man stellt fest, dass vor höchstens zwei Monaten eine Kugel in seinen Schädel eingedrungen ist. Die Ärzte bewundern die gelungene Operation. Selten haben sie dergleichen gesehen.

Wieder Telegramme, an Krankenhäuser in Frankreich, Belgien, Deutschland, Holland.

Fünf volle Tage penibler Nachforschungen. Analysen der Flecke an den Kleidungsstücken und der Staubteilchen in den Taschen ergeben kümmerliche Resultate.

Man findet Reste von Fischrogen, das heißt getrocknete und pulverisierte Kabeljaueier, die man im Norden Norwegens als Köder beim Sardinenfang einsetzt.

Kommt »der Mann« von da? Ist er Skandinavier? Indizien weisen darauf hin, dass er eine lange Zugfahrt hinter sich hat. Aber wie hat er allein reisen können, ohne den Mund aufzutun, mit dieser verstörten Miene, durch die er sofort auffällt?

Sein Foto erscheint in den Zeitungen, und bald darauf trifft ein Telegramm aus Ouistreham ein: Unbekannter identifiziert.

Eine Frau folgt dem Telegramm, ein Mädchen vielmehr. Schlecht geschminkt, mit müdem Gesicht taucht sie in Maigrets Büro auf: Julie Legrand, die Haushälterin »des Mannes«.

Allerdings ist er jetzt nicht mehr »der Mann«. Er hat einen Namen und einen Beruf: Yves Joris, früher Kapitän der Handelsmarine, Hafenmeister von Ouistreham.

Julie weint. Julie versteht das alles nicht. Julie fleht ihn an zu reden. Er blickt sie sanft und freundlich an, wie er alle anblickt.

Kapitän Joris verschwindet am 16. September aus Ouistreham, einem Hafenstädtchen zwischen Trouville und Cherbourg, und jetzt ist es Ende Oktober.

Was hat er in den sechs Wochen gemacht?

»Er hat wie gewöhnlich abends bei Flut an der Schleuse Dienst getan. Ich bin schlafen gegangen. Am nächsten Morgen war er nicht in seinem Zimmer.«

Erst hat man geglaubt, Joris sei ins Wasser gefallen, weil er im Nebel nichts sah. Man hat ihn mit Stangen gesucht. Dann hat man angenommen, er sei abgehauen.

»Lisieux … Drei Minuten Halt.«

Maigret vertrat sich die Beine auf dem Bahnsteig und stopfte sich eine neue Pfeife. Er hatte seit Paris so viel geraucht, dass das Abteil ganz verqualmt war.

»Einsteigen!«

Julie hatte inzwischen ihre Nasenspitze mit der Puderquaste betupft. Ihre Augen waren vom Weinen noch ein wenig rot.

Es war seltsam, manchmal wirkte sie hübsch, beinahe vornehm, dann wieder spürte man, ohne genau zu wissen, warum, das kleine, einfältige Bauernmädchen in ihr.

Sie rückte die Perücke des Kapitäns zurecht, »ihres Herrn«, wie sie sagte, und sah Maigret mit einer Miene an, als wollte sie sagen: »Ist doch wohl mein gutes Recht, mich um ihn zu kümmern.«

Denn Joris hatte keine Angehörigen. Er lebte seit Jahren allein mit Julie, die er seine Wirtschafterin nannte.

»Er hat mich immer wie seine Tochter behandelt …«

Und er hatte keine Feinde, keine Abenteuer, keine Liebschaften!

Nachdem er dreißig Jahre lang zur See gefahren war, konnte er sich nicht in den Müßiggang schicken. Trotz Pensionierung bewarb er sich um den Posten des Hafenmeisters in Ouistreham und ließ sich dort ein kleines Haus bauen.

Und eines schönen Abends, am 16. September, ist er von der Bildfläche verschwunden und dann sechs Wochen später in Paris in diesem Zustand wieder aufgetaucht.

Zu Julies Entsetzen trug er jetzt einen grauen Konfektionsanzug. Sie hatte ihn immer nur in Marineuniform gesehen.

Sie war nervös und verlegen. Jedes Mal, wenn sie den Kapitän anblickte, drückte ihr Gesicht zugleich Rührung und eine vage Furcht aus, eine unüberwindliche Angst. Aber er war es wirklich, es war wirklich »ihr Herr«. Und doch war er nicht mehr ganz derselbe.

»Er wird wieder gesund werden, nicht wahr? Ich werde ihn pflegen.«

In dicken Tropfen rann das Wasser an den beschlagenen Scheiben herab. Sanft schaukelte Maigrets Kopf im Rhythmus des Zugs hin und her. Er saß behaglich da und beobachtete unverwandt die beiden: Julie, die ihm gesagt hatte, man hätte ebenso gut dritter Klasse fahren können, wie sie es gewohnt war, und Joris, der erwachte, aber nur blinzelnd um sich blickte.

Die nächste Station war Caen, dann kam Ouistreham.

»Ein Dorf mit tausend Einwohnern«, hatte ein aus der Gegend stammender Kollege zu Maigret gesagt. »Der Hafen ist klein, aber bedeutend wegen des Kanals, der ihn mit Caen verbindet und auf dem Schiffe von fünftausend Tonnen und mehr fahren können.«

Maigret versuchte nicht, sich ein Bild von dem Ort zu machen. Er wusste, dass man sich dabei stets täuschte. Er wartete, und sein Blick fiel immer wieder auf die Perücke, unter der sich die noch rötliche Narbe verbarg.

Ehe Kapitän Joris verschwunden war, hatte er dichtes dunkelbraunes Haar gehabt, das nur an den Schläfen leicht ergraut war, ein weiterer Grund zur Verzweiflung für Julie. Sie wollte diesen kahlen Schädel nicht sehen. Jedes Mal, wenn die Perücke verrutschte, rückte sie sie hastig wieder zurecht.

»Kurz, man hat ihn töten wollen …«

Ja, man hatte auf ihn geschossen. Das stand fest. Aber man hatte auch alles getan, um ihn am Leben zu erhalten.

Er war ohne Geld fortgegangen, und man hatte ihn mit fünftausend Franc in der Tasche aufgegriffen.

Plötzlich öffnete Julie ihre Handtasche.

»Ich hab ganz vergessen, dass ich die Post des Herrn mitgebracht habe.«

Kaum etwas von Belang. Prospekte von Firmen, die mit Schiffszubehör handeln, eine Beitragsquittung der Kapitänsgewerkschaft der Handelsmarine, Postkarten von Freunden, die noch im Dienst waren, darunter eine aus Punta Arenas.

Ein Brief der Banque de Normandie in Caen. Ein Vordruck, die Lücken mit Maschinenschrift gefüllt:

… bestätigen wir, dass wir Ihrem Konto Nr. 14173 die Summe von dreihunderttausend Franc gutgeschrieben haben, die Sie von der Niederländischen Bank in Hamburg haben überweisen lassen.

Und dabei hatte Julie mindestens zehnmal versichert, der Kapitän sei nicht reich. Maigret blickte die beiden abwechselnd an. Der Kabeljaurogen … Hamburg … Die in Deutschland hergestellten Schuhe …

Und Joris, der als Einziger Licht in die Sache bringen konnte! Joris, der liebenswürdig lächelte, als er merkte, dass Maigret ihn musterte.

»Caen! Der Zug fährt nach Cherbourg weiter. Reisende nach Ouistreham, Lion-sur-Mer, Luc …«

Es war sieben Uhr und der Nebel so dicht, dass der Schein der Lampen auf dem Bahnsteig kaum den milchigen Schleier durchdrang.

»Wie kommen wir jetzt weiter?«, fragte Maigret Julie.

»Es gibt keinen Anschluss mehr. Im Winter fährt die Kleinbahn nur zweimal täglich.«

Vor dem Bahnhof standen Taxis. Maigret hatte Hunger. Da er nicht wusste, ob es in Ouistreham ein Lokal gab, wollte er im Bahnhofsbuffet essen.

Kapitän Joris war gleichbleibend fügsam. Er aß, was man ihm auftischte, wie ein Kind, das denen vertraut, die sich seiner annehmen. Ein Eisenbahner strich ein paarmal um den Tisch herum, betrachtete den Kapitän und sagte dann zu Maigret:

»Ist das nicht der Hafenmeister von Ouistreham?«

Und er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Nachdem Maigret...

Erscheint lt. Verlag 29.5.2020
Reihe/Serie Georges Simenon
Georges Simenon. Maigret
Georges Simenon. Maigret
Übersetzer Hansju?rgen Wille, Barbara Klau, Julia Becker
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Kugel • Mord • Nebelhorn • Normandie • ouistreham
ISBN-10 3-311-70131-3 / 3311701313
ISBN-13 978-3-311-70131-6 / 9783311701316
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