Mrs. Harris fliegt nach Moskau (eBook)

Roman

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2020 | 1. Auflage
125 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1720-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mrs. Harris fliegt nach Moskau - Paul Gallico
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Mrs. Harris und die Liebe in Zeiten des Kalten Kriegs.

Ein englischer Schriftsteller verliebt sich in eine Moskauer Fremdenführerin. Doch die Zusammenführung des west-östlichen Liebespaares scheint unmöglich. Doch nicht für Mrs. Ada Harris! Resolut nimmt sie das Projekt in die Hand und begibt sich mit ihrer besten Freundin Mrs. Violet Butterfield auf eine turbulente Reise in die Sowjetunion und setzt alles daran, dass die Liebe alle Grenzen überwinden kann ...



Paul Gallico wurde in New York als Sohn der österreichischen Violinistin Hortense Erlich und des italienischen Komponisten, Musiklehrers und Pianisten Paolo Gallico geboren, die 1895 in die Neue Welt ausgewandert waren. 1916 begann Gallico ein Studium an der Columbia University, das er 1921 mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Science abschloss. Danach arbeitete er als Sportjournalist bei den New York Daily News, wo er ab 1923 auch eine eigene Kolumne hatte.

In den 30er Jahren wandte er sich zunehmend vom Sport ab und verfasste Kurzgeschichten, von denen viele in der Saturday Evening Post erschienen. Viele seiner Erzählungen und Romane wurden später für Kino und TV verfilmt.

Paul Gallico war viermal verheiratet und hinterließ mehrere Kinder. Er starb am 15. Juli 1976 in Antibes im Alter von 78 Jahren.

1


Diese Fotografie hatte bisher nicht dagestanden. Mrs. Harris, deren Scharfblick nichts entging, war ihrer Sache ganz sicher. Sie nahm es sehr genau mit den kleinen Dingen, Bildern und sonstigen Erinnerungsgegenständen, von denen die Wohnungen ihrer Arbeitgeber, bei denen sie täglich saubermachte, überquollen. Die Besitzer waren, was die Anordnung der Sachen anging, zumeist recht eigen und ärgerten sich leicht, wenn irgend etwas sich nicht am gewohnten Platz befand.

Das etwa 20 x 25 cm große gerahmte Foto, das da auf Mr. Lockwoods Schreibtisch stand, zeigte das Brustbild eines in Pelz gehüllten schönen jungen Mädchens vor einem höchst merkwürdigen winterlichen Hintergrund: einer hohen Mauer, überragt von einem seltsamen Turm.

Mrs. Harris, die Mr. Lockwoods Schreibtisch, seine Schreibmaschine sowie die Nachschlagewerke und die zahllosen Kinkerlitzchen hatte abstauben wollen, die offenbar jeder Schriftsteller bei der Arbeit in Reichweite haben musste, nahm das geheimnisvolle Bild in die Hand, um es genauer zu betrachten. Ganz offensichtlich handelte es sich um die Vergrößerung eines Schnappschusses, doch auch der gröbere Raster vermochte die auffallende Schwermut der Augen nicht zu verbergen. Das Mädchen trug eine Pelzkappe, unter der dunkles Haar hervorquoll. Die genau in die Kameralinse oder auf den Menschen hinter der Kamera blickenden Augen versuchten eine Botschaft zu übermitteln. Für Mrs. Harris, phantasievoll und romantisch, wie sie nun einmal war, war es die Mitteilung einer grenzenlosen Trauer und Sehnsucht. Winter, Schnee, ein unglückliches junges Mädchen und hinter ihr eine düstere Trutzburg.

Diese Traurigkeit übertrug sich auf Mrs. Harris, oder, besser gesagt, sie verstärkte das Gefühl der Melancholie, das sie von Anfang an in dieser kleinen möblierten Wohnung empfunden hatte. Seit sechs Monaten arbeitete sie jetzt für Mr. Lockwood. Er wirkte immer sehr zerstreut und machte auf sie den Eindruck eines Menschen, an dem ein geheimer Kummer nagte.

Die kleine, schmächtige und resolute Mrs. Harris stand also jetzt in Kittelschürze, Pantoffeln und Kopftuch, gewappnet für den Kampf gegen Staub und Schmutz, den langen Stiel ihres Mops senkrecht in der Armbeuge vor Mr. Lockwoods Schreibtisch, in der einen Hand das Foto und in der anderen ein Staubtuch. Die Linien und Furchen in dem lustigen Spatzengesicht mit den runden, glänzenden Apfelbäckchen zeugten von geschlagenen Schlachten im Kampf des Lebens, und die kleinen, flinken, pfiffigen Äuglein leuchteten vor Aufregung über die gemachte Entdeckung.

Mrs. Harris war derart in den Anblick des Bildes vertieft, dass sie Mr. Geoffrey Lockwood nicht nach Hause kommen hörte; er durchquerte das Wohnzimmer, betrat sein Arbeitszimmer und ertappte sie bei etwas, was sie selbst ›herumschnüffeln‹ genannt hätte. Ada Harris war im Grunde keine Schnüfflerin, und als sie nun sozusagen in flagranti erwischt worden war, beeilte sie sich, das Glas des Bilderrahmens heftig mit dem Staubtuch zu bearbeiten.

Mr. Lockwood, einen merkwürdigen, ungewohnt finsteren Ausdruck in seinem sympathischen, ansprechenden Gesicht, trat zu Mrs. Harris, nahm ihr wortlos die Fotografie aus der Hand und stellte sie an ihren Platz zurück. Wie ein begossener Pudel stand Mrs. Harris da.

Das peinliche Schweigen musste unbedingt gebrochen werden. Mrs. Harris sagte: »Ein sehr schönes Mädchen!«

Mr. Lockwood gab keine Antwort, und da er ihr halb den Rücken zukehrte, konnte sie seine düstere, so gar nicht zu ihm passende Miene nicht sehen. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er noch jung zu nennen; er hatte rotblondes Haar, blaue Augen und ausgesprochen männliche Gesichtszüge, während der Mund eine leichte Schwäche verriet, die auch der kurz gehaltene Schnurrbart nicht gänzlich verbarg. Für gewöhnlich wirkte er immer ein wenig verwirrt und geistesabwesend, was Mrs. Harris, die eine verheiratete Tochter und Enkelkinder besaß und deren mütterliche Instinkte leicht zu wecken waren, von Anfang an für ihn eingenommen hatte.

Da auf ihre Bemerkung keine Reaktion erfolgt war, ließ Mrs. Harris einen zweiten Versuchsballon steigen. Sie fragte: »Wo ist das? Was ist das für ein Gebäude? Sieht aus wie ein Gefängnis.«

»Der Kreml«, erwiderte Mr. Lockwood kurzangebunden und warf dann plötzlich ohne ersichtlichen Grund den Packen Schreibpapier, den er gerade besorgt hatte, mit heftiger Gebärde auf den Schreibtisch. »Zum Teufel mit ihnen!« schimpfte er, und in seiner Stimme schwang eine solche Wut mit, dass Mrs. Harris vor Schreck einen kleinen Schrei ausstieß und sich dann entschuldigte: »Es tut mir leid, Sir, es war nicht meine Absicht …«

Mr. Lockwood wandte sich zu ihr und sagte: »Nein, Sie habe ich nicht gemeint, Mrs. Harris.« Er richtete den Blick auf das Foto, durch das junge Mädchen hindurch auf die Mauer hinter ihr und fuhr fort: »Sondern die da«, und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: »und unser gottverdammtes stures Foreign Office. Entschuldigen Sie, Mrs. Harris, ich wollte Sie nicht erschrecken.«

»Und ich wollte nicht schnüffeln«, sagte Mrs. Harris. »Nur … ich hatte das Bild noch nie bei Ihnen gesehen, und als ich heute hereinkam und es plötzlich da stehen sah, und das Mädchen war so wunderschön, dass ich einfach nicht anders konnte …«

»Ich weiß«, sagte Mr. Lockwood. »Bis jetzt brachte ich es nicht übers Herz, das Bild aufzustellen, aber da ich glaubte, das Foreign Office würde nun endlich etwas für mich tun …« Er beendete den Satz nicht, fügte jedoch etwas anderes hinzu, das Mrs. Harris gleichermaßen in Verwirrung brachte: »Sie ist Russin.«

Verwirrung ist nicht eigentlich das Wort, um Mrs. Harris’ Gefühle und ihre brennende Neugier zu beschreiben; es bedurfte ihrer ganzen Selbstbeherrschung, sich im Zaume zu halten. ›Foreign Office? Kreml?‹ Davon hatte sie schon mal gehört. Aber ›Russin‹? Wer war sie? Seine Frau, seine Freundin? Wo war sie? Und warum? Zweifellos war sie der Schlüssel zu dem Geheimnis, zu jener Schwermut, die ihr an Mr. Lockwood schon am ersten Tag aufgefallen war, als sie sich auf sein Inserat hin gemeldet und er sie engagiert hatte. Doch ihr angeborenes Anstandsgefühl verbot es Mrs. Harris, von diesem Schlüssel Gebrauch zu machen.

Ada Harris gehörte zu der allmählich aussterbenden Gattung von Londoner Reinmachefrauen, die, früher für fünf Shilling, inzwischen für fünfzig Pence die Stunde Wohnungen und Büros auf Hochglanz brachten. Da Ada das Leben anderer Menschen glühend interessierte, hatte sie sich auf Wohnungen spezialisiert, denn wo sonst hätte sie einen besseren Einblick in ein fremdes Leben gewinnen können? Ihre Arbeitgeber stellten bald fest, dass sie nicht nur eine äußerst gewissenhafte Arbeitskraft war, sondern auch über einen schier unglaublichen Vorrat an Weisheiten und praktischer Lebenserfahrung verfügte, kurzum, dass sie einen gesunden Menschenverstand besaß. Sie wusste unglücklich Liebende zu trösten, konnte auf Anhieb die besten Friseure und Geschäfte sowie die preisgünstigsten Läden aufzählen, half Eheprobleme zu lösen, war stets auf dem laufenden, was die letzten Pressemeldungen über Hochzeiten, Scheidungen und Gesellschaftsskandale betraf, und gehörte zu jenem Geheimbund von Putzfrauen, die untereinander den üppigsten, aus erster Hand bezogenen Klatsch austauschten, der nicht den Weg in die Zeitungsspalten fand.

Sie schnüffelte jedoch nicht herum, wie sie selbst gesagt hatte, noch horchte sie ihre Kunden aus oder steckte ihre Nase in deren persönliche Angelegenheiten. Doch sobald jemand ihr sein Herz ausschütten wollte (gewöhnlich tat das die Dame des Hauses) oder sie um Rat fragte, war Ada ganz Ohr. Auf den Stiel ihres Mops gestützt, hörte sie zu, legte ihre Ansichten dar und redete ohne Punkt und Komma eine halbe bis eine Dreiviertelstunde auf ihr Gegenüber ein. Nichts war ihr lieber als so ein richtiger Schwatz von Frau zu Frau, nicht selten zum heftigen Leidwesen ihrer Arbeitgeberinnen, die dringend zur Kosmetikerin oder zur Schneiderin mussten und an das tickende Taxi dachten, das draußen auf der Straße wartete. Mrs. Harris stellte nie eine direkte Frage – man musste sich ihr schon freiwillig eröffnen.

Zu seiner nicht geringen Überraschung bemerkte Mr. Lockwood, dass er im Begriff war, eben dieses zu tun. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, und nachdem er einen kurzen, düsteren Blick auf die elektrische Schreibmaschine geworfen hatte, sagte er: »Sie ist Fremdenführerin bei Intourist in Moskau. Ich habe sie bei meiner letzten Reise kennengelernt, als ich wegen des Buches Russland ohne Maske dort war.«

Ada Harris traute ihren Ohren nicht. Der Mann, bei dem sie von Anfang an ein Geheimnis vermutet hatte, der ihre Dienste kaum zur Kenntnis nahm und jeden Versuch, ihn zu bemuttern, ablehnte, schien plötzlich bereit, sich alles von der Seele zu reden. Lockwood spürte, ohne dass ihm das bewusst wurde, den Drang, sein Herz zu erleichtern. Ausgelöst hatte dieses Bedürfnis wahrscheinlich die Fotografie, die er die ganze Zeit zwischen seinen Sachen verborgen gehalten und jetzt hervorgeholt hatte, als er glaubte, es gäbe Hilfe für ihn und seine Sorgen. Die brüske Weigerung des Foreign Office, irgend etwas in seiner Angelegenheit zu unternehmen, hatte seine hochfliegenden Hoffnungen und Pläne zunichte gemacht. Mrs. Harris’ Verhalten und die ganze, so unglücklich verfahrene Situation – all das stürmte nun auf ihn ein, und so war er bereit, sich jemandem zu eröffnen. Und wo wären diese Eröffnungen besser aufgehoben gewesen als bei einer halb anonymen Reinmachefrau, die an jedem Werktag zwischen neun...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2020
Reihe/Serie Die Abenteuer von Mrs. Harris
Übersetzer Kai Molvig
Sprache deutsch
Original-Titel Mrs. Harris goes to Moscow
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50er Jahre • 60er Jahre • Ada Harries • Ein Kleid von Dior • good old times • Grenzen • Inge Meyel • Liebe • London • Moskau • Sowjetunion • Träume
ISBN-10 3-8412-1720-6 / 3841217206
ISBN-13 978-3-8412-1720-2 / 9783841217202
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