Die vier Toten von Tibet (eBook)

Ein Tibet-Krimi
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
400 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-1969-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die vier Toten von Tibet -  Eliot Pattison
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Weise wie ein Mönch - klug wie Sherlock Holmes.

Shan, der Ermittler, den man nach Tibet verbannt hat, muss tatenlos zusehen, wie ein Tibeter vor seinen Augen erschossen wird - angeblich hatte er sich der Korruption schuldig gemacht. Doch dieser Tod ist nur der Beginn einer Reihe von mysteriösen Todesfällen. Die Chinesen versuchen ein großes Projekt gegen alle Widerstände durchzuziehen: den Bau eines Staudamms in einem Gebiet, das den Tibetern heilig ist. Shan scheint auf verlorenem Posten zu kämpfen. Doch da taucht ein Mensch auf, dem er all sein Wissen und seine Weisheit verdankt. Der alte Mönch Lokesh tritt wieder an seine Seite ...

Ein packender, sehr atmosphärischer Thriller um alte Götter, korrupte Beamte und die Suche nach Wahrheit.



Eliot Pattison ist Journalist und Rechtsanwalt. Er ist oft nach Tibet gereist und lebt mit seiner Familie in Oley, Pennsylvannia. Neun weitere Romane um den Ermittler Shan liegen im Aufbau Taschenbuch vor: 'Der fremde Tibeter', 'Das Auge von Tibet', 'Das tibetische Orakel', 'Der verlorene Sohn von Tibet', 'Der Berg der toten Tibeter', 'Der tibetische Verräter', 'Der tibetische Agent', 'Tibetisches Feuer' sowie 'Die Frau mit den grünen Augen'. Mehr zum Autor unter www.eliotpattison.com Thomas Haufschild lebt in Hannover und arbeitet seit 1991 als Übersetzer. Er hat alle Romane von Eliot Pattison ins Deutsche übertragen.

Kapitel Zwei


Als vor ihm Yangkar auf der anderen Seite des Tals in Sicht kam, hielt Shan am Straßenrand. Nach dem von Tan erzwungenen Umzug hierher war die staubige, vom Wind geplagte Stadt ihm anfangs wie ein trostloses Exil vorgekommen, doch mittlerweile fühlte Shan sich hier so sehr zu Hause wie zuvor nirgendwo seit seiner Kindheit. Viele der tibetischen Einwohner waren ihm ans Herz gewachsen. Sie grüßten ihn mit mattem Lächeln und bemühten sich nach Kräften, ihn vor den wenigen Unverbesserlichen zu beschützen, die prinzipiell jeden chinesischen Polizisten hassten. Die Stadt barg so manch dunkles Geheimnis und bittere Erinnerung, genau wie Shan selbst, aber sie hielt trotz aller Narben und Beschwerlichkeiten weiter durch, ebenfalls genau wie Shan. Ausschlaggebend für seine Zufriedenheit war wahrscheinlich die Erkenntnis, dass die tibetischen Traditionen hier im Verborgenen weiter Bestand hatten. Als Folge der Abgeschiedenheit und des unwirtlichen Wetters hatten die Eiferer, denen in Peking das Büro für Religiöse Angelegenheiten unterstand, die Stadt Yangkar nämlich weitgehend ignoriert. Die Aufgabe dieser Behörde war es, die Religion im Volksparadies auszumerzen, und vor einigen Jahrzehnten war das uralte Kloster von Yangkar dem Büro auch tatsächlich zum Opfer gefallen. Seitdem aber hatten seine Schergen sich kaum jemals mehr hier blicken lassen.

Als drei Schafe nun vor Shan in der Dämmerung die Straße überquerten, fiel ihm etwas plötzlich wieder ein. Er stöhnte auf, legte den Gang ein und gab Gas. Zehn Minuten später kam er mit einer Vollbremsung auf dem Schotterweg vor dem Schulgebäude zum Stehen, und die junge Tibeterin, die dort auf der Treppe saß, stand auf und warf sich einen Rucksack über die Schulter.

»Es tut mir leid, Yara«, sagte Shan und stieg aus. »Ich musste nach Lhadrung. Ich hätte dich von dort aus anrufen müssen.« Dann hielt er der tibetischen Lehrerin den Wagenschlüssel hin. Ihr warmherziges Lächeln ließ sein Schuldgefühl verschwinden.

»Vielleicht besser so«, entgegnete Yara. Sie legte ihren Rucksack auf die Sitzbank und nahm am Steuer Platz. »Die Schulleiterin wirft mir jedes Mal argwöhnische Blicke zu, wenn der Wachtmeister für mich anruft.« Sie schaute zu den steilen Hängen oberhalb der Stadt, die am Talgrund bereits in tiefem Schatten lag. »Meine Großmutter wird allerdings nicht im Dunkeln auf der Ladefläche sitzen wollen.« Yara brachte die alte Frau hinauf zum Lager des Großvaters, der dort die winzige Herde aus Schafen und Yaks hütete und darauf wartete, dass die Pässe unterhalb der Sommerweiden schneefrei sein würden.

»Sie kann natürlich vorn bei dir sitzen«, sagte Shan. »Sie möchte nur diesmal bitte nicht die Sirene einschalten.«

»Du weißt aber schon, dass sie die ganze Zeit ihre Zigarre rauchen wird? Der Wagen wird eine Woche lang danach riechen.«

Shan nickte reumütig. »Das ist die Strafe für meine Verspätung.«

Yara lächelte erneut, zog dann ein gefaltetes Stück Papier aus der Tasche ihrer Bluse und reichte es Shan. »Während der Wartezeit habe ich einen Brief geschrieben«, sagte sie. »Ich stelle den Wagen dann wie üblich hinter dem Revier ab«, fügte sie hinzu und fuhr los, um ihre Großmutter von der Arbeit in der Teppichfabrik abzuholen.

***

Der Marktplatz lag fünf Blocks vom Betongebäude der Schule entfernt. Unterwegs betrachtete Shan die gedrungenen windschiefen Häuser zu beiden Seiten der Straße. Bei fast allen waren rund um die Türrahmen Lotusblumen, Muscheln, Fische oder andere Glückssymbole aufgemalt. Der neue chinesische Friseur hatte sich jedoch ein Poster des Vorsitzenden an die Haustür gehängt. Ein alter Mann auf einem Fahrrad fuhr vorbei und schenkte Shan ein nahezu zahnloses Grinsen. Im Korb an der Lenkstange saß ein Terrier. An einem Ende des Platzes kniete eine Frau bei dem kleinen chorten und nickte Shan zu. Am anderen Ende landete eine Taube auf der überdimensionalen Büste des Großen Steuermanns Mao. Als das Polizeirevier in Sicht kam, rannte dort soeben eine Ziege zur Tür heraus, gefolgt von einem geworfenen Stiefel.

Shan seufzte kurz, richtete dann seine Uniform, überquerte die staubige Straße und betrat das Revier. Vorn im Büro stritten zwei Tibeter miteinander. Als Shan geräuschvoll die Tür schloss, verstummten sie abrupt und keuchten erschrocken auf. Der ältere Mann huschte nach nebenan. Der jüngere, Anfang dreißig, nahm Haltung an und hob die Hand an die Stirn, was entfernt nach einem Salut aussah.

»Wachtmeister Shan«, sagte sein Stellvertreter nervös und warf einen Blick auf die Ziegenköttel am Boden.

»Wachtmeister Choden«, erwiderte Shan kühl, »ist das Ihr Stiefel da draußen auf der Straße?«

»Ein Winterstiefel, den ich nachher mit nach Hause nehme«, erklärte Choden verunsichert.

»Aber was wollen Sie dann tragen, wenn ich Sie hoch in die Berge schicke, um dort an unserem Vorposten Schafe zu zählen? Da liegt oft tiefer Schnee.«

Der junge Polizist erblasste. »Ich hole ihn sofort, Chef.«

Der Mann lief hinaus. Shan blickte ihm durchs Fenster hinterher und fragte sich, ob er das bereits ausgefüllte Formular einreichen sollte, mit dem er um Chodens Versetzung bat. Sein früherer Stellvertreter hatte sich als skrupelloser Mörder erwiesen und sogar Shans Vorgänger umgebracht. Daher war Oberst Tan bei der Auswahl des neuen Polizisten besonders sorgfältig vorgegangen. Choden hatte die Ausbildung als bester Tibeter seines Jahrgangs abgeschlossen, doch er schien nicht in der Lage zu sein, mit der notwendigen Autorität aufzutreten.

»Ich habe Lhakpa schon vor einer Stunde gesagt, die Ziege muss raus«, nörgelte Choden, als er mit seinem Stiefel zurückkam.

»Weil Sie wussten, dass ich dann wieder hier sein würde.«

»Genau«, bestätigte Choden und stutzte, als wittere er eine Falle. »Ich habe ihm gesagt, der Besuch von Angehörigen sei nur für täglich eine Stunde gestattet. Gefängnisvorschrift.«

»Es ist eine Ziege«, betonte Shan.

»Nun ja …«, setzte Choden an, als wolle er Einwände erheben. Er war nur wenige Meilen entfernt in einer der vielen Familien aufgewachsen, die nicht nur inbrünstig an das Prinzip der Reinkarnation glaubten, sondern auch wussten, dass viele ihrer unmittelbaren Vorfahren schwere Schuld auf ihre Seelen geladen hatten und deshalb als niedere Lebensformen zurückgekehrt waren. In fast allen der traditionellen Haushalte der Gegend lebten Tiere, die als wiedergeborene Verwandte galten. »Er ist überzeugt, sie sei seine junge Nichte, die letztes Jahr bei einem schrecklichen Sturz in den Bergen gestorben ist. Er sagt, aus diesem Grund sei sie als Ziege heimgekehrt – um zu lernen, besser auf die Pfade zu achten.« Choden sah Shan hoffnungsvoll an, als glaube er, die besseren Argumente zu haben. »Ich habe sie heute Morgen am anderen Ende der Stadt in einem Stall angebunden. Aber sie findet stets zu ihm zurück, egal, wo er ist. Wirklich schlau, dieses Mädchen. Er sagt, sie habe die Augen seiner Nichte.« Der letzte Satz klang eher unschlüssig.

Shan setzte sich an seinen Schreibtisch und unterdrückte ein Gähnen. »Keine Tiere im Zellentrakt«, stellte er fest und bemerkte dann den kurzen getippten Bericht, der vor ihm lag. Er las ihn laut vor. »Vorfall eins. Es wurde gemeldet, dass ein Yak an der Schnellstraße bei Kilometerstein 300 Verkehrsschilder umwirft.« So etwas kam hier in der Gegend beinahe jede Woche vor. »Vorfall zwei«, fuhr er fort. »Frau Lu gibt an, jemand habe von ihrer Fensterbank drei Zwiebeln gestohlen. Vorfall drei. Herr Xing meldet, ein Vandale habe mit Kreide ein Sonne-und-Mond-Symbol auf die Rückwand seines Hauses geschmiert.« Shan sah seinen Stellvertreter fragend an.

Choden zuckte die Achseln. »Ich habe ihm gesagt, es sei zu seinem Schutz gedacht, als eine Art Glücksbringer, und dass es helfen würde, die Mäuse von seinem Getreide fernzuhalten.« Die chinesischen Einwohner machten ungefähr fünf Prozent der Stadtbevölkerung aus, waren aber für neunzig Prozent der Beschwerden verantwortlich.

»Vorfall vier«, las Shan weiter. »Ein Transporter mit vier Wissenschaftlern des Instituts hat in der Stadt gehalten. Die Leute haben im Nudellokal zu Mittag gegessen.« Er blickte auf. »Was für Wissenschaftler? Von welchem Institut?«

Sein Stellvertreter zuckte abermals die Achseln. »Vier Leute aus Peking.« So nannten die Tibeter alle Chinesen, seit mehrere hartnäckige Propagandakampagnen verkündet hatten, alle Tibeter müssten sich selbst als Chinesen bezeichnen. »Marpa hat sie bedient.« Das war der Eigentümer des Lokals. »Sie haben ihm erzählt, sie seien nur auf der Durchreise und wollten die Berge untersuchen.«

Shan und Choden wussten beide, dass niemand auf der Durchreise nach Yangkar kam. Die Stadt lag am Ende eines langen Zubringers zur Schnellstraße. »Welche Art von Wissenschaftlern?«

Wieder zuckte Choden die Achseln. Die Geste war typisch für ihn. »Bergwissenschaftler, schätze ich.«

Shan las den letzten Teil der Seite und erschauderte. »Was soll das heißen, die Öffentliche Sicherheit in Lhasa will mich sprechen?«

»Eine Beamtin der Öffentlichen Sicherheit hat aus Lhasa angerufen und sich erkundigt, ob Shan Tao Yun hier der leitende Wachtmeister sei.«

»Und das haben Sie als Vorfall vermerkt?«

»Es klang wichtig, Chef. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt die Zentrale der Öffentlichen Sicherheit hier angerufen hätte. Die Frau hat gefragt: ›Spricht Wachtmeister Shan Tibetisch und trägt er ein...

Erscheint lt. Verlag 21.7.2020
Reihe/Serie Inspektor Shan ermittelt
Übersetzer Thomas Haufschild
Sprache deutsch
Original-Titel Bones of the Earth
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Archäologie • Buddhismus • China • Dalai Lama • Götter • Lhasa • Peking • Schrein • Tibet
ISBN-10 3-8412-1969-1 / 3841219691
ISBN-13 978-3-8412-1969-5 / 9783841219695
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