Ein Sommer in Baden-Baden (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
272 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1972-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Sommer in Baden-Baden - Leonid Zypkin
Systemvoraussetzungen
10,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
»Eines der schönsten, anregendsten und originellsten literarischen Werke des vergangenen Jahrhunderts.« Susan Sontag. Leonid Zypkin setzt mit diesem virtuosen Roman seinem literarischen Idol Dostojewski ein Denkmal. Susan Sontag stieß zufällig in einer Bücherkiste auf eine alte Ausgabe und rettete das Meisterwerk vor dem Vergessen. Virtuos verschränkt der Erzähler seine eigene Gegenwart, die bedrohliche Sowjetrealität, in der es Bücher wie seines nicht geben darf, mit der fiebrig pulsierenden Vergangenheit, in der der Held mit seiner jungen Frau Anna Grigorjewna nach Baden-Baden reist, ins Eldorado aller Spieler ... Zypkin verwebt Faktisches mit Fiktionalem zu einem eindringlichen, leidenschaftlichen Rausch. Erstmals mit den Originalfotos des Autors. »Der Triumph eines Mannes aus dem Untergrund.« New York Review of Books. »Ein einzigartiger Klassiker, der gerade noch rechtzeitig aus dem Kerker der Zensur befreit wurde.« James Wood, The Guardian. »Eine der schönsten Entdeckungen der jüngeren Literatur.« Christoph Keller, Die Zeit.

Leonid Zypkin wurde 1926 als Sohn russisch-jüdischer Eltern in Minsk geboren. Nur knapp überlebte er den stalinistischen Terror der dreißiger Jahre und die deutschen Angriffe auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Er studierte Medizin und arbeitete als Pathologe in Moskau. Zuletzt war er starken Repressalien ausgesetzt, weil sein einziger Sohn die SU in Richtung Amerika verlassen hatte; seinem eigenen Ausreiseantrag wurde nie stattgegeben. Sein literarisches Werk, das durch die Zensur und die von ihr ausgehende Einschüchterung, bis zu seinem Tod unveröffentlicht blieb, umfasst neben seinem einzigen Roman 'Ein Sommer in Baden-Baden' Erzählungen, Novellen und Lyrik. Er starb 1982, als sein Roman, zwei Jahre nach Fertigstellung und außer Landes geschmuggelt, gerade in Fortsetzungen in einer russischsprachigen Exilzeitung in New York zu erscheinen begann.

Dostojewski lieben


Die Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man ausgiebig erforscht, und dass es in ihr, zumal in einer der großen, aufmerksam beobachteten Sprachen, noch immer Meisterwerke geben könnte, die auf ihre Entdeckung warten, ist ziemlich unwahrscheinlich. Und doch stieß ich vor ungefähr zehn Jahren beim Stöbern in einem Kasten mit abgegriffenen Taschenbüchern vor einem Buchladen an der Londoner Charing Cross Road auf ein solches Buch – Ein Sommer in Baden-Baden –, das ich heute zu den schönsten, anregendsten und originellsten literarischen Werken des vergangenen Jahrhunderts zählen würde.

Warum dieses Buch unbekannt blieb, ist nicht schwer zu ergründen. Zunächst einmal war der Verfasser kein Berufsschriftsteller. Leonid Zypkin war Mediziner, ein angesehener Forscher, der in der Sowjetunion und anderen Ländern im Laufe der Zeit an die hundert Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht hat. Aber anders als Tschechow und Bulgakow hat dieser russische Arzt und Autor zu seinen Lebzeiten nie auch nur eine Seite seines literarischen Œuvres gedruckt gesehen.

Die Zensur und die Einschüchterung, die von ihr ausgeht, erklären dies nur zum Teil. Selbstverständlich kam Zypkins Literatur für eine offizielle Publikation nicht in Frage. Aber sie zirkulierte auch nicht im Samisdat, denn Zypkin hielt sich – aus Stolz, aus eigensinniger Schwermut und weil er eine Ablehnung durch das inoffizielle literarische Establishment nicht riskieren wollte – von den unabhängigen oder im Untergrund agierenden literarischen Kreisen fern, die während der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Moskau aufblühten – zu jener Zeit, als er »für die Schublade« schrieb. Für die Literatur selbst.

Dass sich Ein Sommer in Baden-Baden überhaupt erhalten hat, grenzt tatsächlich an ein Wunder.

Leonid Zypkin kam 1926 in Minsk als Kind russisch-jüdischer Eltern zur Welt, beide Mediziner. Die Mutter, Vera Poljakowa, hatte sich auf Lungentuberkulose spezialisiert, der Vater, Boris Zypkin, auf orthopädische Chirurgie. Im Jahre 1934, zu Beginn des Großen Terrors, wurde er auf Grund der üblichen bizarren Anschuldigungen verhaftet. Dank der Fürsprache eines einflussreichen Freundes ließ man ihn jedoch wieder frei, nachdem er versucht hatte, sich durch einen Sprung von einer Treppe im Gefängnis das Leben zu nehmen. Auf einer Bahre mit gebrochener Wirbelsäule kehrte er nach Hause zurück, blieb jedoch kein Invalide, sondern erholte sich und arbeitete weiter als Chirurg, bis er 1961 mit vierundsechzig Jahren starb. Zwei Schwestern und ein Bruder von Boris Zypkin wurden während des Terrors ebenfalls verhaftet und kamen um.

Minsk fiel eine Woche nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Jahre 1941, und Boris Zypkins Mutter, eine weitere Schwester und zwei kleine Neffen wurden im Ghetto ermordet. Boris Zypkin, seine Frau und der fünfzehnjährige Leonid verdankten ihre Rettung aus der Stadt einem Kolchosvorsitzenden, einem früheren Patienten, der aus Dankbarkeit dafür sorgte, dass einige Fässer mit sauren Gurken von einem Lastwagen wieder abgeladen wurden, um Platz für den verehrten Chirurgen und seine Familie zu schaffen. Im Jahr darauf begann Leonid Zypkin sein Medizinstudium, und nach dem Ende des Krieges kehrte er mit den Eltern nach Minsk zurück, wo er 1947 an der medizinischen Fakultät sein Examen ablegte. 1948 heiratete er die Ökonomin Natalja Michnikowa. Michail, das einzige Kind der beiden, kam 1950 zur Welt. Damals forderte die antisemitische Kampagne, die Stalin im Jahr zuvor in Gang gebracht hatte, immer mehr Opfer, und Zypkin tauchte im Team eines psychiatrischen Krankenhauses auf dem Lande unter. 1957 bekam er die Erlaubnis, mit Frau und Sohn nach Moskau zu ziehen, wo ihm am renommierten Institut für Poliomyelitis und virusbedingte Enzephalitis eine Stelle als Pathologe angeboten worden war. Er gehörte dort zu der Arbeitsgruppe, die die Polio-Schutzimpfung in der Sowjetunion einführte; seine weitere Arbeit an diesem Institut zeugt von vielfältigen Forschungsinteressen. Unter anderem befasste er sich mit der Reaktion von Tumorgewebe auf tödliche Virusinfektionen und mit der Biologie und Pathologie der Affen.

Zypkin hatte sich seit jeher für Literatur begeistert und schon immer ein bisschen für sich geschrieben, sowohl Prosa als auch Poesie. Als er Anfang Zwanzig war und sein Medizinstudium sich dem Ende näherte, hatte er mit dem Gedanken gespielt, die Medizin aufzugeben und stattdessen Literatur zu studieren, um sich schließlich ganz dem Schreiben zu widmen. Ihn trieben jene großen Fragen um, die auch das russische Geistesleben des 19. Jahrhunderts bewegt hatten (Wie soll man ohne Glauben, ohne Gott leben?), und so hatte er zunächst vor allem Tolstoi verehrt, an dessen Stelle dann schließlich Dostojewski trat. Zypkin hatte auch cineastische Vorlieben: Antonioni zum Beispiel, aber nicht Tarkowski. Anfang der sechziger Jahre hatte er mit dem Gedanken gespielt, Abendkurse an der Filmhochschule zu belegen und Regisseur zu werden. Später erklärte er, die Notwendigkeit, für den Unterhalt seiner Familie zu sorgen, habe ihn von diesem Plan abgebracht.

Zu Beginn der sechziger Jahre begann für Zypkin auch eine neue, intensivere Phase seiner schriftstellerischen Arbeit: Es entstanden Gedichte, die stark von Zwetajewa und Pasternak beeinflusst waren. Porträts der beiden hingen über seinem kleinen Arbeitstisch. Im September 1965 entschloss er sich, das Risiko einzugehen und Andrej Sinjawski etwas von seiner Lyrik zu zeigen. Doch wenige Tage vor dem vereinbarten Treffen wurde Sinjawski verhaftet. Zypkin und Sinjawski, der ein Jahr älter war, sind einander später nie begegnet, aber Zypkin wurde nun noch vorsichtiger. (»Mein Vater«, so berichtet Michail Zypkin, der heute in Kalifornien lebt, »sprach nicht gern von Politik und dachte auch nicht viel darüber nach. In unserer Familie herrschte stillschweigende Einigkeit darüber, dass das Sowjetregime der Inbegriff des Bösen war.«) Nach mehreren erfolglosen Versuchen, einige Gedichte zu veröffentlichen, hörte Zypkin eine ganze Weile auf zu schreiben. Viel Zeit widmete er nun der Fertigstellung seiner naturwissenschaftlichen Dissertation: »Morphologische und biologische Eigenschaften von Zellkulturen trypsinisierter Gewebe«. (In seiner ersten philosophischen Doktorarbeit hatte er sich mit dem Wachstum mehrfach operierter Hirntumore befasst.) Nach der erfolgreichen Verteidigung seiner zweiten Dissertation im Jahre 1969 bekam Zypkin eine Gehaltserhöhung, so dass er die Nachtarbeit als Teilzeit-Pathologe in einem Krankenhaus aufgeben konnte. Er hatte inzwischen die Vierzig überschritten und begann wieder zu schreiben – keine Poesie, sondern Prosa.

In den dreizehn Jahren, die ihm noch blieben, schuf Zypkin ein kleines Werk von zunehmender Reichweite und Komplexität. Auf eine Reihe kurzer Skizzen folgten längere, komplizierter gebaute Erzählungen, zwei autobiographische Novellen, Die Brücke über den Fluss und Norartakir, und dann sein letztes und längstes literarisches Werk, Ein Sommer in Baden-Baden, eine Art Traumroman, in dem der Träumer, Zypkin selbst, das eigene Leben und dasjenige Dostojewskis in einem leidenschaftlichen Erzählstrom heraufbeschwört. Die Niederschrift war eine vereinsamende, kräftezehrende Arbeit. »Von Montag bis Freitag«, so erzählt Michail Zypkin, »machte sich mein Vater um Punkt Viertel vor acht auf den Weg zur Arbeit im Institut, das in einem weit entfernten Vorort von Moskau lag, in der Nähe des Flughafens Wnukowo. Um sechs Uhr abends kam er heim, aß etwas, schlief ein wenig und setzte sich dann hin, um zu schreiben – entweder an seiner Prosa oder an seinen Forschungsberichten. Bevor er um zehn Uhr zu Bett ging, machte er manchmal noch einen Spaziergang. Meistens verbrachte er auch das Wochenende am Schreibtisch. Mein Vater nutzte jede sich bietende Gelegenheit zum Schreiben, aber es war eine schwere, qualvolle Arbeit. Er rang mit jedem Wort und korrigierte unendlich lange in seinen handgeschriebenen Manuskripten herum. Wenn die Überarbeitung dann abgeschlossen war, tippte er den Text auf einer uralten glänzenden deutschen Schreibmaschine, einer ›Erika‹, die ihm ein Onkel im Jahre 1949 geschenkt hatte, einem Beutestück aus dem Zweiten Weltkrieg. Und in dieser Form haben sich seine Schriften erhalten. Er schickte seine Manuskripte nicht an Verlage und wollte auch nicht, dass seine Prosa im Samisdat zirkulierte, weil er fürchtete, Probleme mit dem KGB zu bekommen und seine Stelle zu verlieren.« Schreiben ohne jede Hoffnung oder Aussicht auf Veröffentlichung – wie viel Glaube an die Literatur ist dazu vonnöten? Zypkins Leserschaft ging über seine Frau, seinen Sohn und ein paar von dessen Moskauer Kommilitonen kaum je hinaus. Wirkliche Freunde in einer der literarischen Welten von Moskau hatte er nicht.

In Zypkins unmittelbarer Verwandtschaft gab es allerdings eine Person, die eine enge Beziehung zur Literatur hatte, die Literaturwissenschaftlerin Lidia Poljakowa, eine jüngere Schwester seiner Mutter, und die Leser des Romans Ein Sommer in Baden-Baden machen ihre flüchtige Bekanntschaft gleich am Anfang des Buches. Im Zug nach Leningrad schlägt der Erzähler ein Buch auf, ein kostbares Buch, dessen Einband samt dem kunstvoll verzierten Lesezeichen liebevoll beschrieben wird, ehe wir erfahren, dass es sich um das Tagebuch von Dostojewskis zweiter Frau, Anna Grigorjewna Dostojewskaja, handelt und dass dieses Exemplar, das »schon fast zerfiel, so zerlesen war es«, als es Zypkin in die Hand bekommt, einer nicht näher benannten Tante gehört, die nur Lidia Poljakowa sein kann. Zypkin...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2020
Übersetzer Alfred Frank
Vorwort Susan Sontag
Sprache deutsch
Original-Titel Ljubit’ Dostoevskogo
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Baden-Baden • Der Spieler • Dostojewski • Fjodor Dostojewski • Leonid Zypkin • Spielsucht • Zypkin
ISBN-10 3-8412-1972-1 / 3841219721
ISBN-13 978-3-8412-1972-5 / 9783841219725
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 23,2 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die Geschichte eines Weltzentrums der Medizin von 1710 bis zur …

von Gerhard Jaeckel; Günter Grau

eBook Download (2021)
Lehmanns (Verlag)
14,99
Historischer Roman

von Ken Follett

eBook Download (2023)
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
24,99