Die Schwestern von Marienfehn (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1966-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Schwestern von Marienfehn - Jan Steinbach
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Eine Frau zwischen altem Handwerk und neuem Glück.

1968 - die junge Hannah Brook steht vor den Trümmern ihrer Träume: Carl, die große Liebe ihres Lebens, heiratet ausgerechnet ihre Ziehschwester Rosie. Und obwohl Hannah im geteilten Berlin gerade ihre ersten Schritte als Journalistin gemacht hat, muss sie - als einzige Unverheiratete der Familie - in der alten Heimat im Emsland ihren erkrankten Vater pflegen. Gegen große Widerstände übernimmt sie die Leitung der Feinbrennerei Brook und arbeitet sich in Destillierkunst und Getreideanbau ein. Es gelingt ihr, das das Familienunternehmen zu retten, indem sie die traditionelle Handwerkskunst neu belebt und den Alten Korn, hochwertigen Schnaps, der in Holzfässern reift, produzieren lässt. Doch dann begegnet sie Carl wieder, den sie nie vergessen hat ...

Die Geschichte eines spannenden alten Handwerks - der Schnapsbrennerei auf den alteingesessenen Familienbauernhöfen auf dem Land.



Jan Steinbach, geboren 1973, ist das Pseudonym eines erfolgreichen deutschen Schriftstellers, der auf einem Bauernhof nahe der niederländischen Grenze aufgewachsen ist.

Bei Rütten & Loening und im Aufbau Taschenbuch liegen von ihm die Romane »Willems letzte Reise«, »Das Café der kleinen Kostbarkeiten«, »Das Strandhaus der kleinen Kostbarkeiten«, »Die Schwestern von Marienfehn« und »Was wir Glück nennen« vor.

Kapitel 1


Heute

Mit den warmen Strahlen der Septembersonne im Gesicht und dem einsamen Schrei eines Moorvogels in der Ferne betrachtete sie lange und nachdenklich den Ort, an dem sie sterben würde.

Das alte Sandsteinhaus lag umgeben von uralten Eichen am Rande des Moors. Ein protziger Kasten mit rußigen Zinnen und einer Marienstatue, die starr und abweisend von der Fassade auf das Kommen und Gehen der Menschen herabsah. In den hohen Sprossenfenstern spiegelte sich der Herbsthimmel, Mücken tanzten in der warmen Luft, und ein weiches Licht gab allem einen unwirklichen Schimmer.

Seltsam, dass es ausgerechnet hier geschehen würde, dachte sie. In diesem Haus am Moor, vor dem sie sich als Kind ein wenig gefürchtet hatte. Es war im Laufe der Zeit vieles gewesen: Krankenhaus, Soldatenlazarett, Teil der Gemeindeverwaltung, Lagergebäude und schließlich ein verbarrikadiertes Geisterhaus. Bis es von Grund auf saniert und erweitert worden war, um das katholische Seniorenheim von Marienfehn zu beherbergen. Ihr neues Zuhause, in das sie heute einziehen würde.

»Ich verstehe dich nicht, Tante Hanna«, sagte Benedikt mit bitterem Unterton. »Wirklich nicht.«

»Ich weiß nicht, was du meinst. Komm, hilf mir mal. Ich bin nicht gut zu Fuß heute. Mein Bein will nicht so recht.«

»Du weißt genau, was ich meine.« Er reichte ihr den Gehstock, auf den sie sich stützte. »Deinen Umzug. Dass du wirklich hier leben willst. Das ist kein Ort, an den du gehörst. Doch nicht du.«

»Ach, Benedikt. Lass uns nicht wieder von vorn anfangen. Das bringt doch nichts.«

»Ich meine nur. Das soll ja nicht heißen, dass ich dir nicht gern beim Umzug helfe. Ich finde einfach … Das ist nicht in Ordnung, Tante Hanna. Auch wenn alle so tun, als wäre es das.«

Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln. Zu sagen, er sei zu jung, um das zu verstehen, hatte sicherlich wenig Sinn. Er war nicht mehr der kleine Junge von einst. Inzwischen war er zu einem gut aussehenden Mann gereift, der anpacken konnte und handwerklich geschickt war. Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit verging. Doch ihr Großneffe, das Nesthäkchen ihrer Familie, würde in ein paar Monaten achtundzwanzig werden.

»Ich weiß auch gar nicht, wie du so ruhig bleiben kannst«, insistierte er. »Es ist falsch, dass du im Heim leben sollst. Mich macht das total wütend.«

»Jetzt lass doch, Benedikt. Bitte.«

Sie wollte diesen Umzug ebenso wenig wie er, doch diesen Kampf hatte sie längst verloren. Es hatte keinen Sinn, sich gegen die Niederlage zu wehren. Hanna fühlte sich alt und zerbrechlich, wenn sie nur daran dachte.

»Dein Altenteil auf dem Hof steht dir zu. Man kann dich doch nicht einfach abschieben. Das darfst du dir nicht gefallen lassen.«

»Benedikt. Wir werden nicht wieder von vorn anfangen.«

»Ich finde nur, du hast etwas Besseres verdient. Du solltest …«

»Es ist meine Entscheidung«, sagte sie im Tonfall ihrer lang erprobten Autorität. »Ich habe entschieden, hierherzuziehen. Keiner sonst. Hörst du? Es ist meine eigene Entscheidung.«

Das brachte ihn zum Schweigen. Mürrisch nahm er einen der Umzugskartons und stapfte entschlossen auf das Gebäude zu. Sie schüttelte den Kopf. Was sollte sie denn machen? Als hätte sie eine Wahl gehabt. Er hatte recht mit dem, was er sagte. So traditionsbewusst waren die Menschen in Marienfehn noch, um zu wissen, dass es ein absolutes Unding war, wenn die ehemalige Besitzerin der Brennerei sich in einem Apartment im Seniorenheim wiederfand. Aber das half keinem weiter.

Sie stützte sich auf ihren Gehstock und blickte zum Sandsteingebäude. Alles war liebevoll restauriert worden, doch ein Hauch der Düsternis von einst umgab es noch, trotz der modernen Anbauten und der hübschen Parkanlagen.

Als ihr Großneffe zurückkehrte, um den letzten Karton zu holen, schien sein Ärger bereits verflogen. Er trat neben Hanna.

»Es ist ja ganz hübsch hier«, räumte er ein. »Trotzdem ist es nicht der Brennereihof.«

»Als Kind habe ich immer gedacht, das Moor würde sich das Haus eines Tages zurückholen«, erzählte Hanna. »Es würde einfach im Nebel verschwinden. Vom Morast verschluckt werden und nie wieder auftauchen.«

»So wie das Haus Usher, meinst du. In der Geschichte von Edgar Allan Poe.«

»Ja, so ungefähr. Aber sieh nur, es steht immer noch. Früher war es mitten im Moor, und jetzt ist es ganz an den Rand gerutscht.«

Das Gegenteil war nämlich passiert. Moor und Feuchtwiesen waren dabei, zu verschwinden. Nicht im Nebel zwar, jedoch wurden sie Stück für Stück trockengelegt und für die Landwirtschaft nutzbar gemacht, wodurch wiederum das restliche Moor durch Dünger und Nährstoffe verlandete und die Tier- und Pflanzenwelt nach und nach verloren ging.

»Es wird doch eine Menge unternommen, um das Moor zu erhalten«, wandte Benedikt ein. »Wir haben die biologische Station, die kümmert sich um den Lebensraum Moor. Schon allein wegen der Touristen.«

Das war richtig. Es gab ein ganzes Heer von Menschen, die das Moor für die Nachwelt erhalten wollten. Wissenschaftler, Schäfermeister, Ehrenamtliche, Austauschstudenten, sogar Pädagogen waren vertreten, die Schulklassen und Touristen herumführten und über Nachhaltigkeit und Biodiversität sprachen.

»Ja, wir haben die biologische Station«, stimmte sie nachdenklich zu. »Noch so was, was damals undenkbar gewesen wäre.«

Benedikt nahm den letzten Karton und brachte ihn zum Haus. Hanna stützte sich auf den Stock und wartete auf seine Rückkehr. Den Sandsteinkasten ließ sie dabei nicht aus den Augen. Hubert Espelkamp kam ihr in den Sinn. Ein Milchbauer aus der Nachbarschaft, einer der ersten Bewohner, die hier im Seniorenheim gelebt hatten. Ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht.

Er war ein bisschen in Hanna verschossen gewesen, Hubert Espelkamp. Ein stämmiger Landwirt, der meist ziemlich wortkarg war. Keine Ahnung, was ihm an ihr gefallen hatte. Doch beim Schützenfest zweiundsiebzig, das würde sie nie vergessen, auf dem Höhepunkt der Feier, da war Hanna für eine Nacht schwach geworden.

Hubert hatte sich als Gentleman erwiesen und sein Lebtag Stillschweigen bewahrt über diese Nacht. Hanna kannte genügend Männer, die in der Dorfkneipe damit geprahlt hätten. Bier und Schnaps trinkend am Tresen, mit aggressivem Lachen und derben Witzen auf ihre Kosten. Nicht so Hubert. Kein Sterbenswort war über seine Lippen gekommen. Und das Einzige, was an ihr Abenteuer erinnerte, war sein seltsames Lächeln, immer sonntags nach dem Gottesdienst, wenn sie mit den anderen Kirchgängern ins Freie strömten und einen heimlichen Blick wechselten. Die Wärme, die dann in seinen Augen aufblitzte, gefolgt von einem Hauch von Sehnsucht und Traurigkeit.

Huberts spätere Frau war sehr empfindlich, was den Namen Hanna Brook anging. Sie achtete peinlichst darauf, dass die beiden nicht aufeinandertrafen. Doch diese Blicke, sonntags nach dem Kirchgang, die konnte auch sie nicht unterbinden.

Als es Hubert zuletzt immer schlechter ging, da hatte Hanna ihn im Seniorenheim besucht. Da waren sie wieder allein miteinander in einem Zimmer gewesen, zum ersten Mal seit zweiundsiebzig.

»Sie haben Besuch, Herr Espelkamp«, rief die junge Pflegerin, die Hanna in den Raum führte.

Sie versuchte, mit ihrer Stimme den plärrenden Fernseher zu übertönen. Es lief eine Kochsendung mit angestrengt gut gelaunten Männern, die über Töpfe und Pfannen gebeugt standen und sich gegenseitig ins Wort fielen. Hubert, oder vielmehr jenes Wesen mit fahler Haut und totenkopfartigem Schädel, das Hubert entfernt ähnelte, mit den weißen Fusseln auf dem Kopf und ausgemergeltem Oberkörper, lag in einem Bett mit hochgestelltem Kopfteil, das direkt auf den Fernseher ausgerichtet war. Er blickte nicht einmal auf, als sie eintraten. Der Lärm des Fernsehers bereitete Hanna augenblicklich Kopfschmerzen.

»Eine Dame für Sie, Herr Espelkamp«, rief die Pflegerin.

Sie nahm die Fernbedienung und stellte den Fernseher leiser. Erst jetzt schien Hubert zu bemerken, dass etwas vor sich ging.

»Er mag diese Kochsendungen, wissen Sie. Sie beruhigen ihn. Wir lassen das für ihn laufen. Auch wenn er nicht mehr gut hören kann. Sein Hörgerät zieht er sich immer aus dem Ohr, er kann es nicht leiden.«

Sie legte die Fernbedienung beiseite, zwinkerte Hanna zu und ließ die beiden allein. Hanna trat etwas unbeholfen an sein Bett. Sie lächelte.

Von seinem stattlichen Aussehen war nicht viel geblieben. Von dem dunklen Haar und seinen sinnlich geschwungenen Lippen.

Doch wenn sie genau hinsah, erkannte sie ihn trotzdem, den Hubert von damals, egal, wie sehr er sich verändert hatte. Und sie hatte sich ja ebenfalls verändert, auch sie war grau und faltig geworden.

»Ich bin’s, Hubert. Hanna.«

Er blickte verständnislos.

»Hanna«, wiederholte sie laut.

Doch nichts. Sein Blick huschte über sie hinweg, als suchte er irgendwo Halt. Den fand er schließlich auf der Mattscheibe. Hanna zögerte, nahm auf seiner Bettkante Platz.

»Es ist lange her, Hubert. Wir sind alt geworden, was?« Sie lachte nervös. »So viele Jahre. Sieh uns nur an.«

Doch er hatte nur Augen für seine Kochsendung.

»Erkennst du mich denn nicht? Ich bin es, Hubert: Hanna Brook.«

Vergebens. Sie drang nicht zu ihm durch. Vielleicht war es dumm gewesen, herzukommen. Was...

Erscheint lt. Verlag 20.5.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 60er • Altes Handwerk • Altes Land • Anja Baumheier • Barbara Leciejewski • Brennerei • Brigitte Glaser • Bühlerhöhe • Dorf • Dörte Hansen • Eierlikörtage • Emsland • Familie • Familiengeschichte • Familienroman • Familiensaga • Frauenschicksal • Handcraft • Kastanienjahre • Kati Neumann • Kranichland • Landleben • Landlust • Leben auf dem Land • Liebesroman • Mittagsstunde • Nachkriegszeit • Provinz • Rheinblick • Schnaps • Schwestern • Sechziger • Small Town • Ulrike Renk
ISBN-10 3-8412-1966-7 / 3841219667
ISBN-13 978-3-8412-1966-4 / 9783841219664
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,3 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die Geschichte eines Weltzentrums der Medizin von 1710 bis zur …

von Gerhard Jaeckel; Günter Grau

eBook Download (2021)
Lehmanns (Verlag)
14,99
Historischer Roman

von Ken Follett

eBook Download (2023)
Bastei Entertainment (Verlag)
24,99