Als Einstein und Gödel spazieren gingen (eBook)

Ausflüge an den Rand des Denkens

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
496 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00250-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als Einstein und Gödel spazieren gingen -  Jim Holt
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Unter Physikern und Mathematikern sind sie legendär geworden, die Spaziergänge über den Campus von Princeton, die den fast 70-jährigen Albert Einstein und den 25 Jahre jüngeren Ausnahme-Mathematiker Kurt Gödel verbanden. Zwei Spaziergänger, die jeweils ihr Fach revolutioniert, Grenzen überschritten und neue aufgezeigt haben. Gödel hatte schon früh beschlossen, sich nur um mathematische Probleme zu kümmern, die auch eine philosophische Dimension haben. Damit ist er quasi ein Bruder im Geiste für Jim Holt, den Philosophen und Mathematiker, der sich gerne mit den letzten Fragen beschäftigt - und mit jenen, die ihnen ihr Leben widmeten. Und so erzählt er in diesem Buch mit dieser Geschichte einer Freundschaft zugleich die Geschichte der revolutionären geistigen Umwälzungen im 20. Jahrhunderts. Daneben versammelt Holt in diesem Band 22 weitere Erzählungen und Reflexionen, in beeindruckend schöner Sprache und reich an biografischen und kulturgeschichtlichen Anekdoten. Sie widmen sich den 'aufregendsten intellektuellen Errungenschaften, denen ich in meinem Leben begegnet bin' (Holt). Es geht darin um das kosmologisches Denken über Zeit und Raum, Unendlichkeit im Großen und Kleinen, das Heraufziehen des Computerzeitalters, den Code des Lebens und die Frage, was man wahr nennen darf. Mal stehen Wissenschaft und Philosophie ein wenig im Vordergrund, mal die außergewöhnlichen Geschichten ihrer bedeutenden Protagonisten, von Holt fesselnd erzählt, mit Tiefgang und Intimität und einem besonderen und persönlichen Blick. «Jim Holt ist einer der wirklich besten Science-Autoren der jüngsten Zeit.» New York Times

Jim Holt ist Autor und Essayist. Er schreibt über Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften vor allem für die New York Times Book Review und die New York Review of Books. Sein Buch «Gibt es alles oder Nichts?» war in den USA ein Bestseller und wurde in 18 Sprachen übersetzt, die New York Times zählte es überdies zu den fünf besten Sachbüchern des Jahres.

Jim Holt ist Autor und Essayist. Er schreibt über Philosophie, Mathematik und Naturwissenschaften vor allem für die New York Times Book Review und die New York Review of Books. Sein Buch «Gibt es alles oder Nichts?» war in den USA ein Bestseller und wurde in 18 Sprachen übersetzt, die New York Times zählte es überdies zu den fünf besten Sachbüchern des Jahres. Monika Niehaus, Diplom in Biologie, Promotion in Neuro- und Sinnesphysiologie, freiberuflich als Autorin (SF, Krimi, Sachbücher), Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin (englisch/französisch) tätig. Mag Katzen, kocht und isst gern in geselliger Runde. Trägerin des Martin-Wieland-Übersetzerpreises 2021. Bernd Schuh, geboren 1948  ist Physiker, Dozent, Journalist, Autor und Übersetzer. Er studierte Mathematik, Physik und Chemie in Köln, wurde 1977 promoviert und habilitierte sich 1982 in Physik. Er ist Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 

Kapitel 1 Als Einstein mit Gödel spazieren ging


Im Jahr 1933, als seine großen Entdeckungen schon eine ganze Weile hinter ihm lagen, kam Albert Einstein nach Amerika. Die letzten 22 Jahre seines Lebens verbrachte er in Princeton, New Jersey, wo er der Star des Institute for Advanced Study war. Einstein fühlte sich in seinem neuen Umfeld einigermaßen wohl und ging mit dessen Ansprüchen locker um. «Princeton ist ein wundervolles Stückchen Erde und dabei ein ungemein drolliges zeremonielles Krähwinkel winziger stelzbeiniger Halbgötter», meinte er einmal in einem Brief an Königin Elisabeth von Belgien. Sein Tag begann üblicherweise mit einem gemächlichen Spaziergang von seinem Haus in 112 Mercer Street zu seinem Arbeitszimmer im Institut. Er war damals einer der berühmtesten und dank seines charakteristischen Äußeren – dem zerzausten Haar und den ausgebeulten, von Hosenträgern gehaltenen Hosen – auch wohl bekanntesten Menschen der Welt.

Zehn Jahre nach seiner Ankunft in Princeton gewann Einstein auf seinen Spaziergängen einen Begleiter, einen viel jüngeren Mann, der in seinem weißen Leinenanzug und passendem weichen Filzhut neben dem nachlässig gekleideten Einstein eine elegante Figur machte. Die beiden unterhielten sich beim morgendlichen Schlendern zum Institut und später am Tag auf ihrem Weg zurück nach Hause angeregt auf Deutsch. Der Mann im Anzug wäre von vielen Bewohnern der Kleinstadt wohl nicht erkannt worden, doch Einstein sah in ihm einen Ebenbürtigen, jemanden, der wie er im Alleingang eine konzeptuelle Revolution in die Wege geleitet hatte. Wenn Einstein mit seiner Relativitätstheorie unsere Alltagsvorstellungen über die physikalische Welt auf den Kopf gestellt hatte, so hatte der jüngere Mann, Kurt Gödel, eine ähnlich subversive Wirkung auf unser Verständnis der abstrakten Welt der Mathematik gehabt.

Gödel, der oft als größter Logiker seit Aristoteles bezeichnet worden ist, war ein seltsamer und letztlich tragischer Mensch. Während Einstein gesellig war und gern lachte, war Gödel ernst, einzelgängerisch und pessimistisch. Einstein, ein passionierter Geigenspieler, liebte Beethoven und Mozart. Gödels Geschmack bewegte sich in ganz anderen Bahnen: Sein Lieblingsfilm war Walt Disneys Schneewittchen und die sieben Zwerge, und als seine Frau einen rosafarbenen Flamingo im Vorgarten aufstellte, fand er den Vogel «furchtbar herzig». Einstein liebte herzhaftes deutsches Essen und griff tüchtig zu; der Hypochonder Gödel ernährte sich ausschließlich von Butter, Babynahrung und Abführmitteln. Und auch wenn Einsteins Privatleben nicht unkompliziert war, gab er sich nach außen heiter und weltoffen. Gödel zeigte hingegen eine Tendenz zur Paranoia. Er glaubte an Geister und hatte eine morbide Furcht davor, von aus dem Kühlschrank ausströmenden Gasen vergiftet zu werden; er weigerte sich, das Haus zu verlassen, wenn gewisse renommierte Mathematiker in der Stadt waren, offenbar aus Angst, sie könnten versuchen, ihn zu töten. «Chaos ist nur ein falscher Eindruck», behauptete er – der wichtigste Glaubenssatz eines Paranoikers.

Auch wenn andere Mitglieder des Instituts den pessimistischen Logiker rätselhaft und unnahbar fanden, erzählte Einstein den Leuten, er komme nur deshalb ins Institut, «um das Privileg zu haben, mit Gödel zu Fuß nach Hause gehen zu dürfen». Das lag wohl zum Teil daran, dass sich Gödel von Einsteins Reputation nicht schrecken ließ und nicht zögerte, dessen Ideen in Frage zu stellen. Wie ein anderes Mitglied des Instituts, der Physiker Freeman Dyson, einmal meinte: «Gödel war … der Einzige von uns, der sich mit Einstein auf gleicher Augenhöhe bewegte.» Aber auch wenn Einstein und Gödel anscheinend auf einer höheren Ebene als der Rest der Menschheit kommunizierten, so waren sie gleichzeitig doch «Museumsstücke», um es mit Einsteins Worten zu sagen. Einstein brachte es niemals über sich, die Quantentheorie von Niels Bohr und Werner Heisenberg zu akzeptieren; Gödel glaubte, mathematische Abstraktionen seien in jeder Hinsicht ebenso real wie Tische und Stühle, eine Ansicht, die von zeitgenössischen Philosophen als hoffnungslos naiv betrachtet wurde. Gödel wie auch Einstein beharrten darauf, dass die Welt unabhängig von unserem Geist, jedoch rational aufgebaut ist und von uns verstanden werden kann. Vereint durch ein gemeinsames Gefühl intellektueller Isolation, fanden sie in ihrer Kameradschaft einen gewissen Trost. «Sie wollten mit niemand anderem sprechen», erinnerte sich ein anderes Mitglied des Instituts. «Sie wollten nur miteinander reden.»

Und die Leute fragten sich, worüber sie wohl sprachen. Vermutlich war Politik eines ihrer Themen. (Einstein, der Adlai Stevenson unterstützte, war aufgebracht, als Gödel sich entschied, 1952 für Dwight D. Eisenhower zu stimmen.) Physik war zweifellos ein weiteres Thema. Gödel kannte sich auf diesem Gebiet gut aus; er teilte Einsteins Misstrauen gegenüber der Quantentheorie, doch auch dem Ehrgeiz des älteren Physikers, sie durch eine «vereinheitlichte Feldtheorie» zu ersetzen, die alle bekannten Kräfte in einem deterministischen Rahmen zusammenführen würde, stand er skeptisch gegenüber. Beide fühlten sich zu Problemen hingezogen, die nach Einsteins Worten «von wirklicher Bedeutung» waren, Probleme, die die grundlegendsten Elemente der Realität betrafen. Gödel interessierte sich besonders für das Wesen der Zeit, denn, so vertraute er einem Freund an, das sei die philosophische Frage. Was war «jenes rätselhafte und scheinbar in sich widerspruchsvolle Etwas, das doch die Existenz der Welt und unserer selbst bildet», fragte er sich. Das war ein Thema, auf dem Einstein eine gewisse Expertise vorzuweisen hatte.

Jahrzehnte zuvor, im Jahr 1905, hatte Einstein gezeigt, dass Zeit, wie sie von Wissenschaftlern wie auch Laien bis dato verstanden worden war, eine Fiktion war. Und das war nicht seine einzige Leistung in jenem Jahr. Damals war Einstein 25 Jahre alt und im Schweizer Patentamt in Bern angestellt. Nachdem sein Versuch, in Physik zu promovieren, zunächst aus formalen Gründen gescheitert war, hatte er zeitweilig den Gedanken an eine akademische Karriere aufgegeben und einem Freund gegenüber gemeint: «Die ganze Komödie ist mir langweilig geworden.» Kurz zuvor hatte er ein Buch von Henri Poincaré gelesen, einem französischen Mathematiker mit einem Ruf wie Donnerhall, das drei grundlegende ungelöste naturwissenschaftliche Probleme aufgelistet hatte. Das erste betraf den «photoelektrischen Effekt»: Auf welche Weise schlug ultraviolettes Licht Elektronen aus einer Metalloberfläche heraus? Das zweite Problem betraf die «Brown’sche Bewegung»: Warum bewegten sich Pollenkörner im Wasser in einem zufälligen Zickzackmuster hin und her? Und beim dritten ging es um den «lichttragenden Äther», der angeblich den gesamten Raum füllen und als das Medium dienen sollte, durch das sich die Lichtwellen bewegen, auf dieselbe Weise, wie sich Schallwellen durch die Luft oder Meereswellen durch das Wasser bewegen: Warum war es experimentell nicht gelungen, die Bewegung der Erde durch diesen Äther nachzuweisen?

Jedes dieser Probleme besaß das Potenzial, das zu enthüllen, was Einstein für die grundlegende Einfachheit der Natur ansah. Auf sich gestellt, ohne Anschluss an die wissenschaftliche Gemeinschaft, gelang es dem kleinen Patentamt-Angestellten rasch, alle drei Probleme zu lösen. Seine Ergebnisse präsentierte er in vier wissenschaftlichen Artikeln, die er im März, April, Mai und Juni 1905 veröffentlichte. In seinem März-Artikel über den photoelektrischen Effekt legte er dar, dass Licht aus diskreten Teilchen besteht, die später den Namen «Photonen» erhielten. In seinen Artikeln von April und Mai bewies er ein für alle Male die Existenz von Atomen, lieferte eine theoretische Abschätzung ihrer Größe und legte dar, wie ihr Aneinanderstoßen die Brown’sche Bewegung hervorrief. In seinem Juni-Artikel über das Äther-Problem stellte er seine Theorie der Relativität vor. Dann, als eine Art Zugabe, veröffentlichte er im September eine dreiseitige Mitteilung, die die berühmteste Gleichung aller Zeiten enthielt: E = mc2.

All diese Artikel hatten etwas Magisches an sich und zerstörten einige in der Gemeinschaft der Physiker tief verwurzelte Überzeugungen. Was Reichweite und Kühnheit anging, stach Einsteins Juni-Artikel jedoch heraus. Auf 30 Seiten schrieb er die Gesetze der Physik knapp und bündig vollständig um. Er begann mit zwei einfachen Prinzipien. Erstens sind die Gesetze der Physik absolut: Für alle Beobachter müssen dieselben Gesetze gelten. Zweitens ist die Lichtgeschwindigkeit absolut; sie ist ebenfalls für alle Beobachter identisch. Das zweite Prinzip ist zwar weniger offensichtlich, folgt aber der gleichen Art von Logik. Da Licht eine elektromagnetische Welle ist (was seit dem 19. Jahrhundert bekannt war), ist seine Geschwindigkeit durch die Gesetze des Elektromagnetismus festgelegt; diese Gesetze sollten für alle Beobachter identisch sein, und daher sollte jedermann sehen, dass sich das Licht mit derselben Geschwindigkeit bewegt, ganz unabhängig vom Bezugssystem. Dennoch war es kühn von Einstein, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu postulieren, denn dies führte zu scheinbar absurden Konsequenzen.

Stellen wir uns vor – um die Sache einfacher zu machen –, dass die Lichtgeschwindigkeit 100 Meilen pro Stunde beträgt. Nun stehe ich am Straßenrand und sehe einen Lichtstrahl mit dieser Geschwindigkeit vorbeisausen. Und dann sehe ich, wie Sie mit Ihrem Wagen diesem Lichtstrahl mit 60 Meilen pro Stunde hinterherjagen. Für mich...

Erscheint lt. Verlag 24.3.2020
Übersetzer Monika Niehaus, Dr. Bernd Schuh
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Naturwissenschaften
Technik
Schlagworte Alan Turing • Albert Einstein • Biografien • Einstein • Emmy Noether • Kurz Gödel • Mathematik • Naturwissenschaft • Physik • Quantenphysik • Relativitätstheorie
ISBN-10 3-644-00250-9 / 3644002509
ISBN-13 978-3-644-00250-0 / 9783644002500
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