Nächte des Schweigens (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
544 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1934-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nächte des Schweigens - Michel Bussi
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Ein Mord - und Millionen schauen zu. Bei einer Marine-Veranstaltung in Rouen wird ein Matrose getötet - unter den Augen von Millionen von Zuschauern. Kommissar Gustave Paturel und seine Kollegin Colette, seit 30 Jahren ein eingespieltes Team, stehen vor dem schwersten Fall ihrer Karriere. Wie konnte der Mörder unerkannt entkommen? Und gibt es eine Verbindung zwischen dem Toten und dem geheimen Schatz, nach dem in den Wassern der Seine gesucht wird? Alles deutet darauf hin, dass durch die Vorfälle ein Skandal vertuscht werden soll, und schon bald beginnt ein Wettlauf mit der Zeit auf der Suche nach dem geheimnisvollen Mörder ... Atmosphärisch und spannend: ein packender Thriller aus der Normandie

Michel Bussi, geboren 1965, Politologe und Geograph, lehrt an der Universität in Rouen. Er ist einer der drei erfolgreichsten Autoren Frankreichs. Seine Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und sind internationale Bestseller. Bei Rütten & Loening und im Aufbau Taschenbuch liegen seine Romane 'Das Mädchen mit den blauen Augen', 'Die Frau mit dem roten Schal', 'Beim Leben meiner Tochter', 'Das verlorene Kind', 'Fremde Tochter' und 'Tage des Zorns' vor. Mehr zum Autor unter www.michel-bussi.fr

1
Abdrift


Oktober 1983, 7 Uhr 45, Marais Vernier

Die zaghafte Morgensonne färbte den Horizont an der Baie de Seine allmählich rot. Es wurde Tag über dem Marais Vernier. Aus dem Fluss stieg ein sanfter Nebel auf, hin zu der Steilküste La Roque. In dieser Mondlandschaft wirkte die Straße wie eine sich windende silberne Schlange.

Der Geländewagen war allein, fast geräuschlos, auf der verschlungenen Landstraße unterwegs. Einige Kilometer vor dem Pont de Tancarville wurde der Wagen langsamer, bis er im rechten Winkel in einen schmalen Pfad einbog.

Der Weg war voller Schlaglöcher und zu beiden Seiten von einer breiten, überschwemmten Böschung gesäumt, welcher auch die zahlreichen Erlen und Kopfweiden nicht das Wasser zu entziehen vermochten. Links wie rechts erstreckten sich seltsame, lange flache Streifen Land von der Straße bis zur Seine.

Muriel blinzelte. Der Widerschein der aufgehenden Sonne, die zwischen den Bäumen scheinbar Versteck spielte, störte sie. Im Rückspiegel sah sie den blassen Lichtstrahl des Leuchtturms von La Roque, der hoch oben auf seinem merkwürdigen Fels thronte und wie der Bergfried einer Ritterburg über die Flussmündung wachte.

Trotz der Stoßdämpfer des Geländefahrzeugs wurden die Erschütterungen unangenehm. Muriel warf ihrem Mann, der neben ihr saß, einen Blick zu. Er fuhr vorsichtig.

Konzentriert.

Dennoch fühlte Muriel sich nicht sicher.

Diese Spritztour an die Baie de Seine war keine gute Idee.

Sie hatte ein ungutes Gefühl. Vielleicht lag das nur an der gespenstischen Stimmung in der Bucht am Morgen. An der Stille. Dem Zwitschern der Vögel. Den zahllosen Vögeln, die sie gerade unsanft weckten.

Ja, der Tauchsport in der Seine beunruhigte sie! Zunächst war sie von dem sonderbaren Hobby amüsiert gewesen. Den Legenden. Den Tauchgängen im Meer. Doch inzwischen wurde all das immer mehr zur Besessenheit. Sie sah erneut zu ihrem Mann. Er spürte ihren Blick nicht einmal. Die Aufmerksamkeit blieb auf das Steuer gerichtet, die Hände fest am Lenkrad, die Augen starr …

Er war anderswo. In seinem Universum.

Das Radio übertrug ein Lied, das Muriel gefiel. Morgane de toi, diesen Hit von Renaud.

Muriel drehte sich zu ihrer Tochter Marine um, die auf dem Rücksitz noch immer schlief.

Der Kopf an die Wagentür gelehnt. Ein engelhaftes Lächeln. Leise, regelmäßige Atemzüge. Leicht beschlagene Fensterscheiben. Das hübsche Puppengesicht eines zehnjährigen Mädchens. Die Unschuld in Person. Marine war heute Morgen sehr früh aufgestanden. Mit welch einer Begeisterung! Die Aussicht auf einen Tauchgang versetzte sie stets in Hochstimmung. Sie war nicht eingeschlafen, bevor sie die Autobahn erreicht hatten. Und doch wurde Muriel das ungute Gefühl nicht los.

Warum solche Risiken eingehen?

Solche Risiken?

Ihr Mann war da natürlich ganz anderer Meinung.

Risiken? Welche Risiken? Er war ein erfahrener Taucher. Er hatte alle Weltmeere ergründet. Er war ausgebildeter Tauchlehrer und besaß sogar den Open Water Diver, eine Art internationalen Tauchschein. Unter Wasser zu sein war seither fast Routine für ihn. Es gab keinen Grund zur Panik! Auch Marine hatte ein bisschen Erfahrung. Sie tauchte seit ihrem achten Lebensjahr. O nein, natürlich nicht besonders tief. Drei bis fünf Meter. Diesen Sommer auf Korsika war sie beinah jeden Tag getaucht.

Marine liebte es.

Ja … Aber das Mittelmeer, die türkise See, die Schulferien … Es war nicht das Gleiche, in der kalten, trüben Seine zu tauchen, dem verschmutzten Wasser, den Strudeln der Schiffsschrauben.

Allein!

Im Radio stimmte Renaud die letzten Akkorde an. Der Geländewagen bremste und kam auf einem kleinen Parkplatz gegenüber einem Lichtsignal zum Stehen. Auf dem weiß-grünen Betonpfosten las Muriel »Leuchtbake«. Sie befanden sich auf einer Lichtung an der Kreuzung mehrerer Wanderwege. Muriel fühlte sich ein bisschen besser. Ihr Mann fand sich offenbar gut zurecht. Niemand kannte die abgelegenen Stellen am Fluss besser als er. Er war versessen auf die Seine und ihre Geheimnisse. Sie stiegen aus.

Marine erwachte fröstelnd, reckte sich und warf ihren Eltern ein zufriedenes Lächeln zu. Muriel umarmte sie und strich ihr kräftig über den Rücken.

Es war in Ordnung.

Sie näherten sich der Seine, erklommen die wenigen Stufen zu dem Lichtsignal, dessen schwacher Schein sich in der hereinbrechenden Dämmerung verlor.

Eine ganze Weile standen sie dort zu dritt, schweigend, von der Landschaft bezaubert. Ein paar Hundert Meter zu ihrer Rechten zeichneten sich die eleganten Konturen des Pont de Tancarville ab, des einzigen Menschengemachten im morgendlichen Schimmer der Flussmündung, zwischen Himmel und Meer. Vor ihnen der glatte Spiegel des breiten Flusses. Wie ein riesiges, kaltes, abgründiges, bodenloses Quecksilberbecken.

Muriel übermannte abermals das unbehagliche Gefühl.

Dorthinein tauchen?

»Seht!«, zerriss Marines Stimme die Stille.

Ein riesiger Schwarm Fischadler ließ sich in ihrer Nähe nieder.

Muriel überblickte die unermessliche Weite. Vögel, Hunderte Vögel, so weit das Auge reichte: Knäkenten, Löffler, Möwen, sie kannte nicht alle mit Namen.

Ein einzigartiges Naturschauspiel, das musste Muriel zugeben.

Doch die Angst blieb.

Sie wandte sich um, durchsuchte den Kofferraum und bot ihrem Mann eine heiße Tasse Kaffee aus der Isolierkanne an.

Er trank langsam.

Er war vollkommen ruhig, selbstgewiss. Bestimmt auch glücklich. Marine aß ein Croissant. Sie schenkte ihrer Mutter ein strahlendes Lächeln. Das beruhigte Muriel. Ein bisschen.

Als er ausgetrunken hatte, rieb sich ihr Mann die Hände und durchbrach seinerseits die Stille der Flussmündung:

»An die Arbeit!«

Das waren fast seine ersten Worte. Er hatte wohl eine beinah religiöse Furcht, die behagliche Atmosphäre zu zerstören. Erneut durchforsteten sie das Heck des Wagens. Jeder half beim Tragen der schweren, umfangreichen Tauchausrüstung: Flaschen, Anzüge, Flossen.

Muriel beobachtete das präzise Vorgehen ihres Mannes. Er war ein durchaus gewissenhafter Ehepartner und Vater. Auf dem Boden kniend überprüfte er sorgfältig die Druckventile und Kompressoren. Sie bewunderte ihn. Natürlich liebte sie ihn. Auch wenn sich manchmal dieses alles verzehrende Hobby zwischen sie drängte. Wie eine Geliebte, die immer besitzergreifender wurde. Eine Geliebte, die ihr den Mann wegnahm. Muriel zwang sich wie immer, an etwas anderes zu denken, die Eifersucht aus ihren Gedanken zu vertreiben. Sie würde nicht wie all die Frauen werden, die an den nutzlosen Hobbys ihrer Männer verzweifelten, die versuchten, deren Eigenheiten und Persönlichkeiten herabzusetzen und nach ihrem Ideal zu formen. Nein, so eine war sie nicht! Sie akzeptierte ihren Mann, wie er war.

Und doch …

Und doch, es wollte ihr nicht gelingen, einen quälenden Gedanken zu verscheuchen: Das Hobby ihres Mannes, seine Besessenheit, seine sinnlosen Untersuchungen würden sich allmählich seines Verstandes bemächtigen, ihn verschlingen, ihn zu einem anderen Menschen machen.

Nein! Muriel schüttelte sich. Sie argumentierte wie ein eifersüchtiges Mädchen. Ihr Mann tauchte gern und mochte das Geheimnisvolle. Das war alles! Ihre Tochter übrigens auch, und Muriel konnte schlicht und ergreifend schwer akzeptieren, dass sie bei dieser Gemeinsamkeit außen vor war. Schließlich war sie es, die nicht tauchen lernen wollte.

Marine dagegen war von dem Hobby ihres Vaters begeistert. Hingerissen. Sie schlüpfte in ihren schwarz-lila Neoprenanzug. Sie schulterten die Tauchausrüstung, Muriel folgte Marine und ihrem Vater in eine kleine, nur wenige Schritte von dem Geländewagen entfernte Bucht mit einem sanft abfallenden Strand, der aus großen Gesteinsbrocken künstlich angelegt worden war.

Anfangs hatte Muriel bei dem Gedanken an einen Tauchgang in der Seine vor allem die Schiffe gefürchtet: Die Seine war ein schiffbarer Fluss. Ohne Erlaubnis zu tauchen war wegen der Passagierschiffe verboten. Doch in der Bucht bestand offenbar keine Gefahr.

Dennoch wurde die schlimme Vorahnung, das beklemmende Gefühl immer stärker, dass sich ein Drama abspielen würde, hier im nächsten Augenblick.

Es ergab überhaupt keinen Sinn.

»Wir sind nur fünfzehn, höchstens zwanzig Minuten unter Wasser«, erklärte ihr Mann ruhig. »Es dauert nicht lange.«

Muriel wartete für gewöhnlich an der Küste, überblickte den Wasserspiegel und hielt ängstlich nach einem Gesicht Ausschau, das die Oberfläche durchdringen sollte. Sie selbst tauchte nicht. Sie schwamm auch nur selten, es war nicht ihr Ding. Sie ging lieber spazieren oder wandern.

»Seid vorsichtig«, murmelte sie.

Ihr Mann hörte sie nicht. Ebenso wenig Marine, längst auf die kleinsten Details konzentriert, die ihr Vater bereits bis zum Überdruss wiederholt hatte. Das Atmen, die sanften Bewegungen, die Unterwasserzeichen.

Kurz spürte Muriel erneut ihre Eifersucht auf die Verbundenheit zwischen Vater und Tochter, auf seine Begabung, Marine durch Geschichten, Abenteuer, kontrollierte Risiken zu verzaubern.

Sie lächelte die beiden Taucher liebevoll an.

Nein, sie war nicht eifersüchtig. Auch sie hatte ihren Platz. Ihren Platz, wenn sie der Tochter, die...

Erscheint lt. Verlag 7.4.2020
Übersetzer Ina Böhme
Sprache deutsch
Original-Titel Mourir sur Seine
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Frankreich • Fred Vargas • Geheimnis • Normandie • Normandie Krimi • Rouen • Tod
ISBN-10 3-8412-1934-9 / 3841219349
ISBN-13 978-3-8412-1934-3 / 9783841219343
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