Totenwelt (eBook)

Ein Jens-Druwe-Roman

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1998-5 (ISBN)

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Totenwelt - Michael Jensen
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Die tödlichen Gefahren des Neuanfangs.

Der Zweite Weltkrieg ist seit ein paar Stunden beendet, als Inspektor Jens Druwe zum Marinestützpunkt in Flensburg gerufen wird. Er soll helfen, eine neue Polizeieinheit aufzubauen. Dann erhält er eine seltsame Nachricht - von Werner Grell, einem untergetauchten Geheimdienstagenten. Grell berichtet von brisantem Material, das er über ehemalige Nazi-Größen besitzt. Zögernd vertraut Druwe sich britischen Militärs an. Das erste Geheimtreffen zwischen Grell und einem Captain der Briten endet jedoch in einem Fiasko. Beide werden tot in einer Lagerhalle gefunden. Es sieht aus, als hätten sie sich gegenseitig erschossen. Doch Druwe hat da seine Zweifel ...

Ein Doppelmord im Mai 1945 - ein hochspannender Roman vor einer ungewöhnlichen historischen Kulisse.



Michael Jensen wurde 1966 im Norden Schleswig-Holsteins geboren. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und Flensburg. Im Hauptberuf ist er als Arzt und Therapeut tätig. Seine beruflichen Erfahrungen hat er in zwei Sachbüchern zusammengetragen. Dabei interessieren ihn besonders die seelischen Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs, vor allem bei den Nachkommen von Opfern und Tätern. Bisher erschien von ihm ein Roman um den Inspektor Jens Druwe: 'Totenland'.

Prolog


12. November 1944


Eine Gestalt schleicht um die feuchten Baracken. Sie kommt allein. In der Nacht hat es Frost gegeben, am Tag zuvor geregnet. Der Schatten huscht zwischen den rauen, hölzernen Bettgestellen entlang. Ein Keuchen hier, ein Stöhnen da. Und dort auf dem Strohsack in Reihe drei, unten Stille. Um drei Minuten nach vier schlug jenes Herz ein letztes Mal. Kaum eine Minute vorher war ein Seufzer durch den ausgemergelten Körper gegangen, der sich stundenlang in Krämpfen und Zuckungen gewunden hatte. Endlich war der Atemzug entwichen, der den Übergang besiegelte. Nur der dunkle Besucher weiß davon, die anderen, die Schläfer dämmern dahin. Zufrieden nimmt er die stumme Parade der Todgeweihten ab. Sie werden morgen den kalten Körper auf den Karren zerren und zur Grube fahren. Ihre Hüllen verfaulen schon im Leben, aber ihre Seelen warten nur auf ihn, den dunklen Messias.

René Fabron stammt aus Toulouse. Seine Mutter war Jüdin. Er ist Techniker. Jüdin, es bedeutete ihren Tod. Techniker, es rettete ihm das Leben. Der Erzfeind war der Deutsche, so ist es für René und seine Familie immer gewesen. Die Welt schien in Ordnung, in jenem fernen Frankreich nach dem großen Krieg und dem Vertrag von Versailles. Die Kanaille war am Boden. Doch dann kamen die Deutschen wieder. Wie ein Fieber, das überwunden schien, kroch die Welle diesmal bis Paris. Und die Grande Dame hielt ihren alten Arsch nun willig dem teutonischen Phallus hin. Unzählige Kollaborateure fanden sich, die deutsche Sache zu unterstützen. Marschall Pétain und sein Vichy-Frankreich ließen sich besteigen vom arischen Herrenwahn. Es folgten Bespitzelung, Verrat und Deportation. Nein, es war kein Deutscher, der René und seine Familie denunziert hatte. Es waren die Durands. Sie waren die Nachbarn der Fabrons. Seit ewigen Zeiten, immer freundlich und höflich. Und dann hatte François Lefevre sie abgeholt. Ausgerechnet die Durands. Ausgerechnet François. René hatte seinem Sohn eine Lehrstelle verschafft, den Traktor und Lieferwagen der befreundeten Familien mehr als einmal repariert. Sie hatten viele Gartenfeste miteinander gefeiert. Und François war sein bester Freund aus Schulzeiten. Er hatte ihn abschreiben lassen, sich für ihn geprügelt. So war es seit Urzeiten gewesen. Man half sich. Und nun? Man verriet einander. Das Gleichgewicht der einfachen Welt war zerstört. Der Faden des Vertrauens war gerissen. Renés Familie kam ins Lager Kulmhof im Osten. Arbeit. Vernichtung. Vernichtung durch Arbeit. Und selbst der Tod war bar jeder Menschlichkeit. Seine Mutter hatte ihn angelächelt, als die Wachen sie fortrissen. Ihr letzter Gruß. Das Lebewohl an den Sohn. René hatte schnell herausgefunden, was mit jenen geschah, die nicht ausreichend arbeiten konnten. Die nicht wertvoll genug waren in den Augen der SS. Die Nazis hatten den Tod lukrativ gemacht. Wer aber hatte seine Mutter wirklich getötet? Ein deutscher Hermann oder Kurt? Oder waren es doch Claude Durand und François Lefevre gewesen?

Schmerz ist gut. Er zieht vom Körper in das Gehirn. René Fabron ringt mit seinem Hass. Die innere Glut versengt, aber der Schmerz läutert. Er erdet. Stimmt ein auf einen weiteren Tag. Endlich fährt er herum, als ihn der Stock ein drittes Mal trifft.

»Wirst du Dreckschwein endlich anfangen? Wenn ich eine Verwarnung kriege, dann zahle ich es dir zehnmal zurück, das verspreche ich dir, du Judensau.« Der Kapo steht ganz dicht bei Fabron. Ein Holländer. Kommunist. Man kann seinen fauligen Atem riechen, die braunen Zahnreste im Mund sehen. Die Lippen sind aufgeplatzt. Auch im tiefsten Abort gibt es immer noch ein Oben und Unten.

»Halt die Fresse, Adolf«, entgegnet René trocken, und sofort treffen ihn zwei weitere Schläge in Höhe der Schulterblätter. Das haben sie den Kapos beigebracht. Dort schmerzt es, aber die Leute können weiterarbeiten. Wenn sie einen arbeitsunfähig prügeln, dann kommen sie selbst in den Bau und verlieren ihre Privilegien.

Fabron taucht seine Hände in das stinkende Bad. Er muss die Bakelit-Separatoren prüfen. Seit einiger Zeit experimentiert die Accumulatoren-Fabrik AFA mit neuen Materialien, um die Lebensdauer und Kapazität der von ihr hergestellten Batterien zu verbessern. Deshalb hatte man ihn aus dem Lager Kulmhof weggeholt. René Fabron ist Ingenieur, er kennt sich mit Elektrotechnik aus. Also ist er wertvoll für die SS, die Arbeiter an Industriebetriebe verleiht. Gegen Geld. Rassenwahn und Vernichtung sind eben auch ein großes Geschäft. Wer wertvoll ist, stirbt nicht. Jedenfalls nicht sofort. So war Fabron vor vier Monaten in dieses Werk bei Hannover verlegt worden. Die AFA baut diese wichtigen Akkumulatoren. In U-Booten, Flugzeugen, Panzern, in den V-Waffen und sogar in den Lagern werden sie verwendet. Das Reich braucht diese Batterien überall. Der Krieg braucht Strom. Neben dem Treibstoff ist er der Lebensfunke der ganzen Todesmaschinerie. Es ist, als belebe er Frankensteins Monster. Oder als drehe Fritz Lang hier im KZ-Außenlager Stöcken ein neues Metropolis, aber diesmal mit echten Maschinenmenschen.

René hat Glück. Weil er wertvolles Wissen besitzt, darf er Handschuhe bei der Arbeit tragen. Und eine Schutzbrille. Denn immer wieder tauchen seine Hände in das Bad aus hoch konzentrierter Schwefelsäure. Er richtet die Separatoren neu aus, misst Abstände, prüft mit einem Säureheber den ersten Ladungszustand. Er arbeitet sorgfältig, aber zwölf Stunden sind lang. Immer wieder lässt seine Aufmerksamkeit nach. Schon ein kleiner Spritzer könnte ihm die Augen verätzen. Stattdessen treffen die Tröpfchen nur sein Gesicht. Manchmal merkt er es erst, wenn die Hitze kommt. Dann ist es schon zu spät, denn dann ätzt sich die Säure schon in ihn hinein. Bereits nach einem Vierteljahr gleicht seine Haut einer Kraterlandschaft aus pockenähnlichen Säurenarben. Und er weiß, dass er sterben wird. Er atmet die tödlichen Dämpfe ein. Das Blei wird sich in seinem Körper verteilen und ihn langsam hinrichten. Andere müssen sogar ohne Atemschutz die Bleiplatten gießen und mit bloßen Händen an den heißen Elektroden arbeiten. Sie erwischt es schnell. Kaum ein Arbeiter in der Gießerei hält länger als drei Monate durch. Es ist für alle nur geborgte Zeit. Auch für René. Nicht, dass dies etwas Besonderes wäre. Jeder Mensch stirbt. Irgendwann. Aber die Deutschen haben mit ihrem Todessystem den Schöpfer und sein ewiges Uhrwerk überlistet. Sie bestimmen die Lebenszeit der Unterjochten. Hier fährt der Sensenmann seine Ernte früher ein. Aber vorher holen die Schinder alles aus ihren Opfern heraus.

Sie haben die Zeit vorgestellt für uns Juden, denkt Fabron.

Fabron weiß, dass es den anderen Häftlingen schlechter ergeht. Täglich verrecken zwei oder drei Männer an Bleivergiftung. Sie arbeiten ohne Schutz mit den Platten, sie schleifen, schneiden, gießen, löten. Das Schwermetall zerstört ihr Gehirn. Mehrmals schon sind Gefangene wie von Sinnen durch das Lager gelaufen, haben geschrien, sich die Haare ausgerissen und die Haut blutig zerkratzt, bevor sie erschossen wurden. Oft erbrechen sie dann noch das Bleiweiß, denn das Metall hat in ihrem Magen mit der Säure einen weißen, unauflöslichen Schleim gebildet.

Fabron zeichnet gern. Zeichnen ist sein Halt in einer Welt des beständigen Fallens. Mit seinen kleinen Kohlezeichnungen krallt er sich in die Wände des Abgrunds, verzögert er sein Abgleiten in die Tiefe. Er sammelt kleine Papierfetzen, die der Wind heranträgt, die er eintauscht gegen ein Stück Brot. Und auf ihnen zeichnet er Lagerinsassen, Szenen, Gesichter. Um hier zu überleben, braucht man eine Strategie. Und da gibt es gute und schlechte Strategien. Die Nazis und Kapos wollen, dass du dich aufgibst. Dass du nur noch ans Fressen, Scheißen und Schlafen denkst. Dann ist es für sie am leichtesten. Da gibt es diejenigen, die schon nach einem Monat tot sind. Sie atmen zwar noch, und ihr Herz schlägt weiter, aber sie sind bereits fort. Man erkennt sie am Blick. Leer, ohne Hoffnung. Diese Wesen sind innerlich abgestorben, bevor sie tot sind. Vielleicht überstehen sie das Ganze sogar bis zum Ende, weil sie kein Schlag, kein Hunger, keine Kälte, keine Erniedrigung trifft. Aber sie werden auch niemals wieder das menschliche Licht sehen, Wärme spüren oder Freude empfinden.

Und dann gibt es noch diejenigen, die meinen, sich nach innen flüchten zu können. Sie trauen der äußeren Welt nicht mehr, die so viel Leid über sie gebracht hat. Sie finden Halt nur noch in sich selbst. Sie glauben, dass sie tief in sich ihre Erinnerungen und Werte aufbewahren für die Zeit danach. Aber sie sind mit sich selbst allein, isoliert, verletzbar.

Nein, da ist sich René Fabron sicher, um Mensch zu bleiben in der Hölle, muss man Kontakt halten. Nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu den anderen. Fabron sieht in die müden Gesichter, sieht die Kämpfe, die diese Kreaturen austragen. Die Läuse, die schon in so dicken Schichten auf ihnen sitzen, dass sie bereits wärmen. Das kurze Haar, die Wangenknochen, die Höhlen, in deren Tiefen Augen verzweifelt nach dem Leben suchen. Und René schaut in die Herzen der Menschen. Er erkennt das Wesen seiner Leidensgenossen. Er sieht das Sehnen nach ein wenig Glück. Der Kaffee auf der Promenade. Die Hand der Angebeteten. Ein Sonnenstrahl, der durch dunkle Gewitterwolken bricht. Der Wind im Haar.

Das vereint uns alle, denkt er. Schmerz gehört zum Leben, auch und gerade bei den kleinen Leuten. Aber niemand darf uns den Glauben nehmen, dass auch wir etwas Schönes verdient haben. Nur eine warme Suppe, ein nettes Wort,...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2020
Reihe/Serie Inspektor Jens Druwe
Inspektor Jens Druwe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Admiral Canaris • Berlin Babylon • Besatzung • britische Militärverwaltung • Britischer Geheimdienst • Flensburg • Geheimdossier • Gestapo • Kapitulation • Karl Dönitz • Polizeiinspektor • provisorische Reichregierung • Volker Kutscher • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-1998-5 / 3841219985
ISBN-13 978-3-8412-1998-5 / 9783841219985
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