Verrat (eBook)
448 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45551-7 (ISBN)
Sabine Fitzek arbeitete nach dem Medizinstudium an den Universitäten Berlin, Erlangen, Mainz und Jena, wo sie sich im Fach Neurologie habilitierte. Danach war sie mehr als zehn Jahre lang als Chefärztin tätig. Heute ist sie Inhaberin einer neurologischen Praxis und schreibt nebenher über gesundheitspolitische Missstände, mit denen sie unfreiwillig immer wieder in Berührung kam und kommt. Überdies berät sie gelegentlich ihren Schwager Sebastian Fitzek zum Thema psychische Extremzustände.
Sabine Fitzek arbeitete nach dem Medizinstudium an den Universitäten Berlin, Erlangen, Mainz und Jena, wo sie sich im Fach Neurologie habilitierte. Danach war sie mehr als zehn Jahre lang als Chefärztin tätig. Heute ist sie Inhaberin einer neurologischen Praxis und schreibt nebenher über gesundheitspolitische Missstände, mit denen sie unfreiwillig immer wieder in Berührung kam und kommt. Überdies berät sie gelegentlich ihren Schwager Sebastian Fitzek zum Thema psychische Extremzustände.
9
Kammowski & Svenja
Montag, 10. Februar
Die Benachrichtigung der Angehörigen eines Mordopfers gehörte zu den unangenehmsten Tätigkeiten des Berufs. Im Sommer hatte Thomandel eine Fortbildung zu diesem Thema organisiert. Kammowski versuchte, sich Einzelheiten in Erinnerung zu rufen. Er hatte zwar noch die hübsche brünette Psychologin vor Augen, aber an Fakten konnte er sich nicht mehr erinnern. Kammowski seufzte. Thomandel mit seinem Fortbildungsspleen. Sie waren sicherlich das bestgeschulte Morddezernat der Republik, aber Kammowski fand nicht, dass Seminare zu diesem Thema etwas nützten. Da konnte er noch so einfühlsam sein, am Ende stand immer die unumstößliche Tatsache des Todes, und er spielte nun mal nicht gerne den Todesengel. Frauen konnten das irgendwie besser, fand er, und wenn möglich lud Kammowski diese Verpflichtung auf eine Kollegin ab. Svenja hatte zwar erst vor wenigen Wochen ihre Ausbildung abgeschlossen, aber einen Versuch war es wert.
»Das traust du dir doch sicher schon alleine zu, oder?«
Das hatte mehr wie eine Feststellung als wie eine Frage geklungen. Sie saßen gerade in Doros Café. Doro, eigentlich Dorothee Kerner, bis zu ihrer Geschlechtsumwandlung Dieter, war für Recherchen aller Art zuständig, und sie war darin ausgesprochen gut. Kevin Ordyniak, der in Svenjas Alter, aber schon etwas länger beim LKA war, hatte ihr gleich am ersten Tag alles über Doro erzählt und sie davor gewarnt, sie zu unterschätzen oder gar abschätzig zu behandeln. Das hatte Svenja auch nicht vorgehabt, aber sie war ihm dankbar für den Hinweis gewesen.
Von ihren Kaffeetassen stieg ein aromatischer Duft von warmer Milch, Kakao und Zimt auf, eine fast andächtige mittägliche Stille hatte sich im sonst so geschäftigen Revier breitgemacht. Die anderen Kollegen waren noch zu Tisch oder saßen an ihren Schreibtischen. Kammowski atmete die Stille tief in sich ein, lehnte sich in dem Korbsessel bequem zurück und schloss die Augen.
Svenja gab drei Löffel Zucker in ihren Kaffee, rührte angestrengt darin, studierte intensiv die Flüssigkeitsstrudel, die ihr Rühren hervorrief, und schwieg. Sie war davon ausgegangen, dass sie beide gleich nach dem Mittagessen gemeinsam losfahren würden, um mit der Frau des Opfers zu reden. Jetzt wollte Kammowski ihr das aufhalsen. Deshalb hatte er wohl auch darauf bestanden, erst einmal einen Kaffee zu trinken.
»Hektik ist der Schädling aller kostbaren Gedankenfrüchte«, hatte er gesagt und sie in Richtung Doros Café dirigiert. Doro hatte zwar keine Zeit für ein Schwätzchen gehabt, ihnen aber rasch zwei Kaffee an ihrem Turbo-Espresso-Automaten – hochglanzpoliert, Schweizer Modell, sündhaft teuer – gezapft. Sie hatte sogar noch Milch geschäumt, ihre Cappuccinos mit einer Prise Zimt und Kakao gewürzt und auf die Schale mit Cantuccini gezeigt. »Selbstgemacht, nach einem Rezept meiner italienischen Großmutter.« Dann war ihr Zeigefinger von den Cantuccini zum rosafarbenen Sparschwein gewandert, und sie hatte mit strengerem Tonfall hinzugefügt: »Spenden helfen, Ihr Lieblingscafé am Leben zu erhalten.« Dann war sie mit einer theaterreifen Pirouette auf ihren 7-Zentimeter-Stilettos in Richtung Thomandels Büro abgedreht.
»Von wegen italienische Großmutter«, grunzte Kammowski und nahm sich einen der Kekse, »aber die Dinger sind gut.«
Svenja sagte nichts und sah immer noch angestrengt in ihre Kaffeetasse.
Schließlich sagte Kammowski: »Du kannst ja die Kollegen von der Streife bitten, dich zu begleiten, wenn du nicht alleine fahren möchtest«, ganz so, als sei es bereits abgemachte Sache, dass es allein ihre und nicht die gemeinsame Aufgabe sei, Frau Steinkopf aufzusuchen.
Svenja überlegte fieberhaft, dann gab sie sich einen Ruck: »Nein, Kollege, das lass ich mir jetzt nicht turfen. Ich fände es ehrlich gesagt nett, wenn wir das zusammen machen könnten, zumal Thomandel uns ja auch noch in die Leydenallee geschickt hat, wegen der Kindesmisshandlung.« Ihre Stimme hatte einen weniger beiläufigen Tonfall, als sie es sich gewünscht hätte, und sie erschrak vor sich selbst und den möglichen Konsequenzen, die ihr resolutes Auftreten gegenüber einem dienstälteren Kollegen am ersten gemeinsamen Arbeitstag nach sich ziehen konnte.
»Ist ja gut, ist ja gut, das war nur eine harmlose Frage zu deinen Vorkenntnissen, kein Turfen.« Kammowski setzte ein entrüstetes Gesicht auf, als sei es nun wirklich das Allerletzte, ihm vorzuwerfen, er drücke sich vor der Arbeit. »Okay, dann lass uns mal losfahren«, sagte er schließlich versöhnlich und schüttete den Rest seines Kaffees hinunter.
Die Kleine war mit allen Wassern gewaschen und offensichtlich nicht unbelesen. Kammowski war amüsiert, ließ sich aber nichts anmerken.
Turfen, der Begriff stammte aus einem Buch, das ihm Klaus empfohlen hatte, wie die meisten der Bücher, die Kammowski las. Es handelte von der Arbeit eines Assistenzarztes in einem amerikanischen Krankenhaus, aber er und seine Kollegen, denen er das Buch weitergereicht hatte, hatten viele Parallelen zur Polizeiarbeit entdeckt, und eine Zeit lang hatten sie einige Begriffe in ihren Alltag übertragen. Turfen meinte im Original, dass man einen Patienten, den man – und die mit ihm verbundene Arbeit – nicht durch Entlassung loswerden konnte, mitsamt seiner Akte in eine andere Abteilung verschob. Im Buch wurde ein Patient aus der Chirurgischen Klinik in die Internistische »geturft«, weil er zwar ein gebrochenes Bein, aber auch einen kleinen Infekt hatte. Bei der Polizei konnten sie den Einbruch zur Sitte turfen oder umgekehrt.
Die beiden Ermittler fuhren mit dem Aufzug in die Tiefgarage und ließen sich vom Fuhrparkleiter einen Wagen zuweisen. »Gibt’s keinen Passat?« Kammowski war beim Anblick des VW Polo nicht zufrieden. »Wo soll ich da meine Beine lassen?«
Der Fahrdienstleiter zeigte sich unbeeindruckt von Kammowskis Poltern und reichte ihm die Schlüssel. »Der Sitz ist nach hinten verstellbar.«
Kammowski zuckte mit den Mundwinkeln, verkniff sich aber eine Erwiderung. Stattdessen drückte er Svenja die Schlüssel kommentarlos in die Hand. Seine frühere Leidenschaft fürs Autofahren war wie er selbst in die Jahre gekommen. Nachdem er den Beifahrersitz so weit wie möglich nach hinten verstellt hatte, streckte er die Beine aus und zog das Handy aus der Tasche. Elly hatte sich nicht wieder gemeldet. Gutes Zeichen.
»Was hast du über den Toten in Erfahrung gebracht?«, fragte er, als sie sich in den laufenden Verkehr eingeordnet hatten. Svenja gab einen knappen Bericht.
»Kai Steinkopf, achtundvierzig Jahre, verheiratet, drei Kinder im Alter von sechs bis zwölf, alles Jungen. Sie, um einiges jünger, ist Hausfrau, er arbeitete als Geschäftsführer bei den Barmherzigen Schwestern zu Bernau. Das wiederum ist ein katholischer Orden, der in Berlin vier Krankenhäuser und ein Altenheim unterhält. Keine Vorstrafen.« Kammowski nickte und hing dann seinen Gedanken nach. Es war extrem kalt, und Berlin versank allmählich im Schnee. Das ging jetzt schon seit Ende Dezember so. Die Schneeberge an den Bordsteinkanten ließen die Nebenstraßen zu schmalen Tunneln werden. Jetzt aber schien die Sonne. Wie gut, dass er vor dem Winterchaos und der Kälte für einige Tage in die Sonne der Karibik geflüchtet war. »Früher«, dachte Kammowski laut vor sich hin, »hat man in Berlin von November bis Februar kaum mal die Sonne zu Gesicht bekommen. Ganz Berlin lag unter einer Dunstglocke. Die meisten Wohnungen wurden damals ja noch mit Kachelöfen oder Dauerbrennern beheizt.«
Svenja nickte schweigend. Kammowski sah sie verstohlen von der Seite an. Sie war noch so jung. Konnte sich gewiss nicht vorstellen, wie das war, morgens erst einmal den Kachelofen anzuschmeißen. So war das aber in den meisten Wohnungen gewesen, die man sich als Student oder Auszubildender leisten konnte. Den Heizofen im Bad für warmes Wasser heizte man aus Bequemlichkeit höchstens einmal in der Woche ein, denn das hieß ja noch mehr Kohlen aus dem Keller in den dritten Stock schleppen und die Asche zur Mülltonne. Also waren Kaltduschen angesagt gewesen, oder man wusch sich nur am Waschbecken. Kaum zu glauben, das war erst dreißig Jahre her, aber inzwischen war schon eine andere Generation herangewachsen. Wenn die sich nicht zweimal am Tag duschen konnten, verzogen sie angeekelt das Gesicht. So änderten sich die Zeiten und mit ihnen auch die Städte. Der legendäre Londoner Nebel in den Gemälden eines William Turner war schließlich auch nur ein Artefakt der Industrialisierung des neunzehnten Jahrhunderts gewesen.
Kammowski genoss die Fahrt nach Potsdam, am Wannsee vorbei über die Glienicker Brücke in die Königsstraße. Es war so kalt, dass sich Eiskristalle auf dem Schnee gebildet hatten, die die Sonne tausendfach reflektierten.
»Kommst du aus Berlin?«, fragte er Svenja, mehr, um die Stille zwischen ihnen nicht peinlich werden zu lassen, als aus wirklichem Interesse.
»Nein, aus Hamburg. Ich bin aber hier zur Polizeischule gegangen.«
»Nanu, gibt es in Hamburg nicht auch Söhne schöner Mütter?«
Sie lachte nur, erwiderte aber nichts.
»Und, was willst du mal werden?« Kaum war der Satz raus, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Was für eine selten blöde Frage. Er war einfach nicht der Small-Talk-Klaus, der die Frauen unterhalten konnte.
Doch Svenja schien konzentriert über die Frage nachzudenken.
»Polizeipräsidentin«, sagte sie nach einer Weile mit solcher Ernsthaftigkeit, dass Kammowski fassungslos der Mund offen stehen blieb. Er sah dabei so komisch aus, dass Svenja nicht mehr an sich halten konnte. Jetzt lachten sie beide und hörten den Rest des Weges vergnügt...
Erscheint lt. Verlag | 27.11.2019 |
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Reihe/Serie | Kammowski ermittelt | Kammowski ermittelt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Ärztin als Krimiautorin • Berlin • Berliner Mordkommission • Berlin-Krimi • Ermittler-Krimi • Fitzek • Fitzek Bücher • Gesundheitswesen • Journalistin • Kammowski ermittelt 1 • katholisches Klinikunternehmen • Klinik • Kommissar • Kommissar Kammowski • Krankenhaus Krimis/Thriller • Krimi • krimi berlin • Krimi Bücher • Krimi deutsche Autoren • Krimi Deutschland • Krimi Medizin • Kriminalpsychologie • Kriminalroman • Kriminalromane 2019 • Kriminalromane Serien • Kriminalromane Taschenbuch • Krimi Neuerscheinungen 2019 • Krimi Neuerscheinungen 2019 Taschenbuch • Krimi Politik • krimi reihen • krimi serie • Krimis und Thriller • Krimis von Frauen • krimi und thriller • Krimi und Thriller deutsch • Mafia • Matthias Kammowski • Medizin Krimi • mörderischer Roman • Mordfall • Politkrimi • Polizei Krimis/Thriller • Psychologischer Krimi • Sabine Fitzek • Sebastian Fitzek • spannende Krimi • Spannender Krimi • Spannende Unterhaltung • True Crime Bücher • True Crime Bücher deutsch • True crime Thriller • Verrat • Verrückt • Verschwörungstheorie • Verstorben |
ISBN-10 | 3-426-45551-X / 342645551X |
ISBN-13 | 978-3-426-45551-7 / 9783426455517 |
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