Vier Stücke (eBook)

Geister in Princeton / Der Mentor / Heilig Abend / Die Reise der Verlorenen
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
288 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00258-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Vier Stücke -  Daniel Kehlmann
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Seit etwa zehn Jahren schreibt Daniel Kehlmann mit Erfolg auch fürs Theater - vier seiner Stücke wurden bisher aufgeführt. 'Geister in Princeton', ausgezeichnet mit dem Nestroy-Theaterpreis, ist eine historische Phantasie über Kurt Gödel, den größten Logiker des 20. Jahrhunderts, der an Geister glaubte und im amerikanischen Exil, gepeinigt von seinen Ängsten, an Hunger starb. In der Komödie 'Der Mentor' treffen ein berühmter alter und ein ehrgeiziger junger Schriftsteller zu einem Seminar aufeinander, das zum verbalen Zweikampf wird. Im Echtzeit-Krimi 'Heilig Abend' verhört ein Polizist am Weihnachtstag eine Philosophieprofessorin, weil er sie verdächtigt, um Mitternacht einen Anschlag verüben zu wollen - sie streitet alles ab, doch die Zeit läuft. Und schließlich geht es, in 'Die Reise der Verlorenen', um die Irrfahrt des Passagierschiffs St. Louis, auf dem die Nazis im Jahr 1939 knapp tausend Juden aus dem Land ließen; da weder Kuba noch die USA den Flüchtlingen die Einreise erlaubten, mussten sie nach zähen Verhandlungen wieder nach Europa zurück. Mal dramatisch, raffiniert und spannend, mal feinsinnig, geistreich und mit Witz - Daniel Kehlmanns Stücke sind nicht weniger lesbar als seine großen, gefeierten Romane.

Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren, wurde für sein Werk unter anderem mit dem Candide-Preis, dem Per-Olov- Enquist-Preis, dem Kleist-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. Sein Roman Die Vermessung der Welt war einer der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit, und auch sein Roman Tyll stand monatelang auf den Bestsellerlisten und schaffte es auf die Shortlist des International Booker Prize. Daniel Kehlmann lebt in Berlin.

Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren, wurde für sein Werk unter anderem mit dem Candide-Preis, dem Per-Olov- Enquist-Preis, dem Kleist-Preis, dem Thomas-Mann-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. Sein Roman Die Vermessung der Welt war einer der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit, und auch sein Roman Tyll stand monatelang auf den Bestsellerlisten und schaffte es auf die Shortlist des International Booker Prize. Daniel Kehlmann lebt in Berlin.

Personen


Kurt Gödel

Gödel als Kind

Gödels Alter Ego

 

Adele Gödel

Harry Woolf

Hao Wang

Botschaftsrat Strinetzki

 

Moritz Schlick

Johannes Hahn

Otto Neurath

Friedrich Waismann

John von Neumann

Hans Nelböck

 

Kulakin

Mirkutkin

 

Albert Einstein

I


Eine Aufbahrungshalle in Princeton, New Jersey. Vor einem Sarg, in dem Kurt Gödel aufgebahrt liegt, stehen Harry Woolf, Direktor des Institute for Advanced Study, Hao Wang, ein chinesischer Mathematiker und Assistent Gödels, Adele Gödel und Kurt Gödel selbst, den allerdings keiner bemerkt. Auch wenn er spricht, können die anderen ihn nicht hören.

Adele Gödel, die gerade erst eine Hüftoperation überstanden hat, stützt sich auf einen Stock, wird immer wieder von Wang gestützt und ist sehr gebrechlich. Aus einem Lautsprecher ertönt von einem Tonband die Stimme eines Kantors, der das Kaddisch singt.

Woolf Ich weiß gar nichts über ihn.

Hao Wang Ich auch nicht.

Adele Gödel Ich weiß sehr wenig.

Wang Ich habe ihn zum ersten Mal im Supermarkt gesehen. Ich bin so erschrocken.

Woolf Er hat nur am Telefon mit mir gesprochen. Zwei Jahre lang. Seit ich Direktor des Instituts war. Einmal habe ich ihn zu Hause besucht, ganz am Ende. Das hat ihm nicht gefallen.

Wang In seinem Einkaufskorb lag eine Dose Erbsen. Und Maiskonserven. Zehn oder zwölf davon. Als ich ihn gegrüßt habe, hat er den Korb hingestellt und ist weggelaufen.

Woolf Er hatte immer Angst, ich würde ihm kündigen.

Adele Gödel Da ist er noch einkaufen gegangen. In den letzten Jahren wollte er überhaupt nicht mehr aus dem Haus.

Wang Er ist wirklich gelaufen, ganz schnell, mit großen Schritten. Er trug zwei Regenmäntel, einen über dem anderen. Und eine Wollmütze.

Woolf Aber warum hätte ich ihm kündigen sollen! Er war unser berühmtester Mitarbeiter. Allein dass er im Verzeichnis stand, war unbezahlbar. Als hätten wir Aristoteles angestellt.

Wang Mitten im Hochsommer. Es war glühend heiß.

Woolf Er sprach von unsichtbaren Spezialagenten. Die sich in der Zeit so frei bewegen wie wir im Raum.

Wang Dann habe ich ihm geschrieben und ihn um ein Treffen gebeten. Er hat mich zu Dave’s Diner bestellt, am Stadtrand. Da saß ich und wartete. Irgendwann hab ich was bestellt. Furchtbar fettes Essen. Ich war gerade erst aus China gekommen und nicht an die amerikanische Ernährung gewöhnt. Drei Stunden habe ich gewartet, dann bin ich gegangen.

Woolf Er glaubte wirklich, beim FBI arbeiten Engel.

Wang Todesengel. Inkompetent, aber gefährlich. Davon war er überzeugt.

Woolf Der größte Logiker aller Zeiten glaubte an Engel und Gespenster. Wie soll unsere Zunft damit fertigwerden?

Wang Wir werden es ignorieren.

Woolf Was bleibt uns übrig.

Botschaftsrat Strinetzki tritt auf, unter dem Arm einen Kranz.

Strinetzki mit aufdringlich österreichischem Akzent Bin ich zu spät? Die Trauerfeier für Herrn Professor Doktor Gödel?

Woolf Die ist hier. Ich bin Harry Woolf, Direktor des IAS.

Strinetzki blickt ihn ratlos an.

Woolf Institute for Advanced Study.

Strinetzki Erfreut, Botschaftsrat Strinetzki, österreichisches Generalkonsulat New York. Ich hoffe, ich bin nicht zu spät!

Gödel unterwürfig Bitte nein, durchaus nicht.

Strinetzki Aber darf man denn überhaupt einen Kranz niederlegen bei einer jüdischen Trauerfeier, wie lautet das Protokoll? Wir konnten das nicht so schnell feststellen im Konsulat.

Adele Gödel Wieso jüdisch?

Woolf Er war doch Jude.

Adele Gödel Nein.

Strinetzki Also nach unserer Information …

Woolf gibt ein Zeichen, sofort wird das Kaddisch abgeschaltet. Alle sehen Adele an.

Wang Er war kein Jude?

 

Gödel Ich denke nicht, dass dieses Wort irgendeinen Sinn hat.

Adele Gödel Nein, war er nicht.

Strinetzki Also kann ich den Kranz niederlegen?

Gödel Bitte sehr.

Strinetzki bückt sich schwerfällig und legt den Kranz ab.

Adele Gödel weinend Ich kann es noch immer nicht glauben. Es ist, als wäre er noch hier!

Strinetzki richtet sich auf und sieht sich um So wenig Leute nur!

Adele Gödel Wir kannten ja keinen! Kurtsy wollte niemanden treffen.

Wang Ich war nicht der Einzige, den er zu Dave’s Diner geschickt hat. Jedem, der ihn treffen wollte, ging es so.

Gödel Das Lokal in der größtmöglichen Entfernung zu meinem Haus im ganzen Umkreis von Princeton.

Wang Warum hat er nicht einfach abgesagt?

Gödel Leute, denen man absagt, stehen irgendwann trotzdem vor der Tür. Unglaubliche Hartnäckigkeit! Aber wenn man eine Zeit und einen Ort ausmacht und dann nicht hingeht, hat man wenigstens einen Moment, in dem man ganz sicher sein kann, dass man sie nicht sehen muss.

Wang Ich habe nie verstanden, warum er mich danach trotzdem empfangen hat. Warum ich sein Assistent werden konnte.

Adele Gödel Weil Sie Chinese sind.

Wang Er mochte Chinesen?

Gödel Durchaus nicht.

Adele Gödel Die Geister haben ihm gesagt, dass ihm von Asiaten kein Unglück droht.

Wang Er hat den Geistern immer geglaubt?

Adele Gödel Sie haben ihm gesagt, dass man ihn vergiften wird. Deshalb musste ich immer vorkosten.

Gödel Und nie war ich mir sicher, ob du nicht mit ihnen im Bund warst.

Wang Ich habe noch ganz am Ende versucht, ihm Essen zu bringen. Hühnchen mit Reis. Er hat nicht aufgemacht.

Woolf Sein großer Beweis. Die Unvollständigkeit. Wie eine Symphonie. Und trotzdem so verdreht und … beinahe verrückt.

Adele Gödel Nennen Sie ihn nicht verrückt!

Gödel So eine Unsicherheit lässt sich auf die Dauer gar nicht ertragen. Kann ich der Frau vertrauen, kann ich essen? Ja, sie liebt mich, aber sie könnte auch gegen eine Doppelgängerin eingetauscht worden sein. Immer war sie gut zu mir, aber dass sie das morgen auch noch sein wird, ist nur ein Schluss aus Deduktion, man weiß es nicht sicher. Man sieht doch nicht hinein in die Menschen. Sie könnte sich all die Jahre verstellt haben. Zum Beispiel der Mörder Trotzkis. Mit Geduld hat er es gemacht, hat sich in die Familie eingeschlichen, war freundlich Jahr um Jahr, bis keiner mehr vorsichtig war, und dann, plötzlich, greift er nach dem Eispickel und schlägt zu. Geduld ist alles.

Wang Dem Wahnsinnigen hilft keine Logik. Und wäre er der schärfste Denker.

Gödel Sie haben mich dann eben doch nicht vergiftet, sondern meine Überzeugung, dass sie mich eines Tages vergiften würden, ausgenützt, um mich ohne Gift zu erwischen.

Woolf Hat er wirklich einen Gottesbeweis geschrieben?

Wang Der Beweis ist stringent. Ich habe ihn abgetippt. Ich kann nicht mehr schlafen seither.

Gödel Hätte ich die Vergiftung nicht kommen sehen, so hätte ich nicht aus Furcht zu essen aufgehört, und sie hätten mich tatsächlich vergiften können, wie ich es ja auch vorhergesehen habe. Da ich aber überzeugt war, ich würde vergiftet werden, wurde ich nicht vergiftet, sondern bin verhungert.

Wang Dass Gott sich beweisen lässt, sagte er zu mir, heißt nicht, dass Gott gut ist.

Gödel Andererseits, und da liegt der Hund begraben, war ich eben nicht wirklich sicher. Wäre ich sicher gewesen, ich hätte ja essen können, denn dann hätte ich gewusst, dass keine Vorsicht mich vor dem Gift bewahren konnte. Sie konnten meine Überzeugung also nur ausnützen, weil ich eben doch nicht sicher war.

Strinetzki Frau Professor Gödel, mit Ihrem Einverständnis würde die Republik Österreich Ihrem Gemahl bitte posthum den Großen Staatspreis zweiter Klasse verleihen.

Gödel Und mit Recht war ich es nicht. Schließlich bin ich ja auch nicht an Gift gestorben. Wie man es dreht und wendet, es ist alles korrekt.

Adele Gödel Zweiter Klasse?

Gödel Adsel, bitte. Man muss so etwas annehmen, man darf die Obrigkeit nicht wütend machen.

Strinetzki mechanisch und zeremoniell leiernd Als einem verdienten österreichischen Bürger, der in den dunklen Jahren der deutschen Besatzung seiner jüdischen Abstammung wegen …

Wang Aber haben Sie nicht gehört, er ist...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2019
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Die Vermessung der Welt • Theater • Tyll
ISBN-10 3-644-00258-4 / 3644002584
ISBN-13 978-3-644-00258-6 / 9783644002586
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