Herzklopfen im Herbst -  Peter Jäger

Herzklopfen im Herbst (eBook)

Lebenslust zählt nicht die Jahre

(Autor)

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2019 | 1. Auflage
Kadera-Verlag
978-3-948218-11-9 (ISBN)
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Henriette ist siebzig und engagiert sich im Seniorenkreis, wo man sie Henny nennt. Sie hat den Schmerz überwunden, dass ihr Mann nicht mehr lebt. Der Sohn hat seine eigene Familie, die Enkel wollen die Welt entdecken. Auch Henny möchte nicht vom Sessel aus die Zeit verstreichen lassen. Sie hat noch Lust am Leben - das auch mit Siebzig-plus noch viel zu bieten hat. Nach der Reha sind nicht nur ihre Beine wieder fit. Auch das Herz schlägt wieder in einem fröhlichen Takt. Das liegt an Ole, den sie mit ihrem Charme eingefangen hat. Doch nicht allein die neue Liebe sorgt für Herzklopfen. Da ist der ältere Bruder Willi, der in Demenz nur noch seine Schwester kennt. Der Sohn hat Pläne mit dem alten Haus, das sich zudem als nicht einbruchssicher erweist. Und die anvertraute Hündin reißt auf der Hundewiese aus?... Allzeit keine Langeweile. Schließlich hat auch Ole noch ein Anliegen. Ruhiger Lebensabend? Vielleicht später. Denn Lebenslust zählt nicht die Jahre.

Es war eine Odyssee durch viele Berufe, die der 1940 in Stettin geborene PETER JÄGER durchreiste. Im Hamburger Hafen packte er ebenso zu wie in einer Druckerei. Als Bankangestellter fühlte er sich mit Schlips und Anzug overdressed und entdeckte seine Berufung als Lokalreporter und und freier Journalist. Doch die Lust am Schreiben war mit der Zeitung nicht gesättigt, so schrieb er Kinderbücher: »Vierbeiner auf Probe«, »Die Wiese gehört uns!« Bei der historischen Recherche zu Stadtteil-Chroniken reifte die Idee des Hamburg-Romans »Kalte Wasser«. Es folgten moderne Engel-Märchen und mit »Eddie will leben« der zweite Roman, in dem der technische Wandel einer Branche zur Herausforderung neuer Lebensplanungen wird. - Peter Jäger lebt in Quickborn in unmittelbarer Hamburg-Nachbarschaft.

Die Heilkraft der Liebe

Heiner Köhler ist ein sportlicher Typ – groß, schlank, offen für Kontakte. Mit gegeltem Haar und flottem Polohemd könnte man ihn für einen Tennisprofi halten. Henny ist stolz auf ihren Sohn und freut sich, dass er sie an diesem Sonntag zur Eröffnung der Grillsaison auf seiner Terrasse eingeladen hat. Zur Mittagszeit zieht ein betörender Duft vom Gasgrill in die Küche, wo seine Frau Andrea und Henny leckere Beilagen zubereiten.

Andrea hat zwei mit Knoblauchbutter bestrichene Weißbrotstangen in den Backofen geschoben, die sie wachsam kontrolliert, bis sie eine knusprige Bräune erreichen. Unterdessen wendet ihre Schwiegermutter einen bunten Salat im pikant angerichteten Dressing und streut als köstlichen Abschluss Oliven und gewürfelte Fetastückchen darüber. Dann huscht sie ins Bad, um sich noch etwas aufzuhübschen.

»Bin gleich wieder zurück.«

Heiner scheint zeitgleich das Finale zu erreichen. Außer zweierlei Steaks vom Rind und Schwein, hat er für seine Mutter ein Stück Fischfilet auf Alufolie gegrillt. Nach einer letzten Kontrolle sieht der ehrgeizige Hobbykoch den Zeitpunkt für ein Eigenlob gekommen. »Sensationell, was ich auf meinem Grill gezaubert habe«, verkündet er durchs Küchenfenster, dabei tupft er sich ein paar Schweißperlen von der Stirn und legt die Schürze ab. »Gooonnng! Essen ist fertig!«

Andrea legt Bestecke und Servietten zu den Tellern und trällert vergnügt den Popsong aus dem Küchenradio mit: »Ich saß immer in der ersten Reihe – und fand dich so erregend …«

Heiner fuchtelt ungeduldig mit der Grillzange: »Ich finde es eher aufregend! Wo ist Mama abgeblieben!«

»Warum so bissig? Mama ist im Bad.«

»Sitzt sie etwa auf der Brille? Ihr Fisch ist perfekt gegrillt und muss jetzt gegessen werden.«

»Vielleicht schaut sie nur mal in den Spiegel, will hübsch sein für ihren Sohn, der sogar am Sonntag arbeitet«, lästert Andrea. Sie kennt ihren Heiner. Für den ist es jetzt ein so großer Moment, wie auf der Bühne eines Theaters: Schauspieler wollen Beifall hören!

Enttäuscht ist Heiner darüber, dass Tochter Emmy und Sohn Lars an diesem Wochenende auf einer Geburtstagsparty sind. Heute, nach einer kurzen Nacht, werden sie wahrscheinlich im Freibad der Stadt eintauchen.

In diesem Moment kommt seine Mutter auf die Terrasse. Mit Trippelschritten nähert sie sich dem Grillgerät. »Köstlich! Den Duft habe ich schon im Flur geschnuppert!« Entzückt klatscht Henny in die Hände.

»Du bist heute in meinem Gourmettempel eingeladen. Aber nur, weil du mitgeholfen hast«, lacht Heiner seine Freude heraus. Wenigstens die alte Küchenfee weiß, was ihr Sohn in diesem Moment hören will. Er hat schon als Kind über den Topfrand geschaut oder ihr beim Schnippeln von Obst und Gemüse geholfen. »Ist doch zum Heulen, dass die Gören Pizza aus Pappschachteln leckerer finden!«, sagt er.

»Komm, Mutti, setzt dich auf meinen Platz, hier schützt dich der Schirm vor der Sonne«, schlägt Andrea vor, die ihren Stuhl wie einen Ehrenplatz anbietet.

»Nett von dir«, sagt Henny und wirft ihr einen dankbaren Blick zu. »Ich mag die Sonne am liebsten, wenn ich im Schatten sitze.«

Dabei fällt Andrea ein kleiner Fetzen Papier neben Hennys Nase auf, der da nicht hingehört.

»Hast du dich verletzt?«

»Nicht so schlimm, ist beim Rasieren passiert«, erklärt Henny und macht eine wegwerfende Handbewegung.

Jetzt schaut auch Heiner besorgt, der zwei aufgefüllte Teller zum Tisch bringt. »Moment mal, Mutti! Das musst du mir erklären.«

»Junge, da gibt es nichts zu erklären! Beim Blick in euren Spiegel sind mir ein paar hässliche Barthaare aufgefallen. Das mag ich nicht, Bart ist nun mal Männersache. Deshalb habe ich einen Rasierapparat gesucht.«

»Ich besitze keinen, rasiere mich nass, Mama.«

»Das habe ich mir gedacht, als ich den Rasierpinsel entdeckte. Die Klinge ist aber verdammt scharf! Bin in einer Falte abgerutscht.«

»Hast das Blut aber schnell zum Stillstand gebracht, obwohl du Marcumar-Patientin bist«, versucht Andrea zu trösten. »Ein ausgedrückter Pickel heilt nicht so schnell.«

»Mit der Pubertät bin ich durch«, sagt Henny.

Plötzlich bricht Gelächter in der Runde aus. Die gelöste Stimmung erfreut auch den Grillspezialisten. Heiner verschwindet mit schnellen Schritten im Haus, um eine Flasche Rotwein zu holen.

»Ein temperamentvoller Spanier«, sagt er, als er den Korkenzieher in den Flaschenhals dreht. »Ein besonderer Tropfen für besondere Anlässe. Hat schon ein paar Jahre darauf gewartet.«

Während er die Gläser füllt, zieht Henny eine krause Stirn: »Besonderer Anlass? Ich alte Henriette habe doch wohl nicht deinen Geburtstag vergessen? Das wäre ja eine Schande für eine Mutter. Oder euren Hochzeitstag? Aber das ist ja sowieso eure Sache.«

»Dass wir älter werden, muss ja nicht jedes Jahr gefeiert werden!«, entgegnet Heiner, der bald an die Fünfzig herankommt. »Nein, ich bin endlich in eine führende Position aufgerückt.«

»Wahrscheinlich in der Verlagsküche – ?«, spielt Henny auf seine Kochkünste an und beginnt zu kichern.

»Du solltest unsere Zeitung abonnieren, Mama, dann kapierst du, dass ich auch flott schreiben kann.«

**

Später wird über Urlaub geplaudert. Henny will wissen, wie ihr Sohn die familiären Sommerferien geplant hat. »Wollt ihr wieder nach Rügen ans Wasser? Die Berge sind ja nicht euer Ding …«

Heiner wirft seiner Mutter einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe die blöden Wanderungen nicht vergessen, dieses Anfeuern: Bald sind wir oben. Beim Gipfelkreuz bekommst du einen Stempel in den Pass …«

»Nun bin ich aber enttäuscht, Heiner!«, protestiert Henny. »Du warst doch stolz, als du die Silberne Anstecknadel gewonnen hattest!«

»Aber die Goldene ging an einen Fettsack, der mit seinen Großeltern im Lift hochgefahren ist. Keine zweihundert Meter sind die gewandert.«

»Aber die Brotzeit auf der Alm hast du immer genossen, gemeinsam mit Papa. Keine Tour ohne Almhütte, war seine Devise.«

»Stimmt. Papa war ein großer Naturfreund, leider quälten ihn nur seine Rückenbeschwerden zu sehr«, erinnert sich Heiner.

Henny nickt versonnen und sagt: »Sein Hausarzt hatte ihn gewarnt, er sollte kürzer treten, mit Schmerzmitteln war nichts mehr zu machen. Aber du kennst ja deinen Vater – ohne seine Baustellen war er unausstehlich. Bis …« Sie hält plötzlich inne, weil sie das vergnügte Beisammensein nicht mit traurigen Erinnerungen belasten will.

Doch nach einer Weile vollendet Heiner Hennys begonnen Satz: »… bis aus seinen Beschwerden ein Bandscheibenvorfall wurde. Das macht nun mal keine gute Laune.«

»Auch später, als er schon ein Pflegefall war, hat er noch von Wiener Kalbsschnitzeln geschwärmt. Handtellergroß musste es sein. Übrigens – deinen gegrillten Fisch hätte er auch begeistert weggeputzt. Hast wieder alles perfekt hingekriegt«, lobt Henny erneut Heiners lukullisches Können.

Spontan tätschelt der Sohn ihre Hand. Die mütterliche Anerkennung ist ihm wie die Verleihung eines Gastro-Sterns.

Henny aber hat gerade entdeckt, dass noch zwei kleine Steaks in der Schale liegen. »Wenn ich gewusst hätte, dass so viel übrig bleibt, hätte ich meinen Freund Ole mitgebracht. Der hätte sich bestimmt den Bauch gerieben. Zumal deine Kinder das gar nicht zu schätzen wissen. Die hast du doch längst an McDonald‘s und irgendwelche Pizza-Heinis verloren.«

Das trifft die Schwiegertochter wie ein Giftpfeil. Als Erzieherin in einer Kita arbeitet Andrea absichtlich nur an drei Vormittagen, um stets für ihre Kinder da zu sein, wenn sie gebraucht wird. Sie will keinen Streit am Tisch, trotzdem muss sie hier etwas klarstellen. »Wir haben unsere Kinder an niemanden verloren, Mama. Sie treffen sich auch im Eiscafé, im Kino oder beim Griechen. Heute sind sie von ihrer Clique eingeladen, wollen ihre Freunde nicht vor den Kopf stoßen, verstehst du das denn nicht?«

»Na klar, sag ich doch!«, erwidert eine etwas gereizte Henriette. »Wenn Kinder die Wahl haben, enttäuschen sie lieber ihre Eltern. Aber egal – ich habe längst begriffen, dass alles anders wird.« Sie hebt ihr Glas, um von dem Thema abzulenken: »Zum Wohle, mein Sohn! Ich trinke lieber spanischen Rotwein als Rülpswasser.«

Auf einmal wird sie unruhig. Sie wirft einen verkniffenen Blick auf ihre Armbanduhr, kann sie aber ohne Brille nicht genau entziffern. Sie hat ihrem Freund Ole versprochen, zur Kaffeezeit bei ihm aufzutauchen.

Heiner spürt Hennys Anspannung. »Du bist plötzlich etwas hektisch … willst du schon gehen? Kannst doch gern noch ein Schlückchen mit uns trinken. Du hast ja nur ein paar Schritte durch den Garten und bist zu Hause.«

»Nein, Junge, ich merke jetzt schon den Wein hier oben in meinen grauen Zellen«, winkt Henny ab und tippt an ihre Stirn.

Sie bekommt Unterstützung von Andrea, die das Beisammensein gern auflösen würde. »Ich vermute, Mama hat Sehnsucht nach ihrer Couch. Es geht doch nichts über ein Verdauungsschläfchen.« Insgeheim freut sie sich auf ein Sonnenbad auf der Terrassenliege. Das Aufräumen wird vielleicht Heiner übernehmen. Hoffentlich.

Henny gefällt Andreas Vorschlag, denn sie ahnt, dass Heiner etwas im Schilde führt. Wahrscheinlich geht es ihm wieder um ihr Häuschen hinten im Garten, das sie manchmal die Keimzelle der Familie nannten, weil Heiner seinen Bungalow aufs gleiche...

Erscheint lt. Verlag 5.11.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-948218-11-0 / 3948218110
ISBN-13 978-3-948218-11-9 / 9783948218119
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