Eiskalte Augenblicke (eBook)

Kurze Krimis aus Sandhamn

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32007-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eiskalte Augenblicke -  Viveca Sten
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Für die kleine Spannung zwischendurch. Viveca Sten hat mittlerweile zehn Krimis rund um die Juristin Nora Linde und den Kommissar Thomas Andreasson geschrieben. Doch die gewähren uns nur einen kleinen Einblick in den Sandhamn-Kosmos. Wie haben Nora und Thomas sich damals eigentlich kennengelernt? Wie war das noch mal, als Thomas seinerzeit in den Polizeidienst eingetreten ist? Und was ist überhaupt aus den vielen Figuren geworden, die in den Sandhamn-Romanen eine Nebenrolle spielten? In diesen spannenden Kurzkrimis werden sie zu Hauptfiguren, und somit werden ganz nebenbei alle drängenden Fragen der Leser und Leserinnen beantwortet. Na ja - fast alle. Doch auch jeder, der die Sandhamn-Reihe noch nicht kennt, kann diese Kurzkrimis genießen, ob beim Warten auf den Bus oder im Wartezimmer des Zahnarztes. Viveca Sten schreibt nicht nur spannende Romane - auch in der kurzen Form ist sie eine Meisterin.

Viveca Sten war Chefjuristin bei der dänischen und schwedischen Post, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie wohnt mit Mann und drei Kindern vor den Toren von Stockholm. Seit sie ein kleines Kind war, hat sie die Sommer auf Sandhamn verbracht, wo ihre Familie seit mehreren Generationen ein Haus besitzt. Ihre Sandhamn-Krimireihe feiert weltweit Erfolge und wurde für das ZDF verfilmt.

Viveca Sten war Chefjuristin bei der dänischen und schwedischen Post, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie wohnt mit Mann und drei Kindern vor den Toren von Stockholm. Seit sie ein kleines Kind war, hat sie die Sommer auf Sandhamn verbracht, wo ihre Familie seit mehreren Generationen ein Haus besitzt. Ihre Sandhamn-Krimireihe feiert weltweit Erfolge und wurde für das ZDF verfilmt. Dagmar Lendt ist Skandinavistin und übersetzt aus dem Norwegischen, Schwedischen und Dänischen. Bisher hat sie rund einhundert Bücher ins Deutsche übertragen, u.a. von Jon Fosse, Kjetil Try und Viveca Sten. Sie lebt in Berlin.

Donnerstag


Als Nora aufwachte, war es noch heißer als gestern. Das Thermometer vor dem Fenster zeigte fünfundzwanzig Grad, obwohl es erst acht Uhr war.

Sie wünschte, sie könnte den Unterricht schwänzen, aber sie wusste, dass sie ihrer Mutter das nie erklären könnte. Also zog sie sich an und ging hinunter, um zu frühstücken. Als sie in die Diele kam, roch es irgendwie komisch, stechend, wie Brandgeruch. Nora rümpfte die Nase.

Woher kam das?

Die alten Gummistiefel ihres Vaters standen neben der Haustür, sie waren völlig verrußt und stanken, genau wie seine Jacke, die hingeworfen auf dem Dielenboden lag. Er war Mitglied bei der freiwilligen Feuerwehr der Insel, es musste in der Nacht irgendwo gebrannt haben.

Hoffentlich war nichts Schlimmes passiert.

Nora berührte die Jacke vorsichtig, sie hatte kleine Glutlöcher an einem Ärmel, anscheinend war es ein größeres Feuer gewesen.

Sie öffnete die Tür zur Küche, wo ihre Mutter schon im Morgenrock am Esstisch saß und Kaffee trank.

»Warum stinken Papas Sachen so nach Rauch?«, fragte sie.

»Auf dem Östlichen Sandfeld hat es heute Nacht gebrannt.«

»Wieso das denn?«

»Liebes, woher soll ich das wissen?« Mama runzelte die Stirn. »Wahrscheinlich hat jemand eine brennende Zigarettenkippe weggeworfen, ohne nachzudenken. Bei der Hitze brennt doch alles wie Zunder.«

Nora öffnete den Kühlschrank und nahm Butter und Käse für ein Butterbrot heraus. Dann griff sie nach dem Tetrapak O’boy und goss sich ein großes Glas Kakao ein.

»Um drei kam der Anruf, und Papa war erst nach fünf wieder zu Hause«, fuhr Mama fort. »Er schläft noch. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sein Zeug gestunken hat, ich habe alles auf den Balkon geworfen. Aber das Schlafzimmer riecht jetzt noch danach.«

Du hast die Jacke vergessen, dachte Nora, aber sie ahnte, dass ihre Mutter auch nicht viel Schlaf bekommen hatte. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und gähnte, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, was sie Nora sonst immer einschärfte.

Ihre Mutter nahm einen großen Schluck Kaffee.

»Zum Glück konnten sie das Feuer löschen, bevor es sich weiter ausbreitete«, sagte sie. »Die Nilssons hatten es entdeckt, du weißt, das ältere Paar, das in dem grauen Holzhaus wohnt. Ihr Hund hatte mitten in der Nacht angefangen, wie verrückt zu bellen, und August geweckt, sodass er Alarm schlagen konnte.«

Sie schüttelte sich unwillkürlich.

»Du und deine Freunde, ihr müsst aufpassen bei dieser Hitze. Wenn ihr einen Erwachsenen rauchen seht, meine ich. Eine Zigarettenkippe wird schnell mal achtlos weggeworfen, das habe ich schon so oft gesehen.«

Noras Eltern rauchten beide nicht, obwohl mehrere ihrer Freunde gerne mal eine Zigarette in der Hand hatten. Nora wusste, dass ihre Mutter sich vermutlich nicht vorstellen konnte, dass die meisten in der Konfirmandengruppe rauchten.

Die Zeit drängte, Nora schlang den letzten Bissen hinunter und trank das Glas Kakao im Stehen aus. Sie schwitzte jetzt schon.

Ihre Mutter zeigte auf ein Päckchen in Alufolie, das zusammen mit einer Banane auf der Anrichte lag.

»Vergiss dein Pausenbrot nicht. Ich habe dir ein paar Schnitten mit Ei und Kaviar gemacht, die werden dir schmecken.«

»Was würde passieren, wenn es im Dorf anfängt zu brennen?« Nora konnte sich die Frage nicht verkneifen.

»Wie meinst du das?«

»Wenn eins der Häuser Feuer fängt. Oder mehrere. Die stehen hier alle so dicht, und es gibt wohl nur ein Löschauto?«

»Ach herrje, wieso fragst du das?«, sagte ihre Mutter und breitete die Arme aus. »Denk doch so was nicht.«

»Aber was würde man dann tun?«, beharrte Nora.

»Ich vermute, sie würden Hilfe vom Festland anfordern, oder von den anderen Inseln. In Stavsnäs gibt es eine Feuerwehr, die ausrücken könnte.«

Von Stavsnäs brauchte man mindestens zwanzig Minuten, sogar mit einem Schnellboot.

»Glaubst du wirklich, die würden es rechtzeitig schaffen?«, fragte Nora und griff nach ihrem Lunchpaket. »Bevor das ganze Dorf abgebrannt ist?«

 

Nora fühlte sich erhitzt und klebrig, als sie zu der Scheune kam, wo der Unterricht stattfand, wenn sie nicht draußen waren. Sie trat sich die sandigen Schuhe auf der Fußmatte ab, bevor sie hineinging.

Der Raum war sparsam mit rechteckigen Tischen und einigen Stühlen ausgestattet. An der einen Querwand stand eine abgenutzte Polstergruppe, die mit verblichenem geblümtem Stoff bezogen war. Die meisten Sachen waren Spenden und hatten schon bessere Tage gesehen.

Ausnahmsweise war Nora als Erste aus ihrer Konfirmandengruppe da. Sie erschrak, als sie Petter entdeckte, der an einem der Tische saß und die Texte des Tages auf unterschiedliche Stapel verteilte. Sein roter Pullover hing über dem Stuhlrücken.

Sie hoffte, dass er nicht bemerkte, wie verschwitzt sie war, und wischte sich rasch mit dem Handrücken über die Stirn.

Durch die drückende Hitze lockte sich Petters blondes Haar im Nacken. Es sah aus wie Engelshaar, und unwillkürlich fragte sie sich, ob es wohl genauso weich war.

»Hast du von dem Feuer gehört?«, fragte sie vorsichtig. »Dem von heute Nacht. Mein Vater hat geholfen, es zu löschen.«

Petter sah sie ernst an.

»Hoffentlich ist niemand zu Schaden gekommen.«

»Ich glaube nicht«, sagte Nora.

»Es ist immer schrecklich, wenn zwischen den Holzhäusern ein Feuer ausbricht, besonders wenn sie so alt sind wie das hier.«

Nora wollte den Gedanken verdrängen und warf einen Blick auf Petters Papiere.

»Was machen wir heute?«, fragte sie.

»Hm, wollen mal sehen.« Petter blätterte in seinen Unterlagen. »Heute sprechen wir über individuelle Lebensentscheidungen und wie sie sich auf dich und deine Umgebung auswirken.«

Sie musste ihn verständnislos angesehen haben, denn er fügte schnell hinzu:

»Es geht um Judas, warum er getan hat, was er tat, als er Jesus verraten und im Stich gelassen hat.«

»Er hat Geld dafür bekommen«, sagte Nora.

»Na ja«, sagte Petter lächelnd. »Es ist nicht alles so schwarz oder weiß, wie man manchmal denkt. Aber genau darüber werden wir sprechen. Wie es manchmal so kommt und warum. Was es für ein Gefühl ist, wenn ein Freund einen schlecht behandelt oder hintergeht.«

Nora nickte.

»Und danach machen wir einen Ausflug zusammen. Heute Nachmittag wollen wir Kajak fahren. Ich werde euch alles beibringen, was ich übers Paddeln weiß.«

Er hörte sich an wie Balu der Bär aus dem Dschungelbuch. Und er schnitt eine ironische Grimasse, als es ihm auffiel. Nora fand es eher niedlich.

»Paddelst du oft?«, fragte sie.

Sie selbst paddelte gerne. Ihr Vater hatte ein Kajak, mit dem sie manchmal rausfuhren, und sie genoss es, mit ihm allein zu sein, ohne die ständigen Ermahnungen ihrer Mutter.

Petter machte den Rücken ein bisschen gerader.

»Ich bin ausgebildeter Trainer. Wenn wir hier fertig sind, werde ich ein Kajaklager leiten.«

Er zeigte auf die Texte vor ihm auf dem Tisch.

»Wenn ihr mit dem hier durch seid, wird es euch guttun, aufs Wasser rauszufahren. Den Kopf freizubekommen. Wir können uns ja nicht immer nur mit tiefen religiösen Diskussionen befassen. Gott kann auch Spaß machen.«

Nora hätte sich gerne noch weiter mit Petter unter vier Augen unterhalten. Er war immer so nett und rücksichtsvoll und kam ihr gar nicht viel älter vor als sie. Aber die Tür ging auf und Stefan und Mia kamen herein. Stefan hatte sich seinen Rucksack lässig über eine Schulter gehängt und trug eine Piloten-Sonnenbrille. Seine Augen waren hinter den verspiegelten Gläsern nicht zu erkennen.

Nora erstarrte.

Es hatte ihm gestern nicht gereicht, ihr Fahrrad umzuwerfen. Kurz vor Schluss hatte er noch irgendwas Gemeines über sie gesagt. Sie hatte nicht alles mitbekommen, aber Mia hatte gelacht. Da war Micke tatsächlich dazwischengegangen und hatte gesagt: »Hört auf!«

Nora war aufs Rad gestiegen und mit brennenden Tränen in den Augen abgehauen, so schnell sie konnte.

Jetzt beachtete Stefan sie überhaupt nicht, sondern setzte sich an einen der anderen Tische. Er warf Petter ein »Hi!« zu und redete weiter mit Mia, als wäre Nora nicht anwesend.

Anscheinend unterhielten sie sich über das Feuer letzte Nacht, Nora hörte, wie sie vom Sandfeld sprachen.

Petter runzelte die Stirn.

»Mögt ihr zwei euch nicht?«, fragte er so leise, dass nur Nora es hören konnte. »Kommt mir so vor, als wären hier plötzlich bad vibes im Raum.«

Nora biss sich auf die Lippe. Wie sollte sie ihm erklären, dass Stefan und seine Gang schon immer auf ihr herumgehackt hatten? Sie wäre lieber gestorben, als Petter zu verraten, wie Stefan sie hinter ihrem Rücken nannte.

Statt einer Antwort zuckte sie nur mit den Schultern.

»Sieh es mal so«, sagte Petter. »Die Welt ist voller Idioten, und es ist immer besser, keiner von ihnen zu sein.«

Er grinste plötzlich.

Wenn er lächelte, war er noch süßer. Nora konnte nicht anders, als zurückzulächeln. Petter war wirklich total nett.

 

Die Kajaks lagen hoch auf den Sand gezogen hinter der Sportboottankstelle, als...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2020
Reihe/Serie Thomas Andreasson ermittelt
Thomas Andreasson ermittelt
Thomas Andreasson ermittelt
Übersetzer Dagmar Lendt
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Flucht in die Schären • Krimi • Krimi-Kurzgeschichten • Mittsommer • Mord • neuerscheinung 2020 • Schären • Schweden-Krimi • schwedische Krimis • Skandinavien
ISBN-10 3-462-32007-6 / 3462320076
ISBN-13 978-3-462-32007-7 / 9783462320077
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