Lady Bitch Ray über Madonna (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
144 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32032-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lady Bitch Ray über Madonna -  Lady Bitch Ray
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Lady Bitch Ray über Madonna. Für ihre Schulfreundinnen ist Madonna eine »lesbische Schlampe« - für die 11-jährige Reyhan ?ahin ist sie das größte Vorbild. Dass wir Reyhan heute als Lady Bitch Ray kennen, als unkonventionelle Künstlerin, promovierte Sprachwissenschaftlerin, als kluge und meinungsstarke Feministin, hat viel mit der Queen of Pop zu tun. Sie erzählt uns davon - und von der Macht von Popmusik.

Lady Bitch Ray forscht und lehrt an der Universität Hamburg, sie schreibt in der taz, der Süddeutschen Zeitung und im Missy Magazine, und sie liebt Rapmusik.

Lady Bitch Ray forscht und lehrt an der Universität Hamburg, sie schreibt in der taz, der Süddeutschen Zeitung und im Missy Magazine, und sie liebt Rapmusik.

Inhaltsverzeichnis

Bitch, I’m Madonna!


Madonna, so heißt es, kam mit 35 Dollar in der Tasche von Michigan nach New York City. Sie hielt sich mit Jobs als Kellnerin, Verkäuferin oder als Aktmodell über Wasser und nahm auch Schlagzeug-, Ballett- und Gitarrenunterricht. In dieser Zeit schrieb sie ihre ersten Lieder und war Sängerin und Schlagzeugerin in Punk- und Popbands. Auch eine Madonna hatte es sicherlich schwer am Anfang, aber vielleicht ist es etwas grundlegend anderes, in New York City Musik zu machen als in Bremen-Gröpelingen.

Eigentlich wollte ich als Kind Archäologin werden, das weiß ich noch. Aber es gab auch eine Zeit, das war im Kindergarten, da sollten wir in einem Bild malen, was wir »später werden möchten«. Und was malte ich? – Nein, dieses Mal war es keine Nutte, sondern: eine Sängerin. Eine blonde. Die beiden Erzieherinnen schrieben die Überschriften zu unseren Bildern, weil wir noch nicht schreiben konnten. Was für ein Selbstbild muss ich damals gehabt haben? Denn offensichtlich wollte ich blond sein. Vielleicht habe ich ja auch gedacht, dass alle Sängerinnen blond sein müssen, um berühmt zu sein, und so falsch lag ich damit ja auch nicht (wenn wir uns etwa Madonnas Marilyn-Monroe-Interpretation vor Augen führen): Blondinen werden eben auch im Popbusiness bevorzugt!

Meine frühe Liebe zur Musik habe ich wohl auch meinem Namen zu verdanken, denn meine Mutter nannte mich nach einem aserbaidschanischen Song, der damals in der Türkei von der Sängerin Kamuran Akkor gecovert wurde und ein großer Hit war. Akkor hatte natürlich auch blondierte Haare. Reyhan bedeutet im Arabischen, Persischen, Kurdischen oder Türkischen in unterschiedlichen Aussprachen »Basilikumblüte«, Reyhane, Reyhana oder Rachan. Übrigens glaube ich, dass Rihanna meine Namensvetterin ist, weil ihr Name demselben Wortstamm entspringt. Meine Mutter singt das Lied heute noch, wenn sie mich lobt. Und überhaupt allen Menschen, die diese Sprachen verstehen, zaubere ich mit meinem Namen sofort ein Lächeln ins Gesicht. Der Song »Reyhan« handelt über das »Bergmädchen Reyhan«, die alle betört, weil sie so schön ist, klar, das kann ich ja auch sehr gut verstehen, tüh, tüh, tüh. »Dağlar kızı Reyhan, Reyhan, Reyhan / alem sana heyran, heyran, heyran / ne güzelsin, ay kız, bir çiçeksin, bir tanesin, ay kız, dürdanesin ay kız ...«, singen die Menschen dann, wenn ich ihnen meinen Namen sage. Mein Name erinnert sie nicht nur an Blumen, sondern auch an Musik. Music! Makes the people, come together, yeah / Music! makes the bourgeoisie, and the rebel, yeah.

Was heißt es aber eigentlich genau, als Frau professionell Musik zu machen? Und was heißt es, als Frau mit türkischem, kurdischem oder arabischem Migrationsbackground in Deutschland Musik zu machen? Wie fängt man, oder besser gesagt frau, damit an? Ich hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte. Und ich versuchte, mir selbst zu helfen. Am Gymnasium belegte ich den Lateinkurs wegen meines Rapstar-Karriereziels: Bei der Vorstellungsrunde im siebenköpfigen Lateinkurs erzählte ich, dass ich Latein studieren wollte, weil ja »auch die Lateinamerikaner rappten« (damals wusste ich nix von Gendern-Mendern), die Gruppenmitglieder krümmten sich natürlich vor Lachen. Später fing ich dann an, Linguistik zu studieren, weil ich dachte, dass sprachwissenschaftliche Grundskills bei meiner Rapkarriere nur helfen konnten. Und so schrieb ich mich in Linguistik ein, mein Vorbild war ein Rapper von der Band Advanced Chemistry, der sich »der Linguist« nannte. (Ich rechnete fest damit, dass ich dieses Studium sehr bald abbrechen müsste, da ich ja berühmt sein würde. Und Berühmtsein und Studieren ging ja nicht, so dachte ich damals.) Ich wusste zwar nicht, wie es geht, aber ich hatte Vorbilder, in früheren Jahren Madonna, später dann Rapperinnen wie Lil’ Kim oder Missy Elliott. Aber die waren von Bremen-Gröpelingen weit weg und so musste ich mir selbst helfen.

In der Zeit, in der ich als Teenagerin anfing, auf Hip-Hop-Konzerten aufzutreten, habe ich mir vor allem selbst Auftrittsmöglichkeiten organisiert. Einige Manager, die ich damals ansprach, sprachen mir meine Rapskills ab und sagten, ich sei nicht gut genug. Man könne »nicht einfach Rapperin sein«, das müsse man erst mal gut können. Neben der alltäglichen Erfahrung, dass mir alle Rapper oder Menschen aus der Musikindustrie, die ich traf, sagten, dass ich NICHT RAPPEN KANN, dieser Satz begleitete mein ganzes Leben – bis ich dann bekannt wurde! Ja sogar ausgelacht wurde ich von einem Manager einmal, wie ich denn darauf käme, Rapperin zu sein, ich könne nix und sehe auch nicht gerade gut aus. Daraufhin gab ich die Suche nach einem Manager auf. Ich organisierte mir Auftritte im Vorprogramm von US-Rappern, die in Deutschland tourten, ich rief direkt die Veranstalter und das Management der Künstler an oder ich schickte ihnen meine Demotapes (besser gesagt Demo-CDs) und überzeugte sie mit meinen Rapskills.

Meine ersten professionellen Aufnahmen machte ich in einem Tonstudio in Bremen, da war ich 14, das muss man sich mal vorstellen, 14! Damals gab’s in der Stadt ein Rapduo namens 2 Faces, das waren Steve und Deniz, zwei Kinder von türkischen Arbeitsmigrant*innen, die etwas älter waren als ich. Sie gehörten zu den ersten Rapacts, die professionell arbeiteten und mit ihrer Musik auch außerhalb von Bremen bekannt wurden. Ich hörte von ihnen und kam für kurze Zeit mit einem ihrer Tänzer zusammen. Eigentlich auch nur, weil ich an Infos zum Prozess des Musikmachens der beiden Rapper ranwollte, aber okay, ein bisschen fand ich ihn auch süß, ich geb’s ja zu. Einmal traf ich mich mit dem Tänzer bei den beiden Rappern zu Hause. Einer der beiden, Steve, lag lang gestreckt bäuchlings auf dem Boden des Wohnzimmers und schrieb irgendetwas, mit einem Englischwörterbuch vor der Nase. Zwischendurch rappte er dem Tänzer die Zeilen vor. Dieser hörte ihm aber gar nicht zu, weil er mich eigentlich nur deshalb dahin eingeladen hatte, um mir zu imponieren und dann flachzulegen. Hahaha! Aber Lady Bitch Ray-Ray war ja nicht dumm, schon damals nicht, ich hatte das natürlich schon geschnallt und hatte nur Augen für eins: Rap! Ich hörte Steve aufmerksam zu, als er über Reime, Flow und seine Raplines sprach. An diesem Tag bekam ich das erste Mal ein Gespür dafür, wie man Raptexte schrieb, und dafür bin ich Steve so dankbar! Er verstarb einige Monate später bei einem Autounfall, als sie zu einer Plattenfirma nach Frankfurt fuhren. Er starb, sein DJ wurde verletzt und sein Zwillingsbruder überlebte, das war ein Schock für die damalige Bremer Musikszene. Rest in Power, Steve!

(Der Tänzer hat mich natürlich niemals flachlegen können, ich musste ihn sogar irgendwann von einigen Gangstern verkloppen lassen, weil er mir trotz meiner Trennungsversuche erzählt hat, dass er mich liebt und währenddessen fremdgegangen ist. Ich bekam es später heraus und rächte mich, indem ich seine Türklinke abmontierte und damit ein Loch in seine Tür hämmerte, dieser kleine Pisser hatte es nicht anders verdient.) Natürlich kannte ich damals schon die Geschichte von Lisa »Left Eye« Lopes, der stilvollen Rapperin mit crazy Swag des US-amerikanischen R&B-Trios TLC: Sie hatte das Haus ihres Freundes in Brand gesteckt, indem sie aus Wut ihre Turnschuhe in seinem Badezimmer mit Benzin anzündete. Kann der Typ also mal froh sein, dass ich mir das nicht zum Vorbild genommen habe. Gespielt hatte ich schon mit dem Gedanken.

Jedenfalls erinnere ich mich noch daran, wie ich Steve erstaunt fragte, ob er die Lines, die er vorgelesen hatte, wirklich gerade geschrieben hätte, etwa mit diesem Wörterbuch. Ich zeigte auf das Buch vor ihm. Ja, klar, sagte er ganz selbstverständlich und schrieb weiter. Ich fragte, ob man nicht viel, viel besser Englisch sprechen können müsse, wenn man auf Englisch rappen will. Er sagte, nö, das kriege man schon hin, schließlich habe er ja auch noch ein »Slang-Lexikon«; er zeigte auf ein weiteres kleineres Büchlein, das auch noch vor ihm lag. Und schrieb weiter.

Von der Antwort war ich überwältigt, ich wollte das auch! Ich wollte auch rappen – und Rapperin sein. Ich wusste, dass ich das konnte. Als ich zu Hause war, suchte ich händeringend mein Französisch-Schulwörterbuch, besorgte mir asap noch ein französisches Argot-Slang-Wörterbuch von einer Buchhandlung aus der Innenstadt und schrieb meinen ersten französischsprachigen Rap. »Ding-dong, c’est ma région, Gröpelingen 21, de nous parlons!« – oder so ungefähr hörte sich das an. Die Leute liebten es, wenn ich auf Französisch rappte. »Sind Sie Französin?«, fragten mich vor allem gutbürgerliche Pädagoginnen begeistert. »Hm … fast«, nickte ich. Dass ich Kanakin war, würde zu dem Zeitpunkt nämlich den Rahmen sprengen, fand ich, und unnötige Fragen provozieren, also verschwieg ich den Rest. Viele meiner Zuhörer*innen wussten nicht, dass ich bereits in diesen frühen Texten über meine Vulva, meine Menstruation und über das Thuglife in Bremen-Gröpelingen rappte. Sie sagten einfach nur, dass sich diese Sprache »so wunderr-baaaar!« anhört. Und dass mein Französisch so falsch und voller Grammatikfehler war, schien auch niemanden zu interessieren.

Aber zurück zum Thema. In dieser Zeit organisierte ich mir irgendwann einen Termin in demselben Tonstudio, wo auch Steve und Deniz ihre Songs aufnahmen. Vorher Song fertig schreiben, einen Beispielbeat von irgendeinem bekannten US-Rapper suchen und dem Toningenieur mitbringen, das Tempo und den...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2020
Reihe/Serie KiWi Musikbibliothek
KiWi Musikbibliothek
Zusatzinfo 2-farbig
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte 90er Jahre • Feminismus • Lieblingsband • Missy Magazin • Musik • Musikbibliothek • Musikreihe • Queen of Pop • Rap • Reyhan Sahin
ISBN-10 3-462-32032-7 / 3462320327
ISBN-13 978-3-462-32032-9 / 9783462320329
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