Schatten über Marrakesch (eBook)

Ein Marokko-Krimi

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
464 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-26127-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schatten über Marrakesch -  James Leyden
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Zwischen bunten Märkten und prunkvollen Riads stößt Karim Belkacem auf seinen ersten Fall
Marrakesch erlebt den heißesten Ramadan seit Jahren. Da wird mitten in der Medina - der pulsierenden Altstadt mit ihren engen Gassen und geschäftigen Souks - die Leiche einer leicht bekleideten Studentin gefunden. Der junge Polizist Karim Belkacem ist als erster vor Ort und stellt schockiert fest, dass die Tote eine Bekannte seiner Familie ist. Musste sie sterben, weil sie den Zorn eines fanatischen Sittenwächters weckte? Oder versteckt sich der Täter womöglich in einem der luxuriösen Stadtpaläste, in denen die wohlhabenden Touristen gerne absteigen? Karim beginnt zu ermitteln und entdeckt dabei uralte Geheimnisse und dunkle Machenschaften, die schon viel zu lange hinter den Mauern der Wüstenstadt im Verborgenen liegen.

James von Leyden wuchs in Durham auf und studierte Philosophie und Moderne Sprachen in Oxford. Er arbeitete dreißig Jahre lang als Werbetexter. 1985 reiste er zum ersten Mal nach Marokko und verliebte sich sofort in das Land - eine Liebe, die bis heute anhält. Mit seiner Familie lebt er abwechselnd in Lewes, East Sussex und im marokkanischen Qualidia.

1

Zehn Stunden zuvor

Der erste Tag ist immer der schwerste. Karim versuchte zu schlucken, doch das erfordert ein Mindestmaß an Speichel, und er hatte keinen. In ein paar Stunden würden seine Lippen aufplatzen, am Nachmittag die Bauchschmerzen einsetzen. Und er selbst war schuld daran. Seine Mutter hatte ihm kurz vor Sonnenaufgang einen Krug Wasser gebracht, ihn wachgerüttelt und ermahnt zu trinken: »Shrob!« Statt dem Rat zu folgen, hatte er sich umgedreht und weitergeschlafen. Als er das nächste Mal aufgewacht war, schien draußen bereits die Sonne.

Eine Fliege brummte am Sockel des Fensters. Karim beobachtete, wie sie die Scheibe hochkrabbelte, hinunterfiel und erneut zu klettern begann. Die Gegend hier war voller Fliegen, was längst nicht mehr am Müll lag, denn schließlich gab es jetzt diese funkelnagelneuen Kehrmaschinen, die mit ihren Spritzdüsen und Besen über den Jemaa schwirrten. Aber solange es Saftstände gab und Buden, an denen frittiert wurde, und Karren, auf denen sich klebrige Datteln türmten, so lange gab es auch Fliegen. Und vom zentralen Marktplatz bis zum Kommissariat war es nur ein Katzensprung.

Der Schreibtisch rechts von ihm war verwaist. Abdou verbrachte Ramadan mit seiner Familie im Ourika-Tal. Bestimmt hingen die Feigenbäume am Fluss gerade voller Früchte. Karim stellte sich vor, wie er in das weiche Fruchtfleisch biss und der Saft ihm das Kinn hinablief. »Astaghfiru Allah«, sagte er leise. Möge Gott mir verzeihen.

Unten im Hof konnte er sehen, wie der Parkwächter zum Wagen des Captains ging und ein großes Stück Pappe vor die Windschutzscheibe klemmte. Dies war nun schon der sechsundzwanzigste Tag in Folge, an dem das Thermometer auf über vierzig Grad kletterte – den Berichten zufolge die längste solche Hitzephase, die jemals registriert wurde. Karim wusste noch, wie er als kleiner Junge einmal einen Mann gesehen hatte, der in der Mittagshitze umgefallen und gestorben war. Wie sich herausstellte, war er Diabetiker und hätte gar nicht fasten müssen, hatte es aber dennoch getan. »Warum fastet er, wenn er davon stirbt?«, hatte Karim damals seinen Vater gefragt.

»Weil er so ins Paradies kommt«, hatte sein Vater geantwortet. Er hatte die Worte ohne große Überzeugung ausgesprochen.

Die Fliege sauste durch den Raum, knallte gegen die offen stehende Tür des Aktenschranks, kämpfte sich im Zickzack Richtung Decke und machte es sich auf einem Flügel des Ventilators bequem. Vor inzwischen achtzehn Monaten war Karim frisch von der Polizeischule ins Kommissariat gekommen und hatte gleich einen Antrag eingereicht mit der Bitte, den Ventilator zu reparieren. Er hatte drei Formulare ausgefüllt. Eins für das Sekretariat des Captains, eins für den Leiter des Materiallagers und eins an die Abteilung, die mit der Verwaltung des Hauses betraut war. Abdou und Noureddine hatten ihn ausgelacht, allerdings war Karim bis heute nicht klar, ob sie seine Illusion, bei der Sûreté könnte etwas repariert werden, so urkomisch fanden, oder ob sie eher sein Bedürfnis nach mehr Behaglichkeit im Büro amüsierte.

Neben dem Gebrumm der Fliege war nur Noureddines Einhämmern auf die Tastatur zu hören. Der alte Mann steckte Ramadan erstaunlich locker weg. Er gähnte nie, schlief auch nicht ein oder reagierte gereizt. Hatten die vielen Jahre Erfahrung ihn abgehärtet? Oder futterte er heimlich? Sofort schämte sich Karim für diesen Gedanken. Nour war ein anständiger Mensch, ein gläubiger Mann, und keiner von den vielen Heuchlern, die tagsüber die Läden fest geschlossen hielten, um sich die Mäuler zu stopfen. Wenn sie so etwas in der Öffentlichkeit täten, würden sie im Gefängnis landen. Er selbst würde sie höchstpersönlich einsperren.

Er öffnete seine Schublade und kramte in einer Sammlung neu aussehender Kugelschreiber und Uhren. Nachdem er eine Uhr ausgewählt hatte, stellte er die richtige Zeit ein, klappte den Ringordner auf seinem Schreibtisch auf und begann zu lesen.

1. Beurteilung des Gewichts

Sowohl das Gehäuse als auch das Band einer Breitling ist aus Edelstahl gefertigt. Aus diesem Grund sind Breitling-Chronografen für gewöhnlich recht schwer. Gehäuse und Band einer gefälschten Breitling werden dagegen vergleichsweise leicht sein.

Karim fielen die Augen zu. Die Fliege brummte … die Tastatur klackerte … seine Gedanken wanderten zu Ayesha und Lalla Fatima. Gewiss schnitten sie in der Küche gerade Gemüse klein. Wie gelang es ihnen bloß, solch köstliche Speisen zuzubereiten, ohne zu probieren? Vielleicht waren abends aber auch alle derart ausgehungert, dass sie Nebensächlichkeiten wie dem richtigen Abschmecken gar keine Beachtung schenkten. Wenn ein gieriger Löwe eine Gazelle zerfleischte, fragte er ja auch nicht nach Salz.

Ein kurzer Knall riss ihn aus seinen Überlegungen. Die Uhr war auf den Boden gefallen. Karim öffnete die Augen. Prüfend sah er zu dem alten Mann hinüber, ob der sein Eindösen bemerkt hatte, aber Noureddines Finger bearbeiteten weiter unverdrossen die Tasten.

Morgen würde das Fasten, so Gott will, schon leichter sein. Wenigstens war er nicht allein. Überall im Maghreb, überall in der umma übten Männer und Frauen Verzicht, aßen, tranken und rauchten tagsüber nicht, nahmen Abstand von unkeuschen Handlungen. Natürlich nahm die Zahl der Unfälle in dieser Zeit deutlich zu. Allein in Marrakesch war es im Vorjahr zu neunhundert Verkehrsunfällen gekommen. Andererseits sank die Zahl der Verbrechen. Wer brachte schon die Energie für eine Straftat auf, wenn er sechzehn Stunden am Tag fastete?

Er hörte lachende Stimmen im Treppenhaus. Frauenstimmen … waren das Britinnen oder Amerikanerinnen? Trotz seiner zwei Jahre Englischunterricht fiel es Karim bis heute schwer, den Unterschied herauszuhören. Er streifte die Uhr übers Handgelenk und stand auf. Nicht so schnell! Rasch stützte er sich an der Kante des Schreibtischs ab. Jemand klopfte an der Tür.

»Bonjour

Ohne eine Antwort abzuwarten, trat eine junge Frau in den Raum – eine etwa zwanzigjährige Europäerin mit braunen Haaren, einer riesigen Sonnenbrille und weiter Baumwollhose. Ihre Schultern waren rot vor Sonnenbrand, und in ihrer Hand hielt sie eine halb volle Flasche Wasser. Hinter ihr kamen noch zwei weitere junge Frauen. Die eine war groß – größer als Karim – und trug eine Art Cowboyhut und ein eng anliegendes T-Shirt. Die andere hatte ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, an beiden Armen glänzten breite silberne Bänder, und um die Hüfte hatte sie einen lilafarbenen Sarong geschlungen. Karim war dieser Touristentyp bestens vertraut. Sie trafen mit einem dieser Billigflüge aus Europa ein, feilschten in den Souks um irgendwelchen Modeschmuck und reisten dann weiter nach Essaouira oder in die Berge.

»Parlez-vouz anglais?«, fragte die junge Brünette und schaute von einem Polizisten zum anderen.

Noureddine deutete auf Karim und tippte weiter. Karim verwirrte die Situation ein wenig. Zwar waren westliche Frauen mit nackten Beinen und tiefen Ausschnitten in Marrakesch kein außergewöhnlicher Anblick, aber im Kommissariat begegnete man ihnen eigentlich nie. Wie bei exotischen Tieren, die sich außerhalb ihrer natürlichen Lebensumgebung bewegen, traten ihre Eigenarten hier irgendwie besonders stark zum Vorschein. Karims Blick wurde angezogen vom bauchfreien T-Shirt der groß gewachsenen Frau und vom Tattoo, das genau an dieser Stelle auf der bronzefarbenen Farbe prangte. Es zeigte eine Maus, die sich vor einer Katze nabelabwärts flüchtete und damit direkt in Richtung …

»Do you speak English?«, wiederholte die Frau mit der Wasserflasche.

Karim schüttelte sich kurz wach. »A little«, versuchte er es. »Bitte, setzen Sie sich. Ich bringe Ihnen …« Er schaffte rasch drei der Stahlrohrstühle heran und verzog gequält das Gesicht, als er sich einen davon gegen das Schienbein knallte. Die junge Brünette nahm Platz und trank einen Schluck.

»Ich möchte einen Diebstahl anzeigen. Mir wurde meine Tasche geklaut mitsamt Geldbörse, Handy, Reisepass, einfach allem.«

»So etwas müssen Sie anzeigen bei der Police Judiciare. Der Posten für Touristen ist am Jemaa el Fna.«

»Da war mir die Schlange zu lang«, erklärte die Frau bündig.

Karim nickte kaum merklich und schraubte die Kappe von seinem Füllfederhalter. Ob die Mädchen wohl einen echten von einem gefälschten Montblanc unterscheiden konnten?

»Sie heißen?«

»Melanie Murray.«

Karim drückte die Federspitze auf das Papier, aber es kam keine Tinte. Er schüttelte den Füller und versuchte es erneut. Vergeblich. Er legte den falschen Montblanc zurück auf den Tisch und fuhr seinen altersschwachen Computer hoch. »Melanie …«

»Murray. M-U-R-R-A-Y.« Sie stand auf und kontrollierte den Bildschirm. »Nein, nicht Murray Melanie. Melanie ist der Vorname.«

Karim ignorierte sie und wandte sich den anderen beiden zu. »Ihre Namen, bitte.«

»Emma Stephenson.«

»Julie Stassinopoulos«, erklärte die Große mit dem Cowboyhut. »S-T-A-S-S-I-N-O-P-O-U-L-O-S.«

»Ausweise?«

»Meiner wurde mir gestohlen, wie ich Ihnen bereits erklärt habe«, blaffte Melanie, die auf ihren Platz zurückgekehrt war.

Ihre beiden Begleiterinnen reichten Karim die Ausweisdokumente. Das Papier der Pässe fühlte sich warm und feucht an. Er klemmte einen...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2020
Reihe/Serie Marokko-Krimi-Serie
Übersetzer Jens Plassmann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel A Death in the Medina
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Afrika • Bab Taghzout • Bannalec • Bausstelle • Comissariat • eBooks • Jemaa el Fna • Krimi • krimi 2020 • Kriminalromane • Krimis • marokkanische Küche • Marokkanische Rezepte • marokkanisch kochen • Medina • neuerscheinung 2020 • Nordafrika • Ramadan • Reiseführer Marokko • Riad • rundreise marokko • Sidi Bel Abbes • Sophie Bonnet • Souk • Tourismus • Urlaub • Urlaub Marokko • Urlaubskrimi • Urlaubskrimi 2020
ISBN-10 3-641-26127-9 / 3641261279
ISBN-13 978-3-641-26127-6 / 9783641261276
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