Das schwarze Band (eBook)

Ein Fall für August Emmerich - Kriminalroman - Nominiert für den Crime Cologne Award 2021

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
352 Seiten
Limes Verlag
978-3-641-25740-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das schwarze Band - Alex Beer
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Ein eigenwilliger Ermittler, eine tödliche Intrige und eine ganze Republik am Rande des Abgrunds ...
Wien im Juli 1921: Die Stadt ächzt unter einer Hitzewelle, Wasser wird rationiert, und der Asphalt schmilzt. Kriminalinspektor August Emmerich macht noch ein ganz anderes Problem zu schaffen: Weil er sich wieder einmal danebenbenommen hat, wird er von den Ermittlungen an zwei ermordeten Tänzerinnen abgezogen und in einer Kadettenschule interniert. Dort soll er, gemeinsam mit anderen schwarzen Schafen aus dem Polizeidienst, bessere Umgangsformen lernen. Doch als in der Schule ebenfalls ein Mord passiert, muss Emmerich für seine Nachforschungen erneut alle Regeln brechen. Denn er sieht sich mit einer blutigen Intrige konfrontiert, die ihn bis in die höchsten politischen Kreise führt ...

August Emmerich ermittelt:

Band 1: Der zweite Reiter
Band 2: Die rote Frau
Band 3: Der dunkle Bote
Band 4: Das schwarze Band

Alle Bände behandeln eigenständige Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden.

Alex Beer, geboren in Bregenz, hat Archäologie studiert und lebt in Wien. Ihre spannende Krimi-Reihe um den Ermittler August Emmerich erhielt zahlreiche Shortlist-Nominierungen (u.a. für den Friedrich Glauser Preis, Viktor Crime Award, Crime Cologne Award) und wurde mit dem Leo-Perutz-Preis für Kriminalliteratur 2017 und 2019 sowie dem Krimi-Publikumspreis des Deutschen Buchhandels MIMI 2020 prämiert. Auch der Österreichische Krimipreis wurde der Autorin 2019 verliehen. Neben dem Wiener Kriminalinspektor hat Alex Beer mit Felix Blom eine weitere faszinierende Figur erschaffen, die im Berlin des ausgehenden 19. Jahrhundert ermittelt und für den sie mit dem silbernen Homer 2023 ausgezeichnet wurde.

1


»Sie kommen zu spät.«

Kriminalinspektor August Emmerich, der soeben das Vestibül des Polizeipräsidiums betreten hatte, starrte in das genervte Gesicht seines Assistenten. Offenbar hatte Ferdinand Winter schon seit einiger Zeit auf ihn gewartet. »Am liebsten wäre ich gar nicht gekommen.«

»Und wie sehen Sie bloß aus?«, ignorierte Winter den Kommentar. Konsterniert musterte er Emmerichs Aufzug. Sein Blick wanderte über dessen Hose, ein mehr als fadenscheiniges Exemplar, sowie das alte abgetragene Jackett und blieb am linken Hemdsärmel hängen, an dem ein Manschettenknopf fehlte. Er seufzte, zog ein Tuch aus seiner Tasche und faltete es kunstvoll zu einem kleinen Dreieck. »Haben Sie denn nicht gelesen, was auf der Einladung stand?«

»Anwesenheitspflicht.«

»Das andere.« Winter steckte das Tuch in Emmerichs Brusttasche und brachte es in Form, indem er daran herumzupfte. »Wir sollten in Repräsentationsuniform erscheinen.«

Emmerich reagierte nicht, sondern starrte geistesabwesend auf das kleine Stück Stoff. In Gedanken war er noch immer bei jener Frau, mit der er sich vorhin in einem schäbigen Hinterhof getroffen hatte. Helene Wissmayer. Die Alte hatte vor Kurzem Kontakt mit Emmerich aufgenommen und behauptet, den Namen und den Aufenthaltsort seiner Mutter zu kennen. Oder besser gesagt: jener Frau, die ihn geboren hatte. Wer war sie? Wer war sein Vater? Und warum hatte sie ihn damals wie Unrat vor dem städtischen Waisenhaus abgestellt? Seit vielen Jahren quälten ihn diese Fragen, und noch nie war er den Antworten darauf so nah gewesen wie heute. Es gab da nur ein kleines Problem: Wissmayer wollte Geld für die Informationen, viel Geld, mehr, als er auftreiben konnte.

»Wir sollten in Repräsentationsuniform erscheinen«, wiederholte Winter und schnippte mit den Fingern vor Emmerichs Gesicht herum.

Emmerich sah auf. »Repräsentationsuniform? Die ist verdreckt.« Er blickte an seinem Assistenten vorbei in den prunkvollen Festsaal der Polizeidirektion, wo ungefähr einhundert hochrangige Polizisten, Politiker und einflussreiche Geschäftsleute die Berufung von Polizeipräsident Johann Schober zum neuen Bundeskanzler feierten.

Die geladenen Gäste standen in kleinen Grüppchen zusammen, tranken Sekt und unterhielten sich. »Verdammt«, murmelte Emmerich, als er sah, dass sich tatsächlich alle Anwesenden in Schale geworfen hatten und ausnahmslos im feinsten Zwirn erschienen waren. Blank polierte Manschettenknöpfe glänzten mit dem frisch gewienerten Boden um die Wette. Wohin er auch sah: scharfe Bügelfalten, akkurat gezwirbelte Bärte und stolz zur Schau getragene Verdienstabzeichen.

»Schmutzige Kleidung kann man waschen.« Auch Winter wirkte wie aus dem Ei gepellt. Kein Stäubchen verunzierte seine perfekt sitzende Uniform, keines seiner akkurat geschnittenen, blonden Haare tanzte aus der Reihe. Winter verkörperte die personifizierte Eleganz, und im Gegensatz zu Emmerich waren ihm gute Manieren und perfekte Umgangsformen in die Wiege gelegt worden. Selbst das Adelsaufhebungsgesetz hatte nicht verhindern können, dass seine blaublütige Abstammung am heutigen Abend spürbar wurde.

»Ich habe eine anstrengende Arbeit und drei kleine Kinder, falls dir das entgangen ist.« Emmerich steckte sich eine Selbstgedrehte an und blies Rauch in die Luft. »Ich bin schon froh, wenn ich genügend Zeit finde, um zu schlafen.« Die dunklen Ränder unter seinen Augen und der ungepflegte Dreitagebart unterstrichen seine Worte. Er klemmte sich die Zigarette in den Mundwinkel und ging in Richtung des Festsaals. Ehe er den Raum betreten konnte, stellte sich ihm ein Amtsdiener in den Weg.

»Ihre Einladung, Herr …?«, fragte ihn der Mann in Livree und musterte ihn missbilligend.

»Nicht dabei.« Emmerich machte einen Schritt auf die große Doppelflügeltüre zu, aber der Amtsdiener fasste ihn am Arm und hielt ihn zurück.

»Ohne Einladung kein Zutritt. Anordnung von ganz oben.«

»Und ich habe Anordnung von ganz oben, dass ich heute hier antanzen muss.« Emmerich schnaubte. »Glauben Sie, dass ich freiwillig hier bin? Glauben Sie, ich hätte nichts Besseres zu tun …« Er holte Luft, um dem livrierten Affen endgültig die Meinung zu geigen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.

Winter hatte sich neben ihn gestellt. »Das ist mein Vorgesetzter, Kriminalinspektor August Emmerich«, sagte er zu dem Amtsdiener, präsentierte das Einladungsschreiben und schob Emmerich in den Festsaal.

»Herrje«, murmelte Emmerich, der sich nun noch deplatzierter vorkam, als er es befürchtet hatte.

Das Gebäude am Schottenring, in dem sie sich befanden, diente einst als prachtvolles Hotel und war für die Besucher der Weltausstellung 1873 errichtet worden. Zwar hatte man es mittlerweile in den Sitz der Polizeidirektion umgewandelt, aber die Seidentapeten und kristallenen Lüster waren geblieben. Der heutige Abend hauchte dem ehrwürdigen Gemäuer wieder eine Prise imperialer Vergangenheit ein. Der festliche Glanz vergangener Tage erstrahlte für ein paar Stunden und füllte den Raum aus, der normalerweise von so profanen Dingen wie Kriminalität und Bürokratie eingenommen wurde.

»Was die Kinder und den Haushalt anbelangt«, setzte Winter an. »Sie sollten vielleicht mal darüber nachdenken, ob Sie sich eine Ehefrau suchen …«

Emmerich brachte seinen Assistenten mit einem Blick zum Schweigen. »Es ist gerade mal sieben Monate her«, zischte er.

In Wahrheit fühlte es sich an, als wäre seine geliebte Luise erst gestern in seinen Armen gestorben, ermordet von Xaver Koch, ihrem brutalen Ehemann, dem in wenigen Wochen endlich der Prozess gemacht werden würde. Noch immer hatte er ihr Gesicht vor Augen und Kochs dreckiges Lachen im Ohr.

»Ich brauche keine Frau, und was ich schon gar nicht brauche, sind Veranstaltungen wie diese.« Emmerich lockerte seine Krawatte. »Johann Schober wird Bundeskanzler, na und? Wozu das ganze Getue hier?«

»Ist doch schön, dass Schober diese Feier gibt und sich nicht sang- und klanglos in die Politik verabschiedet.«

»Verabschiedet? Von wegen! Schober gibt die Stelle als Polizeipräsident doch gar nicht auf. Rudolf Waldorf hält ihm nur den Stuhl warm.« Emmerich stellte sich einem vorbeieilenden Kellner in den Weg und nahm ein Glas Sekt von dessen Tablett. Abschätzig betrachtete er die kleinen Bläschen, die in der klaren Flüssigkeit perlten. »Das ist wieder einmal typisch. Für so was ist Geld da, aber nicht für anständige Gehälter. Draußen wissen die Mütter nicht, wie sie ihre Kinder satt kriegen sollen, und hier wird geprasst. Schober hat keine Ahnung von den Bedürfnissen der einfachen Leute. Er mag ein guter Polizeipräsident sein, aber als Bundeskanzler wird er nichts taugen.«

»Nicht so laut.« Winter sah sich hektisch um. »Schober hat viele wichtige Freunde, und die sind alle hier.«

»Genau das ist das Problem.« Emmerich dachte nicht daran, sich zu zügeln. »Dieses Land wird von einem Haufen privilegierter Geldsäcke regiert.« Missbilligend deutete er auf die umstehenden Männer. »Schau sie dir nur mal an: ehemaliger Adel und neureiche Emporkömmlinge. Keinem von denen sind je im Schützengraben die Kugeln um die Ohren geflogen. Keiner von denen weiß, wie es ist, wenn der Bauch vor lauter Hunger schmerzt, oder wie es sich anfühlt, wenn einem im Winter die Haare in der Nacht am Kissen festfrieren, weil man die Wohnung nicht heizen …«

Ferdinand Winter riss plötzlich die Augen auf und packte Emmerich am Arm. »Wussten Sie eigentlich, dass man von hier aus einen sehr schönen Ausblick auf die Ringstraße hat?«, fragte er eilig und versuchte, seinen Vorgesetzten in Richtung Fenster zu ziehen.

Er war nicht schnell genug.

»Na sieh mal einer an: Emmerich und Winter. Wie erfreulich, dass Sie uns auch endlich beehren.« Kriminalinspektor Peter Brühl hatte die beiden entdeckt. Er musterte Emmerich und rümpfte die Nase. »Da hat sich aber jemand dem Anlass entsprechend herausgeputzt.« Seine Stimme triefte vor Zynismus. »La belle et la bête.« Er grinste, wohlwissend, dass Emmerich des Französischen nicht mächtig war.

»Die Schöne und das Bi …«, setzte Winter zu einer Erklärung an, doch Emmerich winkte ab.

»Schon klar, dass es sich um einen Affront handelt.«

Zwischen den beiden Männern bestand eine ausgeprägte Rivalität, und keiner ließ sich die Chance entgehen, dem anderen das Leben schwerzumachen. »Der Herr Bundeskanzler weiß Ihren Aufwand sicher zu würdigen.« Demonstrativ fuhr Brühl sich über das Haar, das mit Brillantine in Form gebracht und zu einem akkuraten Scheitel gekämmt war.

»Da drüben gibt es was zu essen. Sehe ich da nicht sogar Schinken?«, versuchte es Winter erneut und fasste Emmerich am Oberarm, um ihn sachte wegzuziehen, bevor die beiden Widersacher so richtig aneinandergeraten konnten. »Kommen Sie.« Doch Emmerich wich keinen Millimeter vor seinem Kontrahenten zurück.

»Was war das mit den festgefrorenen Haaren?« Brühl hatte wohl gelauscht.

»Ich sagte, dass Schober und Konsorten keine Ahnung davon haben, wie es den einfachen Leuten geht. Das ganze Monarchistenpack, die Industriellensöhnchen und Kriegsgewinnler wissen doch gar nicht, was das Volk braucht. Die machen Politik für sich und ihresgleichen. Die Reichen werden immer reicher, und die Armen können in der Gosse krepieren.«

Brühl sah an Emmerich vorbei, und für den Bruchteil einer Sekunde umspielte ein Lächeln seine Lippen. Er trat so nah an Emmerich heran, dass dieser sein Rasierwasser riechen konnte, und senkte die Stimme. »Sie glauben...

Erscheint lt. Verlag 25.5.2020
Reihe/Serie Die Kriminalinspektor-Emmerich-Reihe
Die Kriminalinspektor-Emmerich-Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Babylon Berlin • Crime Cologne Award Nominierung • Der dunkle Bote • Der zweite Reiter • Die rote Frau • eBooks • Erster Weltkrieg • Friedrich Glauser Nominierung • Heimatkrimi • Historische Kriminalromane • Historischer Kriminalroman • Historische Romane • Isaac Rubinstein • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Leo-Perutz-Preis • Mimi Buchhändlerpreis • Mord • Nachkriegszeit • Österreich • Österreichischer Krimipreis • Taschenbuch Neuerscheinung 2021 • Volker Kutscher • Wien • Wien-Krimi
ISBN-10 3-641-25740-9 / 3641257409
ISBN-13 978-3-641-25740-8 / 9783641257408
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