Teufelszeug (eBook)

Thriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
btb Verlag
978-3-641-21843-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Teufelszeug - Katja Ivar
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Tote, die aus dem Nichts auftauchen, eine eigenwillige Kommissarin und eine Landschaft, die einem den Atem raubt...
Lappland, 1952: Es ist der Höhepunkt des Kalten Krieges und Finnland mit seiner Grenze zur Sowjetunion ein schneebedecktes Pulverfass. Die eigenwillige Hella Mauzer - erste weibliche Ermittlerin der Mordkommission Helsinki und in die klaustrophobische Einöde Lapplands zwangsversetzt - leitet den Fall eines Vermissten, der sie mitten in eine internationale Verschwörung zu führen scheint. Oder irrt sie sich? Schafft Hella es, die eigenen Dämonen zu besiegen und das Verbrechen aufzuklären?

Katja Ivar wurde in Moskau geboren und verbrachte ihre Teenagerjahre in Dallas, Texas. Sie studierte Linguistik und Zeitgeschichte an der Sorbonne-Universität. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Paris. »Teufelszeug« ist ihr erster Roman und der Beginn einer Serie um die Kommissarin Helle Mauser.

1.


Sie musste die Augen zusammenkneifen, um das Dorf zu erkennen. Nur ein winziger grauer Fleck auf der Karte, tief verborgen in den zerklüfteten Felsspalten der uralten, gefrorenen Landschaft. Umgeben von Sümpfen und flachen, schief gewachsenen Sträuchern, wie sie typisch für den Permafrostboden waren. Die Einwohner, hauptsächlich Skoltsamen, lebten von Ackerbau, Jagd und Fischfang. Nicht unbedingt das Ziel für eine Urlaubsreise.

Sie musste verrückt geworden sein, auf die Fahrt dorthin zu bestehen, um dort … was zu tun? Ein Verbrechen aufzuklären, das ihr Chef nicht einmal für eines hielt?

»Für mich hört sich das nach einem Unfall an.« Hauptkommissar Järvi spitzte die vollen Lippen.

Er stand neben ihr vor der Landkarte an der Wand seines frisch renovierten, zwanghaft ordentlichen Büros, in dem es unerklärlicherweise nach Fischöl stank.

»Es könnte ein Verbrechen gewesen sein«, sagte Helle. Sie achtete darauf, nicht zu selbstsicher und energisch zu klingen. Järvi konnte ihre »bestimmende Art«, wie er es nannte, nicht leiden, und sie war nun mal auf ihn angewiesen, ob ihr das nun passte oder nicht.

»Da wird ein älterer Mann vermisst, der fast wie ein Einsiedler gelebt hat. Das ist kein Verbrechen. Wahrscheinlich hat er sich im Wald verlaufen oder ist in den Sümpfen ertrunken. Oder er ist über die Grenze zu den Russen, wie sie es alle machen, und hat sich drüben bis zur Besinnungslosigkeit mit Kremlevskaya volllaufen lassen. Mehr steckt nicht dahinter.«

»Der Mann ist in diesen Wäldern aufgewachsen. Er kann sich unmöglich verlaufen haben. Und dass er zum Saufen rüber zu den Russen ist, glaube ich auch nicht. Er hat einen kleinen Jungen allein zu Hause gelassen. Seinen Enkel.«

»Ach, das ist der Grund!« Vorwurfsvoll hob Järvi den Finger. »Er hat ein Kind zurückgelassen. Deshalb denken Sie sofort, er muss einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein. Ich kann Ihre Reaktion durchaus verstehen, wirklich. Aber deshalb muss noch keine Straftat vorliegen. Unfälle passieren ständig. Und wahrscheinlich war der alte Mann kein so treusorgender Großvater, wie Sie es sich vorstellen.«

Lennart Järvi trat hinter seinen Schreibtisch und ließ sich auf den nagelneuen Drehstuhl fallen, der unter seinem Gewicht ächzte. Für ihn war dieses Gespräch beendet. Aber nicht für Helle. Sie vergaß all ihre klugen Vorsätze und sprach laut und deutlich weiter:

»Da schreibt also diese Pfarrersfrau, Irja Waltari, einen Brief an die Polizei, sie mache sich Sorgen, weil ein alter Mann seit sechs Tagen vermisst wird und einen kleinen Jungen allein zurückgelassen hat, und Sie sagen, wir sollen nichts unternehmen? Wir legen den Brief einfach zu den Akten und vergessen das Ganze?«

Järvi sah sie irritiert an. »Bei der Polizeiarbeit geht es nicht um Emotionen«, antwortete er nach einer Weile. »Es geht nicht darum, ob sich jemand Sorgen macht, sondern darum, das zu tun, was gut, richtig und effizient ist. Wir haben darüber zu entscheiden, was das Beste für die Allgemeinheit ist – wann unser Einsatz gerechtfertigt ist und wann nicht.«

»Dann sollte ich ihn wohl lieber wegwerfen«, sagte Helle. »Den Brief, meine ich. Um das Beweismittel zu vernichten. Wenn es nämlich wirklich ein Verbrechen war und wir es nicht aufgeklärt haben, obwohl wir davon Kenntnis hatten, zerstört das unsere Rekordaufklärungsquote von einhundert Prozent.«

Järvi rutschte auf seinem Stuhl unbehaglich hin und her. Sie wusste, dass sie gewonnen hatte. An der Polizeiarbeit selbst hatte der Hauptkommissar wenig Interesse, aber er besaß einen ausgeprägten Sinn für Ordnung und Effizienz. Unter seiner Leitung konnte sich die Polizei von Ivalo mit der höchsten Aufklärungsquote des Landes brüsten. Dabei spielte es keine Rolle, ob es sich bei den gelösten Fällen nur um kleine Diebstähle oder hin und wieder einen vergifteten Hund handelte. Ihm ging es nur um die Zahlen.

Und jetzt zögerte Järvi, verbog eine Büroklammer zwischen den dicken Fingern, und seine hellblauen Augen fixierten einen Punkt knapp über Helles linker Schulter.

»Wir können Frau Waltari zurückschreiben, wir hätten ihre Sorge zur Kenntnis genommen, aber um diese Jahreszeit sei die Gefahr zu groß, dass unsere Polizisten im Schnee stecken blieben. Wir würden unsere Ermittlung – sofern es dazu kommt – im kommenden Mai wieder aufnehmen, wenn der Schnee schmilzt und wir wenigstens etwas … Handfestes haben …«

Er brach ab, doch sie wusste genau, worauf er hinauswollte.

»Und wenn es eine Leiche gibt, werden wir sie im Frühling schon finden?«, fuhr sie ihn an. »Ernsthaft? Außer natürlich, sie wurde von Wölfen oder Bären gefressen, dann können wir schön weiter so tun, als hätte es nie ein Verbrechen gegeben.« Und weil sie sich nicht zurückhalten konnte, setzte sie boshaft hinzu: »Sind das Ihre goldenen Maßstäbe für die Polizeiarbeit? Einen Fall einfach zu ignorieren, wenn er unbequem ist?«

Sie war zu weit gegangen. Das konnte sich selbst ein friedfertiger Mann wie Lennart Järvi nicht länger bieten lassen. Fast rechnete sie damit, dass er sie hinauswerfen oder ihr einen Vortrag über die Tugend des Gehorsams halten würde. Doch was er stattdessen sagte, war noch schlimmer und traf sie zutiefst.

»Warum drängen Sie so darauf, meine Liebe? Sie sind eine Frau. Sie können nicht allein dorthin fahren. Und sowohl Kommissar Ranta als auch ich sind im Moment sehr beschäftigt. Hören Sie auf meinen Rat, vergessen Sie die Sache. Das sage ich nicht als Ihr Vorgesetzter, sondern als ein älterer, weiserer Freund. Nächste Woche ist doch dieser Ball, von dem alle reden. Ziehen Sie sich ein Kleid an, falls Sie eins besitzen, und gehen Sie hin. Oder leihen Sie sich ein hübsches Tuch und ein bisschen Schminke von meiner Frau. Esmeraldas Kleider dürften Ihnen oben herum etwas zu groß sein, aber wir werden bestimmt etwas für Sie finden …« Er machte eine Pause und vermaß mit nachdenklichem Blick ihre Figur. »Kukoyakka aus dem Sägewerk scheint etwas für Sie übrigzuhaben. Vielleicht steht er ja auf …« Järvi suchte nach einem Wort, mit dem er sie am treffendsten beschreiben konnte, und sein Gesicht hellte sich auf, als er es gefunden hatte: »… auf hagere Frauen.«

Helle verzog das Gesicht. Hager. Zur Abwechslung hatte er voll ins Schwarze getroffen.

Und jetzt hob er seinen dicken Zeigefinger wie ein viktorianischer Vater, der seine unvernünftige Tochter zurechtwies. »Sie sollten sich diese Chance nicht entgehen lassen, womöglich bekommen Sie nie wieder eine.«

In blinder Wut starrte sie Järvi an, was dieser entweder nicht bemerkte oder sich nicht anmerken ließ.

»Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«

Er sah sie verwirrt an.

»Seit dem Krieg sind Männer rar geworden, das wissen Sie so gut wie ich. Wenn eine Frau in Ihrem Alter mit Ihrer Vergangenheit – und, na ja, Ihrer Gegenwart – noch jemanden fände, das wäre ein Wunder. Ich meine, Polissyster ist ein sehr ehrbarer Beruf, und Sie können mit Recht stolz auf sich sein, aber das ist doch sicher nicht alles, was Sie vom Leben wollen.«

Helle atmete langsam ein und zählte bis zehn, um ihren Zorn unter Kontrolle zu bringen. Dieses Gespräch nahm eine unerwartete Wendung. Manipulierte Järvi sie absichtlich, indem er ihr Augenmerk auf ihre eigenen Unzulänglichkeiten lenkte, damit sie darüber den Fall vergaß? Oder war er nur ein überheblicher Trottel in den mittleren Jahren, der es für seine Pflicht als ihr Vorgesetzter hielt, sie auf ihre trostlosen Zukunftsaussichten hinzuweisen?

Es gab einiges, das sie hätte erwidern können. Zum einen, dass sie keine Polissyster war. Nun gut, ursprünglich schon, denn während ihrer Ausbildung hatte es für Frauen, die zur Polizei wollten, noch keine Alternativen gegeben. Doch nach ihrem Abschluss hatten sich neue Möglichkeiten eröffnet, und sie hatte einen Schnellkurs an der Polizeiakademie belegt, der sie mit ihren männlichen Kollegen auf eine Stufe stellte. In Helsinki war sie Kommissarin gewesen, um Himmels willen, aber ihr war auch bewusst, dass sie das nicht als Argument vorbringen sollte.

Oder sie könnte ihrerseits persönlich werden. Ihr sei aufgefallen, könnte sie sagen, dass sein rechter Manschettenknopf fehle und er einen alten Fettfleck auf der Krawatte habe, was nur zweierlei bedeuten könne: Entweder hatte seine Frau, die exotische Esmeralda, dem langweiligen Leben in Finnland den Rücken gekehrt und war wieder in Südeuropa unterwegs, oder aber sie vernachlässigte ihn sehr. Helle hätte ihm auch sagen können, dass sie lieber sterben würde, als Kukoyakka zu heiraten, der über fünfzig war, einen Holztransporter fuhr – einen Holztransporter! –, nur ein Auge hatte und faulig aus dem Mund stank. Doch sie entschied sich dafür, gar nichts zu sagen. Stattdessen drehte sie sich wieder zur Karte und fuhr mit dem Finger die gezackte Linie nach, die von Ivalo zur Ortschaft Käärmela führte. Im Oktober fuhren die Lastwagen des Sägewerks jeden Tag hinauf in den Norden, und die Fahrer machten Überstunden, um so viele Kiefernstämme wie möglich aus dem Wald zu schaffen, bevor die Straßen unpassierbar wurden. Vom Holzfällerlager aus war Käärmela in ein paar Stunden zu Fuß erreichbar. Es war zu schaffen. Vielleicht konnte sie sogar einen der Fahrer zu einem kleinen Umweg über Käärmela überreden. Wieder sah sie Kommissar Järvi an. Er saß zusammengesunken an seinem Tisch, verfolgte mit skeptischem Blick ihre Bewegungen und hatte die Lippen gespitzt, sodass sie wie eine Rosenknospe aussahen. Wie von allein blätterten seine Wurstfinger in einer hellblauen...

Erscheint lt. Verlag 1.7.2020
Übersetzer Cornelia Röser
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Evil Things
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte eBooks • Kalter Krieg • Kommissarin • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Lappland • Thriller
ISBN-10 3-641-21843-8 / 3641218438
ISBN-13 978-3-641-21843-0 / 9783641218430
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