Nordseedämmerung (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
320 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-26071-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nordseedämmerung -  Christian Kuhn
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Die Zukunft des Landes entscheidet sich auf einer kleinen Insel im Wattenmeer
Sommerpause. Der Bundespräsident macht Urlaub auf Juist. Doch es mehren sich die Hinweise, dass ein Mörder auf ihn angesetzt wurde. Kriminalhauptkommissar Tobias Velten wird von Berlin auf die ostfriesische Insel entsandt, um das Sicherheitsteam vor Ort zu unterstützen. Und er hat noch einen zweiten, geheimen Auftrag: Offenbar gibt es einen Spitzel in den eigenen Reihen. Velten muss ihn so schnell wie möglich überführen - sonst wird sein erster Einsatz an der Nordsee tödlich enden.

Christian Kuhn fuhr schon als Kind mit seiner Familie den Rhein hinab, um die Nordsee und ihre Inseln segelnd zu erkunden. Er liebt den rauen Charme der See, volljährigen Whisky und Geschichten, die in Erinnerung bleiben.

1

Berlin. Montag, 19. Juni

06:15 Uhr

Es war ein Fehler gewesen, direkt nach dem Aufstehen die neuen E-Mails zu lesen. Jetzt machte er sich Gedanken über Dinge, die er noch gar nicht einschätzen konnte. Der kommende Einsatz sei ein wenig speziell, eine Ausnahmesituation, aber wie für ihn gemacht, hatte Dr. Meyer geschrieben. Etwas mehr Informationen hätten es schon sein dürfen.

Graue, ewig gleiche Häuserfassaden zogen an Tobias Velten vorbei. Er beachtete sie nicht. Seine Beine bewegten sich mit trainierter Regelmäßigkeit, er horchte in seinen Körper hinein. Normalerweise tat ihm das Laufen gut, die frühmorgendliche Runde war ein festes Ritual, jeden zweiten Tag, mindestens eine Stunde. Es half ihm, den Kopf freizubekommen und die Lebensgeister zu wecken. Aber heute wehrte sich der Körper noch, weigerte sich, die Müdigkeit abzulegen. Die Beine waren wie taub, jeder Schritt war anstrengend, als würde er durch nassen Sand laufen.

Er erreichte den Streckenabschnitt im Volkspark, den er besonders gerne mochte. Um diese Uhrzeit hatte er die Weite der taubedeckten Wiesen ganz für sich. Die Einsamkeit beruhigte. Als er den Möwensee umrundete, flog im Zwielicht der ersten Dämmerung ein Schwan flach über das Gewässer hinweg und ließ bei seiner Landung das Wasser aufspritzen. Dann kehrte wieder Stille ein. Sie tat ihm gut. Zwei weitere Läufer kamen ihm entgegen. Er grüßte mit einem kurzen Wink, wie es unter Läufern üblich war.

Der Rückweg führte ihn wieder durch die Straßen von Moabit. Je näher er der Stadtmitte kam, desto mehr Nachtschwärmer und Partygänger schwappten noch durch die Straßen, scheinbar ziellos und chaotisch und doch einem unbekannten Muster folgend. Aus einer Tür im Subparterre drangen verzerrte Gitarrenklänge. Erste Frühaufsteher in Anzügen eilten zielstrebig über den Bürgersteig. Der Horizont leuchtete hellrot, übertünchte das blasse Licht der Straßenlaternen, gab dem Leben die Farbe zurück, verdrängte das diffuse Gefühl, zwar über Gott und die Welt nachgedacht zu haben, aber nicht über das, worüber er besser hätte nachdenken sollen. Egal. Angekommen. Duschen, umziehen, losfahren. Die positive Anspannung, auf die er die ganze Zeit gewartet hatte, sie war wieder da.

Endlich wieder arbeiten. Als er gegen acht Uhr auf dem Kasernengelände am Treptower Park eintraf, herrschte dort bereits rege Betriebsamkeit. Das Gelände war eine riesige Baustelle. Mehrere Neubauten mit Glasfassaden wurden neben den altehrwürdigen roten Backsteingebäuden der Kaiserzeit hochgezogen und würden bestimmt einen spannenden architektonischen Kontrast zu ihnen bilden, eines Tages, wenn sie dann endlich fertiggestellt waren.

Sämtliche Funktionen des polizeilichen Staatsschutzes des Bundeskriminalamts würden dann hier gebündelt sein. Und nur wenige Meter weiter lag das gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum von BKA und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Ehemals nur zur Bekämpfung des islamistischen Terrors gegründet, bestand seine Aufgabe inzwischen darin, den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit mit den anderen Polizeibehörden sowie den Nachrichtendiensten zu jedweder politisch motivierten Kriminalität zu gewährleisten.

Es wurde immer schwieriger, der stetig unübersichtlicher werdenden Gefährdungslage Herr zu werden. Vor allem am linken Rand brodelte es, mehrere neue linksextremistische Gruppierungen hatten zum Widerstand gegen das System aufgerufen, nachdem die ungerechte Verteilung von Wohlstand, die durch die ewigen Finanzkrisen noch gefördert wurde, wieder einmal von den Medien thematisiert worden war. Im Internet kursierten Mordaufrufe gegen hohe Vertreter aus Wirtschaft und Politik. Aber auch am rechten Rand gab es Probleme, oftmals angeheizt von absurden Verschwörungstheorien. Insbesondere die sogenannte Reichsbürgerszene, die die Bundesrepublik an sich ablehnte und die Fortexistenz des Deutschen Reiches proklamierte, hatte steten Zulauf. Und nicht zuletzt gab es eine steigende Anzahl islamistischer Gefährder, die nach wie vor aus den Bürgerkriegsländern des Nahen Ostens kommend in Europa einsickerten.

Zehntausende Personen standen unter Beobachtung, ihre Kommunikation musste möglichst lückenlos ausgewertet werden, damit man reagieren konnte, bevor es zu spät war. Immer wieder gab es Vorfälle, teils tödliche Anschläge; verübt von bereits zur Fahndung ausgeschriebenen Terroristen, aber auch von Gruppen, die vorher absolut unauffällig gewesen waren, oder von Einzelgängern, die sich vorher nie etwas zuschulden hatten kommen lassen. Das halbe Land schien sich radikalisiert zu haben.

Velten steuerte den einzigen fertiggestellten Neubau an, in dem auch das Büro seiner Chefin untergebracht war. Zusammen mit drei Anzugträgern nahm er den Aufzug in die fünfte Etage.

»Da sind Sie ja«, begrüßte ihn im Vorzimmer eine blasse Frau in einem grauen Kostüm, ohne dabei vom Bildschirm aufzuschauen. Eine neue Referentin, offensichtlich zu Höherem berufen. »Warten Sie bitte einen Moment, ich mache nur noch das hier fertig. Sie können da vorne Platz nehmen, wenn Sie es wünschen.« Sie zeigte auf eine flache schwarze Polstergarnitur, die genau so auch im Wartezimmer einer Arztpraxis hätte stehen können.

Doch Dr. Meyer winkte bereits aus ihrem Büro. »Herr Velten. Kommen Sie herein, und schließen Sie bitte die Tür.«

Dr. Meyer koordinierte unter anderem die Einsätze des Staatsschutzes mit denen der anderen Abteilungen des Bundeskriminalamtes. Bei ihr liefen zahlreiche Fäden zusammen, und an jedem dieser Fäden hingen vertrauliche Informationen. Nicht wenige hielten sie für die mächtigste Beamtin des gesamten Sicherheitsapparates. Man munkelte, dass nicht einmal die Mitarbeiter ihres eigenen Stabes so ganz genau wussten, wann sie sich wo mit wem und zu welchem Zweck traf. Besprechungen, bei denen die Tür offen blieb, gab es bei ihr grundsätzlich nicht.

Bodentiefe Fenster und leere, strahlend weiße Wände ließen ihr neues Büro seltsam steril wirken. Sie deutete mit der Hand auf die beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch.

»Haben Sie Ihren Urlaub gut genutzt?«

»So gut wie möglich«, antwortete Velten ausweichend.

Sie beließ es dabei, nahm die Brille ab, putzte sie umständlich, setzte sie wieder auf. Ihre Haare waren grau geworden, beinahe weiß. Vor zehn Jahren, als Velten seine Stelle angetreten hatte, waren sie noch blond gewesen.

»Wir haben in den nächsten Wochen eine besondere Situation. Mehrere Gefahrenfelder mit ungünstigen Überschneidungen. Ich war in der Sache auch schon eine Etage weiter unten.«

Im 4. Stock wurden die Einsätze und Teams der Abteilung Sicherungsgruppe geplant, die für den Personenschutz bestimmter Mandatsträger zuständig war – den Bundespräsidenten, die Mitglieder des Bundestags und des Bundesrats, des Bundesverfassungsgerichts und der Bundesregierung.

»Aber fangen wir vorne an. Es geht um Bramberger.«

»Der Bramberger?« Der Bundespräsident? Velten war überrascht.

»Ja. Bramberger macht Urlaub. Einer der Gründe, weshalb wir offiziell mit im Spiel sind. Gefahrenabwehr.«

Urlaube der Schutzpersonen waren besondere Situationen. In Berlin waren die Sicherheitsvorkehrungen eingespielt und erprobt, an Urlaubsorten dagegen mussten entsprechende Konzepte neu aufgebaut werden. Es war nicht unüblich, dass die Sicherungsgruppe bei diesen Gelegenheiten Unterstützung aus anderen Abteilungen bekam.

Soweit Velten wusste, wurde das Team der Personenschützer von Bramberger doch noch immer von Svenja Jenner geleitet. Er hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.

»Ihn zieht es in den Norden, auf eine Insel. Juist. Heute in einer Woche wird er dort eintreffen.«

»Ah, Juist. Das ist Nordsee, oder?«

»Ja, eine der Inseln im Wattenmeer, ziemlich weit oben links auf der Karte, fast in den Niederlanden. Sehr ruhig, soll landschaftlich nett sein.« Sie machte eine Kunstpause. »Sie werden es bestimmt mögen.«

Ostfriesland. Spötter behaupteten, Bramberger bleibe im Urlaub am liebsten in Deutschland, weil seine Englischkenntnisse zu schlecht seien, um sich im Ausland zu verständigen.

Ein Reiseziel in Deutschland hatte den grundsätzlichen Vorteil, dass die Sicherheitsmaßnahmen deutlich einfacher zu organisieren waren als bei Urlauben im Ausland. Kein Abstimmungsaufwand mit ausländischen Behörden, weniger Verwaltung und Diplomatie.

Allerdings besaßen Urlaubsziele im Ausland den Vorteil, dass sie sich besser vor den Medien verbergen ließen. Auch wenn die offiziellen Stellen grundsätzlich keine Informationen über Urlaubsziele herausgaben, wurden die Politiker im eigenen Land vor Ort meistens schnell erkannt. Im Zeitalter der Leserreporter waren oft schon nach wenigen Tagen Paparazzifotos in den üblichen Zeitschriften zu finden, was die Sicherheitsmaßnahmen immer aufwendiger machte.

»Bramberger hat vor Jahren schon mal seinen Sommerurlaub dort verbracht, jetzt möchte er wieder dorthin, wahrscheinlich will er in Erinnerungen schwelgen. Er besteht darauf, in dasselbe Hotel wie damals einzuziehen, warum auch immer, es geht uns nichts an. Es ist nicht ideal für uns, aber ich denke, es sollte machbar sein. Sie wissen, dass eine Diskussion mit ihm zu nichts führt.«

Bramberger war innerhalb der Organisation als launische Persönlichkeit bekannt.

»Wir arbeiten mit zwei Teams. Svenja Jenner führt wie bisher das Kernteam, also die unmittelbaren Personenschützer, ihr obliegt die Verantwortung für Bramberger und die direkte Sicherung des Hotels. Sie wird am Samstag...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2020
Reihe/Serie Tobias-Velten-Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Buch für den Urlaub • eBooks • Ferien am Meer • friesland krimi • Heimatkrimi • Inselkrimi • Juist • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Küstenkrimi • Norderney • Nordsee • Ostfriesland • Thriller
ISBN-10 3-641-26071-X / 364126071X
ISBN-13 978-3-641-26071-2 / 9783641260712
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