Auf dem Meer zu Hause (eBook)

Was mir mein Segeltörn entlang Europas Küsten über das Leben erzählte
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
464 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-24397-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf dem Meer zu Hause -  Thomas Käsbohrer
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Weite See, belebte Küsten: Thomas Käsbohrers unvergleichliche Erlebnisse auf Europas Meeren
Umgeben von Wellen, Wind und der Weite des Meeres: Hier fühlt sich Thomas Käsbohrer zuhause, hier ist er angekommen. Jedes Jahr ist er für mehrere Monate auf seinem Boot »Levje« auf dem Meer unterwegs. Dabei trotzt er der Unberechenbarkeit des Wetters, genießt die Ruhe und die Einsamkeit und lässt sich faszinieren von den Geschichten der Länder, die er ansteuert. Thomas Käsbohrer nimmt uns mit auf seine Reise entlang der europäischen Küsten und weckt die Sehnsucht nach dem großen Abenteuer Meer. Er erzählt von seinen außergewöhnlichen Erlebnissen auf See, inspirierenden Begegnungen mit den Menschen an Land und der Ankunft bei sich selbst.

Thomas Käsbohrer war viele Jahre als Verleger tätig, ehe er nach dem Ende seiner beruflichen Karriere beschloss, auszusteigen und seinen Traum zu verwirklichen. Seither segelt er auf seinem Schiff »Levje« kreuz und quer über die Meere. Er schreibt für verschiedene Zeitschriften, unter anderem für die »YACHT«, und sein Blog »Mare Piu« gehört zu den meistgelesenen in der Segelszene. Wenn er nicht auf seinem Boot unterwegs ist, lebt er mit seiner Frau in Iffeldorf südlich des Starnberger Sees.

Der Ruf der Inseln.


Sizilien.

Mallorca.

Menorca.

Ibiza.

Montag, 21. Mai


Eine Nacht auf dem Meer. Erster Teil

Es ist ein ganz normaler Montag, weit nach Mitternacht, irgendwo auf dem Meer auf halbem Weg zwischen den Inseln Sardinien und Menorca. Die Navigation auf dem Tablet im Cockpit vor mir sagt, nach Mallorca sind es noch 107 Seemeilen. 200 Kilometer. Oder ein voller Tag und neun Stunden.

Es ist windstill. Vor mehr als drei Tagen bin ich aufgebrochen in Sciacca im Südwesten Siziliens. Ich bin etwa zehn Stunden vom nächsten Land entfernt, von Menorca, die Insel müsste irgendwo in der Finsternis nordwestlich vor mir liegen. Über mir ist nur Himmel. Um mich nur Schwärze und das monotone Brummen von Levjes Motor. Unter mir nichts weiter als Wasser. Wie tief es ist, kann ich nicht sagen. Der Tiefenmesser, der bis hundert Meter zuverlässig misst, zeigt unverändert 183 Meter an. Dabei ist der Meeresboden unter mir eine abwechslungsreiche Landschaft aus Hügeln und Klüften, sanft abfallenden Hängen und steilen Felsen. Doch bei 183 Meter erahnte der Tiefenmesser vor drei Tagen zum letzten Mal Grund. Seitdem schickt der sinnreiche kleine Apparat immer noch mehrmals sekündlich einen akustischen Strahl in die Tiefe, der eigentlich vom Meeresgrund zum Sensor zurückgeworfen werden sollte. Doch er versickert seit drei Tagen grundlos unter mir. Das Meer ist hier über 2000 Meter tief. Nichts mehr, was mein Tiefenmesser erfassen könnte. Aber auch nichts, was mich erschauern lassen könnte.

Hinter einer Wolkenbank im Westen erleuchtet der Mond seit einer Viertelstunde wie eine Fackel den Himmel darüber. Das ist erstaunlich. Denn jetzt, Mitte Mai, ist der Mond, wo ich ihn hinter seinem Versteck weit im Westen erahnen kann, nichts mehr als eine hauchdünne liegende Schale am Firmament. Neumond.

Ich blicke kurz nach vorn. In der Dunkelheit voraus, etwas rechts hinter der Kimm ein schwindender roter Schein. Offensichtlich so ein kleines Schiff wie meines. Freude erfasst mich, noch jemanden zu treffen hier draußen, der es nicht aushält daheim, den es hinauszieht wie mich. Das Schiff muss klein sein. So klein, dass selbst mein Radar, das zur Sicherheit nachts immer mitläuft und von meinem Mast aus wie ein Matrose Ausguck hält in der Dunkelheit nach Dingen, mit denen ich in der tiefen Schwärze kollidieren könnte, es bislang nicht erfasst hat. Einen Moment lang sehe ich den roten Schemen. Was tut der Skipper um diese Tageszeit hier? Wohin fährt er? Was bewegt ihn? Hat er um diese Nachtzeit ähnliche Gedanken wie ich? Dann wird das Licht dünner und dünner, bis die Schwärze es verschluckt und mich wieder allein zurücklässt.

Müdigkeit überfällt mich, plötzlich wie aus einem Eimer über mich gekippt. Meine Lider brennen. Meinen Arm zu heben oder die Pupillen so scharf zu stellen, dass sie in der Finsternis auch nur das Wasser um uns sehen können, kostet Kraft und Überwindung. Ich muss wach bleiben. Auch wenn Levje sich selbst auf dem eingegebenen Kurs hält, kann ich es mir hier so wenig wie am Steuer eines Autos leisten, dem Wunsch nach Schlaf nachzugeben, einfach einzunicken. Der Wunsch, mit dem Brummen des Motors nach unten zu gehen, das zugige Cockpit gegen die Wärme meines Bettes einzutauschen und meinen Platz vor den grün leuchtenden Instrumenten zu verlassen, ist übermächtig.

Ich denke an mein früheres Leben zurück. Vor ein paar Jahren noch wäre ich wenige Stunden später an einem Montag wie diesem ins Büro gegangen. Ganz normal. Hätte mit Mitarbeitern im Verlag über neue Buchprojekte, Lieferschwierigkeiten, Umsätze gesprochen. Ich war Geschäftsführer eines Computerbuch-Verlags, zweiundzwanzig Jahre. Ich liebte, was ich tat, mit verrückten Techies und Programmierern zu arbeiten, die Dinge am Horizont sahen, von denen ich noch nicht die leiseste Ahnung hatte. Es war wie ein Rausch und ging bis zum Tag meines Rauswurfs. Er kam nicht überraschend. Kein Gewitter taucht aus heiterem Himmel auf, man sieht es kommen. Ich hatte es zweiundzwanzig Jahre kommen sehen. Dann ein Sieben-Minuten-Gespräch, am Ende eines Montags wie diesem stand ich abends im Hausflur, mit zwei Plastik­tüten in der Hand, in die ich gestopft hatte, was aus zwei Jahrzehnten Büro geblieben war. »Was wirst du tun?«, fragte Katrin, meine Frau. Sie wusste, was ich antworten würde, sie hat mich immer stark gemacht.

»Vielleicht ist es eine Chance. Vielleicht ist es Zeit, jetzt das zu tun, wovon ich achtzehn Jahre lang geträumt habe. Einfach auf einem Boot hinauszufahren. Aufs Meer.«

Zwei Monate später fuhr ich los. Dem einen Sommer auf dem Wasser folgten fünf weitere. Wenn man zwei Jahrzehnte denselben Traum hat, dann trügt er einen nicht. Ich segle, weil ich die Welt, die ich auf dem Meer finde, immer wieder von Neuem so anders, so faszinierend finde. Eine Welt, die unbekannt und vollkommen fremd neben unserer realen Welt existiert. Und nicht das Geringste mit ihr zu tun hat.

Ein Windhauch holt mich zurück, aus meinem früheren ­Leben an Deck meines Schiffs. Ein Uhr. Es ist Zeit, meine Position zu bestimmen. Mit einem raschen Blick auf die Instrumente prüfe ich, ob Levje noch den eingegebenen Kurs steuert. Dann gehe ich kurz unter Deck, meinen Logbucheintrag zu machen. Ein Logbuch ist das Tagebuch meines Schiffs, in dem ich die Routine meines Lebens an Bord festhalte. Jede Stunde gehe ich nach unten zum Kartentisch und trage mit Bleistift meinen Standort in Zahlen ein. Und dann markiere ich diesen Ort auf der Seekarte, die auf meinem Kartentisch liegt, mit einem X. Auf längeren Überfahrten ist das immer ein kleines Highlight, wenn auch manchmal ein zäh errungenes. Auf langen Strecken ergeben die Bleistiftkreuze eine Linie, die von irgendeiner Küste in den unbeschriebenen leeren Teil der elektronischen Seekarte vordringen, wo nur noch die Zahlen mit den Tiefenangaben stehen. Ich bin irgendwo, wo ich noch nie zuvor war. Das Malen dieses X aufs Papier nährt die Illusion, ich wäre ein Entdecker, was ich in gewisser Weise, nämlich in meinen eigenen Dingen, ja auch bin.

Dann ein kurzer Blick auf die Instrumente vor mir. Und auf den schwarzen Bildschirm des Radars, der meine ganze Existenz auf einen kleinen gelben Punkt in der Bildschirmmitte reduziert. Der gelbe Punkt darauf bin ich. Und rund um den kleinen gelben Punkt nichts anderes als 20 Kilometer gähnende Schwärze. Nichts und niemand. Kein Mensch, kein Schiff. Wie weit, wohin müsste ich gehen in dem Land, das ich meine Heimat nenne, um das zu finden: in einem Kreis von 20 Kilometern Durchmesser keine Menschenseele, niemand anderes, nur mich?

Alleinreisen ist beschwerlich. Die Mühsal und die Schönheit des Alleinreisens füllt Bände, nicht nur an Segelliteratur. Es ist weniger die Sorge, sich zu verletzen oder krank zu werden, die quält. Wenn Alleinreisende ehrlich sind, schreiben sie darüber, wie schmerzhaft es ist, das Alleinreisen überhaupt zu erlernen, zu lernen, mit sich allein zurechtzukommen an guten wie an schlechten Tagen. Doch der gelegentlichen Trübsal, es mit sich selbst aushalten zu müssen, steht ein enormer Gewinn gegenüber. In meinem früheren Leben fühlte ich mich oft als wuselnde Ameise unter Millionen anderer Ameisen. Hier draußen fühle ich mich mittendrin und als Teil des Ganzen, fühle mich eingebettet und geborgen in der ungeheuren Weite. Das klingt merkwürdig, doch es ist so. Nirgendwo bin ich einsamer als im quirligen Leben des Münchner Marienplatzes, unter Tausenden Menschen in der Stadt, in der ich geboren bin. Und nirgendwo begreife ich meinen Platz in der Welt besser als eben in diesem Moment hier draußen, nachts allein auf dem Meer unter den Sternen, so wie jetzt, neun Stunden südöstlich von Menorca.

Um meine Müdigkeit zu vertreiben, erhebe ich mich kurz von meinem harten Holzsitz und werfe einen Blick nach vorne über das Stoffdach in die Schwärze. Kalter Fahrtwind streicht mir über die Wangen. Obwohl es auf Juni zugeht, ist es nicht warm im Mittelmeer. Der Nordwind bringt kalte, trockene Luft; es gibt keine Hauswand, die die Kühle von mir abhalten könnte. Ich sehe vor mir das grüne Licht der Positionslaterne am Bug, die anderen Schiffen anzeigt, welchen Kurs wir steuern. Wo der schwache grüne Lichtschein in den Wellen zehn Meter weiter voraus verglimmt, endet meine Welt. Jedenfalls die, die ich wahrnehmen, erkennen kann.

Aus tiefer Schwärze kommend, gleitet Levje hinein in die Schwärze, die mich umfängt. Anders als in einem Auto ist meine Welt scheinwerferlos, ich sehe gar nichts. Nicht mal die 25 Meter voraus, durch die wir in diesem Augenblick gleiten. Ich muss darauf vertrauen, dass uns nichts in die Quere kommt. Kein Schiff, das plötzlich auf Kollisionskurs ist, weil keiner Wache hält. Kein treibender Baumstamm wie in ­manchen ­Dezembernächten, in denen ich auf der nördlichen Adria Richtung Venedig unterwegs war. Kein driftender Stahlcontainer, der scharfkantig unter der Meeresoberfläche lauert, der Albtraum jedes Seglers bei Nacht. Ich schaue eine Weile in die Dunkelheit, doch als der kalte Fahrtwind meinen Nacken auskühlt, ziehe ich mich wieder unter das schützende Stoffdach zurück. Ich muss vertrauen, nicht nur meinem Schiff. Auch das lehrt das Reisen auf einem Boot.

Während die Schläfrigkeit mich immer mehr übermannt, denke ich zurück an die Tage vor meiner Abreise. An Franco, an Baldo und die anderen. Ich denke zurück an meine Erlebnisse auf Sizilien, das ich vermissen werde.

Freitag, 4. Mai


Sciacca, Sizilien. Spaghetti Frutti di Mare.
Vereinsabend auf Sizilianisch.

Ein paar Wochen vor meiner Abreise nach Mallorca. Es war Franco, der vorgeschlagen hatte, doch am Abend zu Maurizio ins Arcobaleno zu gehen. Franco, den alle nur »Preeeeesidente«...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Sport
Reisen Reiseberichte
Schlagworte Abenteuer • Aussteiger • Biografie • Biographien • eBooks • Freiheit • Interrail • Mare Piu • Meer • Mittelmeer • Reisebericht • Reise durch Europa • Reisen • Ruhe • Segeln • Segelschiff • Sinnsuche • Sizilien • Spanien • Sport • Urlaub • Yacht
ISBN-10 3-641-24397-1 / 3641243971
ISBN-13 978-3-641-24397-5 / 9783641243975
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