Die Porzellan-Erbin - Unruhige Zeiten (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
544 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-24734-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Porzellan-Erbin - Unruhige Zeiten - Florian Busch
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Der Glanz einer edlen Epoche. Der Aufstieg einer großen Dynastie.
Deutschland 1866. Die kleine Porzellanmanufaktur Strehlow steht vor einer glorreichen Zukunft. Gräfin Thyra von Hardenstein ist die einzige Erbin des Patriarchen. Sie soll einst die Geschicke des Unternehmens lenken und den Traum ihres Vaters verwirklichen: Porzellan, das weiße Gold der fürstlichen Tafeln, für einfache Leute erschwinglich zu machen. Doch dann kommt die hochschwangere Thyra bei einem tragischen Kutschunfall ums Leben. Entgegen jeder Erwartung kann ihr ungeborenes Kind gerettet werden. Sämtliche Hoffnungen liegen nun auf der jungen Sophie, die das Erbe antreten könnte, wenn sie alt genug ist. Doch auf dem Mädchen lastet ein dunkles Geheimnis ...

Florian Busch ist das Pseudonym des Autors Stephan M. Rother. Er wurde 1968 in Wittingen geboren und studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Philologie in Göttingen. Fünfzehn Jahre war er als »Magister Rother« mit historischen Bühnenprogrammen unterwegs. Unter dem Namen Benjamin Monferat hat er die erfolgreichen Romane »Welt in Flammen« und »Der Turm der Welt« veröffentlicht. Seit dem frühen Tod seiner Frau lebt er zurückgezogen in Bad Bodenteich.

Wohldenbach


Sommer 1866


»Paragraph zweiundzwanzig.« Wilhelm schloss die Augen. »In Ansehung der Wiederkehr der Vorfälle sind die Einnahmen und Ausgaben erstens jährliche, zweitens sind es bestimmte in längern oder kürzern als Jahrestermin wiederkehrende und drittens … drittens sind es …«

Er presste die Hände gegen die Schläfen. Sein Schädel dröhnte, als hätte eine böse Macht ihn in einen Schraubstock gespannt. Das grelle Licht der Petroleumlampe schien sich durch seine Augenlider zu bohren.

Sein Nacken und sein Hinterkopf pochten. Wie lange war es her, dass er sich von der Stelle gerührt hatte? Drei Stunden oder eher schon vier? Genau so muss es sich anfühlen, wenn man allmählich den Verstand verliert, dachte Wilhelm.

Zwei Wochen waren vergangen seit dem Aufbruch nach Wohldenbach, und bis jetzt hatte er das Vertrauen seines Vaters zumindest nicht enttäuscht.

Er war erschrocken, als Thyra von Hardenstein die Kutsche bestiegen hatte, auf den Arm ihres Gemahls gestützt. Sie hatte schmal gewirkt, geradezu ausgezehrt, die fortgeschrittene Schwangerschaft kaum sichtbar unter dem schweren Stoff des dunklen Mantelkleides, das ihre Blässe noch hervorhob. Und doch hatte der Physicus sie für reisefähig erklärt – was immer er sich dabei gedacht haben mochte. Die Konsequenzen würde jedenfalls nicht der gelehrte Mediziner aus der Provinzhauptstadt zu tragen haben, falls er sich denn getäuscht hatte. Sondern die Gräfin, wenn sich ihr Zustand unterwegs verschlechterte. Und Wilhelm selbst, dem die Sorge um die Gemahlin seines Vaters nun anvertraut war.

Quälend langsam, Stunde um Stunde, war das Gespann über die Chaussee gerumpelt, durch belebte Städte und über offenes Land, an breiten Flüssen entlang und immer wieder durch dunkle Gebirgstäler und steile Anhöhen empor, über Provinzgrenzen hinweg, Wohldenbach entgegen. Wilhelm hatte beunruhigt den Gerüchten gelauscht, die sie unterwegs erreichten. Gerüchten über die Vorgänge an der Grenze, wo sich das Aufgebot Preußens und die Verbände der feindlichen Österreicher argwöhnisch belauerten.

Immer aufs Neue hatte er darum gekämpft, die Gräfin nicht mit seiner Sorge zu belästigen, indem er sich noch einmal und noch einmal erkundigte, ob ihr auch wohl sei. Wie hätte ihr auch wohl sein können, wenn sie damit rechnen musste, dass sie an das Sterbebett ihres Vaters eilte?

Am Ende war all das bedeutungslos. Friedrich Strehlow selbst hatte seine Tochter auf der Treppe seines stolzen Bürgerhauses empfangen, auf einen Stock gestützt und dennoch sichtbar auf dem Wege der Besserung, ganz begeistert von der Aussicht, Zeit mit seiner Tochter verbringen zu dürfen, die er seit Monaten nicht gesehen hatte.

Zwei Wochen waren sie nun bereits in Wohldenbach. Wilhelm gönnte Vater und Tochter diese Zeit, doch Theresa und er waren noch niemals so lange voneinander getrennt gewesen. Zwei Mal hatten ihn seit seiner Ankunft Briefe von ihr erreicht, geheimnisvoll nach der Lavendelessenz duftend, die Emma, die Näherin des Gutes, für die Frauen des Gesindes anmischte. Theresa wusste, dass er diesen Duft an ihr liebte. Zwei Mal hatte er ihr geantwortet und war doch nicht in der Lage gewesen, wirklich zum Ausdruck zu bringen, wie sehr seine kleine Familie und das Leben auf Hohensandau ihm fehlten. Mit welch verwirrenden Gefühlen er den Zeiten entgegensah, die sie vielleicht in Zukunft auf dem Gutshof erwarteten, wenn Theresa recht hatte mit ihren Schlussfolgerungen.

Der Verwalter. Der greise Strehlow hatte ihn wie einen Gast in seinem Haus willkommen geheißen. Jedenfalls nicht wie den bloßen Anführer der Eskorte seiner Tochter. Vermutlich war er nur erleichtert über Thyras wohlbehaltene Ankunft. Vater und Tochter hatten sich unendlich viel zu erzählen, wie es schien. Immer wieder unternahmen sie Fahrten in die Manufaktur ihrer Familie außerhalb der Mauern von Wohldenbach, in die Fabrik, wie Friedrich Strehlow es ausdrückte. Wilhelm selbst solle sich währenddessen einfach wie zu Hause fühlen, hatte der alte Mann noch angefügt. Die Worte hatten geklungen wie eine Anweisung.

»Wie zu Hause«, murmelte Wilhelm. Zu Hause kümmerte er sich auf der Koppel um die Pferde, hatte von morgens bis abends tausend Dinge zu erledigen, die seine Aufgaben auf dem Gestüt mit sich brachten. Ständig hatte er dabei ein schlechtes Gewissen, weil ihm so wenig Zeit blieb für Theresa und den kleinen Jungen. Im Strehlow’schen Haus dagegen gab es schlicht nichts zu tun für ihn. Die Köchin starrte ihn an wie einen Eindringling, wenn er auch nur den Versuch unternahm, seine Teetasse in die Küche zurückzubringen. Er beneidete die Damen und Herren aus besseren Kreisen nicht darum, dass sie auf Schritt und Tritt von Menschen umgeben waren, die versuchten, ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Jetzt, da er es am eigenen Leibe erlebte, war es noch viel, viel schlimmer.

Am Ende war er in die Bibliothek des Hauses geflüchtet. Offenbar hatten die Diener und Zofen Anweisung, das Erkerzimmer mit den deckenhohen dunklen Bücherschränken nicht ohne Aufforderung zu betreten. Erst hier war ihm dann klar geworden, dass seine Flucht ihn an den einzig richtigen Ort geführt hatte. Hier konnte er sich auf die Aufgaben vorbereiten, die bei seiner Rückkehr womöglich auf ihn zukamen. Zwei behagliche Lehnsessel standen vor der Feuerstelle. Ein niedriger Tisch lud dazu ein, ein Buch dort abzulegen.

Handbuch des Kassen- und Rechnungswesens für Herrschafts- und Rittergutsverwaltungen. Wilhelm hatte sein Glück kaum fassen können, als er auf das Werk gestoßen war – bis er das Handbuch aus dem Regal gezogen und festgestellt hatte, dass es Hunderte eng bedruckte Seiten besaß und viel zu schwer war, um es in der Hand zu halten – und dabei war es nur der erste Teil eines umfangreichen, mehrbändigen Werkes. Längst schwirrte ihm der Kopf angesichts des Inhalts: die unterschiedlichen Posten für Saatgut und Dünger, die Milch-, Vieh- und Weidewirtschaft, die Vorratshaltung, Steuern und Abgaben, die Instandhaltung der Gebäude und die Entlohnung der Gutsbediensteten, die ein Verwalter zu bedenken und gegeneinander abzuwägen hatte. Konnte er sich überhaupt vorstellen, auf Hohensandau eine solche Position einzunehmen? Wie sehr musste sich ein solches Dasein unterscheiden vom Leben bei den Pferden auf der Koppel, das sein Vater sich für ihn gewünscht hatte?

»Bis jetzt jedenfalls«, flüsterte er. »Jetzt wünscht er sich etwas anderes.«

Und hatte er nicht allen Grund, Ferdinand von Hardenstein diesen Wunsch zu erfüllen? War es nicht so, dass Wilhelm dem Gutsherrn etwas schuldete, nachdem er weder seine Mutter fortgeschickt noch ihn selbst in eins der Waisenhäuser der Stadt gegeben hatte? Der Herr von Hohensandau hatte sein Vertrauen in Wilhelm gesetzt, und dieses Vertrauen durfte er so wenig enttäuschen wie das Vertrauen, das Theresa und der kleine Joachim in ihn setzten: dass er für sie da war in einer Welt, die von mehr als nur einem einzigen Justus Brandt bewohnt wurde. Ein eigenes kleines Haus auf dem Wirtschaftshof, mit einer Wohnstube und einer Schlafkammer und einer zweiten noch dazu, falls seine Frau ihm Kinder schenkt. War es das nicht wert?

Paragraph zweiundzwanzig. Einnahmen und Ausgaben in Ansehung der Wiederkehr der Vorfälle. Er war sich nicht sicher, ob er nicht zwischendurch eingenickt war.

»Erstens sind es jährliche«, murmelte er. »Zweitens sind es in längern oder kürzern als Jahrestermin wiederkehrende. Und drittens.« Er hielt inne. »Drittens …«

»Drittens sind es solche, die nicht bestimmt in einem jeden Jahre vorkommen.«

Wilhelm schreckte hoch.

»Jedoch bleiben sie selten aus«, vollendete Thyra von Hardenstein.

Er starrte sie an. Sie saß in einem dunklen Hauskleid im anderen der beiden behaglichen Lehnsessel, eine Decke über die Knie gebreitet. Das Handbuch des Kassen- und Rechnungswesens hatte sie auf ihre Seite des Tisches gezogen.

Er musste tatsächlich eingenickt sein. Die Hausdiener betraten die Bibliothek nicht ohne Aufforderung. Die Tochter des Hausherrn war ihrer Schwangerschaft zum Trotz offenbar völlig geräuschlos in den Raum geschlüpft. Wie lange sie ihm schon beim Schlafen zugesehen hatte, konnte er nicht sagen.

»Mein Vater hatte Euch vorgeschlagen, Euch ein Buch nach Eurem Geschmack zu suchen«, bemerkte sie. »Irgendwie glaube ich, dass er eher Abenteuerromane im Sinn hatte.«

»Ich …« Wilhelm brach ab. »Der Schrank war nicht verschlossen«, sagte er schwach.

Sie musterte ihn eingehend. »Warum sollte er verschlossen sein? Die Schränke in diesem Raum waren niemals verschlossen, weder für mich, als ich ein Kind war, noch für die Gäste des Hauses. – Zugegeben: In den ersten Jahren standen die Bücher, die ich besser nicht lesen sollte, sehr weit oben in den Regalen.«

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, doch im selben Moment wurde Wilhelm bewusst, wie müde sie aussah, müder noch als bei ihrem Aufbruch aus Hohensandau. Zugleich war die zunehmende Veränderung ihres Körpers jetzt sichtbar. Weil sie kein Korsett trägt, fuhr ihm durch den Kopf. Eine Frau aus ihren Kreisen ohne Mieder und Krinoline! Theresa hatte immer wieder erwähnt, dass das etwas war, worum sie die Frauen der besseren Gesellschaft mit Sicherheit nicht beneidete: dass sie sogar in den Wochen vor der Geburt eines Kindes noch gezwungen waren, ihren Körper in die enge Schnürung zu pressen wie in eine Ritterrüstung.

Er biss sich auf die Lippen. Sich jetzt nach ihrem Befinden zu erkundigen war sicher...

Erscheint lt. Verlag 13.4.2020
Reihe/Serie Die Porzellan-Saga
Die Porzellan-Saga
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 19. Jahrhundert • Beschäftigung Erwachsene • "Die Porzellanerbin" • eBooks • Familiensaga • Geschenk für Mütter Mama Mutti • Geschenk Muttertag • Herrenhaus • Historische Romane • Neuerscheinungen Bücher 2020 • Porzellan-Dynastie • Porzellanerbin • Porzellan Erbin • Reihe Reihenstart • Romane • Romane Bestseller 2020 frauen • Schicksal • Upstairs and Downstairs • Weißes Gold
ISBN-10 3-641-24734-9 / 3641247349
ISBN-13 978-3-641-24734-8 / 9783641247348
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