55 – Jedes Opfer zählt (eBook)

Thriller

(Autor)

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2020
Heyne Verlag
978-3-641-24215-2 (ISBN)

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55 – Jedes Opfer zählt - James Delargy
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Wer ist Killer, wer ist Opfer? Eine Kleinstadt jagt einen Serienmörder.
Eine Kleinstadt im australischen Outback. Glühende Hitze. Wildnis. Police Sergeant Chandler ist stolz darauf, für Ruhe und Sicherheit zu sorgen. Bis ein Mann im Revier auftaucht. Außer Atem. Blutüberströmt. Er erzählt von einem Serienmörder namens Heath, dem er entkommen sei. Chandler bringt den Fremden in Sicherheit. Doch bevor er sich auf die Suche nach dem Mörder machen kann, wird Chandler ins Revier gerufen: Ein Mann ist dort aufgetaucht, der sich Heath nennt. Außer Atem. Blutüberströmt. Er erzählt von einem Serienmörder, dem er entkommen sei ...

James Delargy, geboren in Irland, verbrachte viele abenteuerliche Jahre in Südafrika, Australien und Schottland, bevor es ihn ins ländliche England verschlug. Die Erfahrungen, die er mit den unterschiedlichsten Menschen und Lebensweisen gemacht hat, sind seine wichtigste Inspirationsquelle. »55 - Jedes Opfer zählt« ist das Romandebüt von James Delargy.

2

Die Stadt Wilbrook war Chandler Jenkins’ Lebensmittelpunkt. War es schon immer gewesen. Seit zweiunddreißig langen Jahren hing er hier fest, auf dem Pilbara-Plateau im Landesinneren von Westaustralien, einer Landmasse, die konservativ geschätzt zweieinhalb Milliarden Jahre alt und einst Teil des Kontinents Ur gewesen war. An manchen Tagen glaubte Chandler, die prähistorischen Atome hätten sich in seinen Knochen abgelagert und ihn vorzeitig altern lassen. Der kupferrote Staub, der ringsum das verbrannte Land bedeckte, hatte bei vielen Menschen diese Wirkung.

Die Stadt lag hundert Kilometer entfernt von Portman, der nächsten menschlichen Siedlung, und war damit nur durch eine Straße verbunden, die sich wand wie ein endloser Drachenschwanz. Wilbrook selbst war nicht alt, selbst nach australischen Maßstäben. Der Ort war erst Ende des 19. Jahrhunderts gegründet und nach einem berühmten Goldsucher aus Albany benannt worden, der das üppige grüne Weinland im Süden verlassen hatte, um hier oben im Dreck nach Reichtum zu wühlen. Und er war fündig geworden. Eine fette Ablagerung von Gold; die Nuggets ragten aus der Erde wie Marshmallows aus einem Kinder-Frühstücksmüsli. Einige Goldbrocken konnte man nur mit beiden Händen heben. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und bald schossen Hütten aus dem Boden, windige Holzkonstruktionen, die allen Gesetzen der Schwerkraft und des guten Geschmacks trotzten. Den Hütten folgten die Geschäfte: Bars, Saloons, Bordelle. Die Bevölkerung explodierte, Tausende gierten nach Reichtum, Zeitungsartikel priesen Wilbrook als den Ort, an dem Träume wahr würden. Doch schon bald war der Traum ausgeträumt, die vermeintlich fette Beute schrumpfte rasch zu ein paar armseligen Bröseln zusammen, die in den verrosteten Pfannen zurückblieben. Dennoch kamen immer mehr, die in den Bächen verzweifelt Steine und Dreck durchwühlten, bevor sie ihre Sorgen mit Whisky und Frauen betäubten, für die sie nicht bezahlen konnten. Mit den Schulden wuchsen auch die Spannungen.

Das Ergebnis war ein Pulverfass, das schließlich in einer Sommernacht explodierte. Auf der Main Street kam es zu einer Schießerei zwischen zehn Männern; der einzige Überlebende, Tomato Tom Kelly, starb am nächsten Tag an der durchlöcherten Arterie in seiner Schulter. Und während die Gewalt zunahm, schwanden die Aussichten auf schnellen Reichtum. Die Ärzte, Anwälte und Kaufleute gingen als Erste, um sich woanders auf die Jagd nach dem Gold zu machen. Rasch schrumpfte die einst blühende und fast fünftausend Einwohner zählende Stadt auf knapp ein Fünftel, was zumindest ein paar Bars und Bordellen das Überleben garantierte. Nichts war besser für das Geschäft als Verzweiflung.

Da es nun kein Gold mehr gab, sahen sich die Familien gezwungen, dem kargen Boden eine Existenz abzutrotzen, was für sie genauso hart war wie für die Tiere, die sie zu halten versuchten. So blieb es fast vierzig Jahre lang. Die Stadt atmete kaum noch. Dann wurden unter der vernarbten Erde Eisenerz und Asbest entdeckt. Ein neuer Boom begann, die Bergbaukonzerne kauften große Landstriche zu Preisen, die zu gut waren, um sie abzulehnen. Es folgte eine rasante Expansion, und in der Stadt wurden die ersten Backsteingebäude errichtet. Doch wie schon zuvor gingen auch diesmal die Rohstoffvorkommen plötzlich zur Neige und die rücksichtslosen Unternehmen verlagerten den Betrieb ein paar Stunden weiter in Richtung Portman. Wie eine Schlange ließen sie ihre alte Haut zurück.

Chandler und seine Familie lebten in dieser leeren Hülle, und trotz ihrer Mängel war er stolz auf die Stadt. Es war seine Stadt. Er war Polizeisergeant und zugleich Sheriff des Ortes; passend zu der Tatsache, dass die Stadt teilweise immer noch aussah wie zur Wende des 19. Jahrhunderts. Immerhin konnte sich die breite Hauptstraße inzwischen einer weißlich schimmernden Asphaltdecke rühmen, wo sich einst nur eine staubige, löchrige Piste befunden hatte. Eine lange Betoninsel in ihrer Mitte bot Zuflucht vor dem kaum vorhandenen Verkehr. Bunte Veranden überdachten die Fußwege, boten Schutz vor der Sonne und der unnachgiebigen Hitze, und ihre kunstvoll gearbeiteten Metallsäulen waren seit dem letzten Jahrhundert unverändert, Bastionen einer längst vergangenen Zeit.

Chandler hielt vor dem Betonbau des Polizeireviers und blickte in den Spiegel. Das zunehmend rundlicher werdende Gesicht, das zurückstarrte, war das eines attraktiven Mannes Mitte dreißig. Es war ein Gesicht, in dem lange Nachtdienste und das Leben als alleinerziehender Vater Spuren hinterlassen hatten. Sein blondes Haar hatte bereits an Fülle, wenn nicht gar an Territorium eingebüßt. Das helle Blond und seine gebräunte Haut gaben ihm das Aussehen eines alternden Surfers, auch wenn nichts von der Wahrheit hätte weiter entfernt sein können. Chandler mied das Meer, so gut er nur konnte. Kaum etwas war ihm so unheimlich wie die gefräßigen Kreaturen, die sich in den australischen Gewässern tummelten.

Bill Ashcroft, der alte Senior Sergeant, war im Juni letzten Jahres in Pension gegangen und hatte Chandler das vorläufige Kommando übergeben. Nicht, dass es für die fünf Polizisten viel zu tun gegeben hätte: ein paar Verkehrswidrigkeiten, familiäre Streitigkeiten oder ein gelegentlicher Fall von Körperverletzung in einer der drei Kneipen der Stadt, die nicht miteinander konkurrierten, sondern einfach alle diejenigen willkommen hießen, die woanders gerade Lokalverbot hatten. Dennoch waren für das Revier fünf volle Stellen vorgesehen, und die westaustralische Polizei kämpfte um deren Erhalt, da sie befürchtete, beim Verlust eines Postens könnten auch die anderen wie Dominosteine fallen.

Als Chandler das Revier betrat, saß Nick Kyriakos, sein junger Constable, hinter dem Empfangstresen. Chandler hatte ihm diesen Platz zugewiesen, bis er sich sicher sein konnte, dass der Junge für den Außendienst bereit war. Er wollte nicht riskieren, einen bewaffneten Zwanzigjährigen auf Streife zu schicken, auch wenn Nick bisher einen guten Eindruck hinterlassen hatte. Ein wacher, neugieriger junger Mann, bereit sich anzupassen und zu lernen, wenn man einmal von seinem übersteigerten Interesse an den Biografien von Serienkillern absah.

Tanya, Senior Constable und Chandlers direkte Stellvertreterin, saß bereits an ihrem Schreibtisch. Sie kam nie zu spät, und ihre Dienstauffassung war so streng wie ihr straff nach hinten gebundener Pferdeschwanz. Sie machte Frühschichten, damit sie ihre drei Kinder nach der Schule am anderen Ende der Stadt abholen konnte; die Kinder waren in rascher Folge während einer erst vor Kurzem beendeten, fünfjährigen Auszeit auf die Welt gekommen. Alle drei durch einen klinischen Eingriff, wie Chandler vermutete. Es war Tanyas Art, Dinge durchzuziehen wie eine militärische Operation. Wenn er befördert würde, würde er auch sie dafür empfehlen. Sie hatte es mehr als verdient. Jeder, der Kinder und Arbeit unter einen Hut bringen musste, hatte sich gewisse Erleichterungen verdient. Er konnte ein Lied davon singen. Er hatte selbst zwei Kinder. Und Tanya hatte wenigstens noch einen Partner, der sie unterstützte.

Chandler ging in sein Büro. Die Klimaanlage hatte wieder einmal den Geist aufgegeben, das Revier war feuchtheiß, und alles fühlte sich klebrig an. Er ließ sich auf seinem Platz nieder und blickte aus dem Fenster auf den Gardner’s Hill in der Ferne, einen felsigen, bewaldeten Hügel, benannt nach dem ersten Bürgermeister der Stadt.

Aus der Entfernung wirkte der Hill einladend, an der von der Stadt aus sichtbaren Bergflanke ragten Bäume in den Himmel, eine üppige grüne Oase in einem ansonsten roten Land. Jenseits des Bergrückens lagen Tausende Hektar Wildnis. Eine Wildnis, welche die Menschen schon immer angelockt hatte. Aber selbst erfahrene und an extreme Bedingungen gewöhnte Wanderer hatten dort ihre Schwierigkeiten. Diese Gegend zog vor allem Leute an, die sich selbst finden wollten. Oder sich manchmal auch selbst verlieren wollten.

Für Chandler begann der Tag wie jeder andere, ruhig und beschaulich. Doch das sollte sich schlagartig ändern.

Lärm drang durch die offene Tür. Draußen ertönte eine Stimme, die ihm unbekannt war, aber irgendwie verzweifelt klang. Er versuchte, ihren Akzent zu bestimmen – eindeutig jemand aus dem Süden, aus dem tiefen Süden, vielleicht aus Perth. Wenn das zutraf, war die Person – ein Mann – weit weg von zu Hause.

»Sarge, ich denke, wir brauchen Sie hier«, rief Tanya. Ihre sonst stets gelassene Stimme klang leicht beunruhigt.

Chandler schwang die Füße vom Tisch und rückte den Gürtel über seinem Bauch zurecht. In den Jahren nach der Trennung von Teri hatte er an Gewicht zugelegt, als würde sein Körper so den Verlust ausgleichen wollen.

Er betrat das Hauptbüro. Vor Tanyas Schreibtisch – nach dem hohen Empfangstresen der erste Anlaufpunkt im Revier – saß ein nervöser junger Mann Mitte zwanzig. Die Blutflecken auf seinem T-Shirt und seiner Jeans deuteten darauf hin, dass er ordentlich Prügel eingesteckt hatte.

Chandler überprüfte seinen Hemdkragen und fluchte. Er hatte seine Ansteckkrawatte vergessen. Er war zwar nicht sonderlich pedantisch, was die Uniform betraf, trotzdem zog er es vor, in der Öffentlichkeit eine Krawatte zu tragen. Sie verlieh ihm eine gewisse Autorität.

»Erwecke immer den Eindruck, als würde der Laden dir gehören«, hatte Bill ihm eingeschärft, »und verhalte dich so, als hättest du das Sagen.«

Als er sich ihm näherte, stand Tanya neben dem Schreibtisch und hatte ein...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2020
Übersetzer Alexander Wagner
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel 55
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Australien • eBooks • Katz-und-Maus-Spiel • Kleinstadt • Outback • Serienkiller • Survival • Thriller
ISBN-10 3-641-24215-0 / 3641242150
ISBN-13 978-3-641-24215-2 / 9783641242152
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