Die Nachbarin (eBook)

Thriller – »Ein aufsehenerregendes Spannungsdebüt!« The Guardian
eBook Download: EPUB
2020
448 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-25302-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Nachbarin - Caroline Corcoran
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SIE KANN DICH HÖREN. SIE KANN DICH SEHEN.
SIE KANN SICH NEHMEN, WAS DIR GEHÖRT.

In Lexies Leben scheint alles perfekt: Sie liebt ihren Freund Tom, die beiden planen eine Familie, und sie wohnen in einem eleganten Apartment mitten in London, das keine Wünsche offen lässt. Doch Lexies Idylle trügt. Wenn sie allein ist, lauscht sie den Geräuschen aus der Nachbarwohnung. Und stellt sich dabei das mondäne Leben ihrer Nachbarin vor ...

Harriet führt ein ausschweifendes Leben voller wilder Partys, ihr Leben ist ein Abenteuer. Nur selten gesteht sie sich ein, wie unglücklich sie in Wahrheit ist. Sie wünscht sich einen Freund wie Tom. Sie möchte das Leben ihrer Nachbarin Lexie. Und sie ist bereit, alles zu tun, damit dieses Leben ihr gehört ...

Caroline Corcoran arbeitet als selbstständige Lifestyle- und Kulturredakteurin. Sie hat für einige der wichtigsten Online- und Printmagazine und Zeitungen in Großbritannien geschrieben. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn auf der Halbinsel Wirral im Norden Englands. Zuvor hat sie 13 Jahre in London gewohnt.

3
Harriet


Dezember


»Krass, wie viele Restaurantketten ihr hier in der Gegend habt«, meint Iris, wobei sie das Wort »Restaurantketten« in einem Tonfall sagt, der bei den meisten Menschen wohl Begriffen wie »Terrorcamps für Kleinkinder« vorbehalten wäre. Dann grinst sie vor Stolz über ihre messerscharfe Beobachtung. »Echt wahr, oder?«

Echt wahr.

Ich trinke noch einen großzügigen Schluck Wein und spüre meine Wangen brennen. Sie findet meine Wohngegend peinlich. Sie findet mich peinlich. Alle hier finden mich peinlich. Heute Abend habe ich es ein bisschen zu gut gemeint mit dem Alkohol, das Zimmer dreht sich schon um mich. Ich starre Iris an und versuche sie scharf zu stellen.

Eigentlich, denke ich, sollte Iris lieber versuchen, mich scharf zu stellen. In Wahrheit hat sie – so wie der Rest der Anwesenden – nämlich keine Ahnung, wer ich bin. Niemand hier weiß, wozu ich fähig bin oder wie mein richtiger Name lautet. Niemand kennt mein wahres Ich. Niemand weiß, was mich ausmacht und was ich vor mittlerweile zweieinhalb Jahren getan habe, bevor sie mich kannten.

Und überhaupt, denke ich, von plötzlichem Zorn gepackt, während sich alle um mich herum seelenruhig weiter unterhalten. Ich liebe Islington. Wenn man einen sozial gehemmten Menschen nimmt und ihn ins Herz einer der belebtesten Gegenden von London verpflanzt, dann wird einem dieser Mensch auf ewig dankbar sein. Hier wird niemand genötigt, Smalltalk mit dem Fleischer zu machen. Man muss kein Lieblingsrestaurant haben, weil es sechzig verschiedene Restaurants in fußläufiger Entfernung gibt, und falls man doch eins hat, wechselt es sowieso innerhalb kürzester Zeit den Besitzer und wird zu einer Aperol-Bar umgebaut. Hier fällt es nicht negativ auf, wenn man keine Menschenseele kennt, im Gegenteil: Es ist so gewollt. Man muss hier keine Angst um seine Geheimnisse haben, denn man kann sich gut verstecken.

Doch ich erhole mich recht schnell von der Kränkung, und ein paar Drinks später rede ich mit ungerechtfertigter Selbstsicherheit von den politischen Umwälzungen im England der Achtzigerjahre, während ich gleichzeitig zu Popsongs der Zweitausender im Sitzen hin und her schunkle. Ich bin ziemlich betrunken – das bin ich oft – und lache viel, aber es ist ein hohles Lachen, weil ich die Leute, mit denen ich lache, im Grunde gar nicht kenne.

Neben mir auf dem Sofa hockt ein Mann namens Jim. Er ist »unglaublich talentiert«, schwul und lässt sich laut und wortreich darüber aus, wie introvertiert er doch sei. Mir gegenüber sitzt Maya, die sich seit zwei Stunden an ihrem Glas Pinot Noir festhält, obwohl ich schon mehrfach versucht habe, ihr nachzuschenken, damit sie ein bisschen lockerer und fröhlicher wird. Oder überhaupt irgendwie in Erscheinung tritt. Auf dem Boden, barfuß und mit angezogenen Knien, hocken Buddy und Iris. Sie wohnen in Hackney, und ich wette, in Wahrheit heißen sie Sarah und Pete und verlassen nie das Haus, ohne vorher ein Buch von Proust einzustecken, und zwar so, dass der Titel oben aus ihrer Tasche hervorschaut. Auf Iris’ glänzendem Bob sitzt freudlos ein Partyhütchen.

Ich schaue alle diese Leute an und versuche etwas dabei zu empfinden, aber da ist nichts. Oder doch, aber es ist noch schlimmer als nichts: ein latentes Ziehen im Magen, das mir sagt, was für ein trauriges Dasein ich friste und dass diese Zusammenkunft in meiner Wohnung das Gegenteil von Freundschaft ist.

Frohe verfickte Weihnachten.

Die Gäste, die sich in meinem kleinen Wohnzimmer drängen, habe ich erst vor einem Monat kennengelernt. Ich komponiere Songs, und wir arbeiten zusammen an einem Musical. Heute habe ich sie zu einem weihnachtlichen Umtrunk eingeladen. Ob man es glaubt oder nicht, ich habe sogar einen Karton mit Knallbonbons rausgeholt.

Das mache ich bei jedem neuen Projekt so. Normalerweise muss der Termin viermal verschoben werden, und ich bekomme eine Menge vage Ausreden zu hören, aber ich bleibe hartnäckig. Früher oder später haben noch alle kapituliert.

Obwohl mittlerweile mehr als vier Jahre vergangen sind, seit ich meine Heimatstadt Chicago verlassen habe, bin ich immer noch auf der Suche nach etwas, das mich von meiner Sehnsucht nach großstädtischer Anonymität heilt. Nach jemandem, der sich meiner annimmt. Ich bemühe mich verzweifelt, gesellig zu sein, aber manchmal glaube ich, dass man, wenn man eine Geschichte hat wie meine, anderen Menschen nie wirklich nahekommen kann. Es ist zu riskant. Man könnte auffliegen.

Ich ziehe mit Buddy an einem Knallbonbon und stehe am Ende mit der kürzeren Hälfte da.

Trotzdem. Ich gebe nicht auf.

»Und, Harriet? Gibt es einen Mann in deinem Leben?«, reißt mich der introvertierte Jim laut und rüde aus meinen Gedanken.

Ich schüttle den Kopf und schenke mir Wein nach.

»Nein, Jim«, lalle ich genauso laut, während der Wein in mein Glas gluckert. Ich vergesse, den anderen ebenfalls die Flasche anzubieten. »Ich bin allein.«

Und wie allein ich bin. Allein und unglücklich. Denn es reicht mir nicht, einfach nur ich zu sein. In meiner eigenen Gesellschaft fühle ich mich unwohl. Ich bin plump und hilflos und treffe nie die richtigen Entscheidungen, und ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine bessere Hälfte, damit ich zu fünfzig Prozent weniger ich sein kann. Das Ziel ist es, mich zu verdünnen, so wie einen Getränkesirup.

»Karaoke!«, rufe ich, getrieben vom Wein und von der Panik, meine Gäste könnten nach Hause gehen. Iris und Buddy finden in der Idee – genau wie in den Partyhütchen – ausreichend Potenzial für Ironie, um mitzumachen. Maya schlüpft in ihre Jeansjacke und macht sich aus dem Staub. Beim Abschied wirft sie mir noch einen mitleidigen Blick zu, der in meinem Innern brennt wie Feuer. Jim hingegen lässt sich zur Teilnahme überreden, nachdem ich eine verstaubte Flasche Tequila für ihn ausgegraben habe.

Diese Kollegen stellen natürlich keine unmittelbare Lösung für das Problem meiner Einsamkeit dar, aber eines Tages wird diese Lösung vielleicht erscheinen – in Gestalt eines männlichen Bekannten, den einer von ihnen mitbringt.

Außerdem kommen, dem in Strömen fließenden Alkohol sei Dank, längst nicht nur Kollegen zu meinen Partys.

Es passiert immer, so auch an diesem Abend. Meine Tür ist angelehnt, damit die Gäste zwischendurch zum Zigarettenholen nach unten gehen können. Weil meine Nachbarn bei Tageslicht extrem kontaktscheu sind, habe ich anfangs gar nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sich der Gästestrom spätabends auch in die andere Richtung bewegen könnte. Aber meine Wohnung liegt direkt neben dem Fahrstuhl, und so kommt es häufig vor, dass einige Nachbarn auf dem Heimweg kurz vorbeischauen, weil sie neugierig sind, was bei mir los ist. Durch Zufall hören sie dabei vielleicht einen Song, der ihnen gefällt. Sie nehmen sich ein Bier und bleiben.

Es könnte also auch einer von ihnen sein; ein bislang unbekannter Nachbar, der wegen des Alkohols kommt, aber meinetwegen bleibt. Ich bin nicht perfekt, aber ich habe durchaus etwas zu bieten. Genug, um hoffen zu dürfen, dass mich eines Tages vielleicht auch einmal jemand zu sich nach Hause einlädt. Dass ich einen Abnehmer finde.

Unser imposantes Hochhaus hat Hunderte von Apartments. In den meisten leben Männer und Frauen zwischen zwanzig und vierzig, die keine Kinder haben und sich auch an einem Dienstagabend betrinken können, ohne dass es negative Auswirkungen hat – abgesehen von dem Kater, den sie am nächsten Tag im Büro mit rauen Mengen von Kohlenhydraten bekämpfen müssen. Selbst wer hier nur zur Miete wohnt, verdient gut und arbeitet viel, sodass sich am Abend oft eine gewisse Verzweiflung breitmacht. Man will die freie Zeit um jeden Preis genießen, das Beste rausholen, Alkohol trinken und sich Drogen einwerfen, bevor man am nächsten Morgen um acht Uhr wieder im Meeting sitzen muss.

Ich habe den Eindruck, dass das Gebäude mit seiner modernen Architektur einem solchen Lebenswandel Vorschub leistet. Das Foyer ist ein großer, kahler, anonymer Raum und von oben bis unten in Magnolienweiß gestrichen. Darin gibt es nur den Tresen für den Pförtner sowie eine einzelne Topfpflanze, die weder welkt noch wächst. Ist sie künstlich? Selbst wenn ich sie aus der Nähe betrachte, kann ich es nicht erkennen. Ob die Leute über mich dasselbe denken?

Im Foyer liegt immer derselbe undefinierbare, aber sehr charakteristische Duft in der Luft, und die Temperatur ist zu jeder Jahreszeit gleich angenehm.

Manchmal erinnert es mich an einen Flughafen. Die Leute eilen hin und her, holen ihre Pakete ab, steigen in den Lift, um in den achten Stock zu fahren, und es ist gut möglich, dass man sie nie wiedersieht. Gelegentlich erinnert es mich aber auch an einen anderen, sehr viel düstereren Ort: an die psychiatrische Klinik, in der ich Patientin war. Zufall? Vielleicht will ich ja genau das von meinem Zuhause: größtmögliche Sterilität.

Jetzt trudeln langsam die Nachbarn ein. Etwa drei bis vier sind es alle halbe Stunde. Sie kommen von der After-Work-Party oder aus einem Restaurant und stecken ihre leicht beschwipsten Köpfe zur Tür herein, um zu schauen, was bei mir so vor sich geht. Jemand – aller Wahrscheinlichkeit nach ich – drückt ihnen ein Weinglas in die Hand, und ehe man es sich versieht, ist es ein Uhr morgens, und ein Banker Anfang zwanzig, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, küsst Chantal aus dem fünften Stock und schwört, mit ihr zusammen in eine Hippiekommune nach Bali zu ziehen. Chantal zählt wie ich zu den wenigen Personen im Haus, die nicht bei einer Bank arbeiten,...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2020
Übersetzer Sybille Uplegger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Through the wall
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte AJ Finn • Anonymität • Baby • Domestic Suspense • eBooks • Erfolgsdruck • Gillian Flynn • Girl on the train • Großstadt • jp delaney • London • Neid • Paula Hawkins • Thriller • Wand
ISBN-10 3-641-25302-0 / 3641253020
ISBN-13 978-3-641-25302-8 / 9783641253028
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