Die dunklen Pfade der Magie (eBook)
544 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491218-9 (ISBN)
A. K. Larkwood hat in Cambridge Literaturwissenschaft studiert. Derzeit lebt sie mit ihrer Frau und ihrer Katze in Oxford, England. 'Die dunklen Pfade der Magie' erscheint bei Tor Books, Tor UK und FISCHER Tor. Es ist ihr Debütroman.
A. K. Larkwood hat in Cambridge Literaturwissenschaft studiert. Derzeit lebt sie mit ihrer Frau und ihrer Katze in Oxford, England. "Die dunklen Pfade der Magie" erscheint bei Tor Books, Tor UK und FISCHER Tor. Es ist ihr Debütroman. Sara Riffel studierte Amerikanistik, Anglistik und Kulturwissenschaft in Berlin und arbeitet seit vielen Jahren als freiberufliche Übersetzerin und Lektorin. Zu ihren Autoren gehören William Gibson, Anthony Ryan und Joe Hill.
Gute, kurzweilige Fantasy
Kapitel 1 Das Haus der Stille
Tief in der bergigen Wildnis im Norden liegt ein Felsenschrein. Der Wald deckt diese Hügel zu wie ein Leichentuch. Es ist ein stilles Land, aber im Schrein des Unaussprechlichen herrscht noch größere Stille. Vögel und Insekten meiden diesen Ort.
Im Tal unter dem Schrein befindet sich ein Tempel, der den Namen Haus der Stille trägt. Seine Dienerinnen bringen auf den Stufen zum Schrein Opfergaben dar, doch sie erklimmen sie nie.
Alle vierzehn Jahre, im Frühling, wenn die Bäche in den Hügeln zu tauen beginnen, verlässt eine Prozession das Haus der Stille. Die Priorin sitzt in einer Sänfte, die von sechs Männern getragen wird. Trotz der Kälte sind die Träger von der Hüfte aufwärts nackt. An allen anderen Tagen aller anderen Jahre sind sie Bauern und Holzfäller, doch an diesem Tag dienen sie einem uralten Zweck. Sie gehen die weiße Steinstraße entlang, die in die Hügel hinaufführt.
Vor ihnen läuft ein vierzehnjähriges Mädchen, weiß verschleiert und mit Blumen geschmückt. Sie führt ein makelloses Bullenkalb an einer vergoldeten Kette.
Am Fuß der Treppe zum Schrein hält die Prozession an. Hier steht ein Steinaltar, in den eine Rinne geschlagen ist. Unter der Rinne befindet sich ein Gefäß. Und daneben liegt ein blankes, scharfes Messer.
Das Mädchen führt das Kalb zum Altar, und sie schneiden ihm die Kehle durch. Schwarzes Blut spritzt im trüben Frühlingslicht auf den kalten Stein und fließt in das Gefäß.
Das Mädchen nimmt die Schale mit dem Blut und erklimmt die Stufen zum Schrein. Sie wird nie mehr gesehen.
Einen Monat vor dem Tag, an dem Csorwe sterben würde, kam ein Fremder in das Haus der Stille. Csorwe sah seine Ankunft nicht, sie befand sich unten in der Krypta und lauschte den Toten.
Unter dem Haus gab es zahlreiche Keller; Hohlräume, die in die grauen Schichten des heiligen Berges gegraben worden waren. Am tiefsten lagen die Krypten, in denen die berühmtesten Toten der Jünger des Unaussprechlichen zur letzten Ruhe gebettet waren. Ruhe war an diesem Ort, so nahe am Schrein des Gottes, nicht leicht zu finden. Die Toten kratzten an den Wänden und ahmten traurig und schief die Gesänge der Lebenden nach.
Csorwe saß, wie so oft, in der Vorkammer und versuchte, ihre Worte zu verstehen, als sie jemand den Gang hinunterkommen hörte. Sie zog die Füße in den Alkoven, in der Hoffnung, nicht bemerkt zu werden. Eine Kugel aus Kerzenlicht näherte sich und flammte vor ihr auf. Es war Angwennad, eine der Laienschwestern.
»Csorwe, meine Liebe, komm raus da. Du wirst oben gebraucht«, sagte Angwennad. Die anderen Laienschwestern nannten Csorwe Fräulein oder, noch unerträglicher, Herrin. Aber Angwennad war Csorwes Ziehmutter gewesen, weshalb sie sich gewisse Freiheiten herausnehmen konnte.
Csorwe hüpfte von dem Mauervorsprung, auf dem sie gesessen hatte. Für die Nachmittagsgebete kam es ihr noch recht früh vor, aber man verlor hier unten schnell das Gefühl für die Zeit, selbst wenn einem – so wie ihr – in diesem Leben nur noch wenig davon verblieben war.
»Da ist ein Pilger, der dich sprechen möchte«, sagte Angwennad. »Ein Fremdländer. Sieht ein bisschen zerlumpt aus, aber das überrascht mich nicht. Es heißt, er sei zu Fuß durch die Berge gekommen.«
Im Haus der Stille machten hin und wieder Pilger Halt. Die meisten wollten von Csorwe nur ihren Segen, aber Angwennads leicht besorgter Blick legte nahe, dass es damit bei diesem Besucher nicht getan sein würde.
Oben nahm Angwennad ihren Platz am hinteren Ende der Großen Halle ein. Die Priesterinnen knieten bereits in Reihen zu beiden Seiten. Priorin Sangrai nahm Csorwe beiseite und erklärte ihr, dass der Pilger um eine Prophezeiung ersucht hatte, wie es sein Recht war.
Die Altardienerinnen stellten lackierte Tabletts und Kerzen bereit, und die Bewahrerin des Schwarzen Lotus ging herum und schüttete getrocknete Blätter und Lotusstiele aus ihrem Räuchergefäß auf die Tabletts.
Als es so weit war, ging Csorwe allein durch die Mitte der Halle zu dem Podium am anderen Ende. Die Halle war nur von Kerzen erleuchtet und vom schwachen Glühen des brennenden Lotus. Die Gesichter der anderen wirkten wie bleiche Daumenabdrücke im Dunst.
Auf dem Podium standen die Priorin und die Bibliothekarin mit dem Fremden. Beim Näherkommen erhaschte Csorwe einen kurzen Blick auf ihn, hielt sonst aber die Augen zu Boden gerichtet und schritt stetig voran. Sie nahm auf dem Stuhl mit der hohen Lehne Platz und schaute mit erhobenem Kopf starr geradeaus. Die Reihen der Priesterinnen und Altardienerinnen, die Priorin, die Bibliothekarin und der Fremde, sie alle verschwammen am Rand ihres Gesichtsfeldes. Csorwe sah nur die Dunkelheit und die Leere im hohen Gewölbe der Großen Halle.
Süß und flüchtig stieg der Lotusrauch zwischen den Säulen auf. Nachdem die Bewahrerin ihre Runde beendet hatte, kam sie zu Csorwe mit einer Porzellantasse, die eine Mischung aus Lotussamen und Blütenblättern in Baumharz enthielt. Ein feiner schwarzer Rauch stieg davon auf.
Die Jünger des Unaussprechlichen neigten alle gemeinsam die Köpfe und murmelten im Chor:
»Unausgesprochener und Unaussprechlicher, Ritter des Abgrunds, Hüter der verschlungenen Welten, lobe und ehre deine erwählte Braut. Möge sie für uns sprechen.«
Csorwe hob die Tasse und nahm einen tiefen Atemzug. Zedernholz, Pfeffer, Weihrauch und darunter das unwiderstehliche Aroma des Lotus. Ihr Blick verdunkelte sich, ein angenehmes Kribbeln kroch durch ihre Glieder, gefolgt von Taubheit. Die Lichter in der Halle waren sehr weit entfernt und schimmerten, als würden sie sich unter Wasser befinden. Mit jedem Atemzug wurden sie noch trüber.
Im Wachzustand war Csorwe durch sämtliche Krypten und Keller unter dem Haus der Stille gestreift. Sie kannte sie in- und auswendig, hatte alles dort gesehen und berührt. Unter dem Einfluss des Lotus spürte, nein, schmeckte sie ihre Umrisse. Der ganze Berg war von Hohlräumen durchzogen, und in seinem Herzen befand sich die große Leere.
Sie stürzte durch die Dunkelheit hinab und spürte die Augen der Leere auf sich gerichtet.
Die Gegenwart des Unaussprechlichen kam anfangs nur langsam über sie, wie die Flut, die sanft anstieg und in die Höhlen der im Sand lebenden Kreaturen vordrang. Und dann war sie auf einmal nicht mehr zu leugnen: ein gewaltiger, unsichtbarer Druck, eine konzentrierte Neugier, deren Hunger schwer auf ihr lastete.
Schließlich eine Stimme und ein Gesicht. In der Großen Halle des Hauses der Stille kniete der Fremde vor ihr und entbot ehrfurchtsvoll den Gruß der geschlossenen Lippen. Sein leuchtendes Gesicht verschwamm wie ein Spiegelbild auf der Oberfläche eines Sees. Obwohl er bestimmt schon vierzig war, besaß er keine Hauer. Er war der erste Fremdländer, den Csorwe zu Gesicht bekam, und sie wünschte sich, sie könnte ihn klarer sehen.
»Erwählte Braut, ich möchte den Unaussprechlichen in aller Demut um eine Gunst ersuchen«, sagte der Fremde. Er sprach Oshaaru mit seltsamem Akzent.
»Was wünschst du?« Es war Csorwes Stimme, aber natürlich spürte sie nicht, wie sich ihre Lippen bewegten. Der Unaussprechliche hatte sie in seiner Gewalt.
»Wissen«, sagte der Fremde.
»Wissen über das, was vergangen ist, oder über das, was sein wird?«, fragte der Unaussprechliche. Seine Aufmerksamkeit wanderte prüfend durch Csorwes Geist. Er fand keinen Widerstand. Sie war hierfür ausgebildet worden. Ein reines Gefäß für die Stimme des Gottes.
»Wissen über das, was jetzt ist«, sagte der Fremde.
Das war ungewöhnlich. Fast schon respektlos. Csorwe wappnete sich für den Zorn des Unaussprechlichen. Er schien ihre Gedanken wahrzunehmen, und sie spürte eine sanfte Berührung, wie die Kühle, die aus einem offenen Grab aufsteigt.
»Sprich also«, sagte der Gott mit Csorwes Stimme.
»Unausgesprochener und Unaussprechlicher, wo befindet sich das Reliquiar von Pentravesse?«
Csorwe überkam das vertraute Gefühl zu fallen. Helle Gegenstände flackerten vorbei. Und dann spürte sie erneut die Berührung des Unaussprechlichen, der ihren Blick in eine bestimmte Richtung lenkte.
Sie sah ein Rosenholz-Kästchen. Es war achtseitig, mit Goldintarsien verziert und etwa so groß wie die Faust eines Mannes. Es schien so nah, dass sie es fast berühren konnte, aber dies war nicht Csorwes erste Prophezeiung, und selbst benebelt vom Lotus wusste sie, dass es nur eine Vision war.
Eine dichte Finsternis sammelte sich um das Kästchen, wie ein Samtbeutel, der zusammengezogen wurde, und dann verschwand es darin. Die Vision endete abrupt, als sei sie Csorwe absichtlich entrissen worden.
»Es ist vor meinem Blick verborgen«, sagte der Unaussprechliche.
Gefühle wie Abscheu oder Unglaube waren unter der Würde eines Gottes, Unmut dagegen empfand der Unaussprechliche sehr wohl.
»Aber es existiert noch?«, fragte der Fremde. Er gab sich offensichtlich Mühe, ruhig zu sprechen, doch Csorwe entging die Befriedigung in seiner Stimme nicht.
»Es ist unversehrt«, sagte der Unaussprechliche. Mehr würde der Fremde offenbar nicht erfahren, denn der Unaussprechliche zog sich aus Csorwe zurück, wie eine Welle am Strand, die zurück ins Meer gezogen wird und nur glänzenden, glatten Sand hinterlässt.
Und dann war sie wieder sie selbst, auf dem Podium, im Haus der Stille, mit dem bitteren Nachgeschmack des Lotus im Mund. Ihr wurde schwindelig, die Tasse fiel ihr aus der Hand, und sie verlor das Bewusstsein.
Csorwe verschlief die Nachmittagsgebete, erwachte schließlich...
Erscheint lt. Verlag | 24.6.2020 |
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Übersetzer | Sara Riffel |
Zusatzinfo | 1 s/w-Abbildung (Karte) |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | EPIC • Fantasy • Fantasy Bestseller • Fantasy Debüt • Fantasy Frauen • Fantasy Roman • Feministische Fantasy • Heroic Fantasy • High Fantasy • LGBT • Magie • magische Artefakte • Orks • Queer Fantasy • sword_and_sorcery |
ISBN-10 | 3-10-491218-1 / 3104912181 |
ISBN-13 | 978-3-10-491218-9 / 9783104912189 |
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