Cursed - Die Auserwählte (eBook)
470 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491106-9 (ISBN)
Thomas Wheeler ist Autor, Produzent und Drehbuchautor, unter anderem von »Der gestiefelte Kater« und »Lego Ninjago Movie«. Gemeinsam mit Frank Miller verantwortet er die Produktion der Netflix-Serie »Cursed«, nach der Vorlage dieses Buches.
Thomas Wheeler ist Autor, Produzent und Drehbuchautor, unter anderem von »Der gestiefelte Kater« und »Lego Ninjago Movie«. Gemeinsam mit Frank Miller verantwortet er die Produktion der Netflix-Serie »Cursed«, nach der Vorlage dieses Buches. Der legendäre Comic- und Graphic-Novel-Zeichner Frank Miller ist nicht nur für seine Superhelden »Batman« und »Daredevil« bekannt und preisgekrönt. Auch »Sin City« und »300« waren weltweite Erfolge, auf Papier wie auf der Leinwand. Mit der Aufnahme in die renommierte Will Eisner Award Hall of Fame wurde Frank Miller für sein Lebenswerk geehrt. Petra Koob-Pawisstudierte in Würzburg und Manchester Anglistik und Germanistik und ist seit vielen Jahren als Übersetzerin tätig. Sie lebt in der Nähe von München. Der legendäre Comic- und Graphic-Novel-Zeichner Frank Miller ist nicht nur für seine Superhelden »Batman« und »Daredevil« bekannt und preisgekrönt. Auch »Sin City« und »300« waren weltweite Erfolge, auf Papier wie auf der Leinwand. Mit der Aufnahme in die renommierte Will Eisner Award Hall of Fame wurde Frank Miller für sein Lebenswerk geehrt.
2
»Aber warum musst du gehen?«, fragte Squirrel, während er über den moosbedeckten Arm einer zerborstenen Statue kletterte.
»Ich gehe doch jetzt noch nicht«, sagte Nimue und musterte einen Ast mit lila Blüten, der zwischen den freiliegenden Wurzeln einer uralten Esche wuchs. Sie wollte das Thema wechseln, aber Squirrel gab nicht auf.
»Aber warum willst du überhaupt gehen?«
Nimue zögerte. Wie könnte sie ihm die Wahrheit sagen? Das würde ihn nur verletzen und verwirren und zu weiteren Fragen führen. Sie wollte weg, weil sie in ihrem Heimatdorf nicht erwünscht war. Sie wurde gefürchtet. Verurteilt. Über sie wurde getuschelt. Man zeigte auf sie. Den Dorfkindern wurde verboten, mit ihr zu spielen wegen der Narben auf ihrem Rücken. Wegen der düsteren Geschichten aus ihrer Kindheit. Weil ihr Vater sie verlassen hatte. Weil sie verflucht war. Und vielleicht stimmte es sogar. Ihre Verbindung mit den Verborgenen – so nannte es ihre Mutter, Nimue hätte es eher Besessenheit genannt – war stärker als bei allen anderen vom Himmelsvolk. Oft kam es ungebeten über sie, auf seltsame, manchmal brutale oder unerwartete Weise, in Visionen oder Anfällen. Der Boden schwankte oder bebte, oder Gegenstände aus Holz verformten sich in ihrer Nähe zu grotesken Massen. Es fühlte sich an wie sich zu übergeben. Auch danach, wenn sie verschwitzt, beschämt und leer in sich zusammensank. Nur dem Ansehen ihrer Mutter als Erzdruidin war es zu verdanken, dass Nimue nicht mit Messern und Stöcken aus dem Dorf gejagt wurde. Aber warum sollte sie Squirrel mit all dem belasten? Seine Mutter, Nella, war wie eine Schwester für ihre Mutter und wie eine Tante für Nimue. Deshalb hatte sie Squirrel die düsteren Gerüchte verschwiegen. Für ihn war Nimue normal, sogar langweilig (besonders wenn sie ihn wie jetzt zu endlos langen Spaziergängen durch den Wald schleifte), und genau so gefiel es ihr. Aber so würde es nicht bleiben.
Sie verspürte Gewissensbisse, als sie den Blick über die urwüchsigen grünen Hügel des Eisernen Walds schweifen ließ, in denen es vor Leben nur so summte und tschilpte und schnatterte, und zu den rätselhaften Gesichtern der alten Götter sah, Gesichter, die sich durch Ranken und schwarze Erde drängten, Gesichter, denen sie über die Jahre hinweg Namen gegeben hatte: Großnase, die Traurige Lady, Narbenglatze, Überbleibsel einer längst untergegangenen Zivilisation. Die Statuen waren wie alte Freunde. Es würde ihr schwerfallen, sie zurückzulassen.
»Ich weiß nicht, Squirrel. Sehnst du dich nie danach, Dinge zu sehen, die du nie zuvor gesehen hast?«
»Wie eine Mondschwinge?«
Nimue lächelte. Squirrel suchte immer das Laubdach des Waldes ab, um einen flüchtigen Blick auf eine Mondschwinge zu erhaschen. »Oder das Meer? Oder die Verlorenen Städte der Sonnengötter? Die Schwebenden Tempel?«
»Die gibt es gar nicht«, sagte Squirrel.
»Woher wollen wir das wissen, wenn wir sie nicht suchen gehen?«
Squirrel stemmte die Hände auf die Hüften. »Wirst du gehen und nie mehr zurückkommen so wie Gawain?«
Nimue glühte innerlich bei dem Namen. Sie erinnerte sich daran, sieben Jahre alt gewesen zu sein, wie sie die Arme um Gawains Hals geschlungen und er sie auf seinem Rücken durch diese Wälder getragen hatte. Mit vierzehn kannte er die besonderen Eigenschaften jeder Blume, jedes Blatts und jeder Rinde des Eisernen Walds, Heilmittel, Gifte, welche als Tee gebraute Blätter Visionen schenkten und welche Herzen einfingen, welche Rinde die Wehen auslöste, wenn man sie kaute, und das Nest welches Vogels das Wetter vorhersagte. Sie erinnerte sich daran, zwischen seinen Beinen zu sitzen, seine langen Arme um sie geschlungen wie die eines großen Bruders, während Milanküken in ihrem Schoß fiepten und Gawain ihr beibrachte, wie man die Muster in zerbrochenen Eierschalen las.
Er verurteilte Nimue nie wegen ihrer Narben. Sein Lächeln war immer entspannt und freundlich.
»Er kommt vielleicht eines Tages zurück«, sagte Nimue mit mehr Hoffnung als Glauben.
»Wirst du ihn suchen?«, fragte Squirrel grinsend.
»Was? Nein, sei nicht albern.« Nimue zwickte Squirrel in den Arm.
»Au!«
»Und jetzt pass auf«, forderte Nimue und sah ihn übertrieben finster an, »denn ich bin es leid, dir während der Lektionen in den Hintern zu treten.«
Nimue zeigte auf einen Busch, der von Nesseln umwuchert war.
Squirrel verdrehte die Augen. »Oshawurzel. Schützt uns vor dunkler Magie.«
»Und?«
Squirrel rümpfte nachdenklich die Nase. »Gut bei Halsweh?«
»Gut geraten«, neckte Nimue ihn. Sie hob einen Stein hoch und legte kleine weiße Blüten frei.
Squirrel popelte in der Nase, tief in Gedanken versunken. »Schafgarbe, für Flüche«, sagte er, »und bei Kater.«
»Was weißt du von Katern?« Nimue schubste Squirrel sanft, und er kicherte, als er rückwärts ins weiche Moos fiel. Sie jagte ihm hinterher, doch sie bekam Squirrel nie. Er flitzte unter dem hängenden Kinn der Traurigen Lady hindurch und sprang auf einen Ast, von wo sich ihm freie Sicht auf Dewdenns Weiden und Hütten bot.
Nimue gesellte sich zu ihm, ein wenig außer Atem, und genoss den Wind in ihrem Haar.
»Ich werde dich vermissen«, sagte Squirrel einfach und nahm ihre Hand.
»Wirst du das?« Nimue stupste ihn mit der Hüfte an und zog seinen verschwitzten Kopf an ihre Rippen. »Ich werde dich auch vermissen.«
»Weiß deine Mutter, dass du gehst?«
Nimue dachte über ihre Antwort nach, als sie das Summen und Wispern der Verborgenen in ihrem Bauch spürte. Sie erstarrte. Es war ein abstoßendes Gefühl, und ihre Kehle wurde trocken. Sie krächzte ein wenig, als sie Squirrel anstupste und sagte: »Lauf jetzt. Die Lektion ist vorüber.«
Das war Musik in Squirrels Ohren. »Juchhu!« Er schoss zwischen den Felsen hindurch und war verschwunden, ließ Nimue mit dem mulmigen Gefühl im Bauch allein zurück.
Dem Himmelsvolk waren die Verborgenen nicht fremd, unsichtbare Naturgeister, von denen man glaubte, dass Nimues Clan von ihnen abstammte. Gelegentlich rief das Himmelsvolk die Verborgenen in Ritualen an. Während die Erzdruidin den wichtigsten Feiern des Jahres vorstand und bei Auseinandersetzungen vermittelte, war es die Aufgabe des Beschwörers, die Verborgenen anzurufen, damit diese die Ernte segneten oder den Regen brachten, eine Geburt erleichterten und Geister zurück zur Sonne geleiteten. Nimue hatte jedoch schon früh gelernt, dass diese Beschwörungen überwiegend rein zeremonieller Art waren. Die Verborgenen antworteten nur sehr selten. Beinahe nie. Selbst der Beschwörer, der wegen seiner Vertrautheit mit den Verborgenen erwählt wurde, musste die Botschaften der Geister in den Wolken oder der Erde entschlüsseln. Für die meisten des Himmelsvolks glich die Existenz der Verborgenen lediglich einem Rinnsal, einem Tautropfen. Für Nimue war sie wie ein rasch dahinfließender Strom.
Dieses Mal fühlte es sich jedoch anders an. Das Pochen in ihrem Bauch. Die Stille über dem Eisernen Wald. Nimues Herz schlug heftig in ihrer Brust, aber nicht nur aus Angst, sondern auch voller Erwartung. Als stünde etwas Großes bevor. Sie hörte es im Rascheln der Blätter, im Summen der Zikaden, im Flüstern der Brise. Es klang wie das Murmeln aufgeregter Stimmen in einem überfüllten Raum. Und es gab ihr Hoffnung auf eine tiefe Verbundenheit, darauf, all die Antworten zu bekommen, nach denen sie schon so lange suchte.
Nimue spürte eine Bewegung und drehte sich um, sah ein kleines Rehkitz, das ganz in ihrer Nähe stand. Das Summen in ihrem Bauch wurde lauter. Das Kitz starrte Nimue aus tiefschwarzen Augen an, die älter waren als der tote Baumstumpf unter ihr. Älter als das Sonnenlicht auf ihren Wangen.
Hab keine Angst, sagte das Rehkitz. Der Tod ist nicht das Ende.
Nimue konnte nicht atmen. Sie hatte Angst, sich zu bewegen. Die Stille brauste in ihren Ohren. Überwältigendes Staunen erfüllte ihren Kopf und sie kämpfte gegen den Drang an, wegzulaufen oder die Augen zuzumachen, wie sie es für gewöhnlich tat, bis der Moment vorüberging. Nein, diesmal musste sie alles sehen. Endlich, nach so vielen Jahren, wollten die Verborgenen ihr etwas mitteilen.
Die Sonne verschwand hinter einer Wolke, und der Wald wurde dunkel und kalt. Nimue hielt trotz ihrer Angst dem Blick des Kitzes stand. Sie war die Tochter der Erzdruidin und sie würde nicht vor dem Geist der Verborgenen zurückweichen.
Nimue hörte sich selbst fragen: »Wer wird sterben?«
Sie hörte das Schwirren einer Sehne, ein Pfeifen, und ein Pfeil schlug in den Hals des Kitzes ein. Ein Schwarm Amseln brach aus den Bäumen hervor, als die Verbindung durchtrennt wurde. Wütend wirbelte Nimue herum. Da stand Josse, einer der Zwillinge des Schäfers, und stieß die Fäuste triumphierend in die Luft. Nimue drehte sich wieder zu dem Kitz um, das auf der Erde lag, die Augen glasig und leer.
»Was hast du getan?«, schrie Nimue, als Josse sich zwischen den Zweigen hindurchschob, um seine Beute zu holen.
»Nach was sieht es denn aus? Ich habe Abendessen besorgt.« Josse packte das Kitz an den Hinterläufen und hievte es sich über die Schultern.
Silbrige Ranken wanden sich an Nimues Hals und Wangen hinauf, als ihr Zorn aufblitzte und Josses Langbogen sich auf ganz und gar unmögliche Weise verbog und dann in seinen Händen zerbarst. Entsetzt ließ er das Kitz und den Bogen zu Boden fallen, wo das Holz sich wie eine sterbende Schlange wand.
Josse sah zu Nimue auf. Anders als Squirrel kannte er all das düstere Gerede. »Du verrückte Hexe!«
Heftig stieß er Nimue gegen den...
Erscheint lt. Verlag | 27.5.2020 |
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Illustrationen | Frank Miller |
Übersetzer | Michelle Gyo, Petra Koob-Pawis |
Zusatzinfo | 32 s/w-Abbildungen; 11 farbige Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Artussage • Excalibur • Fantasy • Fantasy Bestseller • Fantasy Roman • Kelten • König Arthur • Lancelot • Low Fantasy • Marion Zimmer Bradley • Merlin • Mittelalter • Nebel von Avalon • Netflix • Nimue • Ninive • Sin City • Sword and Sorcery • Tafelrunde |
ISBN-10 | 3-10-491106-1 / 3104911061 |
ISBN-13 | 978-3-10-491106-9 / 9783104911069 |
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