Quälender Hass (eBook)

Thriller | Spannender Thriller bei den Amischen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491057-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Quälender Hass -  Linda Castillo
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Die schreckliche Vergangenheit einer amischen Familie kommt ans Tageslicht, als die Großmutter der Familie auf brutale Weise ums Leben kommt. Der neue aufwühlende Roman von Bestseller-Autorin Linda Castillo.   Das friedliche Städtchen Painters Mill wird zutiefst erschüttert, als eine amische Großmutter auf einer verlassenen Farm brutal ermordet und ihre siebenjährige Enkelin entführt wird. Kate Burkholder versucht mit allen Mitteln, das Kind schnellstens zu finden. Die Familie lebt in einer ultra-konservativen amischen Siedlung am Fluss, sie ist äußerst hilfsbereit, doch Kate merkt schnell, dass sie etwas verschweigen. Aber warum? Als sie die fürchterliche Wahrheit aufdeckt, zweifelt sie an ihrem eigenen Glauben, an den Amischen, an der ganzen Welt.

Linda Castillo wuchs in Dayton im US-Bundesstaat Ohio auf, schrieb bereits in ihrer Jugend ihren ersten Roman und arbeitete viele Jahre als Finanzmanagerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit »Die Zahlen der Toten« (2010), dem ersten Kriminalroman mit Polizeichefin Kate Burkholder. Linda Castillo kennt die Welt der Amischen seit ihrer Kindheit und ist regelmäßig zu Gast bei amischen Gemeinden. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und zwei Pferden auf einer Ranch in Texas.

Linda Castillo wuchs in Dayton im US-Bundesstaat Ohio auf, schrieb bereits in ihrer Jugend ihren ersten Roman und arbeitete viele Jahre als Finanzmanagerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit »Die Zahlen der Toten« (2010), dem ersten Kriminalroman mit Polizeichefin Kate Burkholder. Linda Castillo kennt die Welt der Amischen seit ihrer Kindheit und ist regelmäßig zu Gast bei amischen Gemeinden. Die Autorin lebt heute mit ihrem Mann und zwei Pferden auf einer Ranch in Texas. Helga Augustin hat in Frankfurt am Main Neue Philologie studiert. Von 1986 - 1991 studierte sie an der City University of New York und schloss ihr Studium mit einem Magister in Liberal Studies mit dem Schwerpunkt ›Translations‹ ab. Die Übersetzerin lebt in Frankfurt am Main.

die Fälle, die Kate und ihr Partner John Tomasetti zu lösen haben, [...] entwickeln aber einen echten Sog

1. Kapitel


Als Polizeichefin in einer Kleinstadt habe ich mit Dingen zu tun, von denen die meisten Menschen nichts wissen – nichts wissen wollen –, womit sie vermutlich besser dran sind. In der Regel handelt es sich um kleinere Vorkommnisse wie Verkehrsunfälle, häusliche Auseinandersetzungen, Bagatelldiebstähle oder ausgebrochene Nutztiere. Ich erlebe Menschen in außergewöhnlichen Stresssituationen – Freunde, Nachbarn und Leute, die ich schon fast mein ganzes Leben lang kenne. Manchmal sehe ich sie von ihrer schlimmsten Seite, was dadurch ausgeglichen wird, dass ich auch ihre guten Seiten kenne. Mir begegnen Mut, Charakterstärke, Fürsorglichkeit und die Bereitschaft, das eigene Leben für jemanden zu riskieren, den man gar nicht kennt. Und diese Momente sind es, die mir die Kraft zum Weitermachen geben, selbst wenn der Himmel dunkel ist und es in Strömen regnet.

Mein Name ist Kate Burkholder, ich bin Polizeichefin in Painters Mill, einer hübschen Kleinstadt im Herzen von Ohios Amish Country. Von den etwa fünftausenddreihundert Einwohnern der Stadt sind ein Drittel Amische. Auch ich bin hier geboren und als Amische aufgewachsen, habe die Glaubensgemeinschaft jedoch mit achtzehn Jahren verlassen. Damals habe ich mir nicht vorstellen können, jemals wieder hier zu leben, aber nach zwölf Jahren – und nachdem ich meine Berufung als Polizistin gefunden hatte – hat es mich doch an den Ort meiner Kindheit zurückgezogen. Dabei ist mir das Schicksal zu Hilfe gekommen, denn der Stadtrat bot mir die Stelle als Polizeichefin an. Ich bilde mir gern ein, dass meine Erfahrung im Polizeidienst oder mein guter Ruf als Polizistin ausschlaggebend waren, weiß aber auch, dass meine amischen Wurzeln – die Vertrautheit mit der amischen Lebensweise und Religion und meine Kenntnis von Pennsylvaniadeutsch – eine Rolle bei der Entscheidung spielten. Denn der Tourismus macht in Painters Mill einen Großteil der städtischen Einnahmen aus, und die Stadtoberen konnten davon ausgehen, dass meine Gegenwart helfen würde, die Kluft zwischen der amischen und der »englischen« Bevölkerung zu überbrücken.

Es ist kurz nach sechzehn Uhr, und ich sitze als Beifahrerin in meinem Dienstwagen neben Mona Kurtz, meiner frischgebackenen Streifenpolizistin. Heute Nachmittag ist sie ganz professionell: Sie trägt ihre neue Polizeiuniform, die noch nach Weichspüler duftet, ihr sonst wildes Haar ist in einem Pferdeschwanz gebändigt, und das oft farbenreiche Make-up besteht aus dezenten Braun- und Nude-Pink-Tönen. Momentan arbeitet sie noch hauptsächlich während der Nachtschicht in der Telefonzentrale, aber da Erfahrung beim Streifendienst wichtig ist, fahre ich – wenn unsere Dienstpläne es zulassen – jeden Tag ein paar Stunden mit ihr umher. Sobald ich jemanden für die Telefonzentrale gefunden und eingearbeitet habe, soll sie allein Streife fahren können.

Es ist ein wunderbar sonniger Tag, frisch, aber angenehm für November in diesem Teil von Ohio. Das Radio, in dem die Band X Ambassadors gerade zugibt, sich ein wenig »Unsteady« – unsicher – zu fühlen, ist so leise gedreht, dass wir den Polizeifunk hören können. Unser Coffee to go klemmt in den Kaffeehaltern, und die Verpackung unserer Burger vom Mittagessen steckt in einer Tüte in der Mittelkonsole. Wir fahren gerade auf der County Road 19, als ein Stück vor uns ein Dutzend Heuballen über beide Fahrbahnen verstreut liegen.

»Da hat wohl jemand seine Ladung verloren«, sagt Mona und fährt langsamer.

»Wenn man mit achtzig gegen einen Heuballen fährt, hat man ein echtes Problem.«

Mona macht das Blaulicht an und fährt an den Straßenrand. »Sollen wir Warnleuchten aufstellen?«

Ich blicke die Straße entlang und sehe tatsächlich einen vollbeladenen amischen Heuwagen gen Horizont wanken. »Und da vorn haben wir vermutlich unseren Übeltäter. Wir befördern das Heu auf den Seitenstreifen und schnappen ihn uns dann.«

Nach ein paar Minuten haben wir alle Heuballen an den Straßenrand gezerrt und fahren dem nachlässigen Farmer hinterher. Als wir nahe genug sind, sehe ich, dass es ein alter Leiterwagen ist, dessen seitliche Bretter schon zur Hälfte kaputt sind.

»Wenigstens hat er ein Schild mit dem Hinweis ›Langsam fahrendes Vehikel‹ angebracht«, sage ich. »Das ist gut.«

»Soll ich ihn anhalten, Chief?«

»Ja, tun Sie das.«

Mona scheint mir ein bisschen zu begeistert von der Aussicht, aktiv zu werden, sie fährt auf gleicher Höhe links neben dem Wagen her. Den Fahrer können wir nicht sehen, weil das Heu auf der Ladefläche drei Meter hoch bis vor zum Kutschbock reicht. Aber immerhin lenkt er die beiden alten Ackergäule an den Straßenrand und bleibt stehen. Wir halten dahinter.

Mona holt tief Luft, zieht ihre Uniformjacke glatt, wirft mir einen entschlossenen Blick zu und steigt aus. Ich unterdrücke ein Lächeln und folge ihr zur Fahrerseite des Heuwagens.

Und dort erwartet uns eine Überraschung: Ein etwa fünfzehn Jahre altes Mädchen hält die Zügel des Pferdefuhrwerks in der Hand, ein noch jüngeres Mädchen sitzt ganz rechts auf der Bank und zwischen ihnen ein sechs oder sieben Jahre alter Junge, der uns ein fast zahnloses Grinsen schenkt. An ihrer Kleidung sehe ich, dass es Swartzentruber-Amische sind: Der Junge hat einen schwarzen Mantel, Jeans und schwarze knöchelhohe Turnschuhe an; auf seiner typischen Topffrisur sitzt ein breitkrempiger Hut. Die Mädchen tragen dunkelblaue Kleider, schwarze Mäntel und schwarze Winterhauben.

Die Swartzentruber sind Amische der Alten Ordnung. Sie halten eisern an ihren langjährigen Traditionen fest und verzichten auf viele Annehmlichkeiten, die andere Amische im täglichen Leben nutzen, wie fließend Wasser oder Spülklosetts. Ihre Buggys haben weder Windschutzscheiben noch Gummireifen. Die Frauen tragen lange dunkle Kleider, die meisten von ihnen das ganze Jahr über eine Winterhaube. Die Männer stutzen nie ihren Bart. Und selbst ihre Häuser sind schmucklos.

Als Gemeinschaft haben sie keinen guten Ruf, besonders bei der nicht amischen Bevölkerung, die ihre Traditionen nicht verstehen. Die meisten Beschwerden betreffen die Weigerung, ein Schild mit dem Hinweis »Langsam fahrendes Vehikel« an ihren Fahrzeugen anzubringen, weil es ihrer Ansicht nach Zierrat ist. Ich habe auch schon mitbekommen, dass sich manche Nicht-Amische über die mangelnde Körperpflege einiger Swartzentruber mokieren. Da ich selbst als Amische aufgewachsen bin, weiß ich aus eigener Erfahrung, wie mühsam es ist, bei zwanzig Grad unter null Wasser zu schleppen, wodurch es praktisch unmöglich ist, jeden Tag ein Bad zu nehmen. Aber ich kenne den Wert alter Traditionen, und obwohl ich manche nicht akzeptiere, respektiere ich sie doch.

Die Kinder sind verstört, weil sie angehalten wurden, und ich bemühe mich, sie zu beruhigen. »Guder nochmiddawks«, sage ich auf Pennsylvaniadeutsch.

»Hi.« Der Blick der Fahrerin huscht von Mona zu mir. »Habe ich etwas Falsches getan?«

Ich nicke Mona zu, gebe ihr zu verstehen, dass sie übernehmen soll. »Nein«, antwortet sie dem Mädchen, »ich wollte euch nur sagen, dass ihr ein paar Heuballen verloren habt.«

Das Mädchen reißt erschrocken die Augen auf. »O nein.« Sie blickt hinter sich, kann aber wegen des hochaufgetürmten Heus nichts sehen. »Wie viele denn?«

»Ungefähr zehn.« Mona zeigt zu den heruntergefallenen Heuballen. »Vierhundert Meter von hier.«

Erst jetzt kann ich einen guten Blick auf die Kinder werfen, und mir wird klar, dass ich sie schon mit ihren Eltern im Ort gesehen habe. Ihren Datt musste ich bereits mehrere Male anhalten, weil er sich weigert, an seinem Buggy das Schild »Langsam fahrendes Vehikel« anzubringen. Ich bin froh zu sehen, dass er meiner Aufforderung endlich nachgekommen ist.

»Seid ihr die Kinder von Elam Shetler?«, frage ich.

Die Fahrerin blickt zu mir. »Ich bin Loretta.« Sie zeigt mit dem Daumen auf ihre Geschwister. »Das ist Lena, und das ist Marvin.«

Ich nehme den Heuwagen genauer in Augenschein, er ist ausgesprochen groß und mächtig überladen. Die Straße ist eng, der Seitenstreifen kaum der Rede wert. Ich will gerade vorschlagen, dass sie nach Hause fahren, den Wagen entladen und mit einem Erwachsenen zurückkommen soll, als sie die Zügel strafft und mit der Zunge schnalzt.

»Kumma druff!«, ruft sie. »Kumma druff!« Weiter geht’s.

In die Pferde kommt Leben, sie heben die Köpfe, richten die Ohren auf und lauschen. Alte Profis, denke ich.

»Bist du sicher, dass du den Wagen hier wenden kannst?«, frage ich.

»Das schaff ich locker«, erwidert das Mädchen. In ihren Worten klingt weder Gereiztheit noch jugendliche Überheblichkeit, sie sind Ausdruck einer Selbstsicherheit, die auf Geschick und Erfahrung beruht.

Ich sehe Mona an. »Stoßen Sie mit dem Explorer zurück, damit wir nicht im Weg sind.«

»Wird gemacht, Chief.«

Ich gehe zur Seite und beobachte nicht ohne Bewunderung, wie das Mädchen beide Pferde in einen anmutigen Seitengang lenkt. Die Köpfe der Tiere sind gleichauf, die Vorderbeine überkreuzen sich in perfektem Einklang. Als der Wagen keinen Platz mehr hat, führt sie die Pferde ein Stück zurück und dann wieder in einen Seitengang. Nach wenigen Minuten ist das Gespann in die Richtung gewendet, aus der sie gekommen sind.

»Mein Respekt für amische Mädchen ist gerade in die Höhe geschnellt«, flüstert Mona.

Ich gehe hinüber zum Heuwagen und sehe zu dem Mädchen hoch. »Gut gemacht«, sage ich.

Sie wendet den...

Erscheint lt. Verlag 29.7.2020
Reihe/Serie Kate Burkholder ermittelt
Kate Burkholder ermittelt
Übersetzer Helga Augustin
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Amish • Brennendes Grab • Entführung • Familie • Glauben • John Tomasetti • Kate Burkholder • Kindesraub • Ohio • Painters Mill • USA • weibliche Ermittlerin
ISBN-10 3-10-491057-X / 310491057X
ISBN-13 978-3-10-491057-4 / 9783104910574
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