Andere machen das beruflich (eBook)
288 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99409-5 (ISBN)
Andrea Sawatzki, geboren 1963, gehört zu den bekanntesten deutschen Film- und Fernsehschauspielerinnen. Nach ihrem SPIEGEL-Bestseller »Ein allzu braves Mädchen« erschien die turbulente Weihnachtskomödie »Tief durchatmen, die Familie kommt«. Mit »Von Erholung war nie die Rede«, »Ihr seid natürlich eingeladen«, »Andere machen das beruflich« und »Woanders ist es auch nicht ruhiger« veröffentlichte sie mittlerweile vier weitere Bücher um die Familie Bundschuh. Alle fünf Bände wurden mit Andrea Sawatzki, Axel Milberg und anderen für das ZDF verfilmt. Andrea Sawatzki lebt mit ihrem Mann, dem Schauspieler und Autor Christian Berkel, ihren gemeinsamen zwei Söhnen und einem Hund in Berlin.
Andrea Sawatzki, geboren 1963, gehört zu den bekanntesten deutschen Film- und Fernsehschauspielerinnen. Nach ihrem Spiegel-Bestseller "Ein allzu braves Mädchen" erschien die turbulente Weihnachtskomödie "Tief durchatmen, die Familie kommt". Mit "Von Erholung war nie die Rede", "Ihr seid natürlich eingeladen" und "Andere machen das beruflich" veröffentlichte sie mittlerweile drei weitere Bücher um die Familie Bundschuh. Alle vier Bände wurden mit Andrea Sawatzki, Axel Milberg und anderen für das ZDF verfilmt. Andrea Sawatzki lebt zusammen mit ihrem Mann, dem Schauspieler Christian Berkel, und den zwei gemeinsamen Söhnen sowie drei Hunden in Berlin.
1.
Kapitel
Ich habe immer vermieden, mich jemals wieder länger als irgend nötig in einem Schulgebäude aufzuhalten. Meine eigene Schullaufbahn war nah an der Traumatisierungsgrenze verlaufen. Die Albträume, die mich nach meinem hart erkämpften Realschulabschluss jede Nacht heimsuchten, habe ich nur durch intensive Analysestunden bei unserem Nachbarn und meinem Therapeuten Herrn Mussorkski aufarbeiten können. Ohne Herrn Mussorkski wäre von mir sowieso nichts mehr übrig. Auch meine Ehe mit Gerald hätte sich schon längst in Luft aufgelöst. Gerald ist hauptberuflich Finanzbeamter. Dann kommt lange nichts. Dann kommt seine alte Schlagerplattensammlung, dicht gefolgt von Mettwurstschnittchen und gedecktem Apfelkuchen mit Schlagsahne. Dann kommt wieder lange nichts. Dann seine Mutter Susanne, dann unsere Kinder Rolfi, Ricki und Matz. Dann seine Ente (ein Auto) und ganz am Ende … ich. Gerald sagt, das liege nicht an mir, sondern an dem Umstand, dass sein Leben angefüllt sei mit interessanteren Dingen. Und ab einem gewissen Alter seien gute Gespräche nun mal wichtiger als Erotik. Das Schöne ist, dass ich ihm da uneingeschränkt zustimmen kann.
Ich weiß nicht genau, wie lang Gerald und ich jetzt schon zusammen sind. Aber da Rolfi dieses Jahr einundzwanzig wird, muss man also ungefähr sein Alter zu den zehn Jahren hinzurechnen, in denen ich nicht schwanger wurde. Nicht, dass wir uns keine Kinder gewünscht hätten, aber um Kinder zu bekommen, muss man das tun, was man heutzutage schon im Aufklärungsunterricht in der Vorschule lernt.
Jetzt jedenfalls haben wir sogar drei. Also Kinder. Alle sind gesund und in keiner Weise auf den Mund gefallen. Es war uns immer wichtig, unsere Kinder zu äußerster Selbstständigkeit zu erziehen. Was zum Teil auch daran liegt, dass Gerald meistens im Finanzamt festsitzt und ich mich damit herumschlage, eine perfekte Hausfrau und Mutter zu sein. Da muss man bei der Erziehung schon mal alle fünfe gerade sein lassen. Außerdem lernen die Kinder meiner Meinung nach in der Schule und unter ihresgleichen viel mehr als zu Hause.
Ich selbst bin, wie gesagt, nie gern zur Schule gegangen. Weder hatte ich besonders viele Freundinnen dort, noch kam ich mit den Lehrern klar. Nach jedem Schultag fing mich meine Mutter am Gartentor ab, um mich zu meinen Zensuren zu befragen. Stellen Sie sich ein kleines dürres Mädchen mit roten Zottelhaaren und Sommersprossen vor, das Tag für Tag von seiner wahnsinnigen Mutter am Gartentörchen aufgehalten und am Mittagessen gehindert wird, weil es lieber schweigt, als die Zensuren preiszugeben. Am Ende meiner Schullaufbahn war ich so dünn, dass man mich nur noch sehen konnte, wenn man zweimal hinschaute. Und ich hatte ein ausgewachsenes Mutter- und Schultrauma.
Deswegen frage ich meine Kinder bis heute nicht nach ihren Noten. Ich möchte ihnen meine eigenen Erfahrungen ersparen und bemühe mich stattdessen, ihnen durch Wärme und stille Zuwendung ein Zuhause zu bieten, in dem sie sich wohlfühlen. Rolfi ist leider nur noch selten bei uns, weil er nach seiner geplatzten Hochzeit zurück nach Amerika gegangen ist, um sein Studium zu beenden. Ricarda, unsere Neunzehnjährige, ist in der elften Klasse. Sie hat zwei Klassen wiederholt, was mich persönlich nicht stört. Die Kinder werden heutzutage viel zu früh ins Berufsleben geschickt. Ich finde es wichtig, dass man die Möglichkeit hat, vom geschützten heimischen Hafen aus die Fühler auszustrecken. Unser Jüngster, Matz, ist in der fünften Klasse. Er verbringt seine rare Freizeit am liebsten mit seinem Meerschweinchen Tapsi. Er hat schon ganze Generationen an Tapsis verschlissen, weil er seit zwei Jahren versucht, seinen jeweiligen Neuzugängen einen Salto mortale auf seiner Autorennbahn beizubringen. Er ist wirklich fleißig und macht sich viele Gedanken darüber, wie man ein Meerschweinchen schützen könnte, wenn es wieder aus der Kurve fliegt.
Was ich aber eigentlich erzählen wollte, ist, warum ich mich eines Tages wieder intensiv in den Schulalltag einarbeiten musste, obwohl ich doch diese ausgeprägte Schulphobie habe. Und das kam so:
Eines Samstagmorgens, als bei uns mal wieder alles drunter und drüber ging, klingelte das Telefon. An einem Morgen, an dem sich der Wasserpegel in unserem Keller aufgrund eines sich wochenlang über Berlin ergießenden Dauerregens der 50-Zentimeter-Marke näherte und man die Vorratskammer nur noch schwimmend erreichen konnte. Ein Morgen, an dem Gerald quengelnd in seinem Zeitungssessel saß und auf seinen Kaffee wartete, den ich ihm nicht machen konnte, weil aufgrund der Überschwemmung im Keller der Strom im gesamten Haus ausgefallen war. An dem Morgen also rief meine Nachbarin Petra Federbein an.
Sie ist nicht nur unsere Nachbarin, sie ist auch noch die Direktorin von Ricardas und Matz’ Schule. Was nicht so toll ist. Ich bevorzuge es, wenn man Grenzen ziehen kann und wenn ich mir nicht jeden Tag am Gartenzaun anhören muss, wie unterirdisch schlecht die Leistungen meiner Kinder sind. Jedenfalls konnte dieser Anruf nichts Gutes bedeuten.
»Gundula, wie gut, dass ich dich erreiche. Könntest du wohl am Montag kurz zur Schule kommen? Wir haben ein kleines Problem, das wir umgehend in den Griff bekommen müssen, und dazu brauchen wir deinen Beistand.«
Oje, dachte ich. Wahrscheinlich hatten Matz oder Ricarda wieder irgendetwas angestellt. Eigentlich hatte ich mich inzwischen an die ständigen Verweise aus der Schule gewöhnt. Die las ich schon gar nicht mehr, weil sowieso meistens das Gleiche drinstand. Dass Rickis Noten Anlass zur Sorge gaben, dass sie immer zu spät kam und heimlich auf dem Schulklo rauchte. Oder dass Matz Sachen aus dem Heimwerkerkurs mitgehen ließ. Leim oder Holz und solchen Kram, der die Schule nun wirklich nicht viel kostete. Er brauchte das alles für die Meerschweinchenrutschen. Und da er nachmittags zu viele Hausaufgaben aufhatte, um noch zum Baumarkt zu fahren, nahm er das Zeug eben aus der Schule mit. Als ob das einem Weltuntergang gleichkäme.
»Hallo, Petra! Ach … Montag ist es ganz schlecht, da muss ich nämlich … da habe ich …« Mir fiel nichts ein.
»Gundula, das verstehe ich. Jeder hat immer irgendwas. Aber es ist wichtig. Und du bist Elternbeiratsvorsitzende. Da musst du leider jederzeit abrufbereit sein. Auch wenn es schlecht passt.«
Wir mögen uns nicht besonders. Petra hält mich für eine schlechte Mutter. Zumindest nehme ich das an, weil sie immer so von oben herab mit mir spricht. Das kann sie sich eigentlich nicht leisten, denn so eine tolle Mutter ist sie auch nicht. Zumindest wirkt ihr Sohn Hannibal, der im gleichen Alter wie Matz ist, immer völlig verpeilt.
Vielleicht hat sie mich auch durchschaut. Vielleicht weiß sie, dass ich nur in den Elternbeirat eingetreten bin, damit die anderen Mütter und die Lehrer der Schule denken, ich sei die Supermutter schlechthin. Was ich mich ja auch seit Jahrzehnten bemühe zu sein. Was aber nicht klappt. Ich bin eigentlich das genaue Gegenteil einer Supermutter. Ich freue mich immer darüber, wenn ich einer Meinung mit meinen Kindern bin, damit es keine schlechten Schwingungen im Haus gibt.
Herr Mussorkski hat mich nämlich mehrfach intensiv vor diesen Schwingungen gewarnt, weil man Harmonie atmen muss, um sich entfalten zu können. Wir haben dafür die Tulpenatmung ins Leben gerufen, bei der man den Mund wie eine aufblühende Tulpe formen muss und dann stoßweise den Blütenkelch nach außen stülpt, um den Bienen die Möglichkeit zu geben, den Stempel zu bestäuben. Das ist typisch für Herrn Mussorkski, dass er so schöne Bilder für alles findet. Die Tulpenatmung wende ich immer an, wenn mich etwas zu sehr erregt. Dummerweise hilft sie nicht in allen Bereichen. Wenn Gerald schlechte Stimmungen ins Haus bringt, hilft mir die Tulpenatmung relativ wenig. Ständig rennt er mir hinterher, um irgendwas zu fragen. Einmal habe ich mich in der Toilette eingeschlossen, um in Ruhe atmen zu können, und er hatte nichts Besseres im Sinn, als die Feuerwehr zu rufen, um mich aus dem Klo zu holen. Seitdem mache ich die Tulpenatmung gar nicht mehr, wenn Gerald in der Nähe ist. Bei Gerald hilft nur der »Schachtelhalm-im-Wind«. Das bedeutet, ich bin der Schachtelhalm, und Gerald ist der Wind. Er schüttelt mich und zerrt an mir, aber ich bin biegsam und geschmeidig und lasse ihn an mir vorbeirauschen. Das beruhigt mich enorm. Das ist übrigens auch eines von Herrn Mussorkskis Bildern.
Herr Mussorkski ist leider verheiratet. Zwar verstarb seine Frau vor vielen Jahren, aber er ist ihr auch nach ihrem Tod treu. Weihnachten zum Beispiel feiert er immer mit ihr. Ich habe das im letzten Jahr mit eigenen Augen miterlebt, weil ich am 24. Dezember bei ihm geklingelt habe, um mir Rotkohl, Eier und einen Bratentopf auszuleihen.
Und da saß er mutterseelenallein an einem Tisch mit zwei Gedecken. Das Zimmer strahlte im Schein des erleuchteten Weihnachtsbaums, und ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten, als ich das Foto von Herrn Mussorkskis verstorbener Ehefrau neben ihrem Teller entdeckte. Nicht wegen Herrn Mussorkskis toter Frau, sondern weil Gerald es wahrscheinlich nicht mal merken wird, wenn ich mal tot bin.
Was unter gewissen Gesichtspunkten verständlich ist. Ich bin, wie schon gesagt, keine besonders versierte Hausfrau. Und vor allem tue ich mich mit der Zubereitung mir unbekannter Gerichte schwer. Gerald leidet da etwas drunter, weil er so gerne isst.
Aber zum Kochen gehören bekanntlich Kochbücher. Und Kochbücher machen mir Angst. Sie engen mich ein, weil sie aus Vorschriften bestehen – so wie früher diese Arbeitshefte im Englischunterricht.
Dabei mag ich die Idee des Kochbuchs an sich. Ich sehe mir zum Beispiel sehr gern die Bilder darin an, um mich inspirieren zu lassen. Aber das...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2019 |
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Reihe/Serie | Die Bundschuhs |
Die Bundschuhs | Die Bundschuhs |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Axel Milberg • Die Bundschuhs • Familie • Gundula Bundschuh • Heitere Familiengeschichte • Schauspielerin • Schule • Tief durchatmen • Wir machen Abitur • ZDF Film |
ISBN-10 | 3-492-99409-1 / 3492994091 |
ISBN-13 | 978-3-492-99409-5 / 9783492994095 |
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