Ein Schuss ins Blaue (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
288 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-19182-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Schuss ins Blaue -  Franz Dobler
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»Franz Dobler schreibt wie einst Raymond Chandler - hart, präzise, zärtlich und poetisch.« Stern »Bleib ruhig, sagte er zu sich selbst. Bleib ruhig und gedenke derer, die du getötet. Bleib ruhig und bedenke, dass du nicht töten sollst. Bleib ruhig und bedenke, dass du aus Dreck bist. Bleib ruhig und bedenke, dass alle Dreck sind.« Ex-Polizist Fallner würde sich lieber aus der Sicherheitsfirma seines Bruders verabschieden - und landet im Labyrinth deutscher Probleme. Mit seinem jüdischen Partner Landmann soll er einen islamistischen Attentäter aufspüren, auf den ein Kopfgeld von zwei Millionen ausgesetzt ist. Der Gesuchte hält sich angeblich in München auf. Dabei ist nicht mal klar, von wem der Hinweis eigentlich kommt. Könnte es sein, dass die private Sicherheitsfirma nur benutzt wird? Von rechtsradikalen Seilschaften in staatlichen Sicherheitsbehörden vielleicht? Wenn ja, warum? Zum Glück hat Fallner besten Polizeikontakt: seine Frau Jaqueline, Hauptkommissarin. Die sich allerdings lieber um die Vierzehnjährige aus einer kaputten deutschen Familie kümmern würde, die bei ihnen Asyl gesucht hat. Sie stellt »Vater« Fallner tausend Fragen pro Minute, und er muss mit ihr sogar in die Kirche gehen. Du sollst nicht töten, sagt der liebe Gott. Aber zwei Millionen für einen miesen Killer, das bedeutet einen Sonderfall. »Dobler schreibt Kriminalromane wie kein Zweiter in Deutschland.«  Marcus Müntefering, Spiegel Online »Franz Dobler schreibt wie einst Raymond Chandler - hart, präzise, zärtlich und poetisch.«  Stern

Franz Dobler lebt in Bayern und hat seit 1988 neben Romanen und Gedichtbänden, für die er u. a. mit dem Bayerischen Literaturförderpreis ausgezeichnet wurde, auch Erzählungen und Musikbücher veröffentlicht. Für seine Kriminalromane Ein Bulle im Zug und Ein Schlag ins Gesicht erhielt er jeweils den Deutschen Krimi Preis. Letzterer wurde von Nina Grosse als Nicht tot zu kriegen mit Iris Berben und Murathan Muslu verfilmt.

Franz Dobler lebt in Bayern und hat seit 1988 neben Romanen und Gedichtbänden, für die er u. a. mit dem Bayerischen Literaturförderpreis ausgezeichnet wurde, auch Erzählungen und Musikbücher veröffentlicht. Für seine Kriminalromane Ein Bulle im Zug und Ein Schlag ins Gesicht erhielt er jeweils den Deutschen Krimi Preis. Letzterer wurde von Nina Grosse als Nicht tot zu kriegen mit Iris Berben und Murathan Muslu verfilmt.

Und dieser Gott hilft ihnen?


Sie standen vor der Kirche und warteten auf nichts. Sie waren am frühen Abend durch das Viertel gestreunt, nur um draußen zu sein, und dann ragte der Kirchturm über ihnen auf. Der Koloss warf seinen Schatten auf sie, was wie ein Überfall oder eine Ermahnung auf sie wirkte, und sie blieben stehen und sahen hoch.

Leute gingen auf das Portal zu, als würden sie magnetisch angezogen, und das Mädchen fragte ihn, warum die Leute das taten und was sie dann in diesem riesigen Haus machten. Sie wusste nicht, was eine Kirche war. Nicht genau jedenfalls. Beten war für sie nur so ein Spruch – sprich dein letztes Gebet, Zombie, denn jetzt hilft nur noch beten!

Kirchen waren für Fallner schon lange kein Thema mehr – außer dass er sich gelegentlich reinsetzte, um die Ruhe zu genießen und sich zu Erinnerungen verleiten zu lassen; nein, das stimmte nicht, er konnte sich manchmal nicht gegen den Wunsch wehren, wieder beten zu können – und deshalb verblüffte es ihn, dass ihm in diesem Jahr, seitdem Nadine bei ihm und seiner Frau Jaqueline wohnte, noch nie aufgefallen war, dass sie keine Ahnung hatte, warum Menschen in Kirchen gingen. Was er weder ihrer Vergangenheit als Ossigirl noch dem angeblichen Verfall der guten Sitten zuordnete. Ihre Probleme als Ossigirl hatten nichts mit mangelndem Glauben oder versauten Sitten zu tun, sondern mit einer Mutter, die sich nicht genug um sie gekümmert hatte. Soweit er wusste. Wobei er sich darüber im Klaren war, dass sein Nichtwissen sein Wissen in einem wahnsinnigen Ausmaß überragte. Ob die Menschen, die in die Kirche gingen, immer so genau wussten, warum sie das taten, war eine andere Frage. Für deren Beantwortung er sich nicht zuständig fühlte. Er bekam ständig von ihr Fragen gestellt. Das war die Quittung für die vielen Fragen, mit denen er in seiner Zeit als Polizist mehr oder weniger arme Seelen gelöchert oder durchlöchert hatte, so konnte man das sehen. Sein Eindruck war, dass er die Hälfte ihrer Fragen beantworten konnte (und er hoffte, dass er mit dieser Einschätzung richtiglag).

Er konnte beantworten, warum der Mond wie eine Lampe aussah, aber nicht, warum er um die Erde flog und nicht woandershin. Er wusste, warum die Banane krumm war, aber nicht, warum Frauen bluten mussten (nicht genau jedenfalls), sowas konnte ihr Jaqueline besser erklären. Falls sie nicht sowieso alles von ihrem iPhone erklärt bekam.

Er hatte manchmal den Verdacht, dass sie Fragen nur deshalb stellte, um zu testen, ob sie ihr Unsinn erzählten; was verständlich war, weil man ihr in ihrem vorherigen Leben eine Menge Unsinn erzählt hatte. Weshalb es jetzt bei ihnen Gesetz war, ihr niemals Unsinn zu erzählen, außer wenn sie Blödsinn miteinander machten. Aber er hätte ihr niemals erzählt, dass Frauen bluteten, weil sie zu bescheuert waren, etwas dagegen einzuwerfen, wie es der behämmerte Freund ihrer Mutter getan hatte.

Fallner hatte kein Problem zuzugeben, dass er etwas nicht wusste – sein Problem war die Erkenntnis, dass die Lücken immer größer wurden.

Auf die Frage, die regelmäßig kam, wenn er Jazz hörte, warum die so komisch spielten, sagte er, darauf gäbe es logischerweise keine Antwort, weil die nicht komisch spielten. Dann ballerte er mit Fragen zurück. Warum hatte sie den Eindruck, dass die komisch spielten? Weil sie das taten. Und wer spielte nicht komisch? Was für eine blöde Frage, Mensch, die, die nicht komisch spielten, spielten nicht komisch, so einfach war das, warum kapierte er das nicht? Weil er zu alt war. Und warum war er zu alt? Weil sie zu jung war. Eine Antwort, die nicht erlaubt war, glaubte er vielleicht, sie wäre zu doof, um das zu erkennen? Aber nein. Und warum hatte er es dann gesagt? Weil ihm nichts Besseres eingefallen war. Warum hatte er sich nicht mehr Mühe beim Nachdenken gegeben? Weil er zu müde war. Warum das denn? Weil er den ganzen Tag gearbeitet hatte. Warum musste er arbeiten? Um Geld zu verdienen, sie mussten schließlich Essen und all das andere Zeug kaufen, das man zum Leben brauchte, weil es nicht umsonst war. Und warum war es nicht umsonst? Das fragte er sich auch. Und warum war es gut für Kinder, wenn sie in ihrer Kindheit ein Kilo Dreck fraßen? Weil es umsonst war. Warum erzählte er Quatsch? Weil sie schlau genug war, Quatsch zu erkennen.

Und warum arbeitete er eigentlich nicht mehr als Polizist? Das wollte sie jetzt endlich mal genau wissen, raus mit der Sprache!

Weil er es viele Jahre gemacht und dann die Schnauze voll davon gehabt hatte. Und warum war Jaqueline immer noch bei der Polizei? Weil es ihr immer noch Spaß machte. Was machte ihr denn Spaß, wo er ihr doch schon oft erzählt hatte, dass der Drecksjob keinen Spaß machte? Das musste sie Jaqueline selbst fragen. Aber sie war ja nicht da. Wenn sie wieder da war. Warum war sie nicht immer da? Weil sie meistens da war, okay (er hob die Hand, um ihren Protest einen Moment aufzuhalten), du hast recht, aber sie ist ziemlich oft da, das musste sie zugeben, also fast schon meistens war sie bei ihnen. Aber warum nicht immer? Wäre es ihr lieber, dass sie immer da war? Ja, aber das war keine Antwort, er musste antworten. Sie hatten Streit gehabt, und seitdem hatte sie ein Zimmer im Haus einer Freundin, und dort war sie, wenn sie nicht bei ihnen war, aber seit du hier bist, ist sie viel öfter bei uns als dort, falls es dir noch nicht aufgefallen ist.

Warum hatten sie Streit gehabt?

Weil sie Streit gehabt hatten.

Das war schon wieder keine Antwort! Er konnte aber nicht immer antworten, weil manche Antworten so kompliziert waren, dass er’s nicht hinbekam. Das war auch wieder keine Antwort, er musste es wenigstens versuchen. Er wollte »fuck you« sagen, aber er sagte: »Schluss jetzt!« Und kam natürlich nicht damit durch.

»Die Leute gehen in die Kirche, um zu ihrem Gott zu beten. Sie glauben, dass Gott die Welt und die Menschen erschaffen hat und dass er allmächtig ist«, sagte Fallner.

Er wollte nicht auch noch damit anfangen, dass der Gott, zu dem die Leute in dieser Kirche beteten, sogar aus drei Teilen bestand, und erinnerte sich daran, dass ihm der Heilige Geist als Kind Angst gemacht hatte, weil er eben ein Geist war, ein Gespenst, das nachts über seinem Bett schwebte und ihm sein Pipi wegnehmen wollte.

»Die Leute beten zu ihm, das heißt, sie bitten ihn oft um Hilfe in der Not, oder sie bitten ihn, anderen Leuten zu helfen, die in Not sind. Sie singen auch Lieder zu Ehren Gottes, das heißt, sie verehren ihn, das ist so ähnlich wie ein Geschenk. Und es gibt Gesetze, an die sich die Leute halten sollen, die an ihn glauben und zu dieser Gemeinschaft gehören, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht töten zum Beispiel. Ich kann’s nicht besonders gut erklären, ich finde es etwas verwirrend, muss ich zugeben. In anderen Ländern glauben die Menschen an einen anderen Gott oder an einen ähnlichen, der aber etwas andere Regeln hat. Warst du wirklich noch nie in einer Kirche? Hast du keine Freunde gehabt, die in die Kirche gehen, oder ihre Eltern?«

»Nein. Also irgendwie hab ich schon mal davon gehört, aber ich weiß nicht genau, keine Ahnung. Ist das scheiße?«

Seine Hoffnung, er würde mit seinem langen und verwirrenden Sermon völliges Desinteresse bewirken, hatte sich nicht erfüllt. Sonst hätte sie nichts gesagt. Und auf keinen Fall etwas gefragt.

»Ist es nicht«, sagte er, »das ist es überhaupt nicht. Viele Leute, die da reingehen, haben auch nicht viel Ahnung davon, das ist meine Meinung, aber ich hab auch nicht so viel Ahnung davon.«

Sie war vierzehn und sie nahm jetzt seine Hand, ohne etwas zu sagen, und sie machte auch keine Bewegung, um anzudeuten, dass sie endlich weitergehen sollten.

»Wir gehen jetzt einfach rein, dann bekommst du mal einen Eindruck«, sagte er.

»Jeder kann einfach so reingehen? Vielleicht denken die, dass wir sie stören.«

»Jeder kann einfach so reingehen, und wir tun nichts, was stören könnte. Wir setzen uns hin und hören zu und sehn uns die Sache an. Also, du solltest nicht Scheiße brüllen, wenn du irgendwas scheiße findest, das würde stören.«

»Gut, dass du’s mir sagst, das hätte ich nämlich garantiert getan.«

»Ja, ich weiß.«

Es war kälter und dunkler in der Kirche als draußen, eine andere Stimmung in einer anderen Welt, und Nadine war von diesem Raum einer anderen Welt sofort beeindruckt. Von dieser Höhe und den riesigen Gemälden dort oben, mit den Kindern, die fliegen konnten, den Männern in langen Gewändern, auf deren Schultern weiße Tauben saßen, von den Frauen mit den verträumten Puppengesichtern und von den Figuren an den Wänden, von diesem seltsamen Geruch, der sie ein wenig an ihre kiffenden...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2019
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Buch • Deutscher Krimipreis • Deutschsprachiger Krimi • Ein Bulle im Zug • Ein Schlag ins Gesicht • Krimi • Krimibestenliste • Kriminalroman • Robert Fallner • Terror
ISBN-10 3-608-19182-8 / 3608191828
ISBN-13 978-3-608-19182-0 / 9783608191820
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