Wo die Toten tanzen (eBook)

Wie rund um die Welt gestorben und getrauert wird
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99528-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wo die Toten tanzen -  Caitlin Doughty
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»Doughty - eine vertrauenswürdige Begleiterin durch die Welt des Todes - bringt uns zum Lachen.« Washington Post Der New-York-Times-Bestseller endlich auf Deutsch! Fasziniert von unserer Angst vor dem Tod, zieht es die Bestatterin Caitlin Doughty in die Welt. Um zu erkunden, was wir von anderen Kulturen über Tod und Trauer lernen können, besucht sie in Indonesien einen Mann, der mit dem mumifizierten Körper seines Großvaters zusammenlebt. Verfolgt in Japan eine Zeremonie, bei der Angehörige die Knochen des Verstorbenen mit Stäbchen aus der Verbrennungsasche lesen. Und geht in Mexiko dem »Tag der Toten« auf den Grund. Augenzwinkernd stellt sie Alternativen wie die Öko-Bestattung vor. Und hinterfragt, ob unsere westlichen Riten Raum zur angemessenen Trauer lassen. Ein außergewöhnliches Buch darüber, wie unterschiedlich mit der Sterblichkeit umgegangen werden kann. Und ein Plädoyer dafür, dem Tod wieder mit mehr Würde zu begegnen.

Caitlin Doughty, geboren 1984, führt in Los Angeles ein Bestattungsinstitut. Ihre YouTube-Serie »Ask a Mortician« hat Fans auf der ganzen Welt. Mit dem von ihr gegründeten »Order of the Good Death« setzt sie sich dafür ein, die Menschen wieder stärker mit »ihren« Toten zu konfrontieren. Von ihr erschienen auch die Bände »Fragen Sie Ihren Bestatter. Lektionen aus dem Krematorium« und »Was passiert, wenn ich tot bin? Große Fragen kleiner Sterblicher über den Tod«.

Caitlin Doughty, geboren 1984, heuerte nach ihrem Studium der mittelalterlichen Geschichte bei einem Krematorium an, führt in Los Angeles ein Bestattungsinstitut und gilt in den USA als "Champion der alternativen Bestattungsindustrie" (Independent). Ihre YouTube-Serie "Ask a Mortician" hat Fans auf der ganzen Welt. Mit dem von ihr gegründeten "Order of the Good Death" setzt sie sich dafür ein, die Menschen wieder stärker mit "ihren" Toten zu konfrontieren. Von ihr erschien zudem der Band "Fragen Sie Ihren Bestatter. Lektionen aus dem Krematorium".

Prolog


Das Telefon klingelte, und mein Herz begann zu rasen.

In den ersten Monaten nach der Eröffnung meines Bestattungsinstituts löste ein klingelndes Telefon sofort helle Aufregung aus. Wir bekamen nicht viele Anrufe. »Was, wenn … was, wenn jemand gestorben ist?«, sagte ich dann atemlos. (Nun ja, wir sind ein Bestattungsinstitut – damit ist zu rechnen.)

Die Stimme am anderen Ende gehörte einer Hospizschwester. Sie hatte Josephine vor zehn Minuten für tot erklärt; der Leichnam war noch warm. Die Schwester saß am Bett der Toten und diskutierte mit Josephines Tochter. Die Tochter hatte sich für mein Institut entschieden, um zu verhindern, dass ihre Mutter, kaum dass sie ihren letzten Atemzug getan hatte, weggebracht wurde. Sie wollte den Leichnam noch eine Weile zu Hause behalten.

»Kann sie das machen?«

»Selbstverständlich«, erwiderte ich. »Wir raten sogar dazu.«

»Ist das nicht illegal?«, fragte die Schwester skeptisch.

»Nein, ist es nicht.«

»Normalerweise rufen wir das Bestattungsinstitut an, und die holen den Leichnam dann sehr schnell ab.«

»Die Tochter hat die Entscheidungsgewalt über den Leichnam ihrer Mutter. Nicht das Hospiz, kein Krankenhaus oder Pflegeheim, und schon gar nicht das Bestattungsinstitut.«

»Na gut, wenn Sie sich da sicher sind.«

»Ganz sicher«, sagte ich. »Richten Sie Josephines Tochter doch bitte aus, dass sie uns heute Abend anrufen kann oder morgen früh, wenn ihr das lieber ist! Sobald sie sich dazu in der Lage fühlt.«

Wir holten Josephine um acht Uhr abends ab, sechs Stunden, nachdem sie verstorben war. Am nächsten Tag schickte ihre Tochter uns ein Video, das sie mit dem Handy aufgenommen hatte. In dem Dreißig-Sekunden-Clip liegt die Verstorbene im Bett, bekleidet mit ihrem Lieblingspullover und um den Hals ihr Lieblingstuch. Kerzen flackern auf der Kommode neben dem Bett, und der Leichnam ist mit Blütenblättern bestreut.

Selbst auf der grobkörnigen Handyaufnahme war zu erkennen, dass Josephine an ihrem letzten Abend auf Erden strahlend aussah. Die Tochter war richtig stolz auf ihr Werk. Nachdem ihre Mutter sich immer um sie gekümmert hatte, kümmerte sie sich jetzt um ihre Mutter.

Nicht alle in meiner Branche heißen die Methoden gut, mit denen ich mein Bestattungsinstitut führe. Manche glauben, eine Leiche müsse einbalsamiert werden, um auf der sicheren Seite zu sein (stimmt nicht), und eine Leiche sollte nur den Händen von Fachleuten überlassen werden (stimmt auch nicht). Die Kritiker meinen, dass jüngere, progressive Bestatter »unseren Beruf ins Lächerliche ziehen«, und sie fragen sich, ob »das Bestattungswesen nicht allmählich zum Zirkus verkommt«. Ein Kollege versprach: »Wenn es irgendwann so weit ist, dass nicht einbalsamierte Leichen drei Tage lang zu Hause aufgebahrt werden, schmeiß ich hin!«

In meiner US-amerikanischen Heimat ist der Tod seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein Riesengeschäft. Ein Jahrhundert hat den Amerikanern genügt, um zu vergessen, dass Bestattungen einmal etwas waren, wofür die Familie und die Gemeinschaft zuständig waren. Im 19. Jahrhundert hätte es niemanden verwundert, wenn Josephines Tochter den Leichnam ihrer Mutter selbst hergerichtet hätte – es wäre sogar befremdlich gewesen, wenn sie das nicht getan hätte. Es hätte niemanden verwundert, dass eine Ehefrau den Leichnam ihres Mannes wäscht und ankleidet oder dass ein Vater seinen Sohn in einem selbst gezimmerten Sarg zu Grabe trägt.

In beeindruckend kurzer Zeit ist unsere Bestattungsbranche zur teuersten, kommerziellsten und bürokratischsten auf der ganzen Welt geworden. Wenn wir überhaupt in irgendetwas die Besten sind, dann wohl darin, unsere trauernden Familien von ihren Verstorbenen getrennt zu halten.

Vor fünf Jahren, als mein Bestattungsinstitut (und dieses Buch) noch reines Wunschdenken war, mietete ich eine Hütte an einer abgelegenen Lagune in Belize. Damals führte ich das glamouröse Leben einer Krematoriumsmitarbeiterin und Leichenwagenfahrerin – die Hütte musste also sehr preiswert sein. Sie hatte weder Handyempfang noch WLAN. Die Lagune lag neun Meilen vom nächsten Ort entfernt und war nur mit einem Geländewagen zu erreichen. Der Fahrer war der Verwalter des Grundstücks, ein dreißig Jahre alter Belizer namens Luciano.

Nur damit Sie sich Luciano besser vorstellen können: Er wurde auf Schritt und Tritt von seinem Rudel treuer, leicht abgemagerter Hunde verfolgt. Wenn die Hütte nicht vermietet war, verschwand er manchmal tagelang im belizischen Busch, Flipflops an den Füßen, bewaffnet mit seiner Machete und gefolgt von seinen Hunden. Er jagte Hirsche, Tapire und Gürteltiere. Und wenn er erfolgreich war, tötete er seine Beute, häutete sie und aß das Herz direkt aus dem Brustkorb.

Luciano fragte mich, was ich beruflich machte. Als ich ihm erzählte, dass ich mit Toten arbeitete, in einem Krematorium, setzte er sich in seiner Hängematte auf. »Ihr verbrennt sie?«, fragte er. »Ihr grillt Menschen?«

Ich dachte über diese Formulierung nach. »Nun ja, die Anlage wird sehr viel heißer als ein Grill. Sie schafft fast tausend Grad, durch das ›Grillstadium‹ jagt sie also blitzschnell hindurch. Aber da ist was dran, ja.«

Wenn jemand in Lucianos Umfeld stirbt, holt die Familie den Leichnam nach Hause, um ihn einen ganzen Tag lang aufzubahren. In Belize lebt ein buntes Völkergemisch mit karibischen und lateinamerikanischen Einflüssen, und Englisch ist die Amtssprache. Luciano ist ein Mestize – ein Nachfahre der indigenen Maya und der spanischen Kolonisten.

Lucianos Großvater war in seiner Gemeinde der Totenwart, der Mann, den Angehörige mit der Herrichtung eines Leichnams betrauten. Wenn er kam, hatte bei dem Verblichenen manchmal bereits die Totenstarre eingesetzt, und die Muskeln waren so steif, dass das Baden und Ankleiden sich schwierig gestalteten. Luciano erzählte, dass sein Großvater in einem solchen Fall mit dem Leichnam sprach.

»Hör mal, willst du im Himmel gut aussehen? Ich kann dich nicht anziehen, wenn du dich so sperrst.«

»Dein Großvater hat die Totenstarre also durch gutes Zureden gelöst?«, fragte ich.

»Man musste den Leichnam auch noch mit ein bisschen Rum einreiben. Aber ja, er hat mit dem Toten gesprochen«, erwiderte er.

Nachdem er den Leichnam sozusagen überredet hatte, locker zu werden, drehte Lucianos Großvater ihn auf den Bauch und presste etwaige durch die Verwesung entstandene Flüssigkeiten und Gase heraus. In etwa so, wie man ein Baby Bäuerchen machen lässt – bring es zum Rülpsen, bevor es dich anrülpst.

»Gehört das in Amerika auch zu deinen Aufgaben?«, fragte er, während er über die Lagune blickte.

Natürlich haben die größeren Städte in Belize längst Bestattungsinstitute, die das amerikanische Geschäftsmodell kopiert haben und Familien teure Mahagonisärge und Marmorgrabsteine andrehen. Der gleiche Trend in Richtung Moderne gilt für belizische Krankenhäuser, die mitunter eine Obduktion verlangen, ob die Angehörigen das wollen oder nicht. Lucianos Großmutter hatte eindeutig bestimmt, dass sie nach ihrem Tod nicht aufgeschnitten werden wollte. »Deshalb haben wir ihre Leiche aus dem Krankenhaus geklaut«, erzählte Luciano mir.

»Wie bitte?«

Ich hatte richtig gehört: Sie hatten den Leichnam aus dem Krankenhaus gestohlen. Ihn einfach in ein Laken gewickelt und mitgenommen. »Was hätte das Krankenhaus denn schon machen können?«, fragte Luciano.

Eine ähnliche Geschichte erzählte er mir über einen Freund von ihm, der just in dieser Lagune ertrunken war. Luciano hatte die Polizei gar nicht erst verständigt. »Er war tot, was ging die das an?«

Wenn er stirbt, möchte Luciano in einem einfachen Loch beerdigt werden, eingehüllt in eine Tierhaut, die Wände des Grabs mit Blättern bedeckt. Er hat vor, das Leichentuch aus Tierhaut selbst zu entwerfen.

Er erklärte, dass er »ständig« mit Freunden über den Tod spreche. Sie fragen einander: »Hey, was soll mit dir passieren, wenn du stirbst?«

Luciano fragte: »Reden die Leute bei dir zu Hause nicht so?«

Es war nicht leicht, ihm zu erklären, dass sie das die allermeiste Zeit tatsächlich nicht tun.

Eine der Hauptfragen bei meiner Arbeit war schon immer die, warum sich meine eigene Kultur mit dem Thema Tod so schwertut. Warum weigern wir uns, solche Gespräche zu führen, unsere Angehörigen und Freunde zu fragen, was mit ihrem Körper geschehen soll, wenn sie sterben? Unsere Vermeidungstaktik ist kontraproduktiv. Wenn wir uns davor drücken, über unser unausweichliches Ende zu reden, schadet das sowohl unserem Geldbeutel als auch unserer Fähigkeit zu trauern.

Ich wollte mit eigenen Augen sehen, wie in anderen Kulturen mit dem Tod umgegangen wird, weil ich glaubte, dann vielleicht zeigen zu können, dass es keine reglementierte Art gibt, mit dem Tod zu »verfahren« oder ihn zu verstehen. In den letzten Jahren bin ich durch die Welt gereist, um mir anzusehen, welche Totenrituale in anderen Ländern praktiziert werden – in Australien, England, Deutschland, Spanien, Italien, Indonesien, Mexiko, Bolivien, Japan und in verschiedenen Gegenden der USA. Die Leichenverbrennungen in Indien und die skurrilen Särge in Ghana sind überaus lehrreich, doch die Orte, die ich besuchte, haben ebenso spektakuläre Geschichten zu bieten, die allerdings seltener erzählt werden. Ich hoffe, meine Entdeckungen können dazu beitragen, Sinn und Tradition in unser eigenes Umfeld zurückzuholen. Eine derartige Rückgewinnung ist mir als Betreiberin eines Bestattungsinstituts, aber mehr noch als Tochter und Freundin...

Erscheint lt. Verlag 2.9.2019
Übersetzer Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alternative Bestattung • Angehörige • Begleiten • Begleitung • Begräbnis • Bestatter • Bestatter Buch • Bestatterin • Bestatterin Buch • Bestattung • bewältigen • Bewältigung • Bolivien • Buch sterben • Buch Tod • Buch tot • Coco • Dia de Muertos • Grüne Bestattung • Indien • Indonesien • Japan • Leben • Mexiko • Öko-Bestattung • Philosophie • Ratgeber • Riten • Spanien • Sprüche • Sterbebegleitung • Sterbehilfe • Sterben • Tag der Toten • The End • Tod • Tod und Trauer • Tot • Trauer • umgehen • Verlust • was kommt nach dem Tod • Was passiert nach dem Tod
ISBN-10 3-492-99528-4 / 3492995284
ISBN-13 978-3-492-99528-3 / 9783492995283
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