Nach der Morgenröte -  Wolfgang Melzer

Nach der Morgenröte (eBook)

Jacob-Böhme-Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
507 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7494-6697-9 (ISBN)
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Um das Jahr 1600 wagt sich ein Görlitzer Schuhmacher auf Gebiete vor, die den Gelehrten vorbehalten sind. Jacob Böhme schreibt über Gott und die Engel, darüber, wie alles geworden ist und wie das Böse in die Welt kam. Gleich mit seinem ersten Buch, der "Morgenröte im Aufgangk", sorgt er für Unruhe in der Stadt. Den einen gilt er als Erleuchteter, den anderen als Schwärmer. Das Buch wird verboten und die kirchliche Obrigkeit verfolgt ihn sein Leben lang. Aber er hat auch einflussreiche Freunde. So schreibt er weiter und Friedrich Hegel wird ihn später den ersten deutschen Philosophen nennen. Vierhundert Jahre später weckt ein Brief des Philosophen Begehrlichkeiten in alchemistischen Kreisen. Der Privatgelehrte Hauke Lescher begibt sich auf die Suche nach dem Schriftstück und bekommt es mit einer geheimnisvollen Bruderschaft zu tun. Aus Fakten und Fiktionen entsteht vor dem Leser die spannende Geschichte des wirkmächtigen deutschen Philosophen und Mystikers, der in Deutschland seit einigen Jahren wiederentdeckt wird.

Wolfgang Melzer wuchs in Naumburg an der Saale auf, studierte in Dresden Psaychologie, ging nach Jahren an der Universität als Berater in die Wirtschaft und lebt heute al freier Autor in der Westlausitz. Nach den Erzählungsbänden "Altes Begehren" und "Das Buch des Schweigens" legt er mit "Nach der Morgenröte" seinen ersten Roman vor.

2


Der Fluss atmet Nebeldunst aus, der in nassen Schwaden über dem Wasser hängen bleibt. Die Abenddämmerung kündigt sich an. Der Mond, wiewohl nur knapp zur Hälfte voll, setzt den feuchten Katzenköpfen der Straße erste Glanzlichter auf. In schnellem Schritt naht von der Peterskirche her ein schwarz gekleideter Mann. Er schlängelt sich durch den Tross der Hökerweiber vom Untermarkt und strebt der Neißebrücke zu. Selbst unter dem weiten Mantel kann man seine klotzige Statur erkennen. Unter der breiten Hutkrempe reicht sein grauer Bart bis zur Brust. Den Hut tief in das Gesicht gezogen schaut der Mann nicht nach links noch rechts, wie jemand, der unerkannt oder wenigstens unbemerkt bleiben möchte. Vielleicht will er aber auch nur der fallenden Feuchtigkeit hier am Fluss entgehen. Die Marktweiber, die es eilig haben, zurück in ihre Dörfer zu kommen, beachten ihn nicht. Ein paar Einheimische jedoch grüßen den Eilenden respektvoll. Er erwidert knapp. Niemand hält ihn auf. Unterm Arm trägt der Mann ein leinenumwickeltes Bündel in der Größe eines Quartbandes. Er überquert die Brücke und verschwindet in wenig belebte Gassen am Ostufer der Neiße. Ohne ersichtlichen Grund wechselt er mehrfach die Richtung, läuft sogar ein Stück zurück in Richtung Fluss, gelangt schließlich an den östlichen Stadtrand. Zum wiederholten Male hält er Ausschau, ob ihm jemand folgt, dann geht er weiter über Land in Richtung Leopoldshain. Die Luft ist klar und der Weg im Mondlicht gut zu sehen. Nur ein Knecht mit einem Handkarren und ein Weib mit Kiepe auf dem Rücken laufen weit vorn auf seinem Weg. Der Mann fällt aus dem hastigen Schritt in den ruhig gleichförmigen Gang eines Menschen, der eine längere Strecke vor sich weiß. Er hat kein Interesse, die beiden vor sich einzuholen.

Vor dem Portal des Schlosses, das gleichzeitig der Durchlass durch die umlaufende Wehrmauer ist, versichert er sich noch einmal, dass er allein ist, setzt dann den Türklopfer in Bewegung. Das Pochen klingt weit in die Mondnacht. Wieder sieht der Mann sich um. Görlitz ist nicht fern und er will vorsichtig sein. Langsam öffnet sich die Tür und Franz, der Sekretär des Hausherrn bittet den Besucher mit den Worten „Man erwartet Euch, Herr Primarius!“ ins Haus. Im Kaminzimmer empfängt ihn der Herr von Sercha mit dem Ausruf: „Da seid Ihr ja endlich, Moller! Gott zum Gruße!“ Und zu einem zweiten, jüngeren Manne gewendet: „Doktor, hier habt Ihr den obersten Pfarrer der Buchstabenkirche zu Görlitz, den ehrenwerten Primarius Martin Moller.“

„Das sind böse Scherze, Herr Ender“, wehrt der so Eingeführte ab.

Der mit „Doktor“ Angesprochene – er mag sich der Vierzig nähern – erhebt sich aus dem Lehnstuhl vor dem Kamin und neigt den Kopf.

„Und dieser“, Karl Ender von Sercha weist auf den Jüngeren, „ist der Doktor Balthasar Walther, Stadtmedicus in Liegnitz, Paracelsusjünger und weitgerühmter Orientreisender.“ Als er bemerkt, dass Moller zögert, setzt er ernst hinzu: „Er ist ein Freund, wir können offen reden.“

Jetzt ist es an Moller, den Kopf zu neigen.

„Setzt Euch und trinkt einen Punsch mit uns!“ Ender von Sercha nimmt dem Oberpfarrer das Bündel ab. „Was gibt es so Wichtiges, dass Ihr Euch selbst bemüht? Die Bücher hätte doch wohl ebenso gut ein Bote zurückbringen können.“

„Ach!“ ächzt der Pfarrer während er sich zu den anderen ans Feuer setzt, „Freunde waren nicht zuhanden und einen Boten zu dingen, schien mir nicht ratsam. Seit dem Verhör in Bautzen beargwöhnt man jeden meiner Schritte und den Wittenbergern käme es sehr gelegen, wenn sie erführen, dass ich mit Euch in Schweckfeldischem Verkehr stehe. Hielten nicht Bürgermeister und Rat die Hand über mich, wer weiß, was passierte. Krell in Dresden ist noch nicht lange tot und – frei gesprochen – der Hals kitzelt mir nicht genug, dass man ihn mit dem Beil kratzen müsste.“

Er hebt seinen Becher: „Auf die Gesundheit, Ihr Herren!“

„Da habt Ihr recht getan“, sagt Balthasar Walther indem er seinen Becher absetzt, „man soll dem Eifer der Denunzianten keine Nahrung geben. Es gibt wahrlich genug Zungenwetzer, die so lange studiert haben, dass die Academia ihnen den Geist vernebelt hat, hinwiederum nicht lang genug, um die Nebel steigen zu sehen; die eifern gern für einen rechten Weg, den ein anderer ihnen gewiesen.“

„Wahr gesprochen, Walther!“ Ender nickt dem Doktor zu.

„Aber sagt, Moller, man will Euch also ernstlich ans Leder?“

„Anders kann man nicht verstehen, wie immer neue Universitäten Auftrag erhalten zu Gutachten über meine Predigten. Nach Wittenberg und Jena jetzt Leipzig. Und alle finden den Verdacht auf Abweichung vom Luther, auf Kryptocalvinismus. So klar aber ist die Sache nicht, und wir wissen uns zu verteidigen.“

„Ihr seid ein Schelm, Moller. Wer seinen Weigel studiert hat und den Schwenckfeld bestens kennt, der weiß, dass es mit der Heiligen Schrift allein nicht getan ist, dass wir unsere Herzen öffnen müssen, für Jesus öffnen müssen, um den lebendigen Gott zu erfahren. Luthers Sola scriptura! sperrt Gott in ein Buchstabengefängnis. Daran ändern alle Augsburger Artikeln nichts, und das wisst Ihr. Gebt nur zu, Ihr seid ein Abweichler! Die Wittenberger haben Euch durchschaut.“

Abwehrend hebt der Primarius beide Hände: „Herr Ender, was redet Ihr? Wollt Ihr mich vernichten? Nein, nein, nein – als Mann der Kirche stehe ich auf dem Boden der Augsburger Konfession. Der Grund für die Anklagen sind nichts als unge­ naue Formeln, die ich in meinen Predigten versehentlich gebrauchte, und eine rechthaberische Art, dieselben zu lesen. So schrieb ich zum Exempel, wir sollten bei der Feier des Abendmahls der Anwesenheit Gottes auch eingedenken. Das ist mitnichten ein Widerspruch zur wittenbergischen Lehre.“

Über sein ganzes breites Gesicht grinsend hebt der Doktor Walther, nachdem der Primarius geendet hat, seinen Becher:

„Ihr seid ein vorsichtiger weiser Mann, Herr Primarius. Ich trinke auf alle, die so ohne Dünkel sind!“

Zustimmend geben ihm die anderen Bescheid.

„Ich sehe, Ihr wollt diesen Punkt nicht vertiefen. Lassen wir des Disputierens deshalb genug sein. Welches ist der zweite Grund, weswegen Ihr gekommen seid?“ gibt Ender dem Gespräch eine neue Richtung.

Als müsse er sich seines zweiten Grundes erst erinnern, besinnt Moller sich einen Augenblick.

„Da“, beginnt er dann, „muss ich Euch von einem Schuster reden, einem eifrigen Gliede meiner Gemeinde. Ein frommer Mann, der keinen Gottesdienst versäumt und den Kopf gerade so oft über Bücher beugt wie über Leder und Ahle. Er ist begierig auf Schrift und Wort und stellt mir die schwierigsten Fragen. Und grübelt und studiert, dass man sich nur verwundern kann, denn er betreibt eine Schuhbank auf dem Untermarkt und seine Geschäfte erfordern den Großteil seiner Tätigkeit. Ob denn Gott nur den Gelehrten sich verständlich mache, oder doch jedem Christenmenschen, wollte er jüngst von mir wissen.“

Moller holt tief Luft, dann fährt er fort: „Obgleich im Besitze einiger Bücher, genügen die ihm nicht. Die meinen kennt er auch schon sämtlich. Euch den zu empfehlen, bin ich gekommen. Er braucht Protektion und die richtigen Bücher, auch die von Hand kopierten.“

Moller klopft auf das Bündel, welches er hergetragen hat.

„Ein Schuster, sagt Ihr?“ fragt Ender ein wenig verwundert.

„Darum habe ich ja an Euch gedacht. Immerhin war ein Schuster schon mal Prediger in Leopoldshain.“

„Das ist lang her, Moller. Will Euer Schuster etwa auch predigen?“

„Nein, nicht die Spur. Er ist ein Sucher, kein Redner. Ein Gottessucher.“

„Sind wir das nicht alle?“ mischt sich Walther wieder in das Gespräch.

„Schon“, erwidert Moller, „aber die wenigsten mit so tiefem Ernst. Er sieht in der Suche nach Gott seinen Beruf. Mehr als in der Schuhmacherei. In der ist er tüchtig, kein Zweifel, aber sie ist nicht, was ihn bewegt. Über den Büchern aber und dem Papier hockt er ganze Nächte. Holt sich hohle Augen. Und jammert, er fände GOtt in den Büchern nicht; sie sprächen wohl von IHM, aber ER wäre nicht darinnen. Nur die Heilige Bibel lässt er gelten, fragt aber, warum sie Gottes letztes Wort sein solle.“

Wie Moller dies sagt, fällt im Feuer mit lautem Knall ein Buchenscheit auseinander, als wäre der Blitz hineingefahren. Funken schießen knisternd aus dem Kamin, glimmen und qualmen auf den Dielen weiter. Die Männer springen auf die Füße, zertreten die Feuerkeime, ehe sie Schaden anrichten können. Ender und Moller klopfen sich schimpfend die Kleider ab und setzen sich zurück in ihre Lehnstühle, als wäre nichts gewesen. Walther, während er mit dem Flederwisch die Asche zurück in den Kamin kehrt, nimmt das Gespräch wieder auf:

„Mich dünkt das ein wunderlicher Schuster zu sein, der sich dreist über seinen Schustertisch hinaus wagt. Zermartert sich den Kopf um Sachen, die nicht die seinen sind. Was mag den treiben?“

Ender, der eben noch seine Gedanken in ganz anderer Landschaft spazieren führte, wendet sein Gesicht zu dem Primarius. Auch Walther setzt sich wieder.

„Er weiß es selber nicht, sagt er“, antwortet der Pfarrer. „Er wisse nur, dass das Gezänk zwischen...

Erscheint lt. Verlag 21.8.2019
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7494-6697-1 / 3749466971
ISBN-13 978-3-7494-6697-9 / 9783749466979
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